Urteil des VG Saarlouis vom 03.08.2010

VG Saarlouis: irak, abschiebung, bewaffneter konflikt, ausländer, provinz, menschenrechte, flüchtlingseigenschaft, emrk, familie, lebensmittel

VG Saarlouis Urteil vom 3.8.2010, 2 K 716/09
Abschiebungsverbot in den Irak für Christen
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt
der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in der Höhe der aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen
Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, stellte am
09.03.2009 Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten erklärte er, auf dem Landweg über
die Türkei in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. In der Sache erklärte er, er
habe zwischen 1997 und 2000 für die PKK im Grenzgebiet zur Türkei gekämpft. Aus
gesundheitlichen Gründen – er habe Probleme mit den Augen bekommen -, habe er ab
dem Jahr 2000 nicht mehr kämpfen können. Die PKK habe ihm gesagt, solange er in
medizinischer Behandlung sei, werde er von den Kampfeinsätzen befreit. In einem
Krankenhaus in Dohuk habe er erfahren, dass seine Augenkrankheit im Alter immer
schlimmer werde. Nachdem er dies der PKK mitgeteilt habe, hätten diese ihm gesagt, er
könne trotzdem weiter für sie tätig sein. Kameraden würden Lebensmittel wie Zucker und
Reis bei ihm deponieren und andere Kameraden würden diese Lebensmittel dann wieder
abholen. Gezwungenermaßen habe er zugesagt, dabei mitzumachen. Regelmäßig seien
dann auch zwei Personen gekommen, die Lebensmittel deponiert hätten. Am 20.12.2005
hätten türkische Sicherheitskräfte eine der beiden Personen festgenommen, der andere
habe fliehen können. Er selbst habe dann Angst gehabt, der Festgenommene könne
Angaben über seine Tätigkeiten machen und habe sich entschlossen, mit seiner Familie
nach Mosul zu gehen, wo er bis Oktober 2008 geblieben sei. Dort hätten ihm Terroristen
Schwierigkeiten gemacht, weil er aus Kurdistan komme und man habe ihn aufgefordert,
dorthin zurückzugehen. Das habe er dann auch getan. Am 07.10.2008 seien zwei Leute
der PKK zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihm gesagt, dass er von der türkischen
Regierung gesucht werde und für die anderen PKK-Mitglieder eine Gefahr darstelle. Es sei
deshalb besser, wenn er bei der PKK bleibe, was er für drei Monate und drei Wochen auch
getan habe. Wegen seines schwierigen Gesundheitszustandes habe er nicht länger bleiben
können und aus Angst um sein Leben dann seine Heimat verlassen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 28.07.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf
Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7
AufenthG nicht vorliegen, und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung in den
Irak zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf. Zur Begründung ist ausgeführt,
die Berufung auf das Asylgrundrecht sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger aus
einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft komme nicht in Betracht, weil eine politisch
motivierte Verfolgung von Seiten des irakischen Staates wegen vorgetragen noch
ansonsten ersichtlich sei. Die von dem Kläger geltend gemachte Verfolgung von Seiten
Dritter sei nicht glaubhaft. Ein Interesse der türkischen Armee an der Person des Klägers,
der die PKK bereits im Jahr 2000 verlassen haben wolle, bestehe nicht. Die Ausreise aus
der Türkei und der mehrtägige Aufenthalt in Istanbul zeugten nicht davon, dass der Kläger
Verfolgung seitens des türkischen Staates befürchte. Auch ein Interesse der PKK an der
Person des Klägers sei nicht nachvollziehbar. Davon abgesehen könne sich der Kläger in
einen anderen Landesteil begeben, zumal er nach eigenem Bekunden ungefähr drei Jahre
ohne Schwierigkeiten in Mosul gelebt habe. Was die europarechtlichen
Abschiebungsverbote angehe, so sei festzuhalten, dass das Vorliegen eines
innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in der Provinz Dahuk, aus der der Kläger stamme,
zu verneinen sei. Dort sei das erforderliche Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit der
bewaffneten Auseinandersetzungen nicht erreicht. Auch ein nationales Abschiebungsverbot
sei nicht gegeben; der Kläger sei bei Rückkehr in den Irak einer extremen Gefährdungslage
nicht ausgesetzt. Zu den Personengruppen, die in besonderem Maße Opfer von gezielten
Angriffen seien, gehöre der Kläger nicht. Letztlich begründe auch die Versorgungssituation
im Irak keine extreme Gefahrenlage.
Gegen den ihm am 01.08.2009 zugestellten Bescheid richtet sich die am 14.08.2009 bei
Gericht eingegangene Klage.
Zur Begründung hat der Kläger zunächst geltend gemacht, aufgrund des wachsenden
Islamismus drohe nunmehr auch Sunniten und Schiiten eine Verfolgung, jeweils
wechselseitig verübt von den jeweils militanten Vertretern der anderen Religion. Die
Sicherheitslage verschlechtere sich kontinuierlich; weder die irakischen Sicherheitskräfte
noch die alliierten Truppen seien in der Lage, die Bevölkerung vor diesen Übergriffen zu
schützen. Diese Verfolgung drohe Rückkehrern nicht nur in Bagdad, sondern in allen
Landesteilen des Irak. Aus dieser Situation resultiere jedenfalls ein europarechtliches
Abschiebungsverbot für alle irakischen Flüchtlinge gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufentG
i.V.m. Artikel 15 Buchstabe c der Qualifikationsrichtlinie. Im Irak bestehe zweifellos ein
innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des Art. 15 Buchstabe c
Qualifikationsrichtlinie und damit eine ernste individuelle Bedrohung des Lebens oder der
Unversehrtheit der Betroffenen infolge willkürlicher Gewalt. Aufgrund der Augenerkrankung
des Klägers bestehe zudem ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach seinem Übertritt zum Christentum hat der Kläger zuletzt geltend gemacht, als Christ
im Irak einer Gruppenverfolgung ausgesetzt zu sein.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
28.07.2009 zu verpflichten, festzustellen, dass
Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG
vorliegen,
hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60
Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen,
weiterhin hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60
Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss der
Kammer vom 21.01.2010 zurückgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Asyl- und Ausländerakten. Er war ebenso wie die
in der Sitzungsniederschrift näher bezeichneten Teile der Dokumentation Irak Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte angesichts der unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO
ordnungsgemäß erfolgten Ladung der Beklagten trotz deren Ausbleibens verhandelt und
entschieden werden.
entschieden werden.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
nach § 60 Abs. 1 AufenthG noch ein Anspruch auf Feststellung eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu. Der angefochtene ablehnende
Bescheid der Beklagten vom 28.07.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach den Erkenntnissen des gerichtlichen Verfahrens kann der Kläger zunächst die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine
Verfolgung ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder
wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren,
sofern staatliche oder staatsähnliche Akteure einschließlich internationaler Organisationen
erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu
bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht
vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative. Für die
Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel
7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für
die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über
den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – so genannte Qualifikationsrichtlinie – ergänzend
anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
Nach Artikel 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten als Verfolgung in diesem Sinne Handlungen, die
a) aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine
schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen,
insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Abs. 2 der Europäischen
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK –
keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer
Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend sind, dass eine
Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise
betroffen ist.
Artikel 9 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10
genannten Verfolgungsgründen und den in Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen
bestehen muss.
Vgl. zu Vorstehendem auch BVerwG, Urteil vom
19.01.2009 – 10 C 52/07 – E 133, 55.
Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger insbesondere wegen seines Beitritts zum
christlichen Glauben die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1
AufenthG nicht verlangen.
Zwar mag es sein, dass der Kläger, der am 04.07.2010 als evangelischer Christ getauft
worden ist und dem die Pfarrerin seiner evangelischen Kirchengemeinde schriftlich
bescheinigt hat, sie sei von der Ernsthaftigkeit seines Wunsches, Christ zu werden,
überzeugt, eine innere Entscheidung für das Christentum getroffen hat und nicht nur aus
„asyltaktischen“ Gründen Christ geworden ist. Ferner spricht manches dafür, dass Christen
aktuell in den Regionen Zentral- und Südirak von einer Gruppenverfolgung wegen ihrer
religiösen Überzeugung betroffen sind. Das Auswärtige Amt führt hierzu in seinem Bericht
über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 11.04.2010, Seite
25 f. – in Dok. Irak aus, die Situation der Christen habe sich nach glaubhaften Berichten von
verschiedenen Menschenrechtsorganisationen, des UNHCR und kirchlicher Quellen seit
Ende der Diktatur im April 2003 gravierend verschlechtert. Von 1,2 Millionen Personen im
Jahr 2003 lebten nach Schätzungen heute nur noch etwa 300 000 Christen im Irak. Es
werde glaubhaft über Fälle von Zwangskonversion, Angriffen auf Priester,
Bombenanschläge auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffe auf von
Christen geführte Lebensmittelhandlungen berichtet. Hierzu listet das Auswärtige Amt eine
Vielzahl von Übergriffen in den Jahren 2008 bis 2009 auf. Auch in der Presse ist über die
Situation der Christen im Irak berichtet worden.
Vgl. Katholische Nachrichtenagentur vom 28.02.2010:
„Papst ruft Irak zum Schutz der Christen auf“; Nürnberger
Nachrichten vom 01.03.2010: „Christenverfolgung im Irak
am Pranger“.
Das VG Stuttgart – Urteil vom 10.11.2009 – A 9 K 1002/09 – hat entschieden, dass
Christen aus dem Zentralirak, insbesondere aus Bagdad, bei Rückkehr eine
Gruppenverfolgung durch radikal islamistische Gruppen droht, wovon offenbar auch das
Bundesamt der Beklagten Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Diese Einschätzung werde
auch in weiten Teilen der Rechtsprechung vertreten.
Der Kläger stammt hingegen weder aus dem Zentral- noch aus dem Südirak, sondern
vielmehr aus der Region Kurdistan-Irak. Das Auswärtige Amt führt insoweit in dem zitierten
Lagebericht vom 11.04.2010 aus, insgesamt seien Minderheiten in der Region Kurdistan-
Irak besser vor Gewalt und Verfolgung geschützt als in den übrigen Landesteilen. Die
Anfang Juli 2009 von dem kurdischen Regionalparlament verabschiedete Verfassung, die
noch durch ein Referendum bestätigt werden solle, sehe umfangreiche Rechte für religiöse
und ethnische Minderheiten in der Region vor. Christen litten in der Region Kurdistan-Irak
zwar unter einer prekären ökonomischen Situation, unterlägen aber keiner systematischen
staatlichen Diskriminierung. Die Regionalregierung bemühe sich um eine Verbesserung der
Lage der christlichen Binnenvertriebenen. Christen lebten zumeist in Miet- oder
Eigentumswohnungen in den christlichen Vierteln der Städte der kurdischen Region, sehr
selten nur in Lagern. Kardinal Emanuel Delly der III., der vom Papst Benedikt im November
2007 ernannt worden sei, und im Patriarchat in Bagdad isoliert lebe, habe das
Priesterseminar von Bagdad nach Arbil verlegt.
Dem entspricht es, dass der Kammer Presseberichte über Übergriffe auf Christen in der
Region Kurdistan-Irak nicht vorliegen.
Vor diesem Hintergrund besteht für den Kläger in der Region Kurdistan-Irak, die zugleich
seine Heimatregion ist, in der sowohl seine Familie als auch weitere Verwandte wohnen,
eine inländische Fluchtalternative.
Vgl. auch BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B
06.30884 – wonach eine Zuwanderung bzw. Rückkehr in
den kurdisch verwalteten Nordirak nach Überzeugung des
Gerichts dann zumutbar ist, wenn die Betreffenden von
dort stammen und ihre Großfamilie/Sippe dort ansässig
ist.
Eine Rückkehr in die Region Kurdistan-Irak und insbesondere in seine Heimatregion um die
Stadt Zakho ist dem Kläger auch im Übrigen zumutbar. Was die von ihm befürchteten
Übergriffe durch Angehörige des türkischen Geheimdienstes bzw. Mitglieder der PKK-
Rebellen angeht, vermag die Kammer gute Gründe für ein (fortbestehendes) Interesse
dieser Gruppierungen an der Person des Klägers angesichts der 10 Jahre zurückliegenden
und ersichtlich nicht herausgehobenen (angeblichen) Aktivitäten des Klägers für die PKK
nicht zu erkennen. Die informatorische Befragung des Klägers in der mündlichen
Verhandlung hat keine Erkenntnisse erbracht, die dafür sprächen, der Kläger müsse bei
Rückkehr mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Repressalien durch die
genannten nichtstaatlichen Dritten befürchten.
Der Kläger kann ferner nicht die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, festzustellen,
dass einer Abschiebung in den Irak ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz
2 AufenthG entgegensteht.
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07 –
juris, wonach die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3
und 7 Satz 2 AufenthG einen eigenständigen, vorrangig
vor den sonstigen herkunftslandbezogenen
ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten zu prüfenden
Streitgegenstand bilden.
Zunächst ist nichts dafür vorgetragen oder ansonsten ersichtlich, dass dem Kläger im Falle
seiner Abschiebung in den Irak die konkrete Gefahr der Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) oder
der Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) droht.
Ebenso wenig lässt sich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
feststellen. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen
individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder
innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Vorschrift setzt die sich aus
Art. 18 i.V.m. Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf
Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales
Recht um.
Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist
dabei unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht,
insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären
Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977
auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter
anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und
Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen
hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen
liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 c der
Qualifikationsrichtlinie nicht von vorneherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein
bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in
Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind.
Vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, a.a.O.
Der bewaffnete Konflikt muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken ;
vielmehr ist vorrangig auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger
typischerweise zurückkehren wird. Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der
Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem
regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer
stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion
ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 -10 C 9/08- juris;
Bay. VGH, Urteil vom 21.01.2010 -13a B 08.30304-,
juris.
Vor diesem Hintergrund teilt die Kammer die -von dem Kläger im Übrigen nicht
substantiiert bestrittene- Auffassung der Beklagten, dass die Provinz Dahuk, aus der der
Kläger stammt und in die er mangels gegenteiliger Anhaltspunkte typischerweise
zurückkehren wird, von einem bewaffneten Konflikt in dem vorbezeichneten Sinn nicht
betroffen war und ist.
Das Auswärtige Amt führt insoweit aus, in den unter autonomer kurdischer Verwaltung
stehenden Gebieten des Nordirak (Region Kurdistan-Irak) -hierzu gehört u. a. die Provinz
Dahuk- sei die Sicherheitslage deutlich besser als in Bagdad und dem Rest des Landes. In
den kurdisch kontrollierten Gebieten habe es im Jahr 2009 keinen öffentlich bekannt
gewordenen größeren Anschlag gegeben. Soweit das Amt eine Bombenexplosion erwähnt,
bei der am 10.03.2008 mindestens zwei Menschen vor einem internationalen Hotel in
Sulaimaniya getötet worden seien
vgl. Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Republik Irak vom 12.08.2009 und
11.04.2010, in Dok. Irak,
handelt es sich bei diesem Anschlag ersichtlich um einen Einzelfall. Ausweislich der von der
britischen regierungsunabhängigen Organisation Iraq Body Count chronologisch
aufgelisteten Anschläge und Attentate hat es in der Region seither keine weiteren Vorfälle
dieser Art gegeben (vgl. www.iraqbodycount.org/database/incidents ). Auch aus den der
Kammer sonst vorliegenden Erkenntnismitteln, insbesondere den aktuell ausgewerteten
Pressemitteilungen in dem Dokumentationsordner Irak/Presse finden sich keine Hinweise
auf Anschläge bzw. Attentate in der Provinz Dahuk.
Da damit eine individuelle Bedrohung des Klägers in seiner Herkunftsregion ausscheidet,
kann offenbleiben, ob andere Regionen des Irak von einem bewaffneten Konflikt betroffen
sind.
Im Weiteren kann der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung eines
Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
herleiten.
Dass er gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG nicht in den Irak abgeschoben werden darf, weil sich
seine Abschiebung in Anwendung der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl 1952 II S. 685) – EMRK – als
unzulässig erweist, ist nicht anzunehmen. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür
ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak landesweit mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 3 EMRK
zu erwarten hätte.
Letztlich steht der Abschiebung des Klägers in den Irak auch kein Abschiebungsverbot nach
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers
in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Eine erhebliche Gesundheitsgefahr droht dem Kläger zunächst nicht aufgrund seiner
Augenerkrankung. Mangels gegenteiliger Erkenntnisse in der mündlichen Verhandlung kann
insoweit auf den Beschluss der Kammer vom 21.01.2010 verwiesen werden.
Ist der Ausländer von einer allgemeinen Gefahrenlage betroffen und fehlt es – wie hier – an
einer Anordnung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die Abschiebung in das
Herkunftsland generell auszusetzen, vermag diese allgemeine Gefahrenlage – unbeschadet
der sonst geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG – nur dann ein
zwingendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen, wenn
es dem Ausländer mit Blick auf den verfassungsrechtlich unabdingbar gebotenen Schutz
insbesondere des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht zuzumuten wäre, in
sein Heimatland abgeschoben zu werden. Dies wäre bei dem Kläger der Fall, wenn er im
Irak einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner
Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausgeliefert sein würde.
Vgl. u. a. BVerwG, Urteile vom 17.10.1995 – 9 C 15.95 -,
BVerwGE 99, 331 und vom 08.12.1998 – 9 C 4.98 -,
NVwZ 1999, 666 m.w.N., jeweils zu dem zum
01.01.2005 außer Kraft getretenen § 53 Abs. 6 AuslG.
Dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak landesweit einer derart extremen
Gefährdungslage ausgesetzt sein könnte, ist schon im Hinblick auf die Ausführungen zur
Lage in seiner Herkunftsregion nicht feststellbar.
Im Übrigen entspricht es der gefestigten Rechtsprechung der saarländischen
Verwaltungsgerichte,
vgl. dazu grundlegend OVG des Saarlandes, Urteil vom
29.09.2006 – 3 R 6/06 - sowie Urteil der Kammer vom
04.07 2008 – 2 K 1708/07 – m.w.N.
dass irakische Staatsangehörige allein wegen der allgemein im Irak bestehenden Gefahren
aufgrund der unzureichenden Sicherheitslage die Feststellung eines Abschiebungsverbotes
gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen können. Denn ungeachtet der im
Irak bestehenden Gefährdung für die dort lebenden Menschen rechtfertigt die Anzahl der
durch Terrorakte sowie andauernde Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer in
Relation zu der Gesamtbevölkerungszahl des Irak nicht bereits die Annahme, jeder Iraker
werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit Gefahr laufen, Opfer
entsprechender Anschläge oder Kampfhandlungen zu werden. Daran, dass es an einer
extremen Gefährdungslage für in den Irak zurückkehrende Asylbewerber fehlt, ist auch und
gerade in Ansehung der rückläufigen Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle festzuhalten.
Nach dem Stand von 2007 lag die landesweite Anschlagsdichte ausgehend von einer
maximalen Opferzahl von etwa 100.000 Menschen bezogen auf die Gesamtbevölkerung
des Irak nur bei 0,37 % und blieben danach also 99,63 % der irakischen Zivilbevölkerung
vor terroristischen Anschlägen und sonstigen Übergriffen verschont.
Vgl. OVG B-Stadt, Urteil vom 29.09.2006, a.a.O. sowie
Beschlüsse vom 12.03.2007 -1 Q 111/06- und vom
12.12.2007 -3 Q 89/06-.
Waren schon im Jahr 2008 rückläufige Opferzahlen zu verzeichnen,
vgl. für das Jahr 2008, Urteil der Kammer vom
24.04.2009 -2 K 285/08-
so hat sich die Sicherheitslage bis zum Ende des Jahres 2009 weiter verbessert. Nach den
Daten der Organisation Iraq Body Count, a.a.O., war das Jahr 2009 im Ganzen mit 4.644
getöteten Zivilpersonen (2008: 9.217) das Jahr mit der niedrigsten Anzahl von Opfern seit
dem Einmarsch der Koalitionsstreitkräfte im Jahr 2003.
Vgl. so auch Bay. VGH vom 21.01.2010, a.a.O.
Eine Extremgefahr kann daher aus der derzeitigen Sicherheitslage im Irak nicht hergeleitet
werden.
Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die allgemeine Versorgungslage
im Irak, aus der gleichfalls keine extreme Gefährdungslage ableitbar ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.