Urteil des VG Potsdam vom 15.03.2017

VG Potsdam: fahrrad, psychologisches gutachten, gutachter, alkoholmissbrauch, bak, psychologische begutachtung, entziehung, blutalkoholkonzentration, wiederholungsgefahr, verordnung

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Gericht:
VG Potsdam 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 K 881/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 13 Nr 2c FeV, § 46 Abs 1 FeV,
Anl 4 Nr 8 FeV, § 69 StGB, § 69a
StGB
Trunkenheitsfahrt Fahrrad; Zweifel an Kraftfahrtauglichkeit;
Wiederholungsgefahr
Leitsatz
1. Die in einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad bei einer Blutalkoholkonzentration von
mindestens 1,6 Promille zum Ausdruck kommende Alkoholgewöhnung und -toleranz
begründet keinen eignungsausschließenden Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der
Anlage 4 zur FeV, sondern nach § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV lediglich Zweifel, ob der
Fahrerlaubnisinhaber künftig auch ein Kraftfahrzeug unter unzulässig hohem Alkoholeinfluss
führen wird.
2. Solange kein Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 vorgelegen hat, kann
nicht nach Nr. 8.2 der Anlage 4 verlangt werden, dass der Fahrerlaubnisinhaber sein
Trinkverhalten ändert.
3. Eine etwaige Wiederholungsgefahr für weitere Trunkenheitsfahrten mit einem Fahrrad ist für
den Begriff der Kraftfahreignung unerheblich.
4. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten, das nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem
Fahrrad lediglich eine Alkoholgewöhnung und eine fehlende Änderung des Trinkverhaltens
feststellt, ist nicht hinreichend zur Beurteilung der Kraftfahreignung. Es muss vielmehr
anhand des Trinkverhaltens des Fahrerlaubnisinhabers und der konkreten
Verkehrsvorgeschichte aufzeigen, weshalb davon auszugehen ist, dass sich künftig auch eine
Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug ereignen wird.
(Ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. Beschluss v. 8. Juli 2005 -NJW 2006, 2793 ff.;
entgegen 5. Senat des OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2007 -5 S 23.07-,
zitiert nach Juris. Die Sprungrevision wurde zugelassen.)
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 10. April 2007 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren
Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Sprungrevision und die Berufung werden zugelassen.
Tatbestand
Am 11. Februar 2005 führte der Kläger ein Fahrrad im Straßenverkehr bei einer
Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 2,09 Promille (BAK-Wert zum Zeitpunkt
der Blutentnahme). Die daraufhin vom Beklagten angeforderten beiden medizinisch-
psychologischen Gutachten amtlich anerkannter Begutachtungsstellen sprachen dem
Kläger die Fähigkeit ab, zwischen Alkoholkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen
hinreichend zu trennen, mit der Begründung, der Kläger habe sein Trinkverhalten in der
Folgezeit nicht stabil geändert. Mit Bescheid vom 13. Juli 2006 entzog der Beklagte
deshalb dem Kläger die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse C1E,
forderte ihn unter Fristsetzung zur Herausgabe des Führerscheins auf, ordnete die
sofortige Vollziehung dieser Maßnahmen an und drohte für den Fall der Nichtbeachtung
der Aufforderung ein Zwangsgeld an. Gleichzeitig setzte er eine Verwaltungsgebühr
nebst Auslagen in Höhe von 203,55 € fest.
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nebst Auslagen in Höhe von 203,55 € fest.
Durch Beschluss vom 21. August 2006 (10 L 497/06) setzte die erkennende Kammer die
Vollziehung aus mit der Begründung, der Kläger habe die Alkoholfahrt mit einem Fahrrad
begangen und deshalb noch keinen Missbrauch im Sinne von Nr. 8.1 der Anlage 4 zu
den §§ 11, 13 und 14 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) betrieben, infolge dessen von
ihm auch keine Änderung des Trinkverhaltens (Nr. 8.2 der Anlage 4) verlangt werden
könne. Auf die Beschwerde des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-
Brandenburg durch Beschluss vom 13. März 2007 (5 S 23.07) die Entscheidung der
Kammer abgeändert.
Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger am 11. Mai
2007 Klage erhoben.
Er beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 13. Juli 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. April 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihrer Anträge verweisen die Beteiligten auf die jeweils für sie günstige
der widerstreitenden Auffassungen in den angeführten Beschlüssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des
Widerspruchsbescheids ist insgesamt rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).
Die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt sich nicht aus § 3 Abs. 1 des
Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).
Nach diesen Bestimmungen ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der
Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat.
Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 der auf § 6 Abs. 1 StVG beruhenden Fahrerlaubnis-
Verordnung trifft dies namentlich zu, wenn bei dem Betroffenen Erkrankungen oder
Mängel nach Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegen. Das kann zum
maßgebenden Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung zu Lasten des Klägers nicht
festgestellt werden. Die Kammer hat insoweit bereits im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes (Beschluss vom 21. August 2006 -10 L 497/06-) zur Begründung
ausgeführt:
'Die Maßstäbe, anhand derer die Kraftfahreignung des Antragstellers zu
beurteilen ist, ergeben sich aus Nr. 8 der Anlage 4. Da der Antragsgegner bislang keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit des Antragstellers (vgl. Nr.
8.3 und 8.4 Anlage 4) sieht, stellt sich allein die Frage, ob ein die Kraftfahreignung
ausschließender Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 vorliegt. In
Nr. 8.1 der Anlage 4 ist "Missbrauch" ausdrücklich definiert. Er liegt vor,
"wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit
beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann."
Nach Nr. 8.2 der Anlage 4 ist die Kraftfahreignung nach Beendigung des
Missbrauchs wieder gegeben,
"wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist."
Der Verordnungsgeber hat damit in Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 unterschiedliche
Prüfungsmaßstäbe geregelt, deren Anwendung davon abhängt, ob ein "Missbrauch" im
rechtlich definierten Sinne bereits vorgelegen hat oder nicht.
Bei bereits aufgetretenem Missbrauch des Kraftfahrers ist gemäß Nr. 8.2 der
Anlage 4 in jedem Falle eine stabile Änderung seines Trinkverhaltens zu fordern. Wer
seinen Alkoholkonsum in der Vergangenheit nicht hinreichend von dem Führen eines
Kraftfahrzeuges trennen konnte, begründet eine erhebliche Wiederholungsgefahr auch
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Kraftfahrzeuges trennen konnte, begründet eine erhebliche Wiederholungsgefahr auch
für sein künftiges Verhalten. Diese Wiederholungsgefahr sieht der Verordnungsgeber
erst dann als hinreichend gemindert an, wenn die Hauptursache des Fehlverhaltens,
nämlich der Alkoholkonsum, sich dauerhaft geändert hat. Es stellt deshalb in dieser
Fallgruppe eine hinreichende Grundlage für die Eignungsbeurteilung dar, wenn eine
medizinisch-psychologische Begutachtung ergibt, dass sich das bislang gezeigte
Trinkverhalten nicht geändert hat oder die Änderung noch nicht als stabil angesehen
werden kann.
Hat der Kraftfahrer hingegen noch keinen Missbrauch begangen, kann ihm eine
Änderung des Trinkverhaltens nicht abverlangt werden; denn in einem solchen Fall ist Nr.
8.2 der Anlage 4 unanwendbar und seine Fähigkeit, zwischen Alkoholkonsum und dem
Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen, ausschließlich nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zu
beurteilen. Folglich kann ihm diese Fähigkeit nicht schon wegen der unveränderten
Beibehaltung des Konsumverhaltens abgesprochen werden. Da er bislang stets in der
Lage war, im Sinne der Nr. 8.1 "hinreichend sicher zu trennen", besteht kein
ordnungsrechtlicher Anlass, ihn künftig in seiner privaten Lebensführung zu
beschränken.
Das gilt auch dann, wenn das Konsumverhalten des Kraftfahrers eine besondere
Intensität erreicht. Selbst eine chronische Alkoholproblematik oder eine extrem hohe
Giftfestigkeit bzw. Alkoholtoleranz des Kraftfahrers stellen für sich gesehen nach dem
Willen des Verordnungsgebers keine die Kraftfahreignung ausschließenden Risiken für die
Verkehrssicherheit dar. Aus Nr. 8.3 der Anlage 4 ergibt sich unzweideutig, dass eine
Alkoholproblematik des Kraftfahrers erst dann ohne weiteres zum Ausschluss seiner
Kraftfahreignung führt, wenn die Schwelle zur Alkoholabhängigkeit überschritten ist. Nur
bei Alkoholabhängigkeit sieht der Verordnungsgeber den Steuerungsverlust des
Kraftfahrers als so schwer wiegend an, dass den schon allein damit verbundenen
Gefahren für den Straßenverkehr mit der Versagung bzw. der Entziehung der
Fahrerlaubnis begegnet werden muss. Damit nimmt der Verordnungsgeber die allein auf
einer Alkoholproblematik des (bislang nicht mit einem Kraftfahrzeug alkoholauffällig
gewordenen) Kraftfahrers unterhalb dieser Schwelle beruhenden Risiken für den
Straßenverkehr ausdrücklich hin. Es ist demnach unerheblich, wenn sich für Kraftfahrer,
die nicht alkoholabhängig, aber alkoholgewöhnt sind, wissenschaftlich belegen lässt,
dass bei ihnen aufgrund ihrer Alkoholproblematik eine "hohe Auffallenswahrscheinlichkeit
in Bezug auf das Führen von Kraftfahrzeugen" generell besteht. Behörden und Gerichte
sind an diese aus Nr. 8.3 der Anlage 4 zu folgernde rechtliche Maßgabe strikt gebunden.
Ihnen ist es deshalb verwehrt, das Fehlen der Kraftfahreignung schon dann
anzunehmen, wenn das angeforderte Gutachten - wie es in "Missbrauchsfällen" im Sinne
von Nr. 8.1 der Anlage 4 häufig der Fall ist - lediglich ein auf einer Alkoholproblematik des
Kraftfahrers beruhendes generelles Risiko für den Straßenverkehr prognostiziert.
§ 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV bestätigt diese Wertung. Dieser Vorschrift liegt die
schon vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung entwickelte Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 15. Juli 1988 -7 C 46.87-, NJW 1989 S. 116)
zugrunde, der zufolge neuere verkehrsmedizinische Untersuchungen es regelmäßig
rechtfertigten, aus dem Erreichen einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens
1,6 Promille auf eine "dauerhaft ausgeprägte Alkoholproblematik" des Kraftfahrers zu
schließen. Ist es allerdings noch zu keinem Fehlverhalten des Kraftfahrers im
Straßenverkehr gekommen, löst das Vorliegen einer Alkoholproblematik noch nicht
einmal klärungsbedürftige Eignungszweifel aus. Eine Aufforderung zur Beibringung eines
Gutachtens gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV, die sich ausschließlich auf eine
Alkoholgewöhnung des Kraftfahrers stützte, wäre rechtswidrig und müsste deshalb nicht
befolgt werden. Erst recht kann allein aus einer Alkoholgewöhnung auch nicht weiter
gehend auf eine fehlende Kraftfahreignung geschlossen werden.
Aus § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV ergibt sich allerdings auch, dass nicht nur
Trunkenheitsfahrten mit einem Kraftfahrzeug Eignungszweifel aufwerfen können, die
mittels einer Begutachtung aufzuklären sind, sondern auch Trunkenheitsfahrten mit
jedem anderen "Fahrzeug", also auch - wie im Fall des Antragstellers - mit einem
Fahrrad. Dennoch handelt es sich bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad noch
nicht um einen "Missbrauch" im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4, da diese Bestimmung -
wie gezeigt - voraussetzt, dass ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt wurde. Es
besteht lediglich Anlass, mittels medizinisch-psychologischer Fachkunde zu
untersuchen, ob sich das mit einem Fahrrad gezeigte Verhalten auch auf das Führen
von Kraftfahrzeugen auswirken kann. Dazu bedarf es einer eingehenden
Auseinandersetzung nicht nur mit den Alkoholkonsumgewohnheiten, sondern
insbesondere mit der konkreten Verkehrsvorgeschichte und der aus ihr abzuleitenden
charakterlichen Einstellung des Fahrerlaubnisinhabers. Es darf keinesfalls von vornherein
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charakterlichen Einstellung des Fahrerlaubnisinhabers. Es darf keinesfalls von vornherein
unterstellt werden, ein Fahrerlaubnisinhaber, der mit einem Fahrrad nicht das nötige
Verantwortungsbewusstsein gezeigt hat, werde stets bereit sein, die Verkehrssicherheit
auch ungleich stärker mit einem Kraftfahrzeug zu gefährden. Denn hinsichtlich der
Fähigkeit, den Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, kann in
einem solchen Fall dem Kraftfahrer - im Unterschied zu demjenigen, der bereits eine
Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug begangen und damit Alkoholmissbrauch im
Rechtssinne betrieben hat - noch kein Versagen vorgehalten werden (ständige
Rechtsprechung der Kammer, vgl. Beschluss vom 8. Juli 2005 -10 L 279/05-, NZV 2006
S. 331 <332>; ähnlich zu einem "Radfahrerfall" VG Bremen, Urteil vom 11. Dez. 1991 -5
A 462/90-, NZV 1992 S. 295 <296>). Soweit ein Gutachter für den Kraftfahrer
angesichts seiner Einstellungsdefizite eine "Rückfallgefahr" prognostiziert, kann sie nur
die künftige Verkehrsteilnahme mit einem Fahrrad betreffen. Für die Beurteilung der
Kraftfahreignung ist eine derartige Prognose dagegen unerheblich. Zwar kann eine
Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad Ausdruck eines Steuerungsverlustes sein, der sich
genauso gut auf eine Verkehrsteilnahme mit einem Kraftfahrzeug auszuwirken vermag.
Ob sich dies so verhält oder ob nicht vielmehr die Benutzung eines Fahrrads Bestandteil
einer Strategie des Kraftfahrers ist zu vermeiden, ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss
zu steuern, muss aber vom Gutachter im Rahmen der Begutachtung erst ermittelt
werden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das im Zuge einer neuerlichen
Untersuchung des Antragstellers erstellte Gutachten der PIMA GmbH vom 17. Mai 2006
("Versandtag"), auf das der Antragsgegner seine Entziehungsverfügung stützt,
unbrauchbar, um dem Antragsteller das Trennvermögen nach Maßgabe der Nr. 8.1 der
Anlage 4 abzusprechen. Obwohl der Antragsgegner, um diesbezügliche
Unzulänglichkeiten bei der Begutachtung von vornherein zu vermeiden, zutreffend die
Begutachtungsstelle ausdrücklich danach gefragt hatte, ob
vorlägen, die dafür sprächen, dass der Antragsteller seinen
Konsum nicht von der motorisierten Teilnahme am Straßenverkehr trennen könne,
missachteten die Gutachter die oben aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe schon mit
ihrem Ansatz, das Vorliegen von "Alkoholmissbrauch" sei insbesondere dann
anzunehmen, wenn es zu einem Verlust der Kontrolle des Alkoholkonsums gekommen
sei, wovon bei einer sehr hohen Blutalkoholkonzentration im Bereich von über 1,6
Promille regelmäßig auszugehen sei (S. 3).
Aus diesem Missbrauchsbegriff, der offenbar ausschließlich auf medizinischen
Erfahrungssätzen beruht, jedenfalls aber den hier einschlägigen rechtlich verbindlichen
Maßstäben widerspricht, leiten die Gutachter die rechtlich unhaltbare Forderung ab, die
Frage nach der Eignung des Antragstellers könne nur dann in einem für diesen
günstigen Sinn beantwortet werden, wenn dieser das Alkoholtrinkverhalten ausreichend
und stabil geändert habe (S. 3 f.).
Die Gutachter legen dieses bereits im grundlegenden Ansatz unzutreffende
Verständnis auch ihrer "Bewertung der Ergebnisse der psychologischen Exploration" (S.
13 ff.) zugrunde, indem sie aus der "enormen Alkoholisierung" des Antragstellers einen
"vorausgegangenen Alkoholmissbrauch" folgern (S. 13), der eine angemessene
Veränderung des Trinkverhaltens erfordere (S. 13 f.), die der Antragsteller für sich
indessen nicht habe glaubhaft machen können (S. 14 f.).
Das fehlerhafte Grundverständnis der Gutachter führt letztlich dazu, dass sie die
Nachweismöglichkeiten für die Frage, ob der Antragsteller zwischen Alkoholkonsum und
dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann, in rechtlich unzulässiger Weise auf
diejenigen Voraussetzungen einschränken, die der Verordnungsgeber nur bei bereits
geschehenem Missbrauch in Nr. 8.2 der Anlage 4 vorgesehen hat. Die nach Nr. 8.1 der
Anlage 4 für eine Prognose des Verhaltens bei künftiger Teilnahme am Straßenverkehr
mit einem Kraftfahrzeug maßgebenden charakterlichen Einstellungen des Antragstellers,
wie sie insbesondere vor dem Hintergrund der individuellen Verkehrsvorgeschichte
abzuleiten sind, wurden deshalb nicht hinterfragt und ausgewertet. Von wesentlicher
Bedeutung kann es in diesem Zusammenhang sein, ob der Kraftfahrer bei
Alkoholkonsum das Fahrrad bewusst benutzt, um einen Missbrauchsfall mit einem
Kraftfahrzeug zu vermeiden. Hierauf geht das Gutachten jedoch ebenso wenig ein wie
auf die Frage, ob die generellen Konsumgewohnheiten des Antragstellers dafür
sprechen, dass er - etwa infolge der Gefahr eines ableitbaren Restalkohols zu üblichen
Zeiten der Verkehrsteilnahme - künftig auch mit einem Kraftfahrzeug im Straßenverkehr
versagen wird.
Im Übrigen hätte es, um allein die Frage nach dem Vorliegen einer ausgeprägten
Alkoholproblematik beim Antragsteller zu beantworten, keiner Begutachtung bedurft.
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Alkoholproblematik beim Antragsteller zu beantworten, keiner Begutachtung bedurft.
Nach der besagten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf bereits auf das
Vorliegen einer solchen Problematik geschlossen werden, wenn der Kraftfahrer mit einer
BAK von mehr als 1,6 Promille ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Dem
gemäß ist die - bereits feststehende - Alkoholproblematik Voraussetzung für eine
Begutachtung (vgl. § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV) und kann folglich nicht deren Ergebnis
sein.
In dem bereits zuvor erstellten, am 26. Oktober 2005 versandten Gutachten der
DEKRA, das der Antragsgegner selbst - wie sein Schreiben an den Antragsteller vom 24.
Januar 2006 ausweist - offenbar für unzureichend hielt, wird das Trennvermögen des
Antragstellers mit einer dem Gutachten der PIMA vergleichbaren, ebenfalls rechtlich
unhaltbaren Begründung verneint. Insbesondere verlangen auch die Gutachter der
DEKRA von dem Antragsteller - nach dem Gesagten schon im Ausgangspunkt rechtlich
unzutreffend - eine Änderung des Trinkverhaltens. Obwohl nach der Vorstellung des
Antragsgegners das Gutachten der PIMA eine "Nachbesserung" jenes Gutachtens sein
soll, fördert es keine darüber hinaus gehenden rechtlich erheblichen Erkenntnisse
bezogen auf das Trennvermögen des Antragstellers zutage.
Am ehesten noch hätte sich aus den Einlassungen des Antragstellers, die er
anlässlich der früheren Begutachtung durch die DEKRA zu seinem Trinkverhalten bis zum
Zeitpunkt der Rauschfahrt machte, auf den Ausschluss der Kraftfahreignung schließen
lassen. Einem Kraftfahrer kann nämlich das erforderliche Trennvermögen auch mit der
Begründung abgesprochen werden, er habe mangels wahrheitsgemäßer Angaben nicht
hinreichend daran mitgewirkt, die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellen zu
können. Zu seinen Lasten kann insbesondere ein Aufklärungsdefizit gehen, wenn infolge
mangelnder Mitwirkung im Begutachtungsverfahren unaufklärbar bleibt, ob und ggf.
welche Vermeidungsstrategien der Betroffene entwickelt hat, um bei alltäglichen
Trinksituationen auf das Führen von Kraftfahrzeugen zu verzichten. Eine solche
Beweiswürdigung entspricht dem Grundgedanken des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, wonach
auf die Ungeeignetheit des Kraftfahrers geschlossen werden darf, wenn dieser die
Mitwirkung an der Eignungsüberprüfung überhaupt verweigert, indem er das
angeforderte Gutachten (insgesamt) nicht beibringt (vgl. Beschluss der Kammer, a. a.
O., S. 333). Zwar sprechen die offenkundig unrealistischen Angaben des Antragstellers
zu den Trinkmengen dafür, dass er sein früheres Trinkverhalten nicht offen legen wollte,
so dass die Gutachter der DEKRA nicht in den Stand versetzt wurden, sein
Trennvermögen zu beurteilen. Etwaige Ungereimtheiten der Einlassungen des
Antragstellers bei der früheren Begutachtung, die Anlass hätten sein können, dem
Antragsteller das erforderliche Trennvermögen abzusprechen, sind aber nunmehr als
überholt anzusehen, da das aktuelle Gutachten der PIMA dem Antragsteller bescheinigt,
dass die von diesem geschilderten Trinkmengen und -häufigkeiten bis zum Delikt
ansatzweise erklären würden, dass eine Giftfestigkeit entwickelt worden sei, wie sie durch
die aktenkundige BAK dokumentiert sei ... "(S. 14).
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass auch die noch im Rahmen der
neuerlichen Untersuchung vom Antragsteller gemachten Angaben zu seinem
Konsumverhalten nach der Rauschtat erhebliche Zweifel an ihrer Glaubhaftigkeit
aufwerfen. Offenbar handelt es sich um "taktische" Einlassungen des Antragstellers, die
dem Umstand geschuldet sind, dass die Gutachter den Antragsteller zu Beginn der
Untersuchung fehlerhaft und irreführend darauf hinwiesen, die Ermittlung von
Einstellungs- und Verhaltensänderungen sowie deren Stabilität sei der wesentliche Sinn
und Inhalt des Explorationsgesprächs (S. 9). Die Zweifelhaftigkeit der diesbezüglichen
Angaben des Antragstellers ist jedoch unerheblich, weil diese allein für die Frage einer
Verhaltensänderung von Bedeutung sind, auf die es hier aber nicht ankommt.'
Auch mit Blick auf die im Beschluss des 5. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 13.
März 2007 enthaltenen Ausführungen hält die Kammer an dieser Einschätzung, der ihre
ständige Spruchpraxis zugrunde liegt (vgl. bereits den o. a. Beschluss vom 8. Juli 2005,
veröffentlicht auch in NJW 2006 S. 2793 ff.), fest. Insbesondere lässt sich nach
Auffassung der Kammer mit dem Wortlaut der Nr. 8.2 der Anlage 4 und ihrer Stellung im
System der §§ 11 ff. FeV nicht das vom Oberverwaltungsgericht im entscheidenden
Ansatzpunkt zugrunde gelegte Verständnis vereinbaren, auch für Fahrerlaubnisinhaber,
die bislang lediglich durch das Führen eines Fahrrads Zweifel an ihrer Eignung gemäß §
13 Nr. 2 Buchst. c) FeV ausgelöst haben, sei stets zu verlangen, dass sie ihr
Trinkverhalten ändern, um ihre Kraftfahreignung annehmen zu können. Zur
Argumentation des 5. Senats im Einzelnen:
Aus Sicht der Kammer nicht nachvollziehbar ist bereits die einleitende Bemerkung (S. 3
Mitte des Beschlussabdrucks), nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV erweise sich als ungeeignet,
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Mitte des Beschlussabdrucks), nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV erweise sich als ungeeignet,
wer – wie der Kläger – im Zustand starker Alkoholisierung mit einem Fahrrad am
Straßenverkehr teilnehme und damit erheblich gegen Strafvorschriften verstoße (§ 316
des Strafgesetzbuchs [StGB]). Dabei bleibt unberücksichtigt, dass nach der vom
Verordnungsgeber gewollten Systematik keinesfalls aus einer Trunkenheitsfahrt im
Sinne von § 316 StGB regelmäßig von der Ungeeignetheit des Betroffenen auszugehen
ist. Aus § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV ergibt sich vielmehr, dass eine Trunkenheitsfahrt bei
einer BAK von mindestens 1,6 Promille zunächst lediglich Zweifel an der
Kraftfahreignung auslöst, die die Anordnung eines Gutachtens rechtfertigen. Eine
derartige Trunkenheitsfahrt erfüllt fast ausnahmslos zugleich die objektiven
Tatbestandsvoraussetzungen des § 316 StGB. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs kann das allenfalls für eine Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad bei
einer BAK zwischen 1,6 und 1,7 Promille fraglich sein (vgl. insoweit zu den für die
Annahme der absoluten Fahrunsicherheit maßgebenden Grenzen: Sternberg-Lieben, in:
Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage 2006 Rdnr. 8 ff. <12>). Würde man schon aus
dem Vorliegen einer Straftat nach § 316 StGB ohne Weiteres auf das Fehlen der
Kraftfahreignung schließen können, bedürfte es fast ausnahmslos keiner Begutachtung
mehr, obwohl § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV eine solche bei Trunkenheitsfahrten bei einer
BAK von mindestens 1,6 Promille als Regelfall vorsieht. Dass einschlägige Verstöße
zunächst lediglich Eignungszweifel, die einer Klärung durch eine Begutachtung bedürfen,
aufwerfen, entspricht im Übrigen einem vom Verordnungsgeber gewollten
durchgängigen Prinzip, wie die entsprechenden Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung
zu anderen Mängeln belegen (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV).
Dies folgt den schon nach früherem Recht zu § 4 Abs. 1 StVG a. F. und § 15 b Abs. 1
Satz 2 StVZO a. F. anerkannten Grundsätzen, wonach stets zu ermitteln ist, ob eine
einschlägige Rückfallgefahr besteht (vgl. z. B. BVerwG, Beschl. v. 15. Sept. 1993 -11 B
14/93-, zitiert nach Juris). Der Vorhalt des 5. Senats, unabhängig von Nr. 8.1 und 8.2 der
Anlage 4 zur FeV sei zu beachten, dass schon ein erheblicher Verstoß gegen eine
Strafvorschrift die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise, lässt mit dem
ausschließlich am Wortlaut des § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV orientierten Verständnis außer
acht, dass es sich vorliegend um Gefahrenabwehrrecht handelt, dessen Zweck nicht
darin besteht, vergangenes Verhalten zu sanktionieren, sondern gegenwärtig noch
andauernde Gefahren für die Verkehrssicherheit zu bekämpfen. Ob die in einer Straftat
gezeigten Gefahrengesichtspunkte fortbestehen, kann allein aus der Tatsache einer
Verurteilung nicht abgelesen werden, sondern bedarf weitergehender Aufklärung.
Der 5. Senat meint sodann, nach Ansicht der Kammer könne "Missbrauch als
Eignungsmangel" "erst und nur dann" vorgehalten werden, wenn in alkoholisiertem
Zustand ein Kraftfahrzeug geführt wurde. Diese Ansicht der Kammer sei schon mit Blick
auf die Erläuterungen in Kapitel 3.11.1 der Begutachtungs-Leitlinien zweifelhaft, zumal es
der Sache nach keinen "essentiellen Unterschied" mache, ob der Betreffende sein
fehlendes Trennvermögen anlässlich einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug oder einer
Fahrradfahrt unter Beweis gestellt habe (S. 3 unten/S. 4 oben).
Damit missversteht der 5. Senat den Standpunkt der Kammer. Die Kammer hat der
Missbrauchsdefinition in Nr. 8.1 der Anlage 4 nicht entnommen,
fahreignungsausschließender Alkoholmissbrauch setze stets voraus, dass sich bereits
eine Trunkenheitsfahrt mit einem Kfz ereignet habe. In Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum früheren Fahrerlaubnisrecht (vgl.
BVerwG, Urt. v. 27. Sept. 1995 -11 C 34/94-, BVerwGE 99, 249), wie sie nunmehr in § 13
FeV Eingang gefunden hat, bieten nach Ansicht der Kammer vielmehr auch
Trunkenheitsfahrten mit anderen Fahrzeugen wie etwa Fahrrädern hinreichende
Anknüpfungstatsachen für fahreignungsausschließenden Alkoholmissbrauch. Sämtliche
in § 13 FeV beschriebenen Anknüpfungstatsachen werfen die Frage nach der
Kraftfahreignung jedoch lediglich auf, beantworten sie aber noch nicht abschließend,
denn es ist im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zu untersuchen, ob der nach dem Sinn des
Gefahrenabwehrrechts notwendige Schluss gezogen werden kann, der
Fahrerlaubnisinhaber werde künftig - wiederholt oder möglicherweise auch erstmals -
eine Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug begehen. Ob ein Fahrrad oder ein Kfz
unter Alkoholeinfluss bereits geführt wurde, wirkt sich nur darauf aus, welche
weitergehenden Erkenntnisse über die Anknüpfungstatsache hinaus noch getroffen
werden müssen, d. h., ob sich das Gutachten auf die von Nr. 8.2 der Anlage 4
geforderten Voraussetzungen beschränken darf oder nicht.
Dem gegenüber versteht der 5. Senat das systematische Verhältnis zwischen § 13 FeV
zu Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 offenbar in anderer Weise. Er hält die Auslegung der
Kammer "jedenfalls unter Verkehrssicherheitsaspekten für nicht vertretbar und aus
Rechtsgründen auch nicht haltbar" (S. 4, 1. Abs. a. E.). Inwiefern
Verkehrssicherheitsaspekte jenseits von "Rechtsgründen" als Maßstab gerichtlicher
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Verkehrssicherheitsaspekte jenseits von "Rechtsgründen" als Maßstab gerichtlicher
Urteilsfindung berücksichtigt werden dürfen, wird nicht ausgeführt und erschließt sich der
Kammer auch sonst nicht. Zur Begründung seiner "Rechtsgründe" verweist der 5. Senat
darauf, dass der Unterschied zwischen einem Fehlverhalten mit einem Kraftfahrzeug und
einem solchen mit dem Fahrrad darin bestehe, dass bei einem Verstoß mit einem
Kraftfahrzeug die Nichteignung bereits feststehe. Wie bereits gezeigt, begründet auch
ein Verstoß mit einem Kraftfahrzeug aber zunächst nur Zweifel an der Eignung, denen
mittels einer Begutachtung nachzugehen ist. Eine erstmalige Trunkenheitsfahrt mit einer
BAK unter 1,6 Promille würde im Umkehrschluss zu § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV noch nicht
einmal solche klärungsbedürftigen Zweifel aufwerfen. Der 5. Senat lässt in diesem
Zusammenhang außer acht, dass bei einer nachgewiesenen Alkoholfahrt mit einem
Kraftfahrzeug allenfalls feststeht, dass der Fahrerlaubnisinhaber Missbrauch in der
Vergangenheit betrieben hat. Die zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu
treffende Prognose, inwieweit er dies auch in der Zukunft - erneut - tun wird, kann erst
aufgrund eines anzufordernden Gutachtens angestellt werden. Eine solche Einschätzung
ist - wie gezeigt - angesichts des Charakters der Fahrerlaubnisentziehung als Maßnahme
der Gefahrenabwehr erforderlich.
Beim Fahrradfahrer seien - so der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts weiter -
genauso wie beim Führer eines Kraftfahrzeugs, bei dem der Missbrauch bereits erwiesen
sei, bei "aufgedecktem Alkoholmissbrauch" die "gleichen Konsequenzen" zu ziehen, die
darin bestünden, unterschiedslos nach Nr. 8.2 der Anlage 4 eine stabile Änderung des
Trinkverhaltens fordern zu müssen. Damit wird aber ganz im Sinne der Kammer
anerkannt, dass der Gutachter den Missbrauch des Radfahrers zunächst einmal
"aufzudecken" hat, bevor er sich der Frage eines gewandelten Trinkverhaltens zuwenden
kann. Was der Senat insoweit als aufdeckungswürdigen Missbrauch verstanden wissen
will, wird allerdings nicht ausdrücklich erläutert. Aus den nachfolgenden Ausführungen
des 5. Senats ergibt sich jedoch, dass dieser sich ohne nähere Begründung und
vorbehaltlos den in den Gutachten zugrunde gelegten Missbrauchsbegriff zu eigen
macht (S. 5). Die Gutachten gehen indessen nicht von der rechtlichen Vorgabe in Nr. 8.1
der Anlage 4 aus, sondern legen den - unabhängig hiervon - im medizinischen Sinne
definierten Missbrauchsbegriff zugrunde, der den Missbrauch von Alkohol mit
somatischen, psychischen oder sozialen Folgeschäden als einen Unterfall der
Alkoholkrankheit meint (vgl. Stichwort "Alkoholkrankheit" in: Pschyrembel, Klinisches
Wörterbuch, 258. Aufl. 1998). Diese naturwissenschaftliche Bedeutung deckt sich aber
nicht mit dem rechtlich verbindlichen Missbrauchsbegriff in 8.1 der Anlage 4 und kann
deshalb auch kein zulässiger Maßstab der rechtlichen Prüfung durch die
Verwaltungsgerichte sein (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes [GG]).
Die Auffassung des 5. Senats des Oberverwaltungsgerichts, dass übermäßiger
Alkoholkonsum unterhalb der Schwelle zur Abhängigkeit (Nr. 8.3 der Anlage 4)
regelmäßig einen fahreignungsausschließenden Missbrauch begründet und ohne
Änderung dieses Trinkverhaltens zum Verlust der Fahrerlaubnis führt, hat letztlich zur
Konsequenz, dass es für die Prüfung der Kraftfahreignung entscheidungserheblich
überhaupt keiner Verkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss bedürfte, denn schon wegen
der aus medizinischer Sicht anzunehmenden generellen Risiken dürfte ein
Fahrerlaubnisinhaber nie alkoholgewöhnt sein. Das Führen eines Fahrrades erlangt
weder nach den gutachterlichen Ausführungen noch denen des 5. Senats eine über die
Trinkgewöhnung hinaus gehende eigenständige Bedeutung zum "Aufzeigen" eines
Alkoholmissbrauchs. Der Verordnungsgeber wollte aber nicht bereits an das "private"
Trinkverhalten eine solche Rechtsfolge knüpfen (so auch zutreffend OVG Rhld.-Pf., Urt. v.
5. Juni 2007 -10 A 10062/07-, zitiert nach Juris).
Auch die von dem 5. Senat herangezogenen Begutachtungsleitlinien nebst
Erläuterungen lassen weder den von ihm vertretenen medizinisch geprägten
Missbrauchsbegriff noch seine These nachvollziehen, es bestehe kein "essentieller
Unterschied" zwischen Trunkenheitsfahrten mit Kfz oder mit Fahrrädern. Unabhängig
davon, dass die Leitlinien, die eine Zusammenfassung des anerkannten einschlägigen
naturwissenschaftlichen Sachverstands darstellen, naturgemäß nicht die rechtlichen
Vorgaben des Verordnungsgebers, an die auch die Gerichte gebunden sind (Art. 20 Abs.
3 GG), abzuändern vermögen, definieren die Begutachtungs-Leitlinien zum "Missbrauch"
(Kap. 3.11.1. Abs. 2):
"Missbrauch liegt vor, wenn ein Bewerber oder Inhaber einer Fahrerlaubnis das
Führen eines Kraftfahrzeugs und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden
Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, ohne bereits abhängig zu sein."
und knüpfen damit wortwörtlich an die Formulierung in Nr. 8.1 der Anlage 4 an. In der
weiteren Darstellung zu Kapitel 3.11.1 wird, weil dieses allein von der Fähigkeit zum
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weiteren Darstellung zu Kapitel 3.11.1 wird, weil dieses allein von der Fähigkeit zum
Führen von fahrzeugen handelt, eine Verkehrsteilnahme mit einem Fahrrad
überhaupt nicht erwähnt. Dem gemäß wird in den Begutachtungs-Leitlinien auch nicht
die These vertreten, es mache für die Begutachtung keinen Unterschied aus, ob der
Fahrerlaubnisinhaber die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug oder mit einem
Fahrrad begangen hat. Vielmehr wird in der Kommentierung von Prof. Stephan u. a. zu
Kap. 3.11.1 zwischen dem Auffälligwerden durch das Führen eines Kraftfahrzeugs (dort
Abschnitt 2.2) und der Trunkenheitsfahrt mit nicht motorisierten Fahrzeugen (dort
Abschnitt 2.3) ausdrücklich unterschieden (vgl. Schubert u. a. [Hrg.], Begutachtungs-
Leitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 139 ff.) und in diesem
Zusammenhang ausgeführt, dass die Beurteilung des Trennvermögens bei
alkoholauffälligen Radfahrern nach abweichenden Maßstäben zu erfolgen habe.
Letztlich folgt schon aus dem Begriff der Kraftfahreignung selbst, dass eine
Alkoholgewöhnung unterhalb der Schwelle der Abhängigkeit sogar in Verbindung mit der
Gefahr weiterer Trunkenheitsfahrten mit einem Fahrrad nicht ausreicht, um eine
Entziehung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen (anders aber OVG Bremen, Beschl. v. 28.
April 2005 -1 B 94/06-, BeckRS 2006, 24305; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v.
1. Febr. 2006 -1 M 124/05-, NZV 2007, 53). Da die Fahrerlaubnis nicht zum Führen von
Fahrrädern vonnöten ist, ist die Entziehung einer Fahrerlaubnis von vornherein ein
ungeeignetes Mittel, um weitere Trunkenheitsfahrten mit einem Fahrrad zu verhindern.
Der Verordnungsgeber hält hierfür in § 3 Abs. 1 FeV ein selbständiges Verbot des
Führens von Fahrzeugen bereit. Wer als Fahrerlaubnisinhaber also beispielsweise seine
überdurchschnittlichen Trinkgewohnheiten dadurch von dem Führen eines
Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss trennt, dass er bewusst regelmäßig ein Fahrrad
benutzt, stellt in seiner Eigenschaft als Kraftfahrer keine Gefahr für den Straßenverkehr
dar, selbst wenn er mit diesem Verhalten mehrfach Straftatbestände erfüllen sollte. Eine
dennoch ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis verstieße mangels Eignung
gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Entscheidend für die
Frage, ob eine Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad oder einem Kfz einen "essentiellen
Unterschied" für die Kraftfahreignung begründet oder nicht, kann demnach nur die hinter
der jeweiligen Tat stehende innere Einstellung des Fahrerlaubnisinhabers sein. Nur wenn
nach dieser individuell gutachterlich zu ermittelnden Einstellung davon ausgegangen
werden kann, dass der Betroffene gleichermaßen ein Fahrzeug oder ein Kfz unter
Alkoholeinfluss benutzen würde, liegt ein Mangel auch hinsichtlich der Kraftfahreignung
vor, der nur durch eine stabile Änderung des Trinkverhaltens behoben werden kann. Der
Gesetz- und Verordnungsgeber hat nach allem nicht nur versehentlich in § 13 FeV und
Nr. 8 der Anlage 4 zwischen dem Benutzen eines Fahrzeugs oder eines Kfz
unterschieden. Dasselbe gilt im Bereich des Strafrechts in den §§ 69 und 69 a StGB.
Zwar handelt es sich im Fahrerlaubnis- und im Strafrecht um jeweils eigenständige
Verfahren, die unabhängig voneinander durchzuführen sind (vgl. insoweit zum früheren
Fahrerlaubnisrecht BverwG, Beschl. v. 24. Jan. 1989 -7 B 9/89-, NJW 1989, 1623), jedoch
ist beiden Rechtsmaterien zu entnehmen, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht
ohne weiteres identische Folgerungen ohne Unterscheidung der benutzten Fahrzeugart
ziehen wollte.
Welche Aussage schließlich § 13 Nr. 2 Buchst. e) FeV nach Ansicht des 5. Senats für den
Missbrauchsbegriff oder für die Voraussetzungen zur Beendigung eines Missbrauchs zu
entnehmen sein soll, ist nach Auffassung der Kammer weder "auf der Hand liegend"
noch "unschwer" der Vorschrift selbst zu entnehmen, denn dort wird vergangener
Missbrauch vorausgesetzt und lediglich die Möglichkeit einer Begutachtung eröffnet, um
zu prüfen, ob der Missbrauch fortbesteht. Die mit diesen Begriffen verbundenen
Maßstäbe sind dort hingegen nicht geregelt.
Erfüllt also weder ein allgemeines Trinkverhalten unterhalb der Abhängigkeitsschwelle
noch eine Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad den allein maßgebenden
Missbrauchsbegriff der Nr. 8.1 der Anlage 4 und hat sich noch keine Trunkenheitsfahrt
mit einem Kraftfahrzeug ereignet, so vermag ein medizinisch-psychologisches
Gutachten solchen Missbrauch nur "aufzudecken", wenn es jeweils auf der Grundlage
einer umfassenden individuellen Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers
anhand der konkreten Verkehrsvorgeschichte und der maßgebenden
Lebensgewohnheiten nachvollziehbar aufzeigt, weshalb und mit welcher
Wahrscheinlichkeit gegenwärtig und zukünftig damit zu rechnen ist, dass der Kraftfahrer
auch ein Kraftfahrzeug unter unerlaubt hohem Alkoholeinfluss führen wird. Dafür ist die
Feststellung nicht hinreichend, dass sich das Trinkverhalten seit der Trunkenheitsfahrt
mit einem Fahrrad nicht verändert hat. Ebenso genügen keine Ausführungen über
generelle Steuerungsrisiken bei überhöhtem Alkoholkonsum. Da die über den Kläger
eingeholten Gutachten die erforderlichen weiter gehenden Auswertungen der
Persönlichkeit des Klägers nicht enthalten, sind sie keine tragfähige Grundlage für die
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Persönlichkeit des Klägers nicht enthalten, sind sie keine tragfähige Grundlage für die
Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Einholung eines weiteren Gutachtens durch das
Gericht scheitert am maßgebenden Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
Es ist im nachhinein nicht mehr aufklärbar, welche innere Einstellung der Kläger zur Zeit
des Erlasses des Widerspruchsbescheides hatte.
Ist nach alledem die Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, können auch das
Verlangen nach Herausgabe des Führerscheins, die hierauf bezogene
Zwangsmittelandrohung sowie die Gebührenfestsetzung keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz wird gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil die grundsätzliche
bundesrechtliche Frage zu klären ist, inwiefern mit der Definition der Nr. 8.2 der Anlage 4
die Auffassung vereinbar ist, auch Fahrerlaubnisinhabern, die bislang lediglich durch das
Führen eines Fahrrads Zweifel an ihrer Eignung gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. c) FeV
ausgelöst haben, sei wegen der darin zum Ausdruck kommenden Alkoholgewöhnung
stets ihre Kraftfahreignung abzusprechen, solange keine gefestigte Änderung ihres
Trinkverhaltens vorliegt. Da die Kammer in dieser Frage zugleich von der tragenden
Begründung im genannten Beschluss des ihm übergeordneten Oberverwaltungsgerichts
abweicht, ist auch die Berufung zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.703,55 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes
(GKG). Die Kammer hat die hiernach maßgebende Bedeutung des Verfahrens für den
Kläger in Anlehnung an die der Vereinheitlichung dienenden Empfehlungen des
Streitwertkatalogs 2004 (NVwZ 2004 S. 1327 ff.) hinsichtlich der Klasse C1E (vormals
Klasse 3) insgesamt mit dem Eineinhalbfachen des Auffangwerts des § 52 Abs. 2 GKG
(1,5 x 5.000 EUR) bemessen (vgl. Nrn. 46.5 und 46.8 des Katalogs). Hinzuzurechnen war
ein Betrag in Höhe der festgesetzten Gebühr einschließlich Auslagen.
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