Urteil des VG Stuttgart vom 22.11.2016

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VG Stuttgart Beschluß vom 22.11.2016, 10 K 7029/16
einstweilige Anordnung - Presseinformation der Staatsanwaltschaft über die Einstellung eines
Ermittlungsverfahrens gegen einen früheren Amtsträger
Leitsätze
1. Zumindest für die unmittelbar einer Amtszeit nachfolgende zeitliche Periode von - wenigen - Wochen kann
ein - früherer - Amtsträger nicht erwarten, dass ein öffentliches Informationsinteresse mit Amtsniederlegung
vollständig entfällt, sondern muss ein "nachwirkendes Interesse" an seiner Person hinnehmen.
2. Verlautbarungen amtlicher Stellen wird ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht, da Behörden in ihrer
Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind und Amtsträger bei Presseinformationen
über amtliche Vorgänge die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht wahrzunehmen haben (wie BGH, Urteil vom 16.02.2016 - VI ZR 367/15 -).
3. Mit diesem gesteigerten Vertrauen einher geht die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die
Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dann, wenn es um die Bekanntgabe der Einstellung eines
Ermittlungsverfahrens geht, anlässlich dieses im Grundsatz entlastenden und seiner Rehabilitation dienenden
Umstands nicht durch weitere Informationen zusätzlich zu verletzen.
Tenor
Der Staatsanwaltschaft ... wird untersagt, über die Einstellung des gegen den Antragsteller eingeleiteten
Ermittlungsverfahrens eine über den folgenden Inhalt hinausgehende Pressemitteilung zu veröffentlichen:
Das aufgrund der Strafanzeige seiner früheren Geliebten gegen einen ehemaligen Landesminister wegen des
Verdachts, diese am Nachmittag des 12.05.2016 in einem Zimmer eines ... Hotels vergewaltigt zu haben,
eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Der Verdacht konnte aufgrund der umfangreichen
Ermittlungen nicht erhärtet werden.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und der Antragsgegner je die Hälfte.
Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist zulässig und teilweise begründet.
2 Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden
könnte. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123
Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
3 1. Ein Anordnungsgrund liegt vor, da dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen,
insbesondere seines durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrechts, nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren
abzuwarten. Er wendet sich dagegen, dass über die Einstellung eines gegen ihn eingeleiteten
Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Vergewaltigung die Öffentlichkeit auf dem Wege der
Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft berichtet wird. Sich gegen eine solche Pressemitteilung und deren
konkrete Ausgestaltung erst im Nachhinein zu wehren, wäre offenkundig nicht geeignet, eine durch diese
Pressemitteilung befürchtete rechtswidrige Rechtsverletzung zu verhindern. Daher liegt über das Bestehen
eines Anordnungsgrundes hinaus auch ein Fall vor, in dem im Rahmen des Eilverfahrens eine Vorwegnahme
der Hauptsache hinzunehmen ist (vgl. dazu etwa Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtschutz
im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011 Rn. 175ff, bes. 176, 177 m. Nachw.).
4 2. Ein Anordnungsanspruch liegt - glaubhaft gemacht hinsichtlich der begehrten Unterlassung durch das
Vorliegen des Entwurfs der von der Staatsanwaltschaft ... beabsichtigten Presseerklärung - insoweit vor, als
für die genannte Pressemitteilung ein Inhalt vorgesehen war, der über das aus bisherigen Mitteilungen
durch die Presse Bekannte hinausgehen würde.
5 Unabhängig davon, ob als Anspruchsgrundlage für ein Unterlassen aller Mitteilungen, die geeignet sind, das
durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 mit Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte allgemeine
Persönlichkeitsrecht zu verletzen, § 823 Abs. 1 BGB und § 1004 BGB in analoger Anwendung herangezogen
werden oder ob sich aus § 4 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 LPresseG ergibt, dass im Lichte dieses grundrechtlichen
Persönlichkeitsschutzes auch Behörden, die verpflichtet sind, den Vertretern der Presse die der Erfüllung
ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen, dies nur ohne Verletzung schutzwürdiger
privater Interessen tun dürfen, ergibt sich die genannte Grenze dessen, wozu die Staatsanwaltschaft im
Rahmen ihrer Pressearbeit berechtigt ist, aus folgendem:
6 Die Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten
beeinträchtigt dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufes, selbst wenn auch nur
über die Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens berichtet wird und sich die Identität des Betroffenen nicht
durch seinen Namen, wohl aber durch nähere Charakterisierung seiner Person erschließen lässt. Schon der
Umstand, dass über vergangene Ermittlungen wegen eines schwerwiegenden Verdachts berichtet wird,
birgt die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis
der Schuld gleichsetzt und trotz der späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom Schuldvorwurf
„etwas hängenbleibt“ (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016 - VI ZR 367/15 -, Juris Rn. 15 f.).
7 Da es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein Rahmenrecht handelt, dessen Reichweite nicht
absolut feststeht, muss durch Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange
bestimmt werden, ob dieses Recht im konkreten Fall in rechtswidriger Weise verletzt worden ist (BGH,
a.a.O. Rn. 18). Konkret ist hier gegen das Persönlichkeitsrecht das durch Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG,
Art. 10 EMRK geschützte Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“
sowie das Recht der Meinungs- und Pressefreiheit abzuwägen. Ausfluss dieser Rechte ist die bereits
genannte Informationspflicht des § 4 Abs. 1 LPresseG, die ihrerseits ihre Grenze an der Schutzwürdigkeit
privater Interessen (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG) findet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.09.2013
- 1 S 509/13 -, VBlBW 2014, 260-268 und Juris, dort Rn. 26).
8 Ob es an einem sich daraus ergebenden öffentlichen Informationsinteresse dann vollständig fehlen würde,
wenn es sich beim Antragsteller um eine reine Privatperson handelte, braucht vorliegend nicht entschieden
zu werden. Da der Antragsteller als Minister dem ersten Kabinett ... angehörte und das Geschehen, das zum
Ermittlungsverfahren geführt hat, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu seiner Amtszeit steht,
kann hiervon nicht ausgegangen werden. Zumindest für die unmittelbar einer Amtszeit nachfolgende
zeitliche Periode von - wenigen - Wochen kann ein - früherer - Amtsträger nicht erwarten, dass ein
öffentliches Informationsinteresse vollständig entfällt, sondern muss ein „nachwirkendes Interesse“ an
seiner Person hinnehmen (vgl. zur zeitlichen Nachwirkung und Abnahme eines öffentlichen
Informationsinteresses LG München, Urteil vom 10.12.2014 - 9 O 17263/14 -, Juris Rn. 47, und OLG
Frankfurt, Beschluss vom 13.08.2001 - 11 W 20/01 -, Juris Rn. 11).
9 Dieses Informationsinteresse kann - bezogen auf die hier allein in Rede stehende behördliche
Pressemitteilung - auch nicht in mit Presseveröffentlichungen vergleichbarer Weise davon abhängig gemacht
werden, ob sich die ursprüngliche Verdachts-Berichterstattung selbst in einem rechtlich zulässigen Rahmen
bewegt hat (so BGH, Urteil vom 16.02.2016, a.a.O. Rn. 20), da die Staatsanwaltschaft zu dieser früheren
Berichterstattung unstreitig nicht beigetragen hat, sondern mit der nun angekündigten Pressemitteilung
lediglich - und erstmals - auf von dritter Seite tatsächlich erfolgte Berichterstattung bzw. auf das durch
Dritte in Anspruch genommene Informationsinteresse reagiert.
10 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen
entgegengebracht wird, da Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden
sind und Amtsträger, wenn sie vor der Frage stehen, ob die Presse über amtliche Vorgänge informiert
werden soll, die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht vorzunehmen haben (BGH, Urteil vom 16.02.2016, a.a.O. Rn. 28 m. Nachw.).
11 Mit diesem gesteigerten Vertrauen einher geht die Verpflichtung, die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen
auch dann, wenn es sich nicht um die Mitteilung der Einleitung sondern - lediglich - um die Bekanntgabe der
Einstellung eines Ermittlungsverfahrens handelt, durch diesen im Grundsatz entlastenden Umstand nicht
zusätzlich zu verletzen. Dies gilt umso mehr, als eine Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO -
wie vorliegend geschehen - auch der Rehabilitation des Betroffenen dient (BGH, Urteil vom 16.02.2016,
a.a.O. Rn. 32 unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 26.06.1990 - 5 AR (VS) 8/90 -, BGHSt 37, 79, 83).
Aus diesem Rehabilitationszweck folgt zwingend, dass auch unter Berücksichtigung eines noch bestehenden
öffentlichen Informationsinteresses dieses nicht zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung des
Persönlichkeitsrechts des Betroffenen führen darf.
12 Daher sind als schutzwürdige Interessen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG verletzend und damit
unzulässig sämtliche Angaben anzusehen, die, auch wo es sich um rein tatsächliche Umstände handelt, über
einen Sachverhalt hinausgehen, wie er durch frühere Veröffentlichungen in der Presse oder in sonstigen
Medien einschließlich dem Internet bekannt geworden ist. Dabei kommt es jedenfalls dann, wenn - wie
vorliegend - der Antragsgegner zu diesen früheren Veröffentlichungen nicht durch eigene Angaben
beigetragen hat, nicht darauf an, ob dieser Sachverhalt in rechtmäßiger oder in rechtswidriger Weise
bekannt geworden ist.
13 Aus der gesteigerten Verantwortung des Antragsgegners für die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers
und dem Verbot, im Rahmen der Bekanntgabe der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens mangels
hinreichenden Tatverdachts die Verletzung dieser Persönlichkeitsrechte zu vertiefen, folgt im konkreten Fall,
dass über den im Tenor genannten Inhalt einer möglichen Pressemitteilung hinausgehende Angaben über die
angestellten Ermittlungen und deren Ergebnis unzulässig sind, da sie geeignet wären, die
Persönlichkeitsrechte des Antragstellers weitergehend zu verletzen, als dies im Rahmen der gebotenen
Information der Öffentlichkeit unumgänglich ist. Das gilt insbesondere, soweit weitere Maßnahmen wegen
Fehlens des hierfür erforderlichen öffentlichen Interesses unterblieben sind.
14 3. Der darüber hinausgehende Antrag des Antragstellers, jegliche Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft
... zur Einstellung des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens zu unterlassen, war hingegen unter
Beachtung der unter 2. angeführten Kriterien abzulehnen.
15 Auch wenn der Antragsteller derzeit kein öffentliches Amt mehr bekleidet, so muss er doch ein über seine
frühere Amtszeit hinausgehendes öffentliches Interesse an seiner Person und seinem Verhalten hinnehmen.
Angesichts dieses fortbestehenden öffentlichen Interesses entspricht es der Informationspflicht der
Staatsanwaltschaft ..., über den Ausgang eines in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen
Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts einer Straftat - hier eines Verbrechens - gegen die sexuelle
Selbstbestimmung zu berichten. Soweit hierdurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht über die bereits
erfolgte Beeinträchtigung hinaus verletzt wird, liegt ein Ausnahmefall des § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG nicht
vor. Dies ist auch hinsichtlich der Beziehung der Anzeigeerstatterin zum Antragsteller nicht anzunehmen,
da auch diese Inhalt von Presseveröffentlichungen ist, auf die auch heute noch zugegriffen werden kann.
Vielmehr durfte die Staatsanwaltschaft ... bei ihrer Entscheidung, ob eine Pressemitteilung über die
Einstellung des Ermittlungsverfahrens herausgegeben werden soll, auch berücksichtigen, dass damit die
Beendigung eines durch das Ermittlungsverfahrens begonnen „Störzustandes“ kundgetan wird und dies
auch im objektiven Interesse des Betroffenen liegt (vgl. zum Berichtigungsanspruch nach Beendigung eines
Störzustandes und der zu wählenden schonendsten Maßnahme zu dessen Beseitigung BGH, Urteil vom
18.11.2014 - VI ZR 76/14 -, BGHZ 203, 239-256 und Juris, dort Rn. 38-40).
16 4. Auch der hilfsweise gestellte Antrag, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, ihrer Pressemitteilung
folgenden Zusatz hinzuzufügen,
17 „Die Staatsanwaltschaft ... weist ausdrücklich darauf hin, dass sie sich zur Herausgabe dieser
Pressemitteilung aus dem Gleichheitsgrundsatz gegenüber den Medien verpflichtet sieht, indes keine
Abwägung dahingehend vorgenommen hat, ob auch eine Veröffentlichung der Inhalte der Pressemitteilung
durch Empfänger der Pressemitteilung in Bezug auf die Persönlichkeitsrechte des ehemaligen
Landesministers rechtmäßig wären.“
18 wird abgelehnt. In der Tat ist es Aufgabe der Medien, in eigener Verantwortung abzuwägen und zu prüfen,
ob die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung eingehalten sind (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016, a.a.O.
Rn. 28) bzw. ob eine erteilte Auskunft unverändert veröffentlicht werden darf (VG Berlin, Beschluss vom
05.10.2000 - 27 A 262.00 -, NJW 2001, 3799-3802 und Juris, dort LS 4). Indes kann der Antragsgegner
nicht dazu verpflichtet werden, auf die Einhaltung der - bestehenden - rechtlichen Grenzen gesondert
hinzuweisen, da er über den Inhalt seiner eigenen Pressemitteilung hinaus weder hierfür verantwortlich ist
noch Hinweise dafür vorliegen - vom Antragsteller auch nicht behauptet werden -, dass der Antragsgegner
gegenüber der Presse oder sonstigen Medien Anlass zu entsprechender Besorgnis gegeben hätte, etwa zu
unreflektierten Mitteilungen animiert hätte.
19 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt
sich mangels differenzierender Angaben zum Wert des als verletzt bezeichneten Persönlichkeitsrechts aus §
53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Dabei wird von einer Reduzierung des vollen Streitwerts im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angesichts der vorliegend anzunehmenden Vorwegnahme der
Hauptsache abgesehen.