Urteil des VG Stuttgart vom 06.02.2017

wiederaufnahme des verfahrens, asylg, einstellung des verfahrens, aufschiebende wirkung

VG Stuttgart Beschluß vom 6.2.2017, A 1 K 198/17
Leitsätze
1. Die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG muss in einer dem Asylantragsteller verständlichen Sprache erfolgen.
2. Die fehlerhafte Belehrung führt zum Nichteintritt der Rücknahmefiktion gemäß § 33 Abs. 1 AsylG und zur
Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des
Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.11.2016 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1 Der Antragsteller, ein am … 1981 geborener gambischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen
Rechtsschutz im Rahmen der Einstellung seines Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens des Verfahrens. Sein
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage - A 1 K 197/17 - gegen die
Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 18.11.2016 ist zulässig (unter 1.)
und begründet (unter 2.).
2 1. Der Antrag ist statthaft. Gemäß § 75 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylG nur in
den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG sowie der §§ 73, 73 b und 73 c AsylG aufschiebende Wirkung. Die
Entscheidung des Bundesamtes, das Asylverfahren des Antragstellers einzustellen, beruht jedoch auf § 33
Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 AsylG.
3 Dem Antragsteller fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Antrag, weil er eine
einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung seines Rechtsschutzes hätte. Insbesondere stellt der
Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesamt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG in der seit
dem 17.03.2016 geltenden Fassung des AsylG keine solche Möglichkeit dar (vgl. ebenso VG Köln, Beschluss
vom 19.05.2016 - 3 L 1060/16.A - juris; BVerfG , Beschluss vom 20.07.2016 - 2 BvR 1385/16 -
InfAuslR 2016, 390).
4 Vorrangiges Rechtsschutzziel des Eilverfahrens ist es, den Antragsteller vor aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen aufgrund der verfügten Abschiebungsandrohung zu schützen. Dieses Ziel könnte er vorliegend
zwar auch mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG erreichen,
da die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht neun Monate zurückliegt
und das Asylverfahren nicht schon einmal nach § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG wiederaufgenommen worden war
(vgl. § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG). Diese Möglichkeit ist indes im Vergleich zum vorliegenden Antrag nach § 80
Abs. 5 VwGO mit verfahrensmäßigen Nachteilen verbunden, die es insbesondere im Hinblick auf Art. 19 Abs.
4 GG verbieten, das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses zu verneinen.
5 So kann das Verfahren nach Einstellung wegen Nichtbetreibens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG nur
ein einziges Mal wieder aufgenommen werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dem Asylbewerber
hiermit die Möglichkeit der Heilung eines einmaligen Fehlverhaltens eingeräumt werden (vgl. BT-Drs.
18/7538, S. 17). Wäre die erstmalige Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG aber zu
Unrecht erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 und 2 AsylG nicht vorgelegen haben, und könnte
der Asylbewerber diese Entscheidung im Eilverfahren - und auch im nachfolgenden Klageverfahren -
gerichtlich nicht angreifen, sondern wäre er vielmehr gezwungen, einen Antrag auf Wiederaufnahme des
Verfahrens zu stellen, so stünde ihm diese Möglichkeit der Heilung für die Zukunft nicht mehr zur Verfügung.
Denn verhielte sich der Asylbewerber im weiteren Verlauf seines Asylverfahrens (nochmals) in einer Weise,
die die Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtfertigen würde, so wäre der Antrag
zum einen als Folgeantrag mit den sich hieraus ergebenden Einschränkungen (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG)
zu behandeln (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG); zum anderen würden für eine Entscheidung nach § 33 Abs. 5
Satz 6 AsylG die in § 33 Abs. 6 AsylG geregelten Besonderheiten gelten, ohne dass der Asylbewerber jemals
die Möglichkeit gehabt hätte, die Einstellungsentscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. auch VG
Köln, Beschluss vom 19.05.2016, a.a.O.). Zudem ist gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG der
Wiederaufnahmeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der
Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Ausländer vor der Einstellung des Verfahrens zu
wohnen verpflichtet war. Wird einem Asylbewerber die gerichtliche Überprüfung der
Einstellungsentscheidung aber verweigert und gelänge es ihm nicht, vor einer - nicht mehr
anzukündigenden - Abschiebung (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs.1 Satz 6 AufenthG) die für ihn
zuständige Außenstelle des Bundesamtes persönlich aufzusuchen, so bliebe ihm die Heilungsmöglichkeit des
§ 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG gänzlich verwehrt. Auch dies spricht dafür, in Fällen wie dem vorliegenden ein
Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers als gegeben zu erachten. Dem entspricht im Übrigen die dem
Einstellungsbescheid des Bundesamts beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die Möglichkeit der
Stellung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG nicht einmal
hinweist.
6 2. Der Antrag ist auch begründet. Die vom Bundesamt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG
verfügte Abschiebungsandrohung nach Gambia erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung der
Sach- und Rechtslage als rechtswidrig, weil das Bundesamt zu Unrecht festgestellt haben dürfte, dass der
Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gilt, und das Asylverfahren eingestellt hat, so dass das
private Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet zu
verbleiben, das öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt.
7 Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht
betreibt. Das Nichtbetreiben wird u.a. nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der
Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt
nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf
Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.
8 Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen,
mithin die Einstellung des Asylverfahrens auf Grund der Rücknahmefiktion, schriftlich und gegen
Empfangsbestätigung hinzuweisen.
9 Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013
(VRL), die nach ihrem Art. 51 Abs. 1 bis zum 20.07.2015 in nationales Recht umzusetzen war, regelt
weiter, dass der Antragsteller in einer Sprache, die er verstehen oder von der vernünftigerweise
angenommen werden darf, dass er sie versteht, über den Verlauf des Verfahrens und über seine Rechte und
Pflichten während des Verfahrens sowie darüber informiert wird, welche Folgen es haben kann, wenn er
seinen Pflichten nicht nachkommt und nicht mit den Behörden zusammenarbeitet.
10 Nach Ablauf der Umsetzungsfrist ist Art. 12 Abs. 1 lit. a VRL zugunsten des Asylantragstellers unmittelbar
anwendbar. Daraus - wie auch nach nationalem Recht bereits aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens -
folgt, dass die Belehrung über die einschneidenden Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG in einer dem
Asylantragsteller verständlichen Sprache erfolgen muss (so auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom
21.11.2016 - 14a L 2519/16.A -, juris; GK-AsylG, § 33 Rn. 78; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR,
Nachtrag zur 11. Aufl., § 33 AsylG Rn. N 7; Heusch, in: Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht
, § 33 AsylG Rn. 7; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 - 10 C 1.13 -, BVerwGE
147, 329 Rn. 31 zur Betreibensaufforderung nach § 33 AsylVfG a.F.). Weshalb dieses Erfordernis bei der
Neufassung des § 33 AsylG nicht ausdrücklich normiert wurde, ist nicht erklärlich.
11 Diesen Anforderungen wurde vorliegend nicht genügt. Es kann bereits nicht festgestellt werden, ob der
Antragsteller bei Stellung seines Asylantrags am 29.07.2014 über die Zustellungsvorschriften des damaligen
§ 10 AsylVfG und die Folgen des Nichterscheinens zum Anhörungstermin belehrt wurde. Die bei den Akten
befindlichen Belehrungsformulare in deutscher und in englischer Sprache weisen keine Unterschrift des
Antragstellers auf, so dass es an der nach § 10 Abs. 7 AsylG erforderlichen Empfangsbestätigung fehlt.
Zudem enthielt diese Belehrung - der damaligen Rechtslage entsprechend - lediglich den Hinweis, dass das
Nichterscheinen nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung ohne persönliche Anhörung). Die in der
Ladung zur Anhörung vom 18.10.2016 enthaltene qualifizierte Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG, deren
rechtmäßige Erteilung Voraussetzung für die Verfahrenseinstellung ist, wurde lediglich auf Deutsch erteilt.
Es ist nach Aktenlage nicht erkennbar, dass der Antragsteller zwischenzeitlich der deutschen Sprache
hinreichend mächtig wäre, um einen Hinweis auf die Rechtsfolgen in Deutsch gegen sich gelten lassen zu
müssen. Zudem erfolgte die Zustellung ausweislich der Postzustellungsurkunde nicht durch Übergabe an
den Antragsteller persönlich, sondern durch Übergabe an einen Herrn F. H., so dass fraglich ist, ob dies den
Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG, der eine Empfangsbestätigung verlangt, genügt.
12 Nach alldem spricht Überwiegendes dafür, dass der Einstellungsbescheid und die mit ihm verbundenen
Rechtsfolgen rechtswidrig sind und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG.
14 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).