Urteil des VG Stuttgart vom 29.11.2010

VG Stuttgart: bekämpfung des terrorismus, bundesamt für migration, ausweisung, charta der vereinten nationen, internationale organisation, rat der europäischen union, ausländer, verordnung

VG Stuttgart Urteil vom 29.11.2010, 11 K 1763/10
Ausweisung; PKK-Unterstützer
Leitsätze
1. Angriffe auf das Leben unschuldiger Menschen (d. h. solcher Personen, die sich weder als Kombattanten an einem bewaffneten Konflikt beteiligen
noch als Repräsentanten eines staatlichen oder gesellschaftlichen Systems verstanden werden können) gehören zum Kernbereich der
Verhaltensmodalitäten, die als terroristisch eingestuft werden müssen.
2. Die Aufnahme einer Organisation in die EU-Terrorliste besagt nur, dass diese nach Auffassung des Europäischen Rats auch noch gegenwärtig
eine terroristische Organisation ist. Auch wenn einer solchen Feststellung nicht unerhebliches Gewicht zukommt, ist dieser Umstand gleichwohl nicht
geeignet, eine eigenständige Prüfung seitens der Gerichte und Behörden anhand der vorliegenden Erkenntnismittel entbehrlich zu machen. Eine
Bindungswirkung der EU-Terrorliste für deutsche Gerichte und Behörden besteht nicht.
3. Ein strafrechtliches Verhalten, das nicht zu einer Verurteilung geführt hat und nicht mehr zu einer Verurteilung führen kann, kann nicht mehr
berücksichtigt werden, wenn die Verfehlung länger zurückliegt und im Falle einer Verurteilung aller Voraussicht nach bereits Tilgungsreife
eingetreten wäre.
4. Die Angaben einer Gewährsperson des Landesamts für Verfassungsschutz genügen regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere wichtige
Gesichtspunkte gestützt oder bestätigt werden.
5. Liegen lediglich Verbindungen und Kontakte zu einer Organisation, die den Terrorismus unterstützt oder selbst terroristisch handelt, oder zu deren
Mitgliedern vor, ohne dass der Ausländer auch als Nichtmitglied durch sein Engagement eine innere Nähe und Verbundenheit zu dieser
Vereinigung selbst zum Ausdruck bringt, fehlt es an einer Unterstützung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG.
6. Bei der Beurteilung einer gegenwärtigen Gefährlichkeit i. S. d. § 54 Nr. 5 AufenthG kommt der allgemeinen Entwicklung des Ausländers in den
letzten Jahren maßgebliche Bedeutung zu, insbesondere der Einbindung und Vernetzung des Ausländers in die Vereinigung, die den Terrorismus
unterstützt oder selbst terroristisch handelt.
7. Ob eine Angabe falsch oder unvollständig i. S. d. § 54 Nr. 6 AufenthG ist, richtet sich nach dem Erkenntnis- und Verständnishorizont des
Ausländers. Bloß objektiv falsche Angaben sind nicht tatbestandsmäßig.
8. Eine gesetzlich angeordnete Rechtspflicht, an einer Sicherheitsbefragung aktiv teilzunehmen, gibt es nicht. Ist aber die Teilnahme an einem
Sicherheitsgespräch freiwillig, so setzt eine Ausweisung nach § 54 Nr. 6 AufenthG auch voraus, dass der Ausländer vor Beginn des
Sicherheitsgesprächs auf diese Freiwilligkeit hingewiesen wird.
9. Droht einem Familienmitglied im Herkunftsland flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung, so ist diesem ein Verlassen des Bundesgebiets nicht
zumutbar. Infolgedessen kann die eheliche/familiäre Lebensgemeinschaft nur in Deutschland gelebt werden.
Tenor
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 06.05.2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet und gegen die ihm auferlegte Meldeauflage.
2
Der am ....1966 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 07.12.1994 in das Bundesgebiet
ein. Am 13.12.1994 beantragte er die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 26.01.1995 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und droht dem Kläger mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung
in die Türkei an. Mit Urteil vom 02.11.1995 - A 3 K 10370/95 - verpflichtete das VG Freiburg das Bundesamt festzustellen, dass beim Kläger die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Entsprechend dieser gerichtlichen Verpflichtung stellte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 27.12.1995 fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
3
Vom 17.01.1996 bis zum 16.01.2006 war der Kläger im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen. Am 10.10.2005 beantragte er bei der damals
zuständigen Stadt Mannheim die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Am 18.05.2006 fand bei der Ausländerbehörde der Stadt Mannheim
eine Sicherheitsbefragung statt. Zur Klärung weiterer Fragen wurde am 08.11.2006 ein Sicherheitsgespräch angesetzt. Mit Bescheid vom
06.07.2007 lehnte die Stadt Mannheim den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab und drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist
von einem Monat die Abschiebung in die Türkei an. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 17.07.2007 wies das Regierungspräsidium
Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2007 zurück. Die hierauf erhobene Klage wies das VG Karlsruhe mit Urteil vom 29.04.2008 - 11
K 3727/07 - ab. Mit Beschluss vom 04.09.2008 - 11 S 1656/08 - ließ der VGH Baden-Württemberg auf den Antrag des Klägers die Berufung
gegen das Urteil des VG Karlsruhe vom 29.04.2008 zu, soweit es seine Klage auf Verpflichtung zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sowie
gegen die verfügte Abschiebungsandrohung abgewiesen hat. Mit Schriftsatz vom 21.10.2008 hat der Kläger die zugelassene Berufung
zurückgenommen. Am 01.09.2008 ist der Kläger in den Zuständigkeitsbereich der Landeshauptstadt Stuttgart verzogen.
4
Der Kläger lebt mit einer türkischen Staatsangehörigen, mit der er im Rahmen einer Iman-Ehe verheiratet ist, in eheähnlicher
Lebensgemeinschaft zusammen. Aus dieser Beziehung sind sieben Kinder hervorgegangen, mit denen der Kläger in häuslicher Gemeinschaft
lebt. Für die Lebensgefährtin des Klägers und seine Kinder wurden die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG durch
das Bundesamt festgestellt. Sie sind im Besitz von Reiseausweisen für Flüchtlinge sowie einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG.
5
Am 25.11.2008 beantragte der Kläger bei der Landeshauptstadt Stuttgart die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis. Mit Schreiben
vom 09.09.2009 teilte die Landeshauptstadt Stuttgart dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25
Abs. 2 AufenthG erteilt werden könne.
6
Das Regierungspräsidium Stuttgart teilte der Landeshauptstadt Stuttgart per E-Mail vom 14.09.2009 mit, dass die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG abzulehnen sei, da die Voraussetzungen des Ausweisungstatbestandes des § 54 Nr. 5
AufenthG gegeben seien. Der Kläger hat daraufhin am 18.02.2010 Untätigkeitsklage gegen die Landeshauptstadt Stuttgart erhoben (Az.: 11 K
575/10), nachdem die Beteiligten die am 04.06.2009 erhobene Untätigkeitsklage aufgrund der von der Landeshauptstadt Stuttgart abgegebenen
Zusage zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG übereinstimmend für erledigt erklärt hatten (vgl. VG Stuttgart, Beschl.
v. 30.09.2009 - 11 K 2155/09 -).
7
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte mit Schreiben vom 02.10.2009 mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine
Rücknahme der Begünstigung nach § 73 Abs. 1 bzw. 2 AsylVerfG nicht vorliegen und das eingeleitete Aufhebungsverfahren formlos eingestellt
wurde.
8
Mit Bescheid vom 06.05.2010 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und verpflichtete diesen, sich
einmal wöchentlich bei dem Polizeirevier 7, Ludwigsburger Straße 126, 70435 Stuttgart unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers zu
melden und beschränkte den Aufenthalt des Klägers bis zu seiner Ausreise auf das Stadtgebiet Stuttgart. Zur Begründung wurde ausgeführt, der
Kläger habe sich nach den Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz sowie des Landeskriminalamtes bzw. der Polizei in der Zeit
von 1996 bis 2009 aktiv an zahlreichen PKK-Veranstaltungen sowie an Veranstaltungen des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins in Mannheim
beteiligt. Außerdem hätten Ermittlungsverfahren gegen den Kläger im Zusammenhang mit seiner PKK-Zugehörigkeit gestanden. Er habe am
12.02.1996 anlässlich einer Großdemonstration in Stuttgart zu einer Gruppe von ca. 30 Personen gehört, die Parolen wie „es lebe die PKK“ und
„Deutsche Polizisten schützen Mörder und Faschisten“ kandiert habe. Der Kläger und auch andere Personen hätten eine Fahne der ERNK
geschwenkt. Ein von der Landespolizeidirektion Stuttgart II gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des
Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, Asylverfahrensgesetz und wegen Beleidigung sei von der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingestellt worden.
Nach einer Mitteilung der Polizeidirektion Offenburg sei der Kläger mit zwei anderen Personen verdächtigt worden, am 19.08.1996 in Offenburg
gemeinschaftlich einen Kurden durch Faustschläge und Fußtritte derart verletzt zu haben, dass dieser sich in ärztliche Behandlung habe
begeben müssen. Das Ermittlungsverfahren sei von der Staatsanwaltschaft Offenburg jedoch eingestellt worden. Durch die Polizeidirektion
Offenburg sei bekannt geworden, dass sich der Kläger mit fünf weiteren Kurden an der Kindesentziehung und Freiheitsberaubung einer
siebzehnjährigen Türkin zum Zwecke von deren Ausbildung im Sinne der PKK beteiligt habe. Er sei deshalb am 02.07.1997 festgenommen
worden. Auch dieses Verfahren gegen den Kläger sei durch die Staatsanwaltschaft Offenburg eingestellt worden. Der Kläger habe am
15.07.2001 im Rahmen der PKK-Identitätskampagne eine Selbsterklärung unterzeichnet. Weiter habe er am 17.08.2003 in Heilbronn an einer
Versammlung von Anhängern der PKK teilgenommen. Dabei sei dieser Organisation anlässlich des 19. Jahrestages ihrer Aufnahme des
bewaffneten Kampfes gratuliert und das Protokoll einer Ratsversammlung verlesen worden. Am 11.02.2006 habe der Kläger anlässlich des 7.
Jahrestages der Verhaftung von Öcalan in Straßburg an einer Demonstration mit Kundgebung teilgenommen. Dort seien Transparente und
Bilder von Öcalan gezeigt und einschlägige Parolen skandiert worden. Schließlich habe der Kläger am 29.11.2009 in Mannheim an einer
Veranstaltung von PKK-Anhängern anlässlich des 31. Jahrestages der PKK-Gründung teilgenommen. Die Halle sei u. a. mit Öcalan-Bildern und
Fahnen der Koma Civaken Kurdistan geschmückt gewesen. In politischen Liedern seien der Parteigründungstag und die Geschichte der PKK
thematisiert worden. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG. Eine Privilegierung nach ARB 1/80 liege nicht vor.
Der Kläger habe die verbotene, kriminelle und terroristische PKK jahrelang aktiv unterstützt und von ihm gehe ein entsprechendes
extremistisches und terroristisches Gefährdungs- und Gefahrenpotential aus. Die PKK sei auf der EU-Terrorliste aufgeführt. Dies begründe eine
Bindungswirkung. Unabhängig hiervon habe die PKK terroristische Handlungen bis in die Gegenwart begangen. Der Kläger habe die PKK auch
unterstützt. Schon in jungen Jahren sei er in der Türkei mit dieser Organisation in Kontakt getreten. Seit 1989 sei er in der Türkei für die PKK aktiv
tätig gewesen. Zuletzt habe er sich in den Bergen versteckt und für die Guerilla gearbeitet. Er habe sich früh eine gefestigte politische militante
Ideologie im Sinne der PKK angeeignet und sei bereit gewesen, für die Zielsetzungen der PKK verhaftet und verfolgt zu werden. Nach seiner
Einreise in das Bundesgebiet habe er bereits Anfang 1996 PKK-Parolen skandiert und eine ERNK-Fahne geschwenkt. Am 19.08.1996 habe er
im Rahmen einer Bestrafungsaktion der PKK einen Kurden tätlich angegriffen und verletzt. Ein Jahr später habe er sich zusammen mit fünf
weiteren Kurden und PKK-Aktivisten an der Kindesentziehung und Freiheitsberaubung einer siebzehnjährigen Türkin beteiligt. Den jeweiligen
Verfahrenseinstellungen durch die Staatsanwaltschaft komme keine Bedeutung zu, da § 54 Nr. 5 AufenthG weder ein Verschulden erfordere
noch voraussetze, dass die Handlungen strafbar bzw. strafgerichtlich geahndet worden seien. Bei diesen Vorfällen handele es sich um politisch-
militante Unterstützungshandlungen des Klägers. Seine Zugehörigkeit zur PKK habe der Kläger durch die Unterzeichnung der PKK-
Selbsterklärung am 15.07.2001 bestätigt. Schließlich habe der Kläger noch an Veranstaltungen am 17.08.2003, 11.02.2006 und am 29.11.2009
teilgenommen, die in einem militant-extremistischen Kontext zur PKK gestanden hätten. Die erforderliche Zurechenbarkeit liege vor, da dem
Kläger aus seinem Gesamtverhalten erkennbar gewesen sei, dass er mit seinen Handlungen die Zielsetzungen der PKK billige. Die vielfältigen
Aktivitäten des Klägers begründeten die Prognose einer fortbestehenden politisch-extremistischen Gefahr, die vom Kläger ausgehe. Die beim
Kläger zu prognostizierende gegenwärtige Gefährlichkeit könne nur ausgeschlossen werden, wenn er sich eindeutig, glaubhaft und endgültig
von der terroristischen Vereinigung distanziert habe. Dies sei jedoch nicht der Fall. Er habe bis heute kein Unrechtsbewusstsein und auch keine
Einsicht in seine zugunsten der PKK ausgeführten Aktivitäten. Beim Kläger liege auch der Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG vor.
Der Kläger gefährde die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die PKK sei im Bundesgebiet trotz ihres Verbots durch den Bundesminister
des Innern vom 22.11.1993 aktiv tätig. Der Kläger müsse sich die von der PKK ausgehende Gefährdung persönlich zurechnen lassen, da seit
seiner Jugend in subjektiver und objektiver Hinsicht eine fortlaufende Verbindung zu dieser Organisation bestehe. Mit der Betätigung für die PKK
habe sich der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der Sicherheit in der Person des Klägers konkretisiert. Er müsse sich die von der
PKK ausgehende Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, deren politische Ziele gegen elementare
Verfassungsgrundsätze gerichtet seien, persönlich zurechnen lassen. Schließlich liege auch der Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6
AufenthG vor. Der Kläger habe falsche und unvollständige Angaben über Verbindungen zur PKK und zu dieser Organisation nahestehenden
Personen gemacht. Er habe bei der Sicherheitsbefragung am 18.05.2006 die Frage zur Mitgliedschaft hinsichtlich der PKK mit nein angekreuzt
und die Unterstützung der PKK oder ihr nahestehender Personen mit nein beantwortet. Außerdem habe er Kontakte zur PKK und ihr
nahestehender Personen verneint. Aufgrund des dem Kläger zustehenden Flüchtlingsstatus sei die Ausweisung nur aus schwerwiegenden
Gründen der Sicherheit und Ordnung zulässig. Derartige Gründe seien aber bei Vorliegen der Ausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 und Nr. 5
a AufenthG in der Regel gegeben. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Die vom Kläger ausgehende Gefährdung bestehe im Hinblick auf die
fehlende Distanzierung nach wie vor. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung das
private Interesse des Klägers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Es bestehe ein gewichtiges öffentliches Sicherheitsinteresse, die
vom Kläger persönlich ausgehende nicht unerhebliche und extremistische Gefahr für höchste Rechtsgüter durch seine Ausweisung abzuwehren.
Nach dem gesamten Verhalten des Klägers und aufgrund der fehlenden inneren und äußeren Abkehr bestehe eine konkrete Gefahr. Im Hinblick
auf die gefährdeten Rechtsgüter reiche die Möglichkeit eines Schadenseintritts aus; dies sei aufgrund der zu Tage getretenen grundsätzlichen
Gewaltbereitschaft des Klägers zu bejahen. Die Ausweisung sei auch aus generalpräventiven Zwecken geboten. Der Schwächung und
Zerschlagung der kriminellen, verbotenen und terroristischen PKK komme eine überragende Bedeutung zu. In spezialpräventiver Hinsicht sei
beim Kläger von einer gesteigerten Wiederholungsgefahr auszugehen, da er nach seinem gesamten Werdegang und seiner gesamten
Persönlichkeit in starkem Maße geprägt erscheine von der Idee, für die kurdische Sache und die PKK auch gewalttätig einzutreten und sich
hiervon bislang nicht losgesagt habe. Zwar halte sich der Kläger seit fünfzehn Jahren im Bundesgebiet auf. Von einer wirtschaftlichen Integration
in den hiesigen Arbeitsmarkt könne jedoch keine Rede sein. Er habe weder einen Beruf erlernt noch eine Berufsausbildung durchlaufen. Kurze
Arbeitsphasen hätten sich mit Phasen des Bezugs von Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld abgewechselt. Er besitze auch nur bruchstückhafte
Kenntnisse der deutschen Sprache; dies belege eine mangelnde Integrationsbereitschaft. Der Kläger pflege auch Bekanntschaften nur im
türkischen bzw. kurdischen und PKK-nahen Umfeld. Eine Legalisierung der nach deutschem Recht nicht anerkannten Iman-Ehe habe der Kläger
bislang nicht herbeigeführt; damit lehne der Kläger deutsche Lebensverhältnisse ab. Die vom Kläger und seiner Ehefrau gelebte eheliche
Lebensgemeinschaft genieße nur einen abgeschwächten Schutz. Der Ehefrau des Klägers sei zumutbar, die eheliche Lebensgemeinschaft mit
dem Kläger in der Türkei fortzuführen. Entsprechendes gelte für die gemeinsamen Kinder. Die Ausweisungsentscheidung stehe auch mit Art. 8
EMRK in Einklang. Bei der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bundesgebiet nur
eingeschränkt verwurzelt sei und gleichzeitig eine Entwurzelung in der Türkei nicht bestehe. Der Kläger habe seit seiner Einreise in das
Bundesgebiet vielfältige berufliche und soziale Kontakte zu türkischen bzw. kurdischen Landsleuten gepflegt, außerdem habe er noch zahlreiche
in der Türkei lebende Familienangehörige. Sein Festhalten an der nach türkischer Tradition vor einem Iman geschlossenen Ehe zeige, dass er
dem türkischen Brauchtum verhaftet sei. Der Kläger habe seine gesamte Kindheit und Jugend in der Türkei verbracht. Zudem hätten die
völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zur
Terrorismusbekämpfung gemäß Art. 30 Abs. 1 Wiener Vertragskonvention i.V.m. Art. 103 der Charta der Vereinten Nationen Vorrang vor den
Verpflichtungen der EMRK. Das dem Kläger zustehende Abschiebungsverbot stehe der Ausweisung nicht entgegen. Seit der Feststellung des
Abschiebungsverbots seien etwa fünfzehn Jahre vergangen. Zwischenzeitlich hätten sich die politischen Verhältnisse in der Türkei grundlegend
geändert. Es seien kontinuierliche Verbesserungen und Reformen in der Türkei im Bereich der Strafverfolgung und des Justizvollzugs zu
verzeichnen. Ein Auslieferungsersuchen der Türkei oder ein Haftbefehl gegen den Kläger lägen nicht vor, so dass es an konkreten
Anhaltspunkten dafür fehle, dass dieser bei einer Rückkehr an der Grenze zur Türkei verhaftet, inhaftiert und möglicherweise gefoltert würde oder
generell bei einer Rückkehr in die Türkei politischer Verfolgung ausgesetzt wäre. Er habe in der PKK keine hochrangige Kader- und
Funktionärsfunktion innegehabt, so dass der Kläger nicht dem Personenkreis zuzurechnen sei, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
politische Verfolgungsmaßnahmen und Folter in der Türkei zu befürchten hätte. Der Aufenthalt des Klägers sei gemäß § 54 a Abs. 2 AufenthG
kraft Gesetzes auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde Stuttgart beschränkt. Gemäß § 54 a Abs. 1 AufenthG unterliege der Kläger der
gesetzlichen Verpflichtung, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden.
9
Am 18.05.2010 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, seit dem 01.01.2010 sei er unbefristet bei einer Firma in
Waiblingen beschäftigt. Aufgrund der verhängten Meldeauflage und der Aufenthaltsbeschränkung könne er dieser Beschäftigung nicht weiter
nachgehen. Die Ausweisungsverfügung sei rechtsfehlerhaft. Zu keinem Zeitpunkt sei er gewalttätig in Erscheinung getreten und er habe sich in
der kurdischen Szene auch nicht hervorgehoben betätigt. Auf die viele Jahre zurückliegenden Ermittlungsvorgänge könne sich der Beklagte
nicht berufen, da sie weder zu einer Anklage noch zu einer Verurteilung geführt hätten. Die schon vierzehn Jahre zurückliegende Demonstration
vom 12.02.1996 habe keine Anhaltspunkte für strafrechtliche Ermittlungen ergeben. Konkrete Hinweise darauf, dass er bestimmte Parolen
gerufen oder eine PKK-Fahne getragen habe, gebe es nicht. An einer Veranstaltung am 29.11.2009 in Mannheim habe er nicht teilgenommen.
Zu diesem Zeitpunkt habe er nach Mannheim keinen Kontakt mehr gehabt, da er schon länger als ein Jahr in Stuttgart gewohnt habe. Für ihn
habe nicht der geringste Anlass bestanden, für eine solche Veranstaltung nach Mannheim zu fahren, zumal eine entsprechende Veranstaltung in
Stuttgart durchgeführt worden sei. Alle Sachverhalte bis zum Jahr 2006 könnten für eine Ausweisungsentscheidung nicht mehr herangezogen
werden. Denn das Regierungspräsidium Karlsruhe habe aufgrund der Sicherheitsbefragung am 08.11.2006 bewusst auf eine Ausweisung
verzichtet.
10 Der Kläger beantragt,
11
den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 06.05.2010 aufzuheben.
12 Der Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14 Er wiederholt im Wesentlichen den Inhalt des angefochtenen Bescheids. Ergänzend trägt er vor, das beim Kläger bestehende
Abschiebungsverbot sei gemäß seiner Bedeutung in die Ermessensentscheidung einzustellen. Die im Falle einer Rückkehr in die Türkei
bestehende Gefahr einer Bedrohung des Lebens und der Freiheit des Klägers wegen seiner politischen Überzeugung werde nicht verkannt.
Diesen drohenden Nachteilen und Gefahren werde mit der zeitweisen Aussetzung der Abschiebung Rechnung getragen. Aus der derzeitigen
Gefährdungslage folge nicht, dass die vollziehbare Ausreisepflicht auf Dauer nicht vollstreckt werden könne. Es könne davon ausgegangen
werden, dass mit zunehmendem Zeitablauf die begonnenen Reformen in der Türkei Platz greifen und umgesetzt würden, so dass sich für den
Kläger die dortige Gefährdungssituation abschwächen könne. Der Kläger habe schwerwiegende Ausweisungsgründe verwirklicht. Deshalb sei
den ihm bei einer Rückkehr in die Türkei drohenden Gefahren eine verminderte Gewichtung zuzuschreiben. Der Flüchtlingsschutz der
Familienangehörigen des Klägers könne durch die Ausweisung des Klägers nicht betroffen sein, da es nicht um die Ausweisung der
Familienangehörigen gehe. Auch wenn der Schutzbereich des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK in Folge des asylrechtlichen Schutzes der
Familienangehörigen stärker betroffen sei, führe dieser zu berücksichtigende Ermessensbelang nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung.
Da die Familienangehörigen über keinen Daueraufenthaltstitel verfügten, sei deren Vertrauen auf einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet
nicht begründet. Von einer Zumutbarkeit der Fortführung der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei sei daher nach wie vor
auszugehen. Bei einem Terrorismusverdacht trete der Schutz von Ehe und Familie hinter das höhere öffentliche Sicherheitsinteresse zurück.
Auch bei Ausländern, bei denen ein Abschiebungsverbot vorliege, sei die Ausweisung zur Erreichung eines spezialpräventiven Zwecks
geeignet. Die Rechtsfolgen der Ausweisung trügen dazu bei, dass der Ausländer sich künftig ordnungsgemäß verhalte, auch wenn derzeit seine
Abschiebung nicht möglich sei. Nur durch eine Meldeauflage und eine räumliche Beschränkung könnten die terrorgeneigten und
staatsgefährdenden Aktivitäten des Kläger unterbunden werden. Die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen
Sicherheitskräften nähmen deutlich zu. Beobachtern zufolge ähnele die derzeitige Situation derjenigen Anfang der neunziger Jahre, als der
Höhepunkt an bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften erreicht worden sei.
15 Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin S vom Landesamt für Verfassungsschutz
Baden-Württemberg. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
16 Mit Beschluss vom 23.07.2010 - 11 K 1927/10 - hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid des
Regierungspräsidiums Stuttgart vom 06.05.2010 wiederhergestellt.
17 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörenden Behördenakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
18 Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
19 Seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer
Ausweisung bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl.
BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45/06 - BVerwGE 130, 20 und Urt. v. 13.01.2009 - 1 C 2/08 - NVwZ 2009, 227). Durch die Zeitpunktverlagerung
sind bei der Anfechtung einer Ausweisung während des gerichtlichen Verfahrens bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt neu eingetretene
Tatsachen - sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Ausländers - zu berücksichtigen.
20 Das Regierungspräsidium ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt ist. Nach dieser
Bestimmung wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung
angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat; auf
zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige
Gefährlichkeit begründen. Vorläufer dieser Regelung war der durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 09.01.2002 (BGBl. I S. 361) neu
eingeführte Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG. Durch Streichung des Attributs „international“ im Aufenthaltsgesetz wollte der
Gesetzgeber den nationalen wie den internationalen Terrorismus erfassen; der räumliche Anwendungsbereich der Vorschrift wurde demzufolge
erweitert und erfasst alle terroristischen Aktivitäten unabhängig davon, wo sie stattfinden (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6/08 - NVwZ 2009,
1162 unter Verweis auf BT-Drucks. 15/420 S. 70).
21 Der Begriff des Terrorismus ist im Aufenthaltsgesetz nicht definiert. Auch an einer völkerrechtlich anerkannten Definition, aus der sich
abschließend ergibt, welche Handlungen als terroristisch einzustufen sind, fehlt es bislang (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.10.2008 - 10 C 48/07 -
BVerwGE 132, 79). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist der Terrorismus die politisch motivierte Form der Gewaltkriminalität, die
Androhung und Anwendung von Gewalt gegen staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger im Rahmen längerfristiger Strategien, um mit der
Verbreitung von Furcht und Schrecken bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern (vgl. VGH München, Beschluss v. 18.07.2006 - 19 C
06.1496 - juris). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher
Waffen oder Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Verfolgung politischer Ziele angesehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.03.1999 - 9 C 23/98 -
BVerwGE 109, 12; Urt. v. 15.03.2005 - 1 C 26/03 - BVerwGE 123, 114; Beschl. v. 14.10.2008 - 10 C 48/07 - a.a.O. und Urt. v. 30.04.2009 - 1 C
6/08 - a.a.O.). Auch aus der Sicht der Vereinten Nationen gehören jedenfalls Angriffe auf das Leben unschuldiger Menschen (d.h. solcher
Personen, die sich weder als Kombattanten an einem bewaffneten Konflikt beteiligen noch als Repräsentanten eines staatlichen oder
gesellschaftlichen Systems verstanden werden können) zum gesicherten Kernbereich der Verhaltensmodalitäten, die als terroristisch eingestuft
werden müssen (vgl. VGH München, Urt. v. 21.10.2008 - 11 B 06.30084 - juris - m.w.N.). Auf Gemeinschaftsebene kann bei der Abgrenzung einer
terroristischen von einer politischen Straftat zudem auf die Definition zurückgegriffen werden, auf die sich die Mitgliedstaaten im Gemeinsamen
Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus geeinigt haben
(vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.10.2008 - 10 C 48/07 - a.a.O.). Danach werden bestimmte vorsätzliche Handlungen (etwa Anschläge auf das Leben
oder die körperliche Unversehrtheit einer Person) dadurch zu „terroristischen Handlungen“, dass sie - erstens - durch ihre Art oder durch ihren
Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert sind und
sie - zweitens - mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine
internationale Organisation unberechtigter Weise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen,
wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu
zerstören (vgl. Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur
Bekämpfung des Terrorismus - 2001/931/GASP - ABl EG Nr. L 344 v. 28.12.2001 S. 93).
22 Zwar ist die PKK in die europäische Liste der Terrororganisationen aufgenommen worden. Dieser Auflistung terroristischer Organisationen
kommt indes keine Bindungswirkung zu.
23 Der Rat der Europäischen Union erließ am 27.12.2001 in der Erwägung, dass die Europäische Gemeinschaft tätig werden müsse, um die
Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen umzusetzen, die Gemeinsamen Standpunkte 2001/930/GASP über die
Bekämpfung des Terrorismus (ABl. EG Nr. L 344 S. 90) und 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des
Terrorismus (ABl EG Nr. L 344 S. 93). Der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom 27.12.2001 (2001/931/GASP) in seiner jeweils aktualisierten
Fassung, zuletzt Beschluss des Rates vom 12.07.2010 (2010/386/GASP, ABl. EU Nr. L 178 S. 28), enthält eine Auflistung terroristischer
Organisationen.
24 Die PKK ist seit dem Jahr 2002 im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des
Rates über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt (vgl. Anhang zu Art. 1 Gemeinsamer
Standpunkt 2002/340/GASP des Europäischen Rates vom 17.06.2002, ABl. EG Nr. L 160 S. 32). Hieran hat der Europäische Rat trotz der
Beanstandung durch den EuGH (vgl. Urt. v. 18.01.2007 - C-229/05 - PKK u. KNK/Rat der EU - Slg 2007 I - 439 -) festgehalten (vgl. Anhang zu Art.
1 Gemeinsamer Standpunkt 2009/1004/GASP des Europäischen Rates vom 22.12.2009, ABl. EU L 346 S. 58).
25 Gemeinsame Standpunkte entfalten jedoch nur eine völkerrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten, ihre Außen- und Sicherheitspolitik an dem
Gemeinsamen Standpunkt auszurichten (Art. 29 Satz 2 EUV). Ein Gemeinsamer Standpunkt kann keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten
entfalten (vgl. EuGH, Urt. v. 27.02.2007 - C-355/04 - Segi/Rat - Slg. 2007 I - 1662). Dem Gemeinsamen Standpunkt kommt deshalb eine
rechtliche Bindungswirkung nicht zu (vgl. VG Sigmaringen, Urt. v. 08.12.2009 - 1 K 2126/07 - juris -; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 04.03.2008 - 9 K
2513/05 - juris - ; VG Stuttgart, Urt. v. 25.01.2010 - 11 K 3543/09 - juris).
26 Die in den Art. 2 und 3 des Gemeinsamen Standpunktes 2001/931/GASP vorgesehenen Maßnahmen wurden allerdings auf der Grundlage der
Art. 60, 301 und 308 EGV (nunmehr Art. 75 und 215 AEUV) durch die Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 (ABl. EG Nr. L 344 v. 28.12.2001, S. 70)
umgesetzt. Diese Verordnung wurde zuletzt aktualisiert durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 610/2010 des Rates vom 12.07.2010 zur
Durchführung von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2009 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete
restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1285/2009 (ABl. EU Nr. L
178 S. 1). Im Anhang zur Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 und der nachfolgenden Durchführungsverordnungen wurden Organisationen und
Personen aufgeführt, gegen die nach der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen
sind (im Folgenden „EU-Terrorliste“). Zu diesen gelisteten Organisationen zählt auch die PKK.
27 Zwar ist eine EU-Verordnung verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. An dieser Geltung nimmt auch die Liste der Personen,
Vereinigungen und Körperschaften, die im Anhang zur Durchführungsverordnung (EU) Nr. 610/2010 des Rates vom 12.07.2010 aufgeführt sind,
teil. Die Verbindlichkeit der Einordnung der PKK als terroristische Vereinigung beschränkt sich aber auf die Maßnahmen, die nach der
Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 (ABl. L 344 v. 28.12.2001, S. 70) zu ergreifen sind. Ausländerrechtliche Maßnahmen wie beispielsweise die
Ausweisung sind in dieser Verordnung indes nicht geregelt (vgl. VG Sigmaringen, Urt. v. 08.12.2009 - 1 K 2126/07 - juris - ; VG Stuttgart, Urt. v.
25.01.2010 - 11 K 3543/09 - juris).
28 Ein Weiteres kommt hinzu: Die EU-Terrorliste wird von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrats erstellt; eine unabhängige Beurteilung
der Fälle auf der Grundlage gesicherter Beweise findet nicht statt (vgl. www.schattenblick.net/infopool/europool/ recht/eurst047.html). Weiter sind
die Kriterien, nach denen die Listen erstellt werden, undurchsichtig; die Einstufung hängt nicht selten von politischen, ökonomischen und
militärischen Interessen ab (vgl. www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/index.php/Terrorliste_der_EU). So wurden die iranischen
Volksmudschaheddin im Jahre 2002 auf Druck des Iran in die EU-Terrorliste aufgenommen, um mit dem Iran lukrative Handelsbeziehungen
aufzubauen und das iranische Regime zum Verzicht auf sein Atomprogramm zu bewegen (vgl. www.schattenblick.net/infopool/europool/recht/
eurst047.html). Andererseits ist die libanesische Hisbollah in der EU-Terrorliste nicht enthalten, obwohl das Europäische Parlament dies wegen
nachgewiesener terroristischer Aktivitäten in einer Entschließung vom 08.03.2005 gefordert hat; der EU-Rat kam dieser Forderung gleichwohl
aus politischen, diplomatischen und taktischen Gründen nicht nach (vgl. www.zum-leben.de/aktuell/terrorliste.pdf.;
http://de.wikipedia.org/wiki/Hisbollah; VG Stuttgart, Urt. v. 30.03.2009 - 11 K 18/09). Schließlich fällt auf, dass die baskische Gruppierung ETA
nicht mehr auf der aktuellen EU-Terrorliste erscheint, obwohl diese Organisation bekanntermaßen nach wie vor durch Bombenanschläge in
Erscheinung tritt. Von einem transparenten Listungsverfahren kann somit keine Rede sein (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 25.01.2010 - 11 K 3543/09 -
juris).
29 Zudem scheidet eine Bindungswirkung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 610/2010 des Rates vom 12.07.2010 auch im Hinblick auf Art 19
Abs. 4 GG aus. Denn ein Ausländer ist individuell nicht in der Lage, eine gerichtliche Klärung der Aufnahme einer Organisation in die EU-
Verordnung herbeizuführen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris). Gegen eine Bindungs- und Tatbestandswirkung der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 610/2010 des Rates vom 12.07.2010 spricht auch, dass es keine den §§ 4 und 42 AsylVfG vergleichbare
Vorgabe gibt (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
30 Die Aufnahme der PKK in die EU-Terrorliste besagt somit nur, dass die PKK nach Auffassung des Europäischen Rates auch noch gegenwärtig
eine terroristische Organisation ist. Auch wenn einer solchen Feststellung nicht unerhebliches Gewicht zukommt, ist dieser Umstand gleichwohl
nicht geeignet, eine eigenständige Prüfung seitens der Gerichte (und Behörden) anhand der vorliegenden Erkenntnismittel entbehrlich zu
machen (vgl. VGH München, Beschluss v. 08.05.2009 - 19 CS 09.268 - juris -; VG Sigmaringen, Urt. v. 08.12.2009 - 1 K 2126/07 - juris -; VG
Gelsenkirchen, Urt. v. 04.03.2008 - 9 K 2513/05 -juris - ; VG Stuttgart, Urt. v. 25.01.2010 - 11 K 3543/09 - juris).
31 Eine solche eigenständige Prüfung hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid vorgenommen und überzeugend dargelegt, dass die PKK bis in
die Gegenwart als eine Vereinigung angesehen werden kann, die den Terrorismus unterstützt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann
insoweit auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Diese Einschätzung wird in der
Rechtsprechung überwiegend geteilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.03.1999 - 9 C 23/98 - BVerwGE 109, 12; Urt. v. 15.03.2005 - 1 C 26/03 - BVerwGE
123, 114 und Beschl. v. 25.11.2008 - 10 C 46/07 - NVwZ 2009, 592; VGH München, Urt. v. 21.10.2008 - 11 B 06.30084 - juris -; VGH Mannheim,
Urt. v. 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris - und Beschl. v. 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 25.01.2010 - 11 K 3543/09 - juris).
32 Dass die strafgerichtliche Rechtsprechung die PKK (einschließlich ihrer Nachfolgeorganisationen), soweit sie im Bundesgebiet agiert, mit Blick
auf ihre politisch-strategische Neuausrichtung nicht mehr als terroristische Vereinigung ansieht und sogar die Einordnung als kriminelle
Vereinigung nur noch in Bezug auf den engeren Führungszirkel bejaht (vgl. BGH, Urt. v. 21.10.2004 - 3 StR 94/04 - NJW 2005, 80; KG Berlin, Urt.
v. 23.01.2008 - 2 StE 6/07- 6 - juris -; OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.04.2008 - 5 - 2 StE 8/06 - 6 -1/07), ändert hieran nichts (a. A. VG
Gelsenkirchen, Urt. v. 04.03.2008 - 9 K 2513/05 - juris -). Denn § 54 Nr. 5 AufenthG stellt weniger strenge tatbestandliche Anforderungen an das
Vorliegen einer terroristischen Vereinigung als die §§ 129 a, 129 b StGB (vgl. Discher in: GK-AufenthG II - § 54 RdNr. 462). Im Rahmen des § 54
Nr. 5 AufenthG ist zudem unerheblich, ob es sich um Terrorismus im Bundesgebiet oder im Ausland handelt (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v.
27.03.2008 - 11 LB 203/06 - InfAuslR 2009, 54).
33 Entgegen der Auffassung des Regierungspräsidiums Stuttgart hat der Kläger die PKK jedoch nicht unterstützt.
34 Als tatbestandserhebliches Unterstützen im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG ist jede Tätigkeit anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf
die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, auswirkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die
Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings muss auch die eine
Unterstützung der Vereinigung, ihre Bestrebungen oder ihre Tätigkeit bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig
erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der
Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint
(vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03.2005 - 1 C 26/03 - BVerwGE 123, 114).
35 Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Unterstützung der PKK durch den Kläger nicht feststellbar. Der Beklagte hält dem Kläger vor, er sei
schon in der Türkei seit dem Jahr 1989 für die PKK tätig gewesen; dort habe er Kurierdienste übernommen, Lebensmittel und Kleidung besorgt
sowie Flugblätter verteilt. Diese Handlungen werden aber schon deshalb von § 54 Nr. 5 AufenthG nicht erfasst, da sie lange vor Inkrafttreten
dieser Bestimmung getätigt wurden und dem Kläger nur solche Verhaltensweisen vorgeworfen werden können, auf die er sich im Hinblick auf die
bestehende Rechtslage einstellen kann.
36 Soweit der Beklagte dem Kläger Aktivitäten für die PKK im Bundesgebiet vorhält, sind diese entweder nicht erwiesen oder aber nicht als
schädliche Unterstützungshandlungen zu bewerten. Im Einzelnen:
37 Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger am 12.02.1996 anlässlich einer Großdemonstration in Stuttgart Parolen wie „es lebe die
PKK“ und „Deutsche Polizisten schützen Mörder und Faschisten“ skandiert und eine Fahne der PKK geschwenkt hat. Ein diesbezügliches
Verhalten hat der Kläger beim durchgeführten Sicherheitsgespräch am 08.11.2006 vehement abgestritten. Der materiell beweispflichtige
Beklagte hat für die Richtigkeit seines Vorbringens keinerlei Beweis angetreten. Im Übrigen wurde das diesbezügliche Ermittlungsverfahren
eingestellt. Zwar greift bei einem strafrechtlichen Verhalten, das nicht zu einer Verurteilung des Ausländers geführt hat, das Verwertungsverbot
des § 51 Abs. 1 BZRG nicht ein; auch eine analoge Anwendung des Verwertungsverbots scheidet aus. Gleichwohl ist eine Straftat, die nicht zu
einer Verurteilung geführt hat und nicht mehr zu einer Verurteilung führen kann, unberücksichtigt zu lassen, wenn die Verfehlung länger
zurückliegt und im Falle einer Verurteilung aller Voraussicht nach bereits Tilgungsreife eingetreten wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.03.1996 - 1 C
12/95 - BVerwGE 101, 24; VGH Mannheim, Urt. v. 08.07.2009 - 13 S 358/09). Für den vom Beklagten geltend gemachten Vorfall vom 12.02.1996
kann allenfalls die für eine Verurteilung wegen einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen geltende Frist von fünf Jahren herangezogen
werden (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 a BZRG), so dass die Verfehlung vom 12.02.1996 unabhängig vom Wahrheitsgehalt nicht mehr berücksichtigt werden
darf. Entsprechendes gilt in Bezug auf das strafrechtliche Verhalten des Klägers am 19.08.1996. An diesem Tag soll der Kläger nach dem
Vorbringen des Beklagten einen anderen Kurden durch Faustschläge und Fußtritte verletzt haben. Auch das diesbezügliche
Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da die Täterschaft des Klägers nicht nachweisbar war.
38 Das Gericht ist weiter nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Juli 1997 an der Kindesentziehung und Freiheitsberaubung einer
siebzehnjährigen Türkin zum Zwecke von deren Ausbildung im Sinne der PKK beteiligt war. Denn auch das insoweit gegen den Kläger
eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Im Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft
Offenburg vom 15.09.1997 heißt es ausdrücklich, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Betroffene Angaben unter Druck gemacht
habe. Für die substanzlose entgegengesetzte Behauptung des Regierungspräsidiums Stuttgart fehlt jeglicher Nachweis.
39 Der Kläger soll nach dem Vortrag des Beklagten zudem am 17.08.2003 in Heilbronn und am 19.11.2009 in Mannheim an einer Veranstaltung
von Anhängern der PKK teilgenommen haben. Dies hat der Kläger indes nachhaltig bestritten. Die Erkenntnisse des Beklagten über die
angebliche Teilnahme des Klägers an den Veranstaltungen am 17.08.2003 und am 29.11.2009 gehen auf Wahrnehmungen einer
Gewährsperson des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zurück. Diese Gewährsperson ist als unmittelbarer Zeuge nicht
erreichbar. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass auch Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, die auf geheim gehaltenen
Quellen beruhen und als „Zeugenaussage vom Hörensagen“ in den Prozess eingeführt werden, grundsätzlich berücksichtigt werden können.
Die gerichtliche Beweiswürdigung der Angaben eines Zeugen vom Hörensagen unterliegt aber besonderen Anforderungen, die auf dem Recht
auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind. Danach ist der Beweiswert seiner Angaben
besonders kritisch zu prüfen. Denn das Zeugnis vom Hörensagen ist nur begrenzt zuverlässig, weil sie die jedem Personenbeweis anhaftenden
Fehlerquellen im Zuge der Vermittlung der Angaben verstärken und weil das Gericht die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson nicht selbst
einschätzen kann. Die Angaben der Gewährsperson genügen danach regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere wichtige Gesichtspunkte -
die etwa im Blick auf Einlassungen des Betroffenen oder in Gestalt objektiver Umstände gegeben sein können - gestützt oder bestätigt werden
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.05.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250; Beschl. v. 11.04.1991 - 2 BvR 196/91 - NJW 1992, 168; Beschl. v.
19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 - NJW 1996, 448 und Beschl. v. 21.08.1996 - 2 BvR 1304/96 - NJW 1997, 999). Diese für den Strafprozess
entwickelten Grundsätze gelten auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 02.05.1984 - 10 S 1739/82 - NJW 1984,
2429; Urt. v. 27.03.1998 - 13 S 1349/96 - EzAR 277 Nr. 10 und Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris -).
40 Nach diesen Maßstäben genügen die Angaben der Gewährsperson des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht, die angeblichen Teilnahmen
des Klägers an den Veranstaltungen am 17.08.2003 und am 29.11.2009 zu erweisen, weil sie nicht durch andere wichtige Gesichtspunkte
gestützt oder bestätigt werden. Der Kläger hat während des gesamten Verfahrens bestritten, an diesen Veranstaltungen teilgenommen zu haben.
Andere Indizien als die Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Hinblick auf eine Teilnahme des Klägers
an den besagten Veranstaltungen gibt es nicht.
41 Der Kläger hat allerdings unstreitig am 15.07.2001 die „PKK-Selbsterklärung“ unterzeichnet. Es bestehen bereits Zweifel, ob die Unterzeichnung
der „PKK-Selbsterklärung“ objektiv eine Unterstützungshandlung i.S.d. § 54 Nr. 5 AufenthG darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2007 - 5 C 20/05 -
BVerwGE 128, 140). Jedenfalls fehlt es insoweit an dem erforderlichen subjektiven Moment. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit
der Unterzeichnung der „PKK-Selbsterklärung“ tatsächlich die PKK unterstützen wollte. Der Kläger hat beim Sicherheitsgespräch am 08.11.2006
vorgetragen, ein Freund habe ihm gesagt, es gehe um die kurdische Sache, er unterschreibe nicht für die PKK. Da der Kläger Analphabet ist und
die deutsche Sprache - wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat - nur bruchstückhaft versteht, ist nicht anzunehmen, dass der Kläger den
umfangreichen und schwierigen, teilweise hochintellektuellen deutschen Text verstanden und ihn vor seiner Unterschriftsleistung nachvollzogen
hat. Vielmehr ist glaubhaft, dass der Kläger - wie von ihm geltend gemacht - dem durch Landsleute vermittelten friedlichen Inhalt aufgesessen ist.
Allein aus der Existenz der klägerischen Unterschrift unter der „PKK-Selbsterklärung“ kann daher nicht der Schluss gezogen werden, der der
deutschen Schriftsprache nicht mächtige Kläger habe unabhängig von den mündlichen Erläuterungen des ihn bedrängenden Freundes die
Zusammenhänge und die Bedeutung einer vom ihm zu erbringenden Unterstützungshandlung zutreffend einordnen können oder dies jedenfalls
müssen.
42 Schließlich hat der Kläger unstreitig am 11.02.2006 an einer Demonstration mit Kundgebung anlässlich des siebten Jahrestages der Verhaftung
Öcalans in Straßburg teilgenommen. Diese Demonstrationsteilnahme stellt aber weder in subjektiver noch in objektiver Hinsicht eine
Unterstützungshandlung i.S.d. § 54 Nr. 5 AufenthG dar. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebracht,
dass er an der Demonstration in Straßburg lediglich zur Unterstützung der kurdischen Belange, nicht aber wegen der PKK teilgenommen habe.
Das bloße Werben um Verständnis für die von politisch Gleichgesinnten im Heimatland verfolgten Ziele oder vergleichbare, auf die
Beeinflussung des „Meinungsklimas“ gerichtete Verhaltensweisen können nicht als Unterstützungshandlungen gewertet werden (vgl. VGH
München, Urt. v. 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris -). Zudem fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre
oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet (vgl. BVerwG, Urt. v.
15.03.2005 - 1 C 26/03 - BVerwGE 123, 114). Der Kläger ist allein durch die Teilnahme an der Demonstration am 11.02.2006 auch nicht in eine
innere Nähe und Verbundenheit zur PKK geraten; eine solche innere Nähe läge nur dann vor, wenn zahlreiche Beteiligungen an
Veranstaltungen der PKK feststellbar wären. Dies ist aber, wie dargelegt, hier nicht der Fall. Liegen somit - wie vorliegend - lediglich
Verbindungen und Kontakte zu Organisationen, die den Terrorismus unterstützen oder selbst terroristisch handeln, oder zu deren Mitgliedern vor,
ohne dass der Ausländer auch als Nichtmitglied durch sein Engagement eine innere Nähe und Verbundenheit zu dieser Vereinigung selbst zum
Ausdruck bringt, fehlt es an einer Unterstützung i.S.d. § 54 Nr. 5 AufenthG (vgl. VGH München, Urt. v. 25.03.2010 - 10 BV 09.178 - juris -).
43 Selbst wenn dem Kläger aber Unterstützungshandlungen für die PKK vorgehalten werden könnten, könnte die von § 54 Nr. 5 AufenthG
zusätzlich geforderte gegenwärtige Gefährlichkeit vorliegend nicht festgestellt werden. Zwar hat die in der mündlichen Verhandlung vom Gericht
vernommene Zeugin S vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg eine gegenwärtige Gefährlichkeit beim Kläger bejaht, da er
sich von seinen bisherigen Tätigkeiten nicht distanziert habe. Diese Einschätzung hält das Gericht jedoch für verfehlt. Bei der Beurteilung einer
gegenwärtigen Gefährlichkeit kommt der allgemeinen Entwicklung des Ausländers in den letzten Jahren bis zur mündlichen Verhandlung
maßgebliche Bedeutung zu, insbesondere der Einbindung und Vernetzung des Ausländers in die Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt
oder selbst terroristisch handelt. Dass beim Kläger eine Einbindung und Vernetzung in Bezug auf die PKK besteht, ist den vom Beklagten dem
Kläger vorgehaltenen Unterstützungshandlungen nicht zu entnehmen. Der Kläger hat keinerlei verantwortliche Tätigkeiten im Umfeld der PKK
übernommen. Bei dieser Sachlage kann von einer gegenwärtigen Gefährlichkeit nicht ausgegangen werden.
44 Entgegen der Ansicht des Beklagten erfüllt der Kläger auch nicht den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG. Nach dieser
Bestimmung wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur
Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht.
45 Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst entsprechend der Legaldefinition des § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB die innere und äußere
Sicherheit des Staates. Die hier allein betroffene innere Sicherheit beinhaltet Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner
Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.03.1999 - 9 C 31/98 - BVerwGE 109, 1). Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt oder
Drohung mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein. Bereits die Anwesenheit möglicher ausländischer Helfer terroristischer
Gewalttäter beeinträchtigt die Fähigkeit des Staates, sich nach innen und nach außen gegen Angriffe und Störungen zur Wehr zu setzen und
gefährdet damit seine Sicherheit (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03.2005 - 1 C 26/03 - BVerwGE 123, 114).
46 Für die Feststellung einer Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland reicht aber die bloße Zugehörigkeit zu einer Vereinigung,
die ihrerseits wegen Gefährdung der inneren Sicherheit nach Art. 9 Abs. 2 GG oder § 14 Abs. 2 VereinsG verboten werden kann oder verboten
ist, nicht aus; vielmehr muss sich bei einer Betätigung für einen Verein der vereinsrechtliche Verbotsgrund nach polizeirechtlichen Grundsätzen
in der Person des Ausländers konkretisiert haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03.2005 - 1 C 26/03 - a.a.O.). Dies schließt eine andere Beurteilung bei
Vorliegen besonderer Umstände nicht aus. Derartige Umstände können sich im Einzelfall etwa aus der Art und der Gefährlichkeit der verbotenen
Vereinigung ergeben, etwa im Fall eines besonders hartnäckigen Zuwiderhandelns gegen die Verbotsverfügung (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.01.2009
- 1 C 2/08 - NVwZ 2009, 727).
47 Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Kläger persönlich nicht als Gefahr für die Sicherheit des Staates anzusehen. Er hat weder an
terroristischen Bestrebungen teilgenommen (vgl. zu dieser Anforderung BVerwG, Urt. v. 15.03.2005 - 1 C 26/03 - a.a.O.) noch hat er strukturell
wesentliche Funktionen innerhalb der PKK übernommen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.03.1999 - 9 C 31/98 - BVerwGE 109, 1). Die dem Kläger im
angefochtenen Bescheid vorgehaltenen Unterstützungshandlungen bewegen sich auf niedrigstem Niveau. Diese in der Vergangenheit
liegenden Aktivitäten geben nichts her für die Annahme, der Kläger werde Ziele verfolgen, die die verfassungsmäßige Ordnung oder die
Sicherheit des Staates gefährden.
48 Der Beklagte geht auch zu Unrecht davon aus, dass im Falle des Klägers der Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG erfüllt ist.
Nach dieser Bestimmung wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen den
weiteren Aufenthalt dient, der Ausländerbehörde gegenüber in wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen
zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus verdächtigt sind.
49 Ob eine Angabe falsch oder unvollständig ist, richtet sich nach dem Erkenntnis- und Verständnishorizont des befragten Ausländers, so dass bloß
objektiv falsche Angaben nicht tatbestandsmäßig sind (vgl. VGH München, Beschl. v. 19.02.2009 - 19 CS 08.1175 - juris -). Denn die Annahme
eines die Ausweisung rechtfertigenden spezial- oder generalpräventiven Ausweisungsinteresses setzt voraus, dass der Ausländer selbst
vollständig Kenntnis von dem wahren Sachverhalt hat und diesen Sachverhalt bewusst falsch oder unvollständig wiedergibt. Nur bewusst falsche
oder unvollständige Angaben zu sicherheitsrelevanten Sachverhalten können den Verdacht begründen, der Ausländer wolle aus unlauteren,
sicherheitsrelevanten Motiven heraus etwas verbergen. Von Bedeutung ist der Verständnishorizont des Ausländers auch insoweit, als bestimmte
Begriffe mehreren Interpretationen zugänglich sind, so dass die Frage vom Ausländer anders verstanden werden kann als vom Befrager gemeint
und umgekehrt (vgl. VGH München, Beschl. v. 19.02.2009 - 19 CS 08.1175 - juris -; Discher in: GK-AufenthG, § 54 Rdnr. 742).
50 Hiervon ausgehend vermag die Feststellung des Regierungspräsidiums Stuttgart im angefochtenen Bescheid, der Kläger habe anlässlich der
Sicherheitsbefragung am 18.05.2006 und dem Sicherheitsgespräch am 08.11.2006 wahrheitswidrige Angaben gemacht, nicht zu tragen. Der
Kläger hat die Fragen zur Mitgliedschaft in der PKK, zur Unterstützung der PKK, zum Kontakt zur PKK sowie zum Kontakt zu einer Person, die der
PKK nahestand, jeweils mit „nein“ beantwortet. Diese Antworten können entgegen der Ansicht des Beklagten nicht als falsch i.S.d. § 54 Nr. 6
AufenthG gewertet werden. Es ist gerichtsbekannt, dass nur Funktionäre und die kämpfenden Einheiten als „Mitglieder“ der PKK gelten.
Anhänger und Sympathisanten sind demnach keine „Mitglieder“. Nach den dem Kläger vorgehaltenen Tätigkeiten kann es sich bei ihm allenfalls
um einen Sympathisanten handeln. Auch die Antwort des Klägers zur Unterstützung der PKK ist nach dem Erkenntnis- und Verständnishorizont
des Klägers nicht falsch. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, eine Unterstützungshandlung im Hinblick auf die PKK liege
aus seiner Sicht nur vor, wenn er diese Organisation finanziell unterstütze. Dass der Kläger die PKK mit Geldspenden unterstützt hat, wird vom
Beklagten indes nicht geltend gemacht. Im Hinblick auf Kontakte zur PKK und zu einer ihr nahestehenden Person liegen ebenso wenig falsche
oder unvollständige Angaben des Klägers vor. Für den Kläger ist nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung ein „Kontakt“ dann
gegeben, wenn der Kontaktierte ein Freund von ihm sei. Nach diesem maßgeblichen Verständnis ist aber nach dem Akteninhalt und dem
Vorbringen des Beklagten nicht erkennbar, dass der Kläger einen „Kontakt“ zur PKK hatte. Soweit das VG Karlsruhe (Urt. v. 29.04.2008 - 11 K
3727/07) und der VGH Mannheim (Beschl. v. 04.09.2008 - 11 S 1656/08) in einem vorhergehenden Aufenthaltserlaubnisverfahren das Vorliegen
eines Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 6 AufenthG bejaht haben, wurde übersehen, dass für die Bewertung einer Angabe als falsch oder
unvollständig der Erkenntnis- und Verständnishorizont des befragten Ausländers maßgebend ist. Ein Weiteres kommt hinzu: Eine gesetzlich
angeordnete Rechtspflicht, an einer Sicherheitsbefragung aktiv teilzunehmen, gibt es nicht (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 28.09.2010 - 11 S
1978/10 - juris -). War aber die Teilnahme an dem Sicherheitsgespräch freiwillig, so setzt eine Ausweisung nach § 54 Nr. 6 AufenthG - über den
Wortlaut der Norm hinaus - auch voraus, dass der Ausländer vor Beginn des Sicherheitsgesprächs auf diese Freiwilligkeit hingewiesen wurde.
Dies ist vorliegend nicht geschehen.
51 Selbst wenn aber die Regelausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5, Nr. 5 a und Nr. 6 AufenthG insgesamt oder teilweise vorliegen würden,
müsste der angefochtene Bescheid aufgrund von sonstigen Rechtsfehlern aufgehoben werden. Da der Kläger sich auf den besonderen
Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG berufen kann, darf die Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Gleichzeitig ist die Regelausweisung zu einer
Ermessensausweisung herabgestuft (§ 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Zwar hat das Regierungspräsidium Stuttgart eine Ermessensentscheidung
getroffen; die hierbei angestellten Erwägungen sind indes fehlerhaft, da der Beklagte von unzutreffenden tatsächlichen und rechtlichen
Voraussetzungen ausgegangen ist.
52 Das Regierungspräsidium Stuttgart hat seiner Ermessensentscheidung zugrunde gelegt, dass beim Kläger eine nicht unerhebliche und
extremistische Gefahr für höchste Rechtsgüter besteht; beim Kläger sei eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft zu Tage getreten. Diese Annahme
entbehrt indes jeglicher Grundlage. Aus der Akte und dem Vorbringen des Beklagten ist auch nicht in Ansätzen zu entnehmen, dass sich der
Kläger in der Vergangenheit durch Gewalttaten hervorgetan hat. Der Vorfall vom 19.08.1996, der Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens war
und das von der Staatsanwaltschaft Offenburg eingestellt wurde, konnte dem Kläger gerade nicht zugeordnet werden.
53 Bei seiner Ermessensentscheidung ist der Beklagte weiter davon ausgegangen, dass es der Ehefrau des Klägers zumutbar sei, die eheliche
Lebensgemeinschaft mit dem Kläger in der Türkei fortzuführen. Mit dieser Annahme hat das Regierungspräsidium Stuttgart indes verkannt, dass
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Ehefrau des Klägers und seinen Kindern den Flüchtlingsstatus (§ 60 Abs. 1 AufenthG)
zuerkannt hat. Droht aber einem Familienmitglied im Herkunftsland flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung, so ist diesem ein Verlassen der
Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar; infolgedessen kann die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland
gelebt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81; BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 3/08 - NVwZ 2009, 1239).
54 Schließlich ist das Regierungspräsidium bei seiner Ermessensentscheidung davon ausgegangen, dass im Falle einer Rückkehr in die Türkei
eine Gefährdung des Klägers nicht mehr bestehe. Damit setzt sich der Beklagte in rechtswidriger Weise über die Bindungswirkung des
Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27.12.1995, wonach beim Kläger die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG im Hinblick auf die Türkei vorliegen, hinweg (§ 4 AsylVfG).
55 Die Ausweisung kann danach keinen Bestand haben; sie ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist deshalb aufzuheben (§
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
56 Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Ausweisung greifen auch die auf der Grundlage von § 54 a AufenthG angeordneten Maßnahmen ins Leere.
57 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.