Urteil des VG Stuttgart vom 14.10.2016

diabetes mellitus, gefahr, diagnose, trauma

VG Stuttgart Urteil vom 14.10.2016, A 11 K 698/16
Leitsätze
1. Für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist der Nachweis eines traumatischen
Ereignisses Voraussetzung. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma
stattgefunden hat.
2. Ein Arzt, der eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, muss eine umfangreiche klinische
Erfahrung einschließlich spezieller Kenntnisse in Psychotraumatologie besitzen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1
Die am ...1943 geborene Klägerin reiste am 30.12.1998 in das Bundesgebiet ein. Am 02.03.1999
beantragte sie die Gewährung von Asyl.
2
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17.06.1999 wurde der
Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Mit einer Ausreisefrist von
einem Monat wurde der Klägerin die Abschiebung in den Iran angedroht. Die daraufhin eingelegten
Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (VG Stuttgart, Urt. v. 20.01.2000 - A 11 K 12175/99; VGH Mannheim,
Beschl. v. 03.03.2000 - A 3 S 452/00). Die Klägerin wurde in der Folgezeit im Bundesgebiet geduldet.
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Mit Schreiben vom 28.11.2013 bat die Ausländerbehörde der Stadt Waiblingen die Beklagte unter Vorlage
medizinischer Unterlagen um die Prüfung, ob sich aus Krankheitsgründen ein zielstaatsbezogenes
Abschiebungsverbot ergebe. In dem vorgelegten aktuellsten ärztlichen Attest von Dr. D vom 12.01.2012 ist
ausgeführt, die Klägerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an einer rezidivierenden
depressiven Störung und an einer schweren depressiven Episode. In Belastungssituationen dekompensiere
sie. Sie sei völlig unfähig, sich selbst zu versorgen. Die Klägerin esse nichts, wenn sie auf sich allein gestellt
sei, was im Zusammenhang mit ihrem Diabetes lebensgefährliche Folgen haben könne.
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Im ärztlichen Attest von Dr. S vom 27.12.2011 ist ausgeführt, die Klägerin werde wegen ihrem Diabetes,
ihrer depressiven Verstimmung und der Risikofaktoren in Bezug auf den Diabetes behandelt. Der Diabetes
werde mit Medikamenten behandelt und sei unter Betreuung der Tochter der Klägerin und der ärztlichen
Versorgung in einem relativ ordentlichen und kontrollierten Zustand.
5
Mit Schreiben vom 11.12.2013 hat die Beklagte die Klägerin informiert, dass ein Wiederaufgreifensverfahren
von Amts wegen durchgeführt werde.
6
Mit Bescheid vom 15.01.2016 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt,
die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht nachvollziehbar. Unabdingbare
Voraussetzung für das Vorliegen einer PTBS sei das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses. Die
Diagnose einer PTBS in den vorgelegten ärztlichen Attesten beruhe aber nur auf den eigenen Angaben der
Klägerin, ohne dass diese auch nur ansatzweise kritisch hinterfragt worden seien. Im Erstasylverfahren
seien die Angaben der Klägerin als unglaubhaft eingestuft worden. Deshalb könnten die diagnostizierte
depressive Störung und die schwere Episode nicht auf traumatisierenden Erlebnissen im Heimatland
beruhen. Im Übrigen seien die psychischen Beeinträchtigungen und der diagnostizierte Diabetes im Iran
behandelbar. Der Diabetes werde im Iran medikamentös behandelt. Im Iran seien auch die erforderlichen
Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen, auch einer PTBS, vorhanden und diese
Krankheiten würden medikamentös und psychotherapeutisch behandelt. Zur Behandlung eines psychischen
Krankheitsbildes gebe es im Iran genügend Psychologen, Psychiater oder psychiatrische Krankenhäuser mit
adäquaten ambulanten oder stationären Behandlungsmöglichkeiten. Die Klägerin sei im Falle einer Rückkehr
in den Iran auch nicht auf sich alleine gestellt. Sie habe sich nach ihren Angaben im Erstasylverfahren viel
bei Verwandten, vor allem bei ihrer Schwester und dessen Sohn, aufgehalten. Im Iran gebe es zudem Alten-
und Pflegeheime sowie Pflegedienste. Die Klägerin könne auch auf die von Familienangehörigen zu
finanzierende private häusliche (ambulante) Pflege zurückgreifen. Sie habe nach ihren Angaben im
Erstasylverfahren auch ohne Rente und ohne Krankenschutz über eine gesicherte Existenz im Iran verfügt.
Der Klägerin drohe im Iran auch keine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte
Folter oder sonstige relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
7
Am 08.02.2016 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, alle ihre Kinder hielten
sich in Deutschland auf. Ihr Ehemann sei verstorben. Ihre Betreuung erfolge durch die im Großraum
Stuttgart lebenden Kinder. Bei einer Rückkehr in den Iran sei eine Versorgung nicht mehr gewährleistet. Im
Iran befänden sich keine näheren Verwandten. Als Christin sei sie von den staatlichen Alten- und
Pflegeeinrichtungen weitestgehend ausgeschlossen. Sie leide an einer schweren depressiven Erkrankung.
Ihr labiler psychischer Zustand werde sich bei einer Rückkehr in den Iran erheblich verschlechtern. Eine
ambulante oder stationäre Psychotherapie gebe es im Iran nicht. Die angebotenen psychotherapeutischen
und sozialtherapeutischen Maßnahmen seien zudem sehr kostspielig und müssten von den Patienten
bezahlt werden. Medikamente müssten im Iran grundsätzlich selbst bezahlt werden. Selbst wenn sie einen
Versicherungsschutz erhielte, wäre sie auf hohe Eigenaufwendungen angewiesen, da die
Behandlungskosten deutlich über den Versicherungsleistungen lägen und Medikamente selbst bezahlt
werden müssten. Sie verfüge im Iran über keine finanziellen Reserven. Angehörige im Iran, die eine
finanzielle Unterstützung gewährleisten könnten, seien nicht vorhanden. Bei einer Rückkehr in den Iran
fehle auch das stabilisierende Umfeld durch die in Deutschland lebenden Kinder. Im Iran gebe es für sie keine
Familienstruktur oder ein soziales Netz. Sie sei im Hinblick auf ihre Krankheiten und das fortgeschrittene
Alter dauerhaft nicht fähig, ihren Tagesablauf zu strukturieren und für sich selbst zu sorgen.
8
Die Klägerin beantragt,
9
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.01.2016 aufzuheben und die Beklagte
zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
10 Die Beklagte beantragt,
11 die Klage abzuweisen.
12 Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
13 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf Fragen des Gerichts vorgetragen, sie wohne in
Waiblingen alleine in einer ca. 40 m² großen Wohnung. Sie beziehe Sozialhilfe. Morgens stehe sie zwischen
7:30 Uhr und 8:00 Uhr auf. Vor dem Frühstück müsse sie ihre Tabletten einnehmen. Das Mittagessen bereite
sie sich selbst zu, wenn ihre Kinder ein Essen nicht vorbei gebracht hätten. Nach dem Mittagessen ruhe sie
sich aus oder gehe für 15 bis 20 Minuten an die frische Luft. Nachmittags esse sie eine Kleinigkeit und trinke
Tee. Wenn es ihr gut gehe, setze sie ihre Näharbeiten fort. Derzeit stelle sie eine Decke her. Das
Abendessen nehme sie gegen 18:00 Uhr ein. Auch zum Abendessen müsse sie Medikamente einnehmen.
Nach dem Abendessen schaue sie deutsches Fernsehen, obwohl sie kein Wort Deutsch verstehe. Zum
Einkaufen gehe sie nicht alleine, sondern nur in Begleitung ihrer Tochter. Zum Treffen der assyrischen
Gemeinde werde sich hin und zurückgefahren. Zu ihrem Hausarzt Dr. S gehe sie einmal wöchentlich, wenn
ihr Zustand schlecht sei, ansonsten einmal im Quartal. Dieser Arzt behandele sie wegen Diabetes. Sie
nehme diesbezüglich Tabletten und spritze seit zwei Jahren Insulin. Beim Arztbesuch werde sie immer von
ihrer Tochter begleitet. Zu Dr. D gehe sie einmal im Quartal wegen Schlaflosigkeit und wegen ihres
sonstigen psychischen Zustandes. Die Ärztin untersuche ihr Blut und ihre Nieren und verschreibe Tabletten.
Auch bei diesem Arztbesuch werde sie regelmäßig von ihrer Tochter begleitet. Sie habe vier Kinder, die sich
alle in Deutschland aufhielten. Drei ihrer vier Kinder seien berufstätig. Sie habe keine Geschwister. Soweit
sie im Erstasylverfahren von einer Schwester gesprochen habe, handele es sich um die Schwester ihres
verstorbenen Ehemannes. Sie wisse nicht, ob diese noch lebe oder wo sie wohne. Ihr Ehemann habe zwei
Schwestern, mit einer von ihnen habe sie im Iran Kontakt gehabt.
14 Im Klageverfahren hat die Klägerin weitere ärztliche Atteste von Dr. S (Facharzt für
Allgemeinmedizin/Homöopathie) vom 18.02.2016 und von Dr. D (Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie -
Verhaltenstherapie -) vom 05.02.2016 vorgelegt. Dr. S führt in seinem Attest aus, die Klägerin werde seit
vielen Jahren wegen ihrem Diabetes mellitus sowie arterieller Hypertonie betreut. Sie werde medikamentös
behandelt und regelmäßig kontrolliert. Unter regelmäßiger Medikation und Diät seien die Laborwerte im
ordentlichen Bereich. Ferner bestehe eine Hypothyreose, die eine Substitution mit Schilddrüsenhormon
bedürfe. Alle Erkrankungen gefährdeten die Klägerin, sollte sie Deutschland verlassen müssen.
15 Dr. D führt in ihrem fachärztlichen Attest aus, die Klägerin befinde sich bei ihr regelmäßig seit 10.07.2008 in
psychiatrischer Behandlung. Es lägen folgende Diagnosen vor: Posttraumatische Belastungsstörung,
rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode. Eine antidepressive
Psychopharmakotherapie erfolge seit Jahren. Nach wie vor dekompensiere sie in Belastungssituationen. Sie
sei völlig unfähig, sich selbst zu versorgen. Deshalb sei es unbedingt notwendig, dass sie hier in der Nähe
ihrer Kinder bleiben könne, da ansonsten ihre Gesundheit ernstlich gefährdet sei. Die Klägerin esse z.B.
nichts, wenn sie auf sich allein gestellt sei, was in Zusammenhang mit ihrem Diabetes lebensgefährliche
Folgen haben könne. Sie schlafe in Belastungssituationen nicht, spreche dann auch nicht. So könne sie im
Iran nicht leben.
16 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe
17 Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie
ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2
VwGO).
18 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch
auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5
oder 7 AufenthG vorliegen. Dies ist im angefochtenen Bescheid ausführlich und zutreffend dargelegt. Zur
Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf den angegriffenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2
AsylG). Ergänzend ist lediglich auszuführen:
19 Der Klägerin droht bei einer Rückkehr in den Iran keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK, so dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ausscheidet.
Dass sich die iranischen Sicherheitskräfte an der fast 73 Jahre alten Klägerin, die nach den rechtskräftigen
Feststellungen des Gerichts im Erstasylverfahren den Iran ohne erlittene oder drohende Verfolgung
verlassen hat, vergreifen könnten, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
20 Die Klägerin hat auch im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand keinen Anspruch auf Feststellung, dass in
ihrer Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
21 Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie
hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne
Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v.
17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324).
22 Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder
schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60
Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle
Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9
C 2/99 - juris -). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die
notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen
Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt.
v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53
AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Unerheblich ist indes, ob
die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland
gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel
auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Die
mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei
Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 -
1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs.
7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre
Heilungschancen zu verbessern (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A - AuAS 2005,
189).
23 Die von Dr. S diagnostizierte arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus sowie Hypothyreose und die von Dr. D
diagnostizierte depressive Störung und schwere depressive Episode begründen kein Abschiebungsverbot
nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn diese Krankheiten können im Iran behandelt werden und eventuell
erforderliche Medikamente sind im Iran erhältlich (vgl. Deutsche Botschaft, Auskunft vom 13.02.2003 an
Bundesamt, vom 09.06.2001 an VG Leipzig und vom 19.08.2004 an VG Hannover; Auswärtiges Amt,
Auskunft vom 31.03.2005 an BAMF). Die Aussage von Dr. S in seinem ärztlichen Attest vom 18.02.2016,
wonach alle Erkrankungen die Klägerin gefährdeten, sollte sie Deutschland verlassen müssen, ist durch
nichts belegt und im Hinblick auf die dargelegte Erkenntnislage unmaßgeblich. Es ist schon erstaunlich, dass
ein Arzt eine Gefahrenprognose stellt, ohne die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland auch nur im
Ansatz zur Kenntnis zu nehmen bzw. zu würdigen.
24 Zwar dürfte die Klägerin die erforderlichen Medikamente im Iran selbst bezahlen müssen (vgl. Deutsches
Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen), außerdem muss sie voraussichtlich
Vorauszahlungen leisten, damit eine Behandlung in Angriff genommen wird (vgl. Schweizerische
Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 20.11.2008). Das Gericht geht jedoch davon aus, dass die Klägerin im Falle
einer Rückkehr in den Iran mit einer verlässlichen finanziellen Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden
vier Kinder rechnen kann. Die Familien dieser vier Kinder besitzen sämtlich einen gesicherten
Aufenthaltsstatus und regelmäßige Einkünfte. Es gibt einen Erfahrungssatz dahingehend, dass Kinder mit
arabischem Migrationshintergrund ihre Eltern bei finanzieller Not unterstützen. Dies wurde von der in der
mündlichen Verhandlung anwesenden Tochter der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt. Es kann somit
nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die erforderliche ärztliche und medikamentöse
Behandlung im Iran nicht erhalten wird.
25 Soweit Dr. D im Attest vom 05.02.2016 zudem eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
diagnostiziert, ist das Gericht nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass diese Erkrankung bei
der Klägerin vorliegt.
26 Bei der PTBS handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver
Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und
Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren
Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine
eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur
Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter
anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des
Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung
sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden
Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff). Nach der von
der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen „Internationalen statistischen Klassifikation der
Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10)“ entsteht die posttraumatische
Belastungsstörung (F43.1) als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder
eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem
Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (traumatisierendes Ereignis, sog. A-
Kriterium). Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines
traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma
und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch
ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass
ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 752; Steller
in: Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41; OVG
Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -; VGH München, Beschl. v. 28.09.2006 - 19 CE
06.2690 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 14.01.2008 - A 11 K 4941/07 - InfAuslR 2008, 323). Die Feststellung
des behaupteten traumatisierenden Ereignisses ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung
und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ein
traumatisierendes Ereignis wurde weder von der Klägerin im Erstasylverfahren oder in der mündlichen
Verhandlung vom 14.10.2016 geltend gemacht noch von Dr. D im Attest vom 05.02.2016 dargelegt. Fehlt
es damit am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer PTBS nicht
ausgefüllt.
27 Im Übrigen genügt das vorgelegte Attest von Dr. D vom 05.02.2016 auch nicht den Mindestanforderungen,
die an ein fachärztliches Attest gestellt werden.
28 Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes der PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome muss ein
fachärztliches Attest gewissen Mindestanforderungen genügen. Aus diesem muss sich nachvollziehbar
ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im
konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in
ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen
Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren
Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird
das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die
Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch
eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese
Vorgaben an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des
Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die
in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251
und Beschl. v. 26.07.2012 - 10 B 21/12 - juris -).
29 Diesen Anforderungen wird das vorgelegte ärztliche Attest von Dr. D nicht gerecht. In dem Attest vom
05.02.2016 fehlen jegliche Angaben dazu, wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt und inwiefern
die von der Klägerin geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Das Attest
gibt auch keinen Aufschluss über die Schwere der Krankheit und den bisherigen Behandlungsverlauf.
30 Die Diagnose einer PTBS ist auch nicht in nachvollziehbarer Weise gestellt. Typische Merkmale der
posttraumatischen Belastungsstörung sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden
Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks) oder in Träumen vor dem Hintergrund eines andauernden
Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen,
Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die
Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten; hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer
Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit (vgl. Venzlaff/Foerster,
Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 750ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis
Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff.). Dem ärztlichen Attest von Dr. D vom 05.02.2016 ist
jedoch nicht zu entnehmen, dass diese Merkmale bei der Klägerin vorliegen.
31 Die aufgezeigten Defizite im vorgelegten ärztlichen Attest vom 05.02.2016 sprechen dafür, dass Dr. D die
für eine sichere Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung erforderliche umfangreiche klinische
Erfahrung einschließlich spezieller Kenntnisse in Psychotraumatologie nicht besitzt (vgl. Venzlaff/Foerster,
Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 748; Gierlichs, Deutsches Ärzteblatt 2002, 403).
32 Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin - entgegen der Behauptung ihres
Prozessbevollmächtigten - im Iran nicht fähig ist, für sich selbst zu sorgen. In der mündlichen Verhandlung
trug die Klägerin vor, sie wohne in Waiblingen alleine in einer Wohnung. Sie bereite sich eigenständig das
Frühstück, das Mittagessen und das Abendessen zu und gehe auch in der Regel alleine täglich 15 bis 20
Minuten an die frische Luft. Diese Angaben zeigen, dass die Klägerin nicht betreuungsbedürftig und bei den
Verrichtungen des täglichen Lebens nicht auf fremde Hilfe angewiesen ist. Da im Iran Sprachbarrieren nicht
bestehen, könnte sie dort die notwendigen Einkäufe auch selbst tätigen. Die Ausführungen von Dr. Dr in
ihrem fachärztlichen Attest vom 05.02.2016 führen zu keiner anderen Beurteilung. Ihre Aussagen, die
Klägerin sei völlig unfähig, sich selbst zu versorgen, die Klägerin esse nichts, wenn sie auf sich allein gestellt
sei und so könne sie im Iran nicht leben, sind durch nichts belegt und widersprechen den Angaben der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Vor diesem Hintergrund stellen die genannten Ausführungen von
Dr. D in ihrem Attest vom 05.02.2016 sich als bloße Gefälligkeitsbescheinigung dar. Das Gericht braucht
deshalb nicht zu entscheiden, ob es sich bei Hilfebedürftigkeit von älteren Menschen um eine allgemeine
Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG handelt (zu der in diesem Fall erforderlichen extremen
Gefahrenlage vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 - 10 C 24/10 - NVwZ 2012, 451).
33 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.