Urteil des VG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

VG Schleswig-Holstein: republik aserbaidschan, staatsangehörigkeit, armenien, politische verfolgung, rat der europäischen union, herkunft, russland, bundesamt, abschiebung, sowjetunion

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Verwaltungsgericht
14. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 A 66/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 3 S 2 AufenthG 2004,
§ 30 Abs 3 Nr 2 AsylVfG 1992,
§ 59 Abs 2 AufenthG 2004, §
60 Abs 1 AufenthG 2004, § 80
Abs 5 VwGO
Rechtsschutzinteresse für die Aufhebung des
Offensichtlichkeitsausspruchs durch das Bundesamt
Leitsatz
1. Angesichts der neuen ausländerrechtlichen Folgen einer Ablehnung des Asylantrages
als offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt besteht ein Rechtsschutzinteresse
an der Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruches.
2. Zur Überzeugungskraft eines Sprachgutachtens zu armenischen Dialekten (hier
nicht gegeben).
3. Wenn das Bundesamt davon ausgeht, dass eindeutige Hinweise für eine Herkunft der
Asylbewerberin aus Armenien vorliegen, ist eine Abschiebungsandrohung ohne
Zielstaatsbezeichnung nicht möglich.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 15. März 2006 wird insoweit aufgehoben, als in
Ziffer 1) die Ablehnung des unbegründeten Asylantrags und in Ziffer 2) die
Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten als „offensichtlich“
gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG erfolgt ist.
Der Bescheid wird weiterhin aufgehoben, soweit in Ziffer 4) die Abschiebung „in
den Herkunftsstaat“ angedroht worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt 1/3, die Beklagte 2/3 der Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe geleistet hat.
Tatbestand
Die am … geborene Klägerin stammt ihren Angaben zufolge aus der ehemaligen
Sowjetrepublik Aserbaidschan. Diese verließ sie im Jahre 1990, lebte dann in
Georgien und Russland und reiste am 18.12.2005 per Flugzeug in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte sie am 22.12.2005 einen Antrag auf
Gewährung politischen Asyls.
Sie begründete den Antrag damit, sie habe 1990 Aserbaidschan wegen der
Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien verlassen müssen. Sie sei
Armenierin. Ihr Vater sei am 20.01.1990 von ca. 150 jugendlichen
Aserbaidschanern getötet worden. Sie habe daraufhin das Land verlassen und sei
nach Georgien gegangen, wo sie bis 2003 illegal gelebt habe. Danach habe sie in
Russland ebenfalls illegal gelebt. Sie habe dort mit ihrer Mutter gemeinsam gelebt,
die Ende 2004 geheiratet habe und jetzt möglicherweise in den USA lebe. Sie
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die Ende 2004 geheiratet habe und jetzt möglicherweise in den USA lebe. Sie
selbst habe 2004 in Kursk ihren Lebensgefährten kennengelernt.
Aufgrund eines Sprachgutachtens vom 24.02.2006 von einem Gutachter mit der
Bezeichnung „Russ 1003“ stammt die Klägerin mit Sicherheit aus Armenien,
während eine Herkunft aus Aserbaidschan ausgeschlossen wird. Dies wird damit
begründet, dass sich in ihrer Sprache keine Spur des Karabach-Dialektes finde,
aber Einflüsse des Ararat-Dialekts.
Mit Bescheid vom 15.03.2006 lehnte die Beklagte den Asylantrag als offensichtlich
unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1
AufenthG offensichtlich sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG
nicht vorlägen. Gleichzeitig setzte sie eine Ausreisefrist und drohte die
Abschiebung an, ohne einen konkreten Zielstaat zu benennen.
Die Klägerin hat am 30.03.2006 Klage erhoben.
Zugleich hat sie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer
Klage gestellt. Diesem Antrag ist stattgegeben worden. Wegen der Einzelheiten
des Beschlusses wird auf den Beschluss vom 11.04.2006 - 14 B 12/06 - verwiesen.
Zur Begründung der Klage hat die Klägerin ergänzend angegeben, sie habe nie in
Armenien gelebt. Das Gutachten sei in ihrem Falle wertlos, da sie als 10-jährige
aus ihrem Geburtsstaat weggezogen sei, wodurch fehlende Erinnerungen nicht
verwunderlich seien. Sie sei in einem armenischsprachigen familiären Umfeld
aufgewachsen, so dass diese Spuren des Spracherwerbs nicht verwunderten. Sie
habe nie behauptet, in Berg-Karabach aufgewachsen zu sein, sondern in ihrem
Geburtsort Baku. Dort habe sie bis zu ihrer Flucht in einer armenischen
Bevölkerung gelebt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen,
die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs.
1 AufenthG festzustellen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Weiterhin wird hilfsweise beantragt,
das Offensichtlichkeitsurteil in dem angefochtenen Bescheid aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
Die Kammer hat den Rechtsstreit dem Einzelrichter gemäß § 76 Abs. 1
Asylverfahrensgesetz zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet und im Übrigen unbegründet.
Sie ist insbesondere auch insoweit zulässig, als sich der
Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamtes im Bescheid vom 15.03.2006 in
Ziffer 1) und 2) auf § 30 Abs. 3 AsylVfG stützt.
Nach der bis zum Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 geltenden
Rechtslage wäre die Klage insgesamt unzulässig gewesen, weil im asylrechtlichen
Hauptsacheverfahren kein Raum für eine isolierte gerichtliche Aufhebung des
Offensichtlichkeitsausspruches iSd §§ 30, 36 Abs. 1 AsylVfG bestand. Danach war
die Überprüfung dieses Ausspruches grundsätzlich und ausschließlich dem
Eilverfahren nach § 36 Abs. 4 AsylVfG iVm § 80 Abs. 5 VwGO vorbehalten.
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Eilverfahren nach § 36 Abs. 4 AsylVfG iVm § 80 Abs. 5 VwGO vorbehalten.
Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsausspruches
führten zur gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und zur
gesetzlich angeordneten Verlängerung der Ausreisefrist auf einen Monat (§ 37
Abs. 2 AsylVfG). Damit wurde der betroffene Asylbewerber verfahrensmäßig mit
denjenigen Asylbewerbern gleichgestellt, deren Antrag nur als einfach
unbegründet abgelehnt worden ist. Im Übrigen bedurfte es wegen des
Offensichtlichkeitsausspruches im Hauptsacheverfahren keiner weiteren
Differenzierung, insbesondere die Abschiebungsandrohung unterlag keinen
besonderen Voraussetzungen. Dies galt auch dann, wenn auf einen Antrag gemäß
§ 80 Abs. 5 VwGO verzichtet wurde oder dieser erfolglos blieb (BVerwG, Beschluss
vom 17.02.1986 - 1 B 30/86 -, in DVBl. 1986, 518 = DÖV 1986, 611 und in JURIS).
Dieser Rechtsprechung ist prinzipiell weiterhin zu folgen, da sich an der
asylverfahrensrechtlichen Konzeption nichts geändert hat. Im Hinblick auf den neu
gefassten § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und den späteren Aufenthaltsstatus des
abgelehnten Asylbewerbers würde diese Rechtsprechung allerdings zu einer
Rechtsschutzlücke führen für den Fall, dass „der Asylantrag nach § 30 Abs. 3
AsylVfG abgelehnt wurde“, weil dann vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt
werden dürfte. Das auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Asylklage
gerichtete Eilverfahren führt zwar zu einer Überprüfung des
Offensichtlichkeitsausspruches des Bundesamtes, schafft diesen jedoch nicht aus
der Welt. Auch eine ausländerbehördliche oder gerichtliche Überprüfung des
Offensichtlichkeitsausspruches im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels
käme nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht in Frage,
demzufolge es nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3
AsylVfG ankommt, sondern auf die bloße Tatsache der Ablehnung des
Asylantrages nach § 30 Abs. 3 AsylVfG. Diese Rechtsschutzlücke lässt sich nur
durch einen im Hauptsacheverfahren (hilfsweise) formulierten Aufhebungsantrag
schließen (vgl. Dienelt, ZAR 2005, 120, 123; Discher in GK-AufenthG, § 10 Rn. 160,
166, 168 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 13.04.2005 - A 11 K 1120/03 - und VG
Regensburg, Urteil vom 13.01.2006 - RO 4 K 04.30179 -, beide in JURIS).
Das Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruches
kann allerdings nur soweit reichen, wie auch die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz
2 AufenthG reicht, mithin sich nur auf eine Ablehnung als offensichtlich
unbegründet beziehen, die konkret auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützt ist.
Maßgeblich dafür, ob der Asylantrag gerade wegen § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt
wurde, ist der Inhalt des Bundesamtsbescheides; dieser muss sich ausdrücklich
auf § 30 Abs. 3 AsylVfG beziehen. Lässt der Bescheid die Rechtsgrundlage
hingegen offen, kann § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht zur Anwendung kommen,
es sei denn, es ergibt sich aus der Begründung eindeutig, dass der
Offensichtlichkeitsausspruch (auch) auf zumindest einen der in § 30 Abs. 3 AsylVfG
erwähnten Gründe beruht (Discher, aaO, Rn. 152 ff. mwN).
Dies ist vorliegend der Fall. Das Bundesamt weist am Beginn der Prüfung von § 60
Abs. 1 AufenthG ausdrücklich auf § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG hin.
Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.
Die Ablehnung des Asylantrages ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG. Auch die Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor. Die auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützte Ablehnung
als offensichtlich unbegründet ist dagegen rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Ebenso ist die angefochtene
Abschiebungsandrohung, soweit die Abschiebung „in den Herkunftsstaat“
angedroht wird, rechtswidrig.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte bzw. die
Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.
Soweit der Ausländer eine Staatsangehörigkeit besitzt, ist grundsätzlich zu prüfen,
ob ihm im Land seiner Staatsangehörigkeit politische Verfolgung iSd Art. 16 a Abs.
1 GG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG (ehemals § 51 Abs. 1 AuslG) droht. Im
vorliegenden Fall nimmt das Gericht an, dass die Klägerin weder die
aserbaidschanische noch die russische oder armenische Staatsangehörigkeit
besitzt, sie ist vielmehr staatenlos.
Die Klägerin ist keine aserbaidschanische Staatsangehörige. Sie ist ursprünglich
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Die Klägerin ist keine aserbaidschanische Staatsangehörige. Sie ist ursprünglich
Staatsangehörige der Sowjetunion. Aufgrund des völkerrechtlichen Untergangs der
Sowjetunion ist zu prüfen, ob die Klägerin, Aserbaidschan zu einem Zeitpunkt
verlassen hat, als die Republik Aserbaidschan als eigenständiger Staat und somit
auch eine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit noch nicht existierte, letztere
dennoch erworben hat. Eine erste Regelung über die Staatsangehörigkeit hat der
Staat Aserbaidschan mit dem Gesetz vom 26.06.1990 getroffen, welches zum
01.01.1991 in Kraft getreten ist. In diesem Zusammenhang spielt die Frage eine
Rolle, ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des aserbaidschanischen
Staatsangehörigkeitsgesetzes am 01.01.1991 ihren tatsächlichen ständigen
Wohnsitz in Aserbaidschan gehabt hat und ob sie dort noch amtlich gemeldet war
(vgl. Luchterhand, Gutachten vom 17.10.2000 an das VG Würzburg sowie
Gutachten vom 07.05.1999 an das VG B-Stadt, Nr. 89 bzw. 64 a)
Erkenntnismittelliste Aserbaidschan, außerdem Gutachten des Instituts für
Ostrecht vom 22.11.2000 an das VG Berlin sowie Auskunft des Auswärtigen Amtes
09.09.2003 an das VG Schleswig, Nr. 89 a bzw. 148 a) der Erkenntnismittelliste
Aserbaidschan - zum Ganzen ausführlich: VG Schleswig, Urteil vom 02.02.2005 - 4
A 265/03 -, rechtskräftig gemäß Beschluss des OVG Schleswig vom 16.03.2005 - 1
LA 32/05 -).
Letztlich entscheidend ist zur Überzeugung des Gerichts, dass die Klägerin auch
dann, sollte sie die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit jemals erworben
haben, diese jedenfalls durch das aserbaidschanische Staatsangehörigkeitsgesetz
vom 30.09.1998 wieder verloren hat. Nach Art. 5 Abs. 1 dieses Gesetzes besitzen
Personen die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit (weiterhin), die die
Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes besaßen (lt.
Botschaft Baku vom 12.12.2000 an Auswärtiges Amt, Nr. 82 Erkenntnismittelliste
Aserbaidschan; lt. Rat der Europäischen Union vom 01.09.2000 an CIREA, Nr. 85 c)
der Erkenntnismittelliste Aserbaidschan). Als Grundlage für das Fortbestehen der
Staatsangehörigkeit wird ausdrücklich die „Meldung der Person an ihrem Wohnsitz
in der Republik Aserbaidschan am Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes“
genannt. Damit wird ausdrücklich auf die Existenz eines faktischen Wohnsitzes und
die amtliche Meldung an diesem Wohnsitz abgestellt (so ausdrücklich auch VG
Schleswig, Urteil vom 02.02.2005 a.a.O.).
Die Klägerin hatte aber zum fraglichen Zeitpunkt keinen faktischen Wohnsitz in
Aserbaidschan mehr, so dass sie jedenfalls zu diesem Zeitpunkt die
aserbaidschanische Staatsangehörigkeit verloren hat.
Ist demzufolge davon auszugehen, dass die Klägerin die aserbaidschanische
Staatsangehörigkeit nicht besitzt und Aserbaidschan auch nicht (mehr) als Land
des gewöhnlichen Aufenthalts anzusehen ist, entfällt eine Prüfung der
Voraussetzungen des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der Abschiebungshindernisse
nach § 60 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf Aserbaidschan.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die russische Staatsangehörigkeit erworben
hat, sind nicht vorhanden. Die russische Staatsangehörigkeit hat sie - wie den
obigen Ausführungen zu entnehmen - durch die Auflösung der Sowjetunion nicht
zwangsläufig erhalten.
Eigenen Angaben zufolge hat sie illegal in Russland gelebt und keine
Staatsangehörigkeit erhalten. Die Beklagte hat nichts vorgetragen, was einen
gegenteiligen Sachverhalt vermuten ließe.
Russland kann auch nicht als Land des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 3
AsylVfG angesehen werden. Zwar büßt ein Staat seine Eigenschaft als Land des
gewöhnlichen Aufenthalts nicht allein dadurch ein, dass der Staatenlose ihn
verlässt und in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt. Eine Änderung tritt
jedoch dann ein, wenn er den Staatenlosen - aus im asylrechtlichen Sinne nicht
politischen Gründen - ausweist oder ihm die Wiedereinreise verweigert, nachdem
er das Land verlassen hat. Er löst damit seine Beziehung zu dem Staatenlosen
und hört auf, für ihn Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein. Er steht dann
dem Staatenlosen in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat.
Die Frage, ob dem Staatenlosen auf seinem Territorium politische Verfolgung
droht, wird unter asylrechtlichen Gesichtspunkten gegenstandslos (BVerwG, Urteil
vom 15.10.1985 - 9 C 30/85 -, NVwZ 1986, 759 f.). Diese Voraussetzungen liegen
hier vor, da russische Behörden nach den vorliegenden Erkenntnissen in der Regel
keine Passersatzpapiere für staatenlose ehemalige Sowjetbürger zur Einreise nach
Russland ausstellen, wobei ethnische oder andere asylerhebliche Merkmale keine
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Russland ausstellen, wobei ethnische oder andere asylerhebliche Merkmale keine
Rolle spielen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Schleswig v. 14.10.1999, Nr.
158 Erkenntnisliste Russland).
Das Gericht kann auch nicht von einer armenischen Staatsangehörigkeit der
Klägerin ausgehen. Zwar hat die Beklagte ein Sprachgutachten vorgelegt, aus
dem sich eine Herkunft aus der Republik Armenien mit Sicherheit ergeben soll,
während eine Herkunft aus Aserbaidschan ausgeschlossen wird. Dieses Gutachten
ist allerdings nicht verwertbar. Die dort aufgestellten Behauptungen zur Herkunft
der Klägerin sind nicht zur Überzeugung des Gerichts begründet. Die Gutachterin
„Russ 1003“ wurde von der Beklagten auf Antrag des Gerichts mit „ “
individualisiert. Diese selbst hat in einer Stellungnahme zu ihrem Gutachten
ausdrücklich erklärt, dass sie nur Gutachterin für die russische Sprache sei und
dass sie zu Fragen zum Armenischen nicht Stellung nehme. Das steht allerdings in
einem erheblichen Widerspruch zu dem, was sie im Gutachten über die Herkunft
aufgrund eines Dialektes selbst postuliert hat. In der Stellungnahme selbst meint
die Gutachterin, dass die Klägerin bei einer Herkunft aus Baku besser russisch
sprechen müsse. Dort hätten Armenier im öffentlichen Bereich überwiegend
gehobenes und grammatisch einwandfreies Russisch gesprochen, armenisch
dagegen nur im privaten Bereich. Das Russisch der Probandin sei durch einen
starken armenischen Akzent gezeichnet und entspreche nicht dem üblichen
Niveau der Armenier aus Aserbeidschan, vor allem wenn sie auch längere Zeit in
Russland gelebt hätten. Das alles mag im Allgemeinen zutreffen, die Gutachterin
geht allerdings auch bei ihrer ergänzenden Stellungnahme mit keinem Wort darauf
ein, dass die Klägerin bereits als junges Kind Baku verlassen und danach längere
Zeit in Georgien gelebt haben will. Welchen Einfluss das auf ihre Sprachkenntnisse
und -färbung gehabt hat, bleibt ungeprüft.
Auf die ergänzende Frage des Gerichts, welche armenischen Dialekte in welchem
Umfang in Baku gesprochen worden seien, hat die Beklagte eine Stellungnahme
einer , die ebenfalls Sprachgutachterin für die Beklagte tätig ist, vorgelegt. Diese
unterscheidet im Wesentlichen mehrere Abarten des Karabach-Dialektes, die in
Baku gesprochen worden seien. Auf die Frage, ob dort auch Armenier gelebt
haben, die hocharmenisch oder den Ararat-Dialekt gesprochen haben, geht die
Gutachterin in ihrer Stellungnahme nicht ein. Von daher kann nicht
ausgeschlossen werden, dass es in Baku auch Armenier gab, die nicht den
Karabach-Dialekt sondern hocharmenisch sprachen, so wie es auch in München
Personen gibt, die nicht bayrisch, sondern hochdeutsch sprechen.
Die Tatsache, dass die Beklagte sich über diesen Punkt selber unklar ist, ergibt
sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides selber. Dort wird
hinsichtlich des Abschiebezielstaates bei der Abschiebungsandrohung gesagt,
dass aufgrund der ungeklärten Herkunft der Klägerin z. Z. keine konkrete
Benennung eines Zielstaates möglich sei. Wenn die Beklagte aufgrund des
Sprachgutachtens von einer armenischen Herkunft der Klägerin überzeugt
gewesen wäre, hätte es dieser Einschränkung nicht bedurft.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Asylantrag und der Antrag auf
Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG auch dann nicht
begründet ist, wenn man von einer armenischen Staatsangehörigkeit der Klägerin
ausgeht, da diese für Armenien keine Asylgründe vorgetragen hat.
Die auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützte Ablehnung als offensichtlich unbegründet ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG, den die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid als
Grund anführt, rechtfertigt den Offensichtlichkeitsausspruch hier nicht. Eine
Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit bzw. eine Verweigerung
diesbezüglicher Angaben oder eine Verletzung der Mitwirkungspflicht aus § 25 Abs.
1 AsylVfG kann das Gericht mit der erforderlichen Sicherheit nicht feststellen (§ 30
Abs. 3 Nr. 2 und 5 AsylVfG).
Zwar kann ein überzeugendes Sprachgutachten ein wichtiges Indiz für die Herkunft
eines Asylbewerbers sein und die Vermutung rechtfertigen, dass er aus einem
anderen als dem angegebenen Herkunftsland kommt, hier z.B. aus der Republik
Armenien statt dem vom Kläger angegebenen Aserbaidschan. Ein solch
überzeugendes Gutachten liegt aber, wie bereits oben ausgeführt, hier nicht vor.
Von daher hat der Sachbearbeiter des Bundesamtes offenbar selber die für eine
Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet erforderliche Sicherheit
nicht gesehen, da er bei der Festlegung des Abschiebezielstaates in der
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nicht gesehen, da er bei der Festlegung des Abschiebezielstaates in der
Begründung auf S. 8 des angefochtenen Bescheides deutlich macht, dass die
Herkunft der Klägerin für ihn ungeklärt sei, also auch Aserbaidschan in Betracht
kommen könnte. Wenn die Herkunft der Klägerin aus Armenien so sicher hätte
festgestellt werden können, wie es für eine Ablehnung als offensichtlich
unbegründet erforderlich ist, hätte auch die Abschiebungsandrohung nach
Armenien angedroht und für dieses Land Abschiebungshindernisse geprüft werden
müssen. Dies ist jedoch ausweislich der Begründung des angefochtenen
Bescheides nicht geschehen. Die Formulierung „in den Herkunftsstaat“ im Tenor
des angefochtenen Bescheides soll laut der Bescheidbegründung „auf Grund der
ungeklärten Staatsangehörigkeit der Antragstellerin zum Zeitpunkt der
Entscheidung keine konkrete Benennung des Zielstaates“ sein, der dem zufolge
„keine ordnungsgemäße Zielstaatsbezeichnung im Sinne des § 59 Abs. 2
AufenthG enthält, sondern lediglich einen unverbindlichen Hinweis“. Demzufolge
kann von einer Sicherheit des Sachverhalts, wie er für eine Ablehnung des
Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach § 30 Ab s. 2 Nr. 2 AsylVfG
erforderlich ist, nicht ausgegangen werden. Eine Täuschung über die Identität und
die Staatsangehörigkeit kann zwar mit einer gewissen Berechtigung angenommen
werden, ausreichend für eine Abweisung als offensichtlich unbegründet festgestellt
ist sie nicht.
Nach alledem ist der Bescheid aufzuheben, soweit sich der
Offensichtlichkeitsausspruch in Ziffer 1) und 2) auf § 30 Abs. 3 AsylVfG stützt.
Die Prüfung von Abschiebungshindernissen bezüglich Armeniens braucht hier nicht
durchgeführt zu werden, da es sich aus dem Bescheid ergibt, dass die Beklagte
eine entsprechende Feststellung des Nichtvorliegens von
Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezüglich dieses
Staates überhaupt nicht durchgeführt hat. Sie hat sich vielmehr insoweit lediglich
mit der Republik Aserbaidschan beschäftigt. Des Weiteren brauchen
Abschiebungshindernisse bezüglich der Republik Armenien auch deshalb nicht
geprüft zu werden, weil eine Abschiebungsandrohung in die Republik Armenien
überhaupt nicht ausgesprochen worden ist. Nur hinsichtlich des Zielstaates, für
den eine Abschiebungsandrohung ausgesprochen worden ist, sind
Abschiebungshindernisse festzustellen.
Weiterhin war der Bescheid aufzuheben, soweit unter Ziffer 4) dem Kläger
ausdrücklich damit gedroht wurde, ihn „in den Herkunftsstaat“ abzuschieben.
Ungeachtet aller weiteren Fragen, insbesondere der, ob in absehbarer Zeit eine
Abschiebung des Klägers nach Armenien rechtlich und tatsächlich möglich wäre,
ist der Bescheid in diesem Punkt aufzuheben, weil er in sich widersprüchlich ist und
der Rechtsprechung zur Nennung eines Zielstaates nicht entspricht. Während auf
der einen Seite die Herkunft der Klägerin aus Armenien als so sicher angenommen
wird, dass das Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, wird
die Herkunft der Klägerin auf der anderen Seite als so unsicher angesehen, dass
eine Zielstaatsbezeichnung „wegen der ungeklärten Staatsangehörigkeit“ der
Klägerin unmöglich sei. Eine derartige Wechselmöglichkeit zwischen einmal
absoluter Sicherheit und andererseits unklarer Situation gibt das Gesetz aber
nicht.
Nach § 59 Abs. 2 AufenthG ist in einem Asyl ablehnenden Bescheid der Staat zu
bezeichnen, in den der Asylbewerber abgeschoben werden soll. Davon ist hier
fälschlicher Weise abgewichen worden. Unter Ziffer 4 des angefochtenen
Bescheides ist nur von „Herkunftsstaat“ die Rede. Zwar handelt es sich bei der
genannten Norm um eine Sollvorschrift, so dass von der Benennung des Staates
in besonderen Fällen abgewichen werden kann. Das Bundesamt hat das
Abweichen von der Sollvorschrift damit begründet, dass aufgrund der ungeklärten
Staatsangehörigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Entscheidung keine konkrete
Benennung des Ziellandes erfolgen konnte. Das aber ist im vorliegenden Fall nicht
ausreichend. Nach den Gründen des angefochtenen Bescheides geht der
Einzelentscheider davon aus, dass die Klägerin aus Armenien stamme, wie sich
aus dem von ihm als „Widerspruchsfrei und Nachvollziehbar“ bezeichneten
Sprachgutachten ergebe. Er sieht darin „eindeutige Hinweise für eine Herkunft aus
Armenien“. Damit sind keine Gesichtspunkte erkennbar, weshalb auch nicht eine
Abschiebungsandrohung nach Armenien hätte erfolgen können. Mit der im
Zusammenhang mit der Benennung des Zielstaates behaupteten Unsicherheit
stellt der Einzelentscheider seine grundlegende Entscheidung, den Asylantrag als
offensichtlich unbegründet abzulehnen, selber in Frage. Wenn eine derartige
Unsicherheit trotz des Sprachgutachtens weiter besteht - was durchaus
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Unsicherheit trotz des Sprachgutachtens weiter besteht - was durchaus
nachvollziehbar ist - dann kann keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet
erfolgen, weil der Sachverhalt nicht endgültig geklärt und die Unglaubwürdigkeit
der Antragstellerin nicht festgestellt ist.
Nach alledem war der Bescheid hinsichtlich des Offensichtlichkeitsausspruches
und der Abschiebungsandrohung aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative VwGO. Sie ist
gemäß § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.