Urteil des VG Saarlouis vom 12.11.2008

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VG Saarlouis Beschluß vom 12.11.2008, 2 L 924/08
Auswahlverfahren bei der Beförderung von Beamten
Leitsätze
Eine nach dem Leistungsprinzip zu treffende Auswahlentscheidung setzt regelmäßig
voraus, dass für alle Konkurrenten zeitnahe Beurteilungen bzw. Leistungseinschätzungen
vorliegen, die einen aktuellen Leistungsvergleich ermöglichen.
Zwar ist es in Fällen, in dessen die miteinander konkurrierenden Beamten in ihrer aktuellen
dienstlichen Beurteilung das gleiche Gesamturteil erhalten haben, nicht zwingend geboten,
differenzierend auf die Wertungen in den einzelnen Beurteilungsmerkmalen oder das
arithmetische Mittel abzustellen. Andererseits ist der Dienstherr aber durchaus berechtigt,
eine Differenzierung anhand der Einzelmerkmale vorzunehmen, um so eine
leistungsorientierte Auswahl herbeizuführen.
Tenor
Dem Antragsgegner wird einstweilen untersagt, den Beigeladenen vor dem Antragsteller in
ein Amt der Besoldungsgruppe B 5 zu befördern.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner mit Ausnahme der etwaigen
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.
Gründe
Das von dem Antragsteller mit seinem Antrag verfolgte Begehren, dem Antragsgegner
vorläufig zu untersagen, dem Beigeladenen vor ihm ein Amt der Besoldungsgruppe B 5 zu
übertragen, ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft und hat auch in der Sache
Erfolg.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand ist hinreichend wahrscheinlich, dass die zu
Gunsten des Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung des Antragsgegners dem
Anspruch des Antragstellers auf verfahrens- und sachfehlerfreie Entscheidung über sein
dem Antragsgegner gegenüber zum Ausdruck gebrachtes Beförderungsbegehren nicht
gerecht wird. Dies rechtfertigt den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach §
123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des
Antragstellers.
In Fällen der Konkurrenz von Bewerbern um eine Beförderung hat der im Auswahlverfahren
unterlegene Beamte einen Anordnungsanspruch, wenn dies - namentlich um den Eintritt
„vollendeter Tatsachen“ durch Aushändigung der Beförderungsurkunde zu verhindern – zur
Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs geboten ist. Der
Bewerbungsverfahrensanspruch beinhaltet vor allem das Recht, dass der Dienstherr bei
mehreren vorhandenen Konkurrenten um eine Beförderung die Auswahl unter Beachtung
des durch Artikel 33 Abs. 2 GG verfassungskräftig verbürgten Grundsatzes der
Bestenauslese (Leistungsgrundsatz) vorzunehmen hat. Dieser Anspruch ist grundsätzlich
nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig, ohne dass es darauf ankommt, ob der
um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchende Beamte zwingend oder auch nur überwiegend
wahrscheinlich seinem Konkurrenten hätte vorgezogen werden müssen. Vielmehr genügt
es, dass die Aussichten des Betroffenen, in einem neuen rechtmäßigen Auswahlverfahren
ausgewählt zu werden, „offen“ sind, was bereits zu bejahen ist, wenn seine Auswahl
möglich erscheint.
Vorliegend halten die Erwägungen des Antragsgegners, aus denen er einen Vorrang des
Beigeladenen gegenüber dem Antragsteller hergeleitet hat, einer rechtlichen Überprüfung
anhand des vorgenannten Grundsatzes der Bestenauslese nicht stand. Eine nach dem
Leistungsprinzip zu treffende Auswahlentscheidung setzt regelmäßig voraus, dass für alle
Konkurrenten zeitnahe Beurteilungen bzw. Leistungseinschätzungen vorliegen, die einen
aktuellen Leistungsvergleich ermöglichen und damit zugleich dem
Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung tragen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.2003 – 2 C 14.02 -; juris.
Es muss daher in der Regel auf dienstliche Beurteilungen bzw. Leistungseinschätzungen
zurückgegriffen werden können, die für die Beförderungsentscheidung hinreichende
Aussagekraft haben und weder von erheblich unterschiedlicher noch von gänzlich
mangelnder Aktualität sind.
Vgl. auch OVG des Saarlandes, Beschluss vom
01.07.1994 – 1 W 38/94 – m.w.N.
Vorliegend lag aber der Beförderungsentscheidung des Antragsgegners lediglich eine
aktuelle Anlassbeurteilung des Beigeladenen vom 24.06.2008 zugrunde. Der Antragsteller
hingegen wurde unwidersprochenen eigenen Angaben zufolge letztmalig im Jahr 1999
dienstlich beurteilt (der Kammer liegt allerdings lediglich eine Beurteilung aus dem Jahr
1996 vor). Im Hinblick auf eine im Jahr 2008 zu treffende Beförderungsentscheidung
besitzt weder eine Beurteilung aus dem Jahr 1996 noch eine solche aus dem Jahr 1999
hinreichende Aktualität. Auch eine sonstige den Antragsteller betreffende aktuelle
Leistungseinschätzung ist nicht ersichtlich.
Liegen im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung – wie hier – keine vergleichbaren zeitnahen
Leistungseinschätzungen vor, besteht grundsätzlich die Verpflichtung, anlässlich des
Auswahlvorgangs die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Konkurrenten im
Hinblick auf die Beförderungsentscheidung zeitnah festzustellen. Eine solche Feststellung ist
vorliegend im Falle des Antragstellers (und im Übrigen auch der beiden weiteren in Betracht
kommenden Konkurrenten) nicht erfolgt. Der Antragsgegner hat in der Vorlage an den
Ministerrat wie auch in dem an die Frauenbeauftragte gerichteten Anhörungsschreiben
ausdrücklich dargelegt, dass lediglich der Beigeladene aktuell beurteilt sei, nicht jedoch die
neben ihm in Betracht kommenden Konkurrenten. Des Weiteren hat der Antragsgegner
ausgeführt, dass sich in diesem Falle eine Beurteilung auch erübrige, da die übrigen
Konkurrenten höchstens ebenfalls - ebenso wie der Beigeladene - mit der höchst möglichen
Gesamtnote und auch nach dem arithmetischen Mittel allenfalls gleich beurteilt werden
könnten. Dem ist zu entnehmen, dass der Auswahlentscheidung auch keine sonstige
aktuelle Leistungseinschätzung betreffend den Antragsteller zugrunde lag, der
Antragsgegner eine solche vielmehr aus den von ihm dargelegten Gründen als entbehrlich
erachtete.
Die vom Antragsgegner dargelegten Gründe rechtfertigen es jedoch nicht, im Falle des
Antragstellers davon abzusehen, ein aktuelles, mit der dienstlichen Beurteilung des
Beigeladenen vom 24.06.2008 vergleichbares Leistungsbild zu erstellen und dieses auch
zu dokumentieren. Auch wenn dem Beigeladenen in seiner aktuellen Beurteilung die
höchstmögliche Gesamtnote zuerkannt wurde und der Antragsgegner dabei ein
arithmetisches Mittel von 1,2 errechnete, kann daraus nicht ohne Weiteres geschlossen
werden, dass damit – wie in der Ministerratsvorlage ausgeführt – ein Eignungsvorsprung
eines anderen Bewerbers um das Beförderungsamt der Besoldungsgruppe B 5
ausgeschlossen sei. Abgesehen davon, dass sich im Falle des Beigeladenen bei gleicher
Gewichtung der in der dienstlichen Beurteilung vom 24.06.2008 bewerteten
Einzelmerkmale ein arithmetisches Mitteil von 1,36 errechnet, hat der Beigeladene
„lediglich“ in 18 Einzelmerkmalen die höchste, in 10 Einzelmerkmalen jedoch nur die
zweithöchste Bewertung erhalten. Von daher ist es durchaus denkbar, dass der
Antragsteller bei einer aktuellen Leistungsbewertung ein noch besseres Ergebnis als der
Beigeladene erzielen könnte. Wenn er auch kein besseres Gesamturteil erlangen kann, so
könnte er aber möglicherweise in einer größeren Anzahl von Einzelmerkmalen – unter
Umständen sogar in allen – die höchste Wertungsstufe erhalten und damit auch ein
besseres arithmetisches Mitteil erreichen. Selbst bei dem vom Antragsgegner
angenommenen arithmetischen Mitteil von 1,2 wäre es möglich, dass der Antragsteller
dieses noch übertrifft. Von daher ist die Aussage in der die Auswahlerwägungen
enthaltenden Ministerratsvorlage, wonach die übrigen Bewerber im Vergleich zum
Beigeladenen allenfalls gleich beurteilt werden könnten, unzutreffend.
Zwar ist bei einer am Grundsatz der Bestenauslese orientierten Auswahlentscheidung
vorrangig auf das Gesamturteil der aktuellen dienstlichen Beurteilung abzustellen und ist es
in Fällen, in denen die miteinander konkurrierenden Beamten in ihrer aktuellen dienstlichen
Beurteilung das gleiche Gesamturteil erhalten haben, auch nicht zwingend geboten,
differenzierend auf die Wertungen in den einzelnen Beurteilungsmerkmalen oder das
arithmetische Mittel abzustellen. Andererseits ist der Dienstherr aber durchaus berechtigt,
in derartigen Fällen eine Differenzierung anhand der Einzelmerkmale vorzunehmen, um so
eine leistungsorientierte Auswahl herbeizuführen.
Vgl. u. a. Beschlüsse der Kammer vom 10.06.2008 – 2 L
286/08 – und vom 28.11.2007 – 2 L 1225/07 – m. w. N.
Nach Auffassung des OVG Münster ist der Dienstherr zu einer inhaltlichen Ausschöpfung
dienstlicher Beurteilungen auch hinsichtlich der Einzelfeststellungen nicht nur berechtigt,
sondern sogar verpflichtet, eine solche zumindest ernsthaft in Betracht zu ziehen, d. h. bei
gleichlautenden Gesamturteilen der Frage nachzugehen, ob die Einzelfeststellungen in den
aktuellen dienstlichen Beurteilungen auf einen Eignungsvorsprung schließen lassen.
Beinhalteten die mit gleichem Gesamturteil abschließenden Beurteilungen in
Einzelfeststellungen Unterschiede, deren Berücksichtigung im Rahmen des
Qualifikationsvergleichs naheliege oder sich gar aufdränge, treffe den Dienstherrn
zumindest eine Begründungs- und Substantiierungspflicht, wenn er den Unterschieden
gleichwohl keine Bedeutung beimessen wolle.
Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 08.09.2004 – 6 B
1586/04 -, juris.
Inwieweit der Auffassung des OVG Münster zu folgen ist, kann vorliegend dahinstehen.
Jedenfalls erlaubt allein der Umstand, dass ein Beamter in der aktuellen dienstlichen
Beurteilung im Gesamturteil die höchste Wertungsstufe erhalten hat zumindest in Fällen
wie dem vorliegenden, in dem bei einem erheblichen Teil der Einzelfeststellungen lediglich
die zweihöchste Wertungsstufe erzielt wurde, noch nicht den Schluss, dass die
Konkurrenten allenfalls gleich geeignet sein können. Vielmehr hätte hier der für die
Beförderungsentscheidung zuständige Ministerrat eine an den Anforderungen des Artikel
33 Abs. 2 GG orientierte Auswahl nur anhand einer aktuellen Leistungseinschätzung auch
des Antragstellers treffen können, auf die der Antragsgegner jedoch verzichtete.
Von daher beruht die zu Gunsten des Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung auf
einer unzureichenden Grundlage und erweist sich somit in dieser Form nicht als tragfähig.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsgegner bei Durchführung eines
rechtsfehlerfreien Vergleichs dem Antragsteller den Vorrang einräumt, sind sowohl ein
Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund zu bejahen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Zu einem Kostenausspruch zu Gunsten des Beigeladenen besteht keine Veranlassung, da
dieser keinen Antrag gestellt und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs.
3, 162 Abs. 3 VwGO).
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 5 Satz 2 GKG auf die Hälfte des sich aus
der letztgenannten Vorschrift ergebenden Hauptsachewertes und damit auf 22.810,97
Euro festgesetzt.