Urteil des VG Sigmaringen vom 31.01.2017

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VG Sigmaringen Urteil vom 31.1.2017, 3 K 3061/15
Beihilfe für Aufwendungen für Pflegeleistungen
Leitsätze
Für die Beurteilung, ob Aufwendungen für Pflegeleistungen i.S.d. § 39 Abs. 2 S. 1 BBhV (a.F.) vorliegen, kommt
es allein darauf an, ob Pflegeleistungen im materiellen Sinne erbracht werden, und nicht darauf, in welchem
räumlichen bzw. organisatorischen Bereich der Pflegeeinrichtung dies erfolgt (Anschluss an OVG Lüneburg,
Urteil vom 10.02.2015 - 5 LC 79/14 - juris Rn. 37).
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, auf den Antrag des Klägers vom 24.03.2015 eine weitere Beihilfe i.H. v.
27.152,12 EUR zu bewilligen. Der Bescheid vom 21.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
05.08.2015 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 5/6, die Beklagte 1/6.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt aus übergeleitetem Recht von der Beklagten die Bewilligung von Beihilfe für die
Unterbringung der Tochter R. T. des gegenüber der Beklagten beihilfeberechtigten W. T. in einer
binnendifferenzierten Pflegeeinrichtung.
2 Die Hilfeempfängerin ist über ihre Mutter, die gesetzlich kranken- und pflegeversichert ist (... N.-A.), gem. §
25 Abs. 2 Nr. 4 SGB XI i. R. d. Familienversicherung sozial pflegeversichert. Ab dem 01.06.2010 erkannte die
soziale Pflegeversicherung ggü. dem Kläger auf seinen Antrag vom 26.08.2010 hin Erstattungsansprüche
gem. §§ 102 ff. SGB X dem Grunde nach an.
3 Mit Bescheid vom 23.12.2010 bewilligte der Kläger ggü. dem Beihilfeberechtigten die Übernahme der Kosten
der Eingliederungshilfe nach §§ 53 und 54 SGB XII und jene der Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII vom
01.06.2010 bis 31.05.2014 für die Unterbringung seiner Tochter in der M. - F. X.
4 Die bewilligten Leistungen umfassten den Vergütungssatz für das Wohnen (Leistungstyp I.2.1, HBG 4) i. H.
v. täglich 127,40 EUR, den Barbetrag gem. § 35 SGB XII i. H. v. monatlich z. Z. 96,93 EUR sowie die
Bekleidungspauschale i. H. v. monatlich 23,00 EUR. Der Vergütungssatz setzte sich aus dem Grundbetrag
(100,39 EUR), den Investitionskosten (8,76 EUR) und den Unterbringungskosten (18,25 EUR) zusammen.
Die Kostenzusage war bis zum 31.05.2014 befristet.
5 Die Tochter des Beihilfeberechtigten ist seit dem 01.06.2010 in der nach § 43 SGB XI zugelassenen
Pflegeeinrichtung „M.“ im Sinne des § 71 Abs. 2 SGB XI (binnendifferenzierte Unterbringung) vollstationär
untergebracht. Aufgrund ihrer Behinderung kann sie einer Erwerbstätigkeit im Arbeitsbereich einer
Werkstatt für behinderte Menschen nicht nachgehen und wird im Förder- und Betreuungsbereich (FuB) der
Einrichtung betreut. Bei der Tochter des Beihilfeberechtigten ist durch den MDK Pflegestufe III festgestellt
worden. Seit 01.03.2011 erhält der Kläger von der gesetzlichen Pflegekasse (... N.-A.) Pflegeleistungen - seit
dem 01.01.2012 i. H. v. monatlich 1.550,00 EUR, seit dem 01.01.2015 i. H. v. monatlich 1.612,00 EUR.
6 Erstmals am 06.09.2010 wandte sich der Kläger über das E-Mail-Kontaktformular auf
www.terrwv.bundeswehr.de unter dem Betreff „Pflegeleistungen/Beihilfeanspruch“ an die Beihilfestelle der
Beklagten mit folgender Anfrage: „Wie hoch werden Pflegeleistungen gewährt, wenn ein behindertes Kind
eines beihilfeberechtigten Beamten im Ruhestand, bei dem Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III)
vorliegt, vollstationär untergebracht wird.“ Hierauf antwortete die Beihilfestelle der Beklagten mit
Schreiben vom 14.09.2010 und verwies allgemein auf die (damalige) Rechtslage, namentlich auf § 37 Abs. 2
BBhV.
7 Unter dem 16.01.2013 wandte sich der Kläger (erneut) an die zuständige Beihilfestelle der Beklagten und
führte aus: Mit Schreiben vom 14.09.2010 habe die Beklagte den damaligen Antrag auf eine Beihilfe für die
Tochter des Beihilfeberechtigten mit der Begründung abgelehnt, ein Beihilfeanspruch bestehe nicht, weil
auch ein Anspruch auf Pflegeleistungen aus der gesetzlichen Pflegekasse bestehe. Nach den dem Kläger
vorliegenden Informationen habe sich bzgl. der Pflegeleistungen das Beihilferecht geändert. Der Kläger leite
nach § 93 SGB XII die Beihilfeansprüche des Beihilfeberechtigten auf ihn über. Gleichzeitig mit der
Überleitung stelle er hiermit den Antrag auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit. Seines Erachtens komme
eine Beihilfe nach § 9 BVO (gemeint: § 39 BBhV) in Betracht.
8 Am 17.04.2013 antwortete die zuständige Beihilfestelle der Beklagten hierauf wie folgt: Nach § 39 Abs. 4
BBhV seien Aufwendungen für Pflege und Betreuung in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für
behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische
Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen,
beihilfefähig. § 43a SGB XI gelte entsprechend. Beihilfefähig seien demzufolge 10 v. H. des nach § 75 Abs. 3
SGB XII vereinbarten Heimentgelts, höchstens jedoch 256 EUR monatlich. Für Personen, die nach § 28 Abs.
2 SGB XI Leistungen der Pflegeversicherung grundsätzlich zur Hälfte erhielten, betrage der Bemessungssatz
bzgl. dieser Aufwendungen gem. § 46 Abs. 4 BBhV 50 v. H. Da die Tochter des Beihilfeberechtigten zu
diesem Personenkreis mit einem originären Beihilfeanspruch gehöre, habe sie einen Beihilfeanspruch auf
diese Leistungen i. H. v. 50 v. H., mithin auf höchstens 128,00 EUR monatlich. Die begehrten Beihilfen seien
förmlich zu beantragen; hingewiesen werde auf die Jahresfrist des § 54 Abs. 1 BBhV. Bei Vorleistung durch
einen Sozialhilfeträger beginne die Frist mit dem Ersten des Monats, der auf den Monat folge, in dem der
Sozialhilfeträger die Aufwendungen bezahlt habe.
9 Gegen das Schreiben der Beklagten legte der Kläger mit Schreiben vom 30.04.2013 vorsorglich zur
Fristwahrung Widerspruch ein.
10 Unter dem 14.02.2014 beantragte der Beihilfeberechtigte gegenüber dem Kläger die Verlängerung der
Kostenübernahme in der Einrichtung für die Zeit nach dem 01.06.2014.
11 Mit weiterem Schreiben vom 26.03.2014 wandte sich der Kläger erneut an die zuständige Beihilfestelle der
Beklagten und stellte einen Antrag auf Erstattung der Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und
Investitionskosten für die Tochter des Beihilfeberechtigten für den Zeitraum vom 01.06.2010 bis zum
30.01.2014 i. H. v. insgesamt 182.287,27 EUR.
12 Mit Bescheid vom 27.03.2014 bewilligte der Kläger ggü. dem Beihilfeberechtigten die Verlängerung der
Leistungen für Eingliederungshilfe und Grundsicherung für den Zeitraum vom 01.06.2014 bis zum
31.05.2018 in derselben Einrichtung.
13 Mit Schreiben vom 07.04.2014 bestätigte die Beklagte gegenüber dem Kläger den Eingang des formlosen
Antrages vom 26.03.2014 und bat um Vorlage weiterer Unterlagen. Nach Eingang dieser Unterlagen könne
der gestellte Antrag bearbeitet werden. Vorsorglich werde auf die Ausschlussfrist von einem Jahr
hingewiesen. Bei der Berechnung der Fristwahrung werde vom 28.03.2014 (Eingang bei der Beklagten)
ausgegangen.
14 Mit Schreiben vom 04.06.2014 legte der Kläger die folgenden weiteren Unterlagen der Beklagten vor: Die
Bescheinigung der sozialen Pflegeversicherung, dass die Tochter des Beihilfeberechtigten seit 01.03.2011
monatliche Leistungen der vollstationären Pflege nach § 43 SGB XI (in der Pflegestufe III seit 01.01.2012 i.
H. v. 1.550,00 EUR) erhält; den Gesamtversorgungsvertrag der Einrichtung mit den Landesverbänden der
Pflegekassen; die Pflegesatzvereinbarung für die vollstationäre Pflege nach § 85 SGB XI; den
Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI (vollstationäre Pflege; die Leistungsvereinbarung gem. § 75 Abs. 3
Ziff. 1 SGB XII für vollstationäre Hilfen (OHNE integriertes tagesstrukturierendes Angebot) … im Rahmen
von medizinisch-pflegerischen Wohngruppen im binnendifferenzierten Bereich). Zum Hinweis, dass nur
innerhalb der Ausschlussfrist von einem Jahr eingegangene Anträge Berücksichtigung fänden, verwies der
Kläger auf das Schreiben vom 16.01.2013 sowie den Widerspruch vom 30.04.2013. Nach Auffassung des
Klägers sei zumindest ab diesem Zeitpunkt ein Jahr rückwirkend ein Anspruch entstanden. Beigefügt war
der förmliche Antrag auf Beihilfe für die Tochter des Beihilfeberechtigten unter Bezugnahme auf das
Schreiben vom 26.03.2014 sowie die Erklärung über das monatliche Brutto-Gesamteinkommen.
15 Mit Bescheid vom 21.07.2014, eingegangen am 23.07.2014, setzte die Beihilfestelle der Beklagten die
Beihilfe aufgrund des Antrags vom 06.06.2014 (Eingangsdatum) wie folgt fest: Für den Zeitraum vom
01.01.2012 bis 01.01.2014 wurden beihilfefähige Aufwendungen teilweise anerkannt und eine Beihilfe i. H.
v. insgesamt 64.091,39 EUR festgesetzt. Erläuternd wird ausgeführt: Abrechnung der stationären Pflege für
die Zeit von Januar 2012 bis Januar 2014. Der Barbetrag sowie die Bekleidungspauschale sind nicht
beihilfefähig. Eine Berücksichtigung der Rechnungen vor Januar 2012 ist leider nicht möglich, da diese
bereits verjährt sind.
16 Dem Bescheid beigefügt sind – jeweils für die monatlichen Abrechnungszeiträume von Januar 2012 bis
Januar 2014 – tabellarische Aufstellungen hinsichtlich der Berechnung der Beihilfe für die dauernde
stationäre Unterbringung gem. § 39 BBhV. Als beihilfefähig anerkannt wurden jeweils die monatliche
Maßnahmenpauschale, die Grundpauschale sowie die Investitionskosten, nicht hingegen der Barbetrag und
die Bekleidungspauschale. Von den anerkannten Rechnungsbeträgen wurde - abzüglich des pauschalen
Betrages i. H. v. 1.550,00 EUR bzw. 1.612,00 EUR, den die soziale Pflegeversicherung übernommen hat -
der volle Betrag als beihilfefähig anerkannt.
17 Am 29.07.2014 legte der Kläger Widerspruch gegen den Beihilfebescheid vom 17.07.2014 ein und führte
zur Begründung aus: Die Anfrage vom 06.09.2010 auf www.terrwv.bundeswehr.de stelle einen formlosen
Antrag auf Beihilfeleistungen für die Tochter des Beihilfeberechtigten dar. Insoweit seien ab der Aufnahme in
den binnendifferenzierten Teil der Einrichtung ab 01.06.2010 von der Beklagten Beihilfeleistungen zu
bewilligen gewesen. Diese habe in ihrem Bescheid vom 21.07.2014 Leistungen erst ab 01.01.2012 bewilligt
und ausgeführt, dass für den beantragten Zeitraum vom 01.06.2010 bis 31.12.2011 die Leistungen verjährt
seien. Verjährung sei hingegen nicht eingetreten, vielmehr sei über den formlosen Antrag vom 06.09.2010
nicht entschieden worden. Zu Unrecht habe die Beklagte bei der Berechnung der Beihilfe die von der
gesetzlichen Pflegeversicherung gezahlten Pflegeleistungen i. H. v. monatlich 1.550,00 EUR abgezogen.
18 Ferner werde noch Beihilfe anhand der beiliegenden Rechnungen für die Tagesstruktur beantragt. Bei der
Tagesstruktur handele es sich um einen Teil der Pflegeleistungen im Rahmen der stationären Unterbringung.
Die Tochter des Beihilfeberechtigten sei nicht in der Lage, in der Werkstatt für Behinderte zu arbeiten, und
müsse im Förder- und Betreuungsbereich (FuB) der Einrichtung betreut werden. Es handele sich hier um ein
medizinisch-pflegerisches Wohnen.
19 Einem Aktenvermerk der Sachbearbeiterin des Kreissozialamts des Klägers vom selben Datum ist im Hinblick
auf die Anfrage des Klägers vom 06.09.2010 über das Kontaktformular auf der Internetseite der Beklagten
Folgendes zu entnehmen: „Die Anfrage und die Antwort darauf erfolgte jedoch nicht mit dem Namen der
Hilfeempfängerin sondern allgemein. Es kann deshalb nicht von einer Antragstellung ausgegangen werden.“
20 Mit Schreiben vom 24.03.2015 beantragte der Kläger bei der Beihilfestelle der Beklagten die Erstattung der
Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten. Aus der beigefügten Tabelle ergeben sich
für den Zeitraum Februar 2014 bis Februar 2015 Wohnheimkosten i. H. v. insgesamt 56.969,04 EUR sowie
Kosten im Förder- und Betreuungsbereich i. H. v. 29.171,48 EUR.
21 Über den Antrag entschied die Beklagte mit Bescheid vom 21.04.2015. Hierin lehnte sie die Gewährung
einer Beihilfe für den Monat Februar 2014 mit dem Hinweis ab, dass dieser Beleg nicht innerhalb eines
Jahres nach Entstehen der Aufwendungen (Rechnungsdatum) bei der Festsetzungsstelle eingegangen sei (§
54 Abs. 1 BBhV), sowie für Kosten für den Förder- und Betreuungsbereich, weil die BBhV hierfür keine
Erstattung vorsehe. Im Übrigen wurde die monatliche Beihilfe nach derselben Berechnungsmethode, nämlich
unter Abzug der Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung (bis 12/2014 i. H. v. 1.550,00 EUR, ab
1/2015 i. H. v. 1.612,00 EUR) jeweils gewährt, wobei die Beklagte zum Teil von höheren als in den
Rechnungen aufgeführten Rechnungspositionen ausging und hieraufhin eine höhere Beihilfe bewilligte.
22 Gegen den Bescheid vom 21.04.2015 legte der Kläger am 07.05.2015 Widerspruch ein.
23 Mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2015 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers vom 29.07.2014
gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.07.2014 und jenen vom 07.05.2015 gegen den Bescheid vom
21.04.2015 zurück.
24 Zur Begründung führte die Beklagte aus: Erstmals mit Schreiben vom 16.01.2013 habe ein gültiger Antrag
vorgelegen, mit dem Ansprüche auf Beihilfe wirksam hätten geltend gemacht werden können. Die Anfrage
vom 06.09.2010 über das Kontaktformular auf der Internetseite der Bundeswehr könne nicht als förmlicher
Antrag gewertet werden. Die berücksichtigungsfähigen Belege zu den Pflegeleistungen hätten somit nicht
älter als vom 01.01.2012 sein dürfen. Vorher erstellte Rechnungen und Rezepte hätten in der Beihilfe nicht
mehr berücksichtigt werden können. Auch die Rechnung für Februar 2014 habe nicht berücksichtigt werden
können, weil im Bescheid vom 21.07.2014 die Abrechnung von Pflegeleistungen für die Monate Januar 2012
bis Januar 2014 erfolgt sei, so dass für die Zeit danach ein neuer Antrag auf Beihilfe habe gestellt werden
müssen. Dieser sei (erst) mit Schreiben vom 24.03.2015 gestellt worden.
25 Die Tochter des Beihilfeberechtigten sei zwar grundsätzlich eine berücksichtigungsfähige Angehörige im
Sinne des § 4 Abs. 2 BBhV, allerdings sei sie nach §§ 5 und 10 SGB V mitversichert in der
Familienversicherung der Kindsmutter. Es bestehe damit nach §§ 20 und 25 SGB XI auch eine
Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Die Beihilfe sei gegenüber anderweitig zustehenden
Ansprüchen auf Versorgung im Krankheits- oder Pflegefall nachrangig. Die Regelung des § 28 Abs. 2 SGB XI
zum hälftigen Leistungsanspruch bei Personen mit Anspruch auf Beihilfe nach beamtenrechtlichen
Grundsätzen gelte nicht, wenn die Ehefrau eines Beihilfeberechtigten in der gesetzlichen
Krankenversicherung versicherungspflichtig oder freiwillig versichert ist. Dann bestehe auch für die
familienversicherten Angehörigen nach § 25 SGB XI ein Anspruch nach dem Pflegeversicherungsgesetz in
voller Höhe (Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 17.04.2013).
26 Von den berücksichtigungsfähigen Kosten des Pflegeheims sei die nach festgestellter Pflegestufe zustehende
Pflegepauschale nach § 43 SGB XI in voller Höhe in Abzug zu bringen. Nur bei vorrangigem Beihilfeanspruch
könne die anteilige Pflegepauschale dann wiederum abhängig vom Bemessungssatz als Beihilfe erstattet
werden. Im Falle der Tochter des Beihilfeberechtigten sei gem. § 9 BBhV die geleistete Pflegepauschale in
voller Höhe anzurechnen (gewesen).
27 Aufwendungen für vollstationäre Pflege seien nach den Vorgaben des § 39 BBhV beihilfefähig. Beihilfefähig
seien pflegebedingte Aufwendungen, solche für medizinische Behandlungspflege, soweit hierzu nicht nach §
27 BBhV Beihilfe gewährt werde, und Aufwendungen für soziale Betreuung. § 43 Abs. 2, 3 und 5 SGB XI
gelte entsprechend. Die genannten Aufwendungen seien bis zu den monatlichen Höchstbeträgen
(Pauschalbeträge) des § 43 Abs. 2 SGB XI beihilfefähig – insgesamt jedoch nicht mehr als 75 % des
Gesamtbetrages aus Pflegesatz, Entgelt für Unterkunft und Verpflegung sowie gesondert berechenbaren
Investitionskosten. Die Aufwendungen für die Tagesstruktur würden nach den vorgelegten Rechnungen
nicht im Rahmen des medizinisch pflegerischen Wohnens erbracht, sondern im Rahmen der teilstationären
Förderung und Betreuung. Es handele sich damit nicht um pflegebedingte Aufwendungen für gewöhnliche
und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens wie Körperpflege, Ernährung
oder Mobilität. Die Förderung in der Tagesstruktur gehöre vielmehr zu den Leistungen zur Teilhabe nach
SGB IX und sei vom Sozialleistungsträger im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erstatten. Bei dem geltend
gemachten Barbetrag und der Bekleidungspauschale handele es sich ebenfalls nicht um pflegebedingte
Aufwendungen. Diese gehörten zum notwendigen Lebensunterhalt, der grundsätzlich aus eigenen Mitteln
zu bestreiten sei.
28 Am 08.09.2015 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
29 Zur Begründung führt er aus: Der Kläger gewähre seit Januar 2003 an die Tochter des Beihilfeberechtigten
Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII in Form der Übernahme der Kosten für das
stationäre Wohnen und der tagesstrukturierenden Maßnahmen in der Einrichtung „M.“. Zum 01.06.2010 sei
die Tochter des Beihilfeberechtigten in den binnendifferenzierten Bereich der Behinderteneinrichtung
gewechselt. Die monatlichen Kosten für das Wohnen und die Tagesstruktur im Förder- und
Betreuungsbereich (FuB) betrügen ca. 6.900 EUR. Die Tochter sei über ihren Vater bei der Beklagten
beihilfeberechtigt. Die Pflegekasse der ... N.-A. gewähre monatlich 1.612,00 EUR. Die Tochter des
Beihilfeberechtigten verfüge über keine Einkünfte. Von den Eltern werde ein Unterhaltsbetrag i. H. v.
monatlich 31,06 EUR gem. § 94 Abs. 2 SGB XII geleistet.
30 Entgegen der Auffassung der Beklagten könne die Tagesstruktur des Förder- und Betreuungsbereichs nicht
getrennt von der Wohnstätte betrachtet werden. Zwar seien Wohnstätte und FuB räumlich und
organisatorisch voneinander getrennt und rechneten ihre Kosten jeweils gesondert ab. Jedoch erst das
Zusammenwirken der beiden Einrichtungen stelle eine angemessene vollstationäre Betreuung behinderter
Menschen dar. Darüber hinaus finde auch im FuB eine pflegerische Betreuung statt. Verwiesen werde auf
das Urteil des OVG Lüneburg vom 10.02.2015 - 5 LC 79/14. Im FuB sei der pflegerische Anteil wesentlich
höher als bei einer „bloßen“ Werkstatttätigkeit und stehe dort im Vordergrund. Bei der
streitgegenständlichen Einrichtung „M.“ handele es sich um eine sog. binnendifferenzierte Einrichtung gem.
§§ 71 ff. SGB XI. Das bedeute, dass die Pflegekassen anerkannt hätten, dass bei dort untergebrachten
behinderten Menschen vorrangig Pflegebedürftigkeit bestünde. Die Einrichtung erfülle somit die
Voraussetzungen des SGB XI und habe von den Pflegekassen einen Versorgungsvertrag gem. § 75 SGB XI
erhalten. Die Leistungsgewährung durch den Kläger sei – basierend auf dem Versorgungsvertrag –
ausschließlich im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII erfolgt. In der Einrichtung
würden seitens der Pflegekasse Leistungen nach § 43 SGB XII (gemeint: SGB XI) gewährt und nicht solche
des § 43a SGB XI. Die Berechnung des zu gewährenden Beihilfegesamtbetrages in der Zeit vom 01.06.2010
bis 28.02.2015 ergebe sich aus der Summe der Kosten für die Tagesstruktur und das Wohnen abzüglich der
gewährten Pflegeleistungen und mithin einen Betrag von 258.664,12 EUR. Abzüglich der bereits von der
Beklagten gewährten 96.825,18 EUR verbleibe ein offener, streitgegenständlicher Restbetrag i. H. v.
161.838,94 EUR.
31 Hinsichtlich der Ausschlussfrist bzgl. der Ansprüche vor Januar 2012 trug der Kläger ergänzend vor: Bereits
am 06.09.2010 sei die Beklagte über die Homepage nach der Höhe der zu gewährenden Beihilfe für ein Kind
eines beihilfeberechtigten Beamten im Ruhestand, das vollstationär untergebracht ist und bei dem
Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III) vorliegt, angefragt worden. Aufgrund des Antwortschreibens sei
der Kläger davon ausgegangen, dass eine weitere Leistung über die gesetzliche Pflegeversicherung hinaus
seitens der Beklagten nicht erfolgen könne. Seitens der Beklagten sei zu keinem Zeitpunkt eine
entsprechende Information, dass gegebenenfalls weitere Beihilfeleistungen über den oben genannten Betrag
hinaus möglich sein könnten, erfolgt. Hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
32 Der Kläger beantragt,
33 die Beklagte zu verpflichten, auf den Antrag des Klägers vom 24.03.2015 eine weitere Beihilfe i. H. v.
161.818,94 EUR zu bewilligen. Der Bescheid vom 21.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 05.08.2015 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
34 Die Beklagte beantragt,
35 die Klage abzuweisen.
36 Zur Begründung verweist sie zunächst auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus: Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts obliege dem Dienstherrn keine allgemeine Pflicht zur
Belehrung über alle für die Beamten einschlägigen Vorschriften. Daraus folge, dass eine Behörde wie das
Landratsamt des Klägers erst recht keine Informationen darüber verlangen könne, ob gegebenenfalls
weitere Beihilfeleistungen über einen bestimmten Betrag möglich sein können. Die Voraussetzungen für
eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor, da der Kläger die einschlägigen Fristen
schuldhaft versäumt habe. Außerdem fehle es bereits an den formalen Voraussetzungen für eine
Wiedereinsetzung.
37 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Behördenakten der Beteiligten sowie auf die im gerichtlichen
Verfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
38 Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
1.
39 Der Kläger hat Anspruch auf eine weitere Beihilfe für die Kosten der Betreuung der Hilfeempfängerin im
Förder- und Betreuungsbereich der Einrichtung „M.“ i. H. v. 27.152,12 EUR. Über diesen Betrag hinaus hat
der Kläger keinen weiteren Erstattungsanspruch.
40 a) Antragsberechtigung
41 Der Kläger konnte den Beihilfeanspruch des Beihilfeberechtigten selbst geltend machen; er ist aus
übergeleitetem Recht antragsberechtigt, § 93 Abs. 1 SGB XII. Dass der Beihilfeberechtigte von dem Kläger
nicht (über seinen Eigenanteil hinaus) zu den Kosten der Heimunterbringung in Anspruch genommen
werden kann, ist für die Anspruchsberechtigung des Klägers ggü. der Beklagten unschädlich (vgl. BVerwG,
Urteil vom 30.03.1995 – 2 C 5/94 – juris Rn. 15 ff. m. w. N. zur st. Rspr.). Der Kläger kann - auch wenn die
Überleitungsanzeige erst mit Schreiben vom 16.01.2013 erfolgt ist - auch für die vorherige Zeit der eigenen
Leistungserbringung, d. h. für den gesamten beantragten Zeitraum ab 01.06.2010, den Anspruch aus
übergeleitetem Recht geltend machen (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl.2006, § 93 Rn.
25, 52).
42 b) Anspruchsberechtigung, Verhältnis der Leistungspflichten
43 Der Beihilfeanspruch des Beihilfeberechtigten, den der Kläger auf sich übergeleitet hat, ist nicht durch die
vorrangige Leistungspflicht des Klägers als Träger der Sozialhilfe ggü. dem Beihilfeberechtigten bzw. der
Hilfeempfängerin ausgeschlossen. Denn die Leistungspflicht des Klägers ist gegenüber derjenigen der
Beklagten nachrangig und die Leistungserbringung durch den Kläger ist nur vorschussweise erfolgt.
44 Das Verhältnis der Leistungspflichten zwischen den Beteiligten untereinander wird – im Ausgangspunkt –
durch die Subsidiarität/Nachrangigkeit der jeweiligen Leistungspflicht ggü. anderen Leistungspflichten
bestimmt. Für den Kläger ergibt sich der Nachrang der Sozialhilfe aus § 2 Abs. 1, 2 SGB XII. Für die Beklagte
ergibt sich die Subsidiarität der Beihilfe aus § 9 Abs. 1 S. 1 BBhV (vgl. Schadewitz/Röhrig,
Beihilfevorschriften, § 9 BBhV Rn. 1, 2).
45 Treffen zwei – an sich ggü. anderen nachrangige – Leistungspflichten aufeinander, kann sich nur ein
Subsidiaritätsgrundsatz durchsetzen. Nach einhelliger Auffassung setzt sich hier der Nachrang der
Sozialhilfe durch (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.03.1995 – 2 C 5/94 – juris Leitsatz 1 = BVerwGE 98, 106;
VGH BW, Urteil vom 10.04.1996 – 4 S 1467/94 – juris Rn. 28; BAG, Urteil vom 15.07.1993 – 6 AZR 685/92
– juris Leitsatz 1 = NVwZ 1994, 1247; Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 2 Rn. 53 m.
w. N.), wenn und weil (wie hier) der Träger der Sozialhilfe nur vorschussweise die Aufwendungen
übernommen hat.
46 Hieraus folgt ein Erstattungsanspruch des Klägers in der Höhe der beihilfefähigen Aufwendungen (dazu
sogleich unter c)). Um dem Nachrang der Sozialhilfe insoweit vollständig Geltung zu verschaffen, ist jeweils
der volle Betrag (100 %) der in Rede stehenden Aufwendungen und nicht der bereits um den
Bemessungssatz verminderte Betrag der Aufwendungen erstattungsfähig (vgl. VGH BW, Urteil vom
10.04.1996 - 4 S 1467/94 - juris Rn. 28).
47 Zusätzlich zur Frage des Verhältnisses der Leistungspflichten zwischen den Beteiligten besteht diese bzgl.
der (Leistungspflicht der) Pflegeversicherung, sodass insoweit ein dreipoliges Leistungspflichtenverhältnis
vorliegt.
48 Zum Verhältnis der Leistungen der Eingliederungshilfe zu jenen der Pflegeversicherung trifft § 13 Abs. 3 S. 3
Hs. 1 SGB XI die Regelung, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe „unberührt bleiben“ und zu jenen
der Pflegeversicherung „nicht nachrangig“ sind. Hieraus (und der Systematik der §§ 71 Abs. 4, 43a SGB XII)
ist der Schluss zu ziehen, dass der Träger der Eingliederungshilfe von dem Träger der Pflegeversicherung (im
Falle seiner eigenen Einstandspflicht ggü. dem Pflegebedürftigen) die Beteiligung der Pflegeversicherung im
Rahmen des § 43 oder § 43a SGB XI einfordern kann (ebenso für die Konstellation des § 43a SGB XI
Schweigler, SGb 2014, 307, 308 ff.). Die über die pauschal von der Pflegeversicherung zu leistenden
Beträge hinausgehenden Leistungspflichten (vgl. §§ 54 Abs. 1, 55 S. 1 SGB XII) sind demgegenüber von der
Eingliederungshilfe zu übernehmen (sofern nicht die Beihilfe zur Leistung verpflichtet ist).
49 Aus alledem schließt die Kammer, dass sich die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und der Beihilfe
(bzgl. pflegebedingter Leistungen) überschneiden bzw. ergänzen. Lediglich im Verhältnis zwischen
Eingliederungshilfe und sozialer Pflegeversicherung ist durch den Gesetzgeber in §§ 43, 43a SGB XI eine
Regelung getroffen worden, wonach sich die soziale Pflegeversicherung pauschal an den pflegebedingten
Kosten des von der Eingliederungshilfe (d. h. dem Träger der Sozialhilfe) vorschussmäßig zu tragenden
Kosten beteiligt. Dieser Umstand muss der Beihilfe(stelle) zugutekommen, d. h. die beihilfefähigen Kosten,
die die Eingliederungshilfe von der Beihilfestelle berechtigterweise einfordern kann, sind um den Betrag zu
reduzieren, der bereits von der sozialen Pflegeversicherung übernommen wurde.
50 c) Umfang der beihilfefähigen Kosten
51 Die von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungen für den Förder- und Betreuungsbereich (FuB) sind
seitens der Beklagten zu erstatten.
52 Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (st. Rspr., vgl. z. B.
BVerwG, Urteil vom 08.11.2012 – 5 C 4/12 –, Rn. 12, m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
10.10.2011 – 2 S 1369/11 –, Rn. 25, beide nach juris). Für die zwischen Juni 2010 und Februar 2015
entstandenen Aufwendungen ist daher hier § 39 BBhV in der Fassung vom 12.12.2012 bzw. vom
18.07.2014 maßgeblich.
53 Aufwendungen für vollstationäre Pflege in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung im Sinne des § 72 Abs. 1 S.
1 SGB XI oder in einer vergleichbaren Pflegeeinrichtungen sind danach gem.
§ 39 Abs. 1 BBhV
beihilfefähig, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des
Einzelfalls nicht in Betracht kommt. Beihilfefähig sind:
54 1. pflegebedingte Aufwendungen,
2. Aufwendungen für medizinische Behandlungspflege, soweit hierzu nicht nach § 27 Beihilfe gewährt wird,
und
3. Aufwendungen für soziale Betreuung.
55 Aufwendungen für Pflegeleistungen, die über die nach Abs. 1 beihilfefähigen Aufwendungen hinausgehen,
sowie Verpflegung und Unterkunft einschließlich der Investitionskosten sind gem.
§ 39 Abs. 2 BBhV
auf
besonderen Antrag hin beihilfefähig, soweit die Pflegeeinrichtung monatlich abrechnet und von den
durchschnittlichen monatlichen Einnahmen nach Abs. 3 nicht mindestens ein Betrag in Höhe der Summe der
folgenden monatlichen Beträge verbleibt:
56 1. 8 Prozent des Grundgehalts der Stufe 8 der Besoldungsgruppe A 13 für jede berücksichtigungsfähige
Angehörige, für die ein Anspruch nach Abs. 1 oder § 43 SGB XI besteht,
2. 30 Prozent des Grundgehalts der Stufe 8 der Besoldungsgruppe A 13 für einen Beihilfeberechtigten,
3. 3 Prozent des Grundgehalts der Stufe 8 der Besoldungsgruppe A 13 für jedes berücksichtigungsfähige
Kind, für das kein Anspruch auf Beihilfe nach Abs. 1 oder nach § 43 SGB XI besteht, und
4. 3 Prozent des Grundgehalts der letzten Besoldungsgruppe für den Beihilfeberechtigten.
57 Hierzu führt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 39 BBhV (Nr. 39.2.1) aus: Aufwendungen für
Pflegeleistungen, die über die nach Abs. 1 hinausgehen, sowie Unterkunft und Verpflegung sowie die
Investitionskosten sind grundsätzlich nicht beihilfefähig. Vorrangig sind zur Deckung der vorgenannten,
verbleibenden Kosten immer Eigenmittel einzusetzen. Aus Fürsorgegründen kann aber zu diesen
Aufwendungen Beihilfe gewährt werden, wenn den Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen
Personen von ihren Einkünften nicht ein rechnerischer Mindestbetrag verbleibt.
58 Auch beihilfefähig sind gem.
§ 39 Abs. 4 BBhV
Aufwendungen für Pflege und Betreuung in einer
vollstationären Einrichtung der Hilfe für Behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am
Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im
Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen. In derartigen Einrichtungen kommt – da die Pflegeleistungen
nicht im Vordergrund stehen – lediglich eine pauschale Abgeltung der in § 40 Abs. 2 SGB XI genannten
Leistungen in Betracht.
59 Die Einrichtung „M.“ ist ausweislich des vorgelegten Gesamtversorgungsvertrages nach § 72 Abs. 2 SGB XI
eine zugelassene Pflegeeinrichtung i. S. d. § 72 Abs. 1 S. 1 SGB XI, die ausweislich des
Versorgungsvertrages auch die vollstationäre Pflege umfasst. Da § 39 Abs. 1 und 4 BBhV (wie auch § 71
Abs. 1 und 4 SGB XI bzw. § 43 und 43a SGBXI, vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 10.02.2015 - 5 LC 79/14 -
juris Rn. 31) in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen, kommt vorliegend eine
Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die vollstationäre Pflege der Tochter des Beihilfeempfängers lediglich
gem. § 39 Abs. 1, 2 BBhV in Betracht.
60 Ausweislich
§ 39 Abs. 1
S. 3 BBhV bemisst sich die Höhe der Leistungsbeträge für die pflegebedingten
Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der
medizinischen Behandlungspflege nach § 43 Abs. 2 SGB XI, welcher diese pauschal festsetzt. Wie bei der
(gesetzlichen) sozialen Pflegeversicherung nimmt das Beihilferecht durch den Verweis auf § 43 Abs. 2 SGB
XI in § 39 Abs. 1 S. 3 BBhV eine Pauschalisierung und damit eine Deckelung der angemessenen
pflegebedingten Aufwendungen auf die Beträge des § 43 Abs. 2 SGB XI vor. Danach beträgt der Anspruch je
Kalendermonat für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 1.550,00 EUR ab 01.01.2012 und 1.612,00 EUR ab
01.01.2015.
61 Die pauschalisierten Pflegekosten i. S. d. § 43 SGB XI hat vorliegend die soziale Pflegeversicherung (... N.-
A.), bei der die Hilfeempfängerin über ihre Mutter familienversichert ist, in voller Höhe übernommen. Hieraus
folgt nach Einschätzung der Kammer, dass der Erstattungsanspruch des Klägers als nachrangigem
Versorgungsträger (nach § 39 Abs. 1 BBhV) insoweit abgegolten ist. Denn der Träger der Sozialhilfe kann
den Betrag nur einmal verlangen. Entstehen ihm darüber hinaus (pflegebedingte) Kosten, können diese
allein nach § 39 Abs. 2 (bzw. 4, der vorliegend nicht einschlägig ist) BBhV erstattungsfähig sein.
62 Die von dem Kläger geltend gemachten Kosten des Förder- und Betreuungsbereiches sind aber über
§ 39
Abs. 2 BBhV
erstattungsfähig. Denn bei den Aufwendungen des Förder- und Betreuungsbereichs handelt
es sich um Aufwendungen für Pflegeleistungen i. S. d. § 39 Abs. 2 S. 1 BBhV. Ob Pflegeleistungen in diesem
Sinne vorliegen, ist anhand einer inhaltlichen/materiellen Bewertung der erbrachten Leistungen in der
jeweiligen Einrichtung zu beurteilen. Unerheblich ist daher, dass der Förder- und Betreuungsbereich in der
Einrichtung „M.“ räumlich und organisatorisch von dem Wohn- (und Pflege-)Bereich getrennt ist. Denn wie
im (insoweit) vergleichbaren Fall des OVG Lüneburg (Urteil vom 10.02.2015 - 5 LC 79/14 - juris Rn. 37) ist
erst durch das Zusammentreffen von FuB und Wohnbereich eine vollständige pflegerische Betreuung der
Hilfeempfängerin in der Einrichtung „M.“ sichergestellt, sodass beide Bereiche bei einer wertenden
Gesamtbetrachtung als einheitliche vollstationäre Einrichtung anzusehen sind. Die Kammer ist angesichts
des von der Einrichtung dargelegten Leistungsspektrums im FuB (AS 321 f. der Klägerakte) davon
überzeugt, dass in diesem – jedenfalls im Hinblick auf die (schwerstbehinderte) Klägerin - mehrheitlich
Pflegeleistungen vorgenommen werden. Bei der Hilfeempfängerin erschöpft sich der Aspekt der Teilhabe am
sozialen Leben in der Gemeinschaft in der rein passiven Anwesenheit im Bereich der Tagesstruktur.
Demgegenüber überwiegen die pflegerischen Aspekte auch im FuB bei der Hilfeempfängerin bei weitem.
Dies auch deshalb, weil die Einrichtung „M.“ für den FuB weitere Leistungen nach § 87b SGB XI erhält,
sodass anzunehmen ist, dass im FuB eine zusätzliche Betreuung und Aktivierung Pflegebedürftiger erfolgt,
die zumal über den pflegerischen Anteil in einer Werkstatt (wie sie dem vom OVG Lüneburg entschiedenen
Fall zugrunde lag) hinausgeht. Dies ist auch deshalb anzunehmen, weil die Hilfeempfängerin gerade
aufgrund ihrer hohen Pflegebedürftigkeit nicht in einer Werkstatt arbeiten und dort betreut werden kann.
63 Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung
vorgetragenen Umstand, dass von der Einrichtung ausweislich der Leistungsvereinbarung gem. § 75 Abs. 3
Ziff. 1 SGB XII (AS 367 ff. der Klägerakte) vollstationäre Hilfen (OHNE integriertes tagesstrukturierendes
Angebot) im Rahmen von medizinisch-pflegerischen Wohngruppen im binnendifferenzierten Bereich erbracht
werden. Denn auf die organisatorische Struktur der Einrichtung hat weder die Hilfeempfängerin noch der
Beihilfeberechtigte Einfluss. Entscheidend ist vielmehr (s.o.), ob (wie hier) auch im Rahmen der
Tagesstruktur mehrheitlich (bzw. im Falle der Hilfeempfängerin nahezu vollständig) pflegerische Leistungen
erbracht werden.
64 Die übrigen Voraussetzungen des 39 Abs. 2 BBhV liegen – wovon auch die Beklagte ausgeht – ebenfalls vor:
Der jeweilige Aufwendungsbetrag übersteigt das durchschnittliche monatliche Einkommen des (insoweit für
die Prüfung relevanten) Beihilfeberechtigten (Mindestverbleib), wie sich aus der von der Beklagten
vorgenommenen (jeweils monatlichen) Berechnung der Beihilfe für dauernde stationäre Unterbringung gem.
§ 39 BBhV in der Anlage der jeweiligen Bewilligungsbescheide (Nr. 4.2 der tabellarischen Aufstellung) ergibt.
Die Pflegeeinrichtung rechnet die Aufwendungen auch monatlich ab, und der Kläger hat einen besonderen
Antrag auf Aufwendungsersatz gestellt. Letzteres entnimmt die Kammer dem Umstand, dass der Kläger in
seiner Antragsbegründung im Schreiben vom 16.01.2013 explizit darauf abhebt, dass nunmehr über den
Pauschalsatz hinausgehende Pflegeleistungen beihilfefähig sein können und diese beantragt würden.
65 Nach alledem steht dem Kläger ein weiterer Erstattungsbetrag i. H. d. monatlichen Förder- und
Betreuungskosten (Tagesstruktur) zu.
66 d) Ausschlussfrist, § 54 Abs. 1 BBhV
67 Der Anspruch ist jedoch für Februar 2014 (i. H. v. 2.019,36 EUR) sowie den Antragszeitraum vor Januar
2012 gem. § 54 Abs. 1 BBhV ausgeschlossen, weil verspätet geltend gemacht worden.
68 Gem. § 54 Abs. 1 BBhV wird Beihilfe nur gewährt, wenn sie innerhalb eines Jahres nach Rechnungsdatum
beantragt wird. Für den Beginn der Frist ist bei Pflegeleistungen der letzte Tag des Monats maßgebend, in
dem die Pflege erbracht wurde. Hat ein Sozialhilfeträger … vorgeleistet, beginnt die Frist mit dem Ersten des
Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Sozialhilfeträger oder der Träger der Kriegsopferfürsorge die
Aufwendungen bezahlt hat.
69 Ausgehend hiervon hat die Beklagte die Erstattung der Aufwendungen für Februar 2014 im Bescheid vom
21.04.2015 zu Recht abgelehnt. Denn den Antrag hat der Kläger erst am 24.03.2015 gestellt, wohingegen
die Leistung bereits mit Ablauf des Februar 2014 erbracht worden war. Die Antragstellung ist daher nicht
innerhalb der Jahresfrist erfolgt und mithin gem. § 54 Abs. 1 S. 1 BBhV verspätet.
70 Auch die vor Januar 2012 eingereichten Rechnungen mussten von der Beklagten nicht mehr berücksichtigt
werden. Denn der Kläger hat erstmals mit Schreiben vom 16.01.2013 seine Erstattungsansprüche geltend
gemacht und die Überleitung angezeigt. Vor Januar 2012 erbrachte Leistungen sind somit nicht innerhalb
der Jahresfrist erbracht worden.
71 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger bereits am 06.09.2010 über das
Kontaktformular auf der Internetseite der Beihilfestelle der Beklagten bzgl. der Höhe eines möglichen
Beihilfeanspruchs für Pflegeleistungen für ein behindertes Kind eines beihilfeberechtigten Beamten im
Ruhestand angefragt hatte. Denn hierin ist kein förmlicher Antrag i. S. d. § 51 Abs. 3 S. 1, 2 BBhV zu
erblicken. Es fehlt bereits an den Nennung des konkret Beihilfeberechtigten, sodass für die Beklagte schon
eine Zuordnung zu einem ihr ggü. Beihilfeberechtigten ausscheidet. Zudem ist die Anfrage ihrem Inhalt nach
als bloßes Auskunftsersuchen zu interpretieren. Als solches hat die Beklagte die Anfrage auch in ihrem
Antwortschreiben vom 14.09.2010 behandelt: Sie hat lediglich allgemeine, unverbindliche Hinweise auf die
Rechtslage abgegeben, die bei dem Kläger nicht den Eindruck erwecken konnten, dass bereits ein konkretes
Beihilfeverfahren in Gang gesetzt worden wäre.
72 Die Berufung auf die Jahresfrist des § 54 Abs. 1 S. 1 BBhV ist der Beklagten auch nicht im Sinne einer
unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) verwehrt, weil die Beklagte den Kläger fehlerhaft beraten hätte.
Dabei kann offenbleiben, ob ein solcher Beratungsfehler überhaupt zum Ausschluss der Berufung auf § 54
Abs. 1 BBhV führen kann. Denn die Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 14.09.2010 dürften (im
Hinblick auf die damals geltende Rechtslage) schon nicht unzutreffend gewesen sein. Jedenfalls bezogen sie
sich objektiv nicht auf ein konkretes Beihilfeverfahren, sodass sie schon aus diesem Grunde nicht geeignet
waren, bei dem Kläger eine Fehlvorstellung bzgl. der Nichterstattungsfähigkeit seiner konkreten
Aufwendungen für die Hilfeempfängerin ggü. der Beklagten zu erzeugen. Selbst der Kläger hat seinen
Antrag vom 16.01.2013 nicht auf den Umstand gestützt, dass er die Ausführungen der Beklagten vom
14.09.2010 seinerzeit fehlinterpretiert hätte, sondern dass sich die Rechtslage geändert habe. Auf die
Anfrage vom 06.09.2010 hat er erst nach dem Hinweis der Beklagten auf die Ausschlussfrist des § 54 Abs. 1
BBhV im Schreiben vom 07.04.2014 rekurriert.
73 Auch der von dem Kläger im Schriftsatz vom 16.12.2015 (im gerichtlichen Verfahren) hilfsweise gestellte
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt nicht zu einer Berücksichtigungsfähigkeit der
fraglichen Aufwendungen. Zwar ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf § 54 Abs. 1
BBhV nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich um eine materielle Ausschlussfrist handelt (vgl. etwa
BayVGH, Beschluss vom 20.01.2012 - 14 ZB 11.1379 - juris Rn. 7 m. w. N.; VG München, Urteil vom
08.11.2016 - M 17 K 16.4499 - juris Rn. 17 unter Verweis auf Nr. 54.1.1 der Allgemeinen
Verwaltungsvorschrift zur BBhV, nach dem bei der Versäumnis der Antragsfrist eine Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand zu gewähren ist, sofern die Voraussetzungen des § 32 VwVfG vorliegen). Die
Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung gem. § 32 Abs.1 VwVfG lagen hier aber erkennbar nicht vor. So
muss der Antrag einerseits innerhalb von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt werden,
wobei im Antrag die das Versäumnis begründenden Umstände glaubhaft zu machen sind (§ 32 Abs. 2 S. 1, 2
VwVfG) und die versäumte Handlung nachzuholen ist (§ 32 Abs. 2 S. 3 VwVfG). Andererseits muss der
Antrag innerhalb eines Jahre nach Beendigung der versäumten Frist gestellt sein, außer wenn dies vor
Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 32 Abs. 3 VwVfG).
74 Dabei kann offen bleiben, ob der Antrag mit Schriftsatz an das Gericht vom 16.12.2015 überhaupt bei der
Beklagten ordnungsgemäß gestellt wurde und ob der Kläger unverschuldet gehindert war, die Frist
einzuhalten. Denn der Antrag ist jedenfalls verfristet. Dem Aktenvermerk der Sachbearbeiterin des
Kreissozialamts des Klägers vom 29.07.2014 ist zu entnehmen, dass diese spätestens zu diesem Zeitpunkt
(wenn nicht bereits aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 07.04.2014, in dem auf die Ausschlussfrist
hingewiesen und mitgeteilt wurde, dass bei der Berechnung der Fristwahrung vom 28.03.2014
ausgegangen werde), positive Kenntnis von den die Fristversäumnis begründenden Umständen hatte, sodass
spätestens ab diesem Zeitpunkt ein Wiedereinsetzungsantrag hätte gestellt werden müssen. Tatsächlich ist
dieser jedoch (allenfalls) am 16.12.2015 und damit sowohl außerhalb der Frist des § 32 Abs. 2 S. 1 als auch
des Abs. 3 VwVfG gestellt worden.
75 Nach alledem hat der Kläger ggü. der Beklagten einen (weiteren) Erstattungsanspruch i. H. v. 27.152,12
EUR (Kosten des Förder- und Betreuungsbereichs von März 2014 bis Februar 2015). Weitere
Erstattungsansprüche (bzgl. des FuB) stehen dem Kläger hingegen nicht zu (Zeitraum vor Januar 2012,
Februar 2014 sowie Kosten für Bekleidungspauschale und Barbetrag).
2.
76 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.