Urteil des VG Stuttgart vom 14.02.2017

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VG Stuttgart Urteil vom 14.2.2017, 11 K 5514/16
Leitsätze
1. Spätestens zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung muss die Identität des
Einbürgerungsbewerbers geklärt sein.
2. Eine geklärte Identität setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber unter den angegebenen Personalien in
seinem Heimatstaat registriert ist.
3. Die Identität des Einbürgerungsbewerbers ist so lange ungeklärt, bis ein gültiges Ausweispapier oder gleich
beweiskräftige Unterlagen als Nachweis der Identität vorgelegt werden.
4. Das Nichtvorhandensein eines Vermerks des Inhalts, dass die angegebenen Personalien auf eigenen Angaben
des Ausländers beruhen, lässt nicht den Schluss auf eine unzweifelhaft geklärte Identität des Inhabers des
vorbehaltlos ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge zu.
5. Eine vom Einbürgerungsbewerber oder einer anderen Person abgegebene eidesstattliche Versicherung ist
kein amtliches Dokument und genügt deshalb nicht für den erforderlichen Identitätsnachweis.
6. Ist die Identität des Einbürgerungsbewerbers nicht geklärt, geht dies zu seinen Lasten. Dies gilt auch dann,
wenn die Beschaffung von Identitätsnachweisen im Heimatland nicht möglich oder aussichtslos ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
2
Der nach eigenen Angaben am ...1968 geborene Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Er reiste am
21.04.1980 in das Bundesgebiet ein. Der Kläger wuchs zunächst in einer Pflegefamilie auf. Ein von ihm
gestellter Asylantrag blieb ohne Erfolg (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 14.05.1981). Aufgrund eines Folgeantrags wurde der Kläger vom Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach gerichtlicher Verpflichtung mit Bescheid vom 04.12.1984 als
Asylberechtigter anerkannt. Seit dem 29.01.1985 ist der Kläger im Besitz einer unbefristeten
Aufenthaltserlaubnis. Mit Bescheid vom 07.03.2003 widerrief das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge die mit Bescheid vom 04.12.1984 erfolgte Anerkennung als Asylberechtigter und
stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger besuchte im
Bundesgebiet die Grund- und Hauptschule, die er im Jahr 1985 abschloss. Eine daraufhin begonnene Lehre
brach er im zweiten Lehrjahr ab.
3
Am 10.02.2014 beantragte der Kläger die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Nach einer
Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 18.06.2014 gibt es über den Kläger keine Eintragung. Am
30.09.2014 gab der Kläger gegenüber der Landeshauptstadt Stuttgart eine Bekenntnis- und
Loyalitätserklärung ab.
4
Mit Schriftsatz vom 20.10.2015 trug der Kläger vor, er mache gerade eine Umschulung zur „Fachkraft für
Metalltechnik mit der Fachrichtung Montagetechnik“. Für den Zeitraum Juli 2015 bis Juli 2016 sei ihm
Arbeitslosengeld I bewilligt worden. Es bestehe kein Klärungsbedarf im Hinblick auf seine Identität. Seit
seiner Einreise in das Bundesgebiet habe er stets die gleichen Personalien angegeben. Auch sein Onkel, mit
dem er eingereist sei, habe keine abweichenden Angaben gemacht. Seit über 35 Jahren lebe er unter
denselben Personalien im Bundesgebiet. Die Forderung, eine Geburtsurkunde vorzulegen, sei unzumutbar.
Die eritreische Botschaft in Berlin habe mit Schreiben vom 21.10.2014 mitgeteilt, er müsse einen
eritreischen Personalausweis vorlegen, damit eine Geburtsurkunde ausgestellt werden könne. Einen
eritreischen Personalausweis besitze er jedoch nicht. Bei Nichtvorhandensein eines eritreischen
Personalausweises sei eine schriftlich beglaubigte Aussage zur Identität des Antragstellers von drei Zeugen
erforderlich, die mindestens 40 Jahre alt und im Besitz eines eritreischen Ausweises sein müssten. Keine
Person in seinem Umkreis erfülle diese Voraussetzungen. Da er vor der Unabhängigkeit Eritreas geboren sei,
habe er Schwierigkeiten, eine Geburtsurkunde zu erhalten. Ein Identitätsnachweis mittels einer
Taufurkunde komme nicht in Betracht, da seine Mutter Christin und er nicht getauft sei sowie dem
islamischen Glauben angehöre. Eritreische Urkunden könne er nur erhalten, wenn er eine Zwangssteuer in
Höhe von zwei Prozent seines Nettoeinkommens als eine sog. „Aufbausteuer“ rückwirkend seit dem Jahr
seiner Ausreise bezahle. Die Eintreibung einer Zwangssteuer durch den Staat Eritrea verstoße gegen
deutsches Recht. Von ihm könne nicht verlangt werden, sich an einer rechtswidrigen Handlung zu
beteiligen.
5
In einer eidesstattlichen Versicherung vom 10.12.2015 erklärte der Kläger, er heiße J H und sei am ...1968
in Asmara geboren.
6
Mit Bescheid vom 18.03.2016 lehnte die Landeshauptstadt Stuttgart den Antrag auf Einbürgerung in den
deutschen Staatsverband ab und führte zur Begründung aus, der Kläger sei seit dem Widerruf der
Asylberechtigung im Jahr 2004 verpflichtet, sich einen Nationalpass zu beschaffen. Dieser Verpflichtung sei
er bislang nicht nachgekommen. Die Identität des Klägers sei nicht geklärt.
7
Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 24.03.2016 Widerspruch ein.
8
Am 26.07.2016 erklärte die Mutter des Klägers in einer eidesstattlichen Versicherung, aus der Ehe mit Herrn
H A, 1933 in Asmara geboren, sei ihr Sohn, J H, hervorgegangen. Er sei am ...1968 in Asmara/Eritrea
geboren.
9
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2016 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück
und führte zur Begründung aus, die Klärung offener Identitätsfragen sei notwendige Voraussetzung und
unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der in § 10 und § 11 StAG genannten
Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe.
10 Am 08.09.2016 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei am ...1968 in Asmara
geboren. Damals habe Eritrea noch zu Äthiopien gehört. Eritrea sei erst im Jahr 1993 unabhängig
geworden. Von 1968 bis 1980 habe er in Asmara gelebt, danach drei Monate in Khartum im Sudan. Im Jahr
1980 sei er mit seinem Onkel nach Deutschland geflüchtet. Er habe in einer Pflegefamilie gelebt und die
Schule absolviert. Er besitze weder ein äthiopisches noch ein eritreisches Ausweispapier und sei auch nicht
in der Lage, sich ein eritreisches Ausweispapier zu beschaffen. Außer seinem Onkel könne niemand seine
Identität bestätigen. Eine Geburtsurkunde könne er nicht vorlegen, da er zu einer Zeit geboren sei, als es
Eritrea noch nicht gegeben habe. Seine Mutter habe bereits vor längerem Eritrea verlassen. Diese könne ihn
deshalb in Eritrea nicht nachregistrieren. Seine Mutter besitze auch keinen eritreischen Reisepass. Er habe
50.000,00 Nakfa bezahlt, um die Entlassung seiner Mutter aus dem Gefängnis bewirken zu können.
Daraufhin sei sie im Jahr 2015 in den Sudan geflüchtet.
11 Der Kläger beantragt,
12 den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 18.03.2016 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.08.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn in den
deutschen Staatsverband einzubürgern.
13 Die Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Sie verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
16 In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf Fragen des Gerichts vorgetragen, im September 2015
habe er eine Umschulung begonnen, die am 13.01.2017 geendet habe. Vor der Umschulung habe er zwei
Jahre und drei Monate bei D. über eine Zeitarbeitsfirma gearbeitet. Davor habe er im Druckgewerbe
gearbeitet. Gegenwärtig sei er arbeitslos. Er habe sich bei D. und bei Zeitarbeitsfirmen beworben, jedoch
noch keine Antwort erhalten. Im Jahr 2000 sei er nach Eritrea gereist, um seine Eltern zu besuchen und
seine Familie zu sehen. Er sei mit seinem blauen Ausweis nach Asmara geflogen. In Eritrea habe er sich
einen Monat aufgehalten.
17 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe
18 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den
Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihn in den
deutschen Staatsverband einzubürgern.
19 Zwingende Voraussetzung für eine Einbürgerung auf der Grundlage des § 8 oder § 10 StAG ist eine geklärte
Identität des Einbürgerungsbewerbers. Die Identitätsprüfung wird im Gesetz unausgesprochen
vorausgesetzt (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / Allgemeines, Stand: 13.02.2017, Rn. 33, 34 m.w.N; HTK-StAR / §
10 StAG / Allgemeines, Stand: 13.02.2017, Rn. 24, 25 m.w.N.).
20 Die Identität ist u.a. dann klärungsbedürftig, wenn geeignete Dokumente zum Nachweis der Identität
fehlen. Spätestens zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung muss die Identität des
Einbürgerungsbewerbers geklärt sein. Die Identität ist geklärt, wenn ein Einbürgerungsbewerber mit
Gewissheit die Person ist, für die er sich ausgibt, also Verwechslungsgefahr nicht besteht. Dies bedeutet,
dass die Personalien (Titel, Vorname, Nachname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort und
Familienstand) des Einbürgerungsbewerbers feststehen müssen. Weiter setzt eine geklärte Identität voraus,
dass der Einbürgerungsbewerber unter den angegebenen Personalien in seinem Heimatstaat registriert ist.
Die Feststellungen zu Titel, Vorname, Nachname, Geburtsname, Geburtsdatum und Geburtsort ermöglicht in
der Regel ein gültiger und anerkannter ausländischer Pass oder ausländischer Passersatz. Denn ein
Pass/Passersatz bescheinigt, dass die in ihm angegebenen Personendaten den Personalien des durch
Lichtbild und Unterschrift ausgewiesenen Inhabers des Papiers entsprechen. Liegen ein gültiger und
anerkannter ausländischer Pass oder ausländischer Passersatz nicht vor, kann die Identität auch durch
andere geeignete Dokumente nachgewiesen werden. Als solche kommen beispielsweise in Betracht die
Geburtsurkunde, Führerschein, Dienstausweis, Wehrpass, Meldebescheinigung, Schulbescheinigung,
Schulzeugnis oder andere amtliche Dokumente. Dies bedeutet, dass die Identität des
Einbürgerungsbewerbers so lange ungeklärt ist, bis ein gültiges Ausweispapier oder gleich beweiskräftige
Unterlagen als Nachweis der Identität vorgelegt werden. Der Einbürgerungsbewerber trägt für den
Nachweis der Identität die Beweislast. Ist die Identität des Einbürgerungsbewerbers nicht geklärt, geht dies
zu seinen Lasten (vgl. zum Ganzen HTK-StAR / § 10 StAG / Allgemeines, Stand: 13.02.2017, Rn. 41, 43, 45,
47, 48, 50, 51, 53, 68 m.w.N.).
21 Die Identität des Klägers ist nicht in einem vorangegangenen Verfahren verbindlich festgestellt worden.
22 Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.12.1984, aufgrund
dessen der Kläger als Asylberechtigter anerkannt wurde, entfaltete gemäß § 4 Satz 1 AsylVfG a.F. (jetzt § 6
Satz 1 AsylG) nur insoweit Bindungswirkung, als alle staatlichen Instanzen von der Asylberechtigung
ausgehen mussten; eine Identitätsfeststellung enthielt dieser Bescheid indes gerade nicht (vgl. HTK-StAR / §
10 StAG a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Auch die von der Ausländerbehörde am 29.01.1985 erteilte unbefristete
Aufenthaltserlaubnis entfaltet Tatbestandswirkung nur hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des dauerhaften
Aufenthalts, nicht jedoch hinsichtlich etwaiger Angaben zur Person des Klägers (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG
a.a.O. Rn. 31 m.w.N.). Zwar enthielt der dem Kläger am 28.01.1985 ausgestellte Reiseausweis für
Flüchtlinge nach Art. 28 Abs. 1 GFK keinen Vermerk des Inhalts, dass die angegebenen Personalien auf
eigenen Angaben des Ausländers beruhen (§ 4 Abs. 6 Satz 2 AufenthV), so dass die Legitimationsfunktion
des Reiseausweises für Flüchtlinge nicht von vornherein aufgehoben war. Das Nichtvorhandensein eines
solchen Vermerks lässt jedoch nicht den Schluss auf eine unzweifelhaft geklärte Identität des Inhabers des
vorbehaltlos ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge zu. Die Identität des Klägers wurde in dem
Verfahren auf Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge erkennbar nicht geprüft. Hieraus folgt, dass
im Zuge des Einbürgerungsverfahrens eine Identitätsprüfung zwingend erforderlich ist (vgl. HTK-StAR / § 10
StAG a.a.O. Rn. 38, 39, 40 m.w.N.).
23 Die Identität des Klägers ist nach wie vor ungeklärt. Einen Reisepass oder sonstige amtliche Dokumente
seines Heimatlandes hat er bislang nicht vorgelegt.
24 Die vom Kläger und von seiner Mutter abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen sind keine amtlichen
Dokumente und genügen deshalb nicht für den erforderlichen Identitätsnachweis (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG
a.a.O. Rn. 60 m.w.N.).
25 Soweit der Kläger geltend macht, er habe seit seiner Einreise in das Bundesgebiet stets die gleichen
Personalien angegeben, lässt dies die Klärungsbedürftigkeit der Identität nicht entfallen. Denn die
Einbürgerungsbehörden dürfen sich nicht mit den eigenen Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner
Person begnügen, vielmehr müssen sie regelmäßig die Vorlage eines Ausweises oder anderer
Identitätsnachweise verlangen. Der Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber seine Personendaten seit
seiner Einreise in das Bundesgebiet niemals geändert hat, genügt nicht für den erforderlichen
Identitätsnachweis (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG a.a.O. Rn. 42 m.w.N.).
26 Ist demnach die Identität des Klägers nach wie vor nicht geklärt, so geht dies nach den allgemeinen
Beweislastgrundsätzen zu seinen Lasten. Denn die ungeklärte Identität führt dazu, dass zu dem Vorliegen
der anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG bzw. § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG
und dem Fehlen von Ausschlussgründen nach § 11 StAG keine hinreichend sichere Aussage getroffen
werden kann (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG a.a.O. Rn. 68 m.w.N.). Da der Gesetzgeber eine Härtefallregelung
für den Fall, dass die Beschaffung von Identitätsnachweisen im Heimatland nicht möglich oder aussichtslos
ist, nicht getroffen hat, kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob der Kläger seiner Mitwirkungspflicht (§
37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG) hinreichend nachgekommen ist.
27 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.