Urteil des VG Neustadt vom 12.08.2010

VG Neustadt: nicht naheliegen, gaststätte, öffentlich, lokal, unterhaltung, gewerbe, schwellenwert, nutzungsänderung, vollstreckung, unterbringung

VG
Neustadt/Wstr.
12.08.2010
4 K 272/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 12.08.2010 - 4 K 272/10.NW
Baurecht
Verkündet am:
12. August 2010
gez. …
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn …
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Redeker, Sellner, Dahs & Widmaier, Mozartstraße 10, 04107
Leipzig,
gegen
die Stadt Speyer, vertreten durch den Oberbürgermeister, Maximilianstraße 100, 67346 Speyer,
- Beklagte -
wegen Baugenehmigung
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 12. August 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Bender
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Koch
ehrenamtlicher Richter Werkzeugmacher Lahmers
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. April 2009 und des Widerspruchsbescheids
vom 12. Februar 2010 verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung für die Umnutzung des
Lokals in der … in … in eine Sportsbar mit Wettannahme und Getränkeausschank entsprechend der am 5.
Januar 2009 eingereichten Planung zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung zur Einrichtung einer
Sportsbar mit Wettvermittlung und Getränkeausschank.
Der Kläger ist Pächter eines bisher als Laden genehmigten Geschäftslokals im Anwesen … in …. Das
Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Die
Umgebungsbebauung im dortigen Innenstadtbereich ist im Wesentlichen von zweigeschossiger
geschlossener Bauweise geprägt, wobei jeweils im Erdgeschoss gewerbliche Nutzung und im
Obergeschoss Wohnnutzung stattfindet. Der Kläger, der als Buchmachergehilfe eines zum Betrieb einer
Pferdewettvermittlung in diesem Geschäftslokal lizensierten Wettanbieters zugelassen ist, betreibt dort
eine Sport- und Pferdewettvermittlung. Eine Lizenz zur Vermittlung von Sportwetten besitzt er nicht. Die
Sportwettvermittlung wurde ihm vollziehbar von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier
untersagt.
Im Geschäftslokal befindet sich im hinteren Teil die Wettannahme mit Totalisator, auf dem die Wettquoten
ersichtlich sind. Daneben stehen Getränkeautomaten zur Selbstbedienung der Gäste. Im Lokal sind drei
Tische mit insgesamt 15 bis 20 Sitzplätzen vorgehalten. An den Wänden sind mehrere TV-Geräte zur
Verfolgung von Sportereignissen angebracht. Nachdem die Beklagte im Frühjahr 2006 von dem
Geschäftsbetrieb Kenntnis erlangt hatte, forderte sie den Kläger auf, hierfür eine baurechtliche
Nutzungsänderungsgenehmigung zu beantragen.
Einen solchen Bauantrag stellte der Kläger schließlich im November 2008. Da die Beklagte gegen die
ursprüngliche Planung eines Lokals mit einer Gesamtnutzfläche von über 150 m² einwendete, es handele
sich um eine im dortigen faktischen Mischgebiet unzulässige kerngebietstypische Vergnügungsstätte,
reichte er am 5. Januar 2009 einen geänderten Plan ein, wonach das Ladenlokal durch Abtrennung eines
„toten Raums“ auf eine Gesamtnutzfläche von 94 m² reduziert wurde.
Diesen Bauantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 2009 ab, da das Wettbüro der Eigenart
eines Mischgebiets widerspreche.
Hiergegen legte der Kläger am 28. April 2009 Widerspruch ein, den der Stadtrechtsausschuss der
Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2010 zurückwies. Zur Begründung wird im
Wesentlichen ausgeführt, dass das Wettlokal zwar als nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätte im
Mischgebiet grundsätzlich zulässig sei, hier jedoch im Hinblick auf zahlreiche weitere Vergnügungsstätten
in der Umgebung das Gebot der Rücksichtnahme wegen eines zu befürchtenden Trading-Down-Effekts
verletze.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 18. Februar 2010 hat der Kläger am 18. März 2010
Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
Er trägt zur Begründung vor:
Die Wettannahmestelle nehme in seiner Gaststätte nur eine ganz geringfügige Teilfläche ein. Daher
handele es sich schon nicht um eine Vergnügungsstätte, sondern um einen normalen Gaststättenbetrieb,
an den eine unbedeutende Wettannahmestelle angeschlossen sei. Im Übrigen seien Wettbüros keine
Vergnügungsstätten. Einrichtungen zur Wettannahme hätten keinen Unterhaltungswert. Bei seinem
Gaststättenlokal stünde das Unterhaltungsangebot für die Kundschaft nicht im Vordergrund. Selbst wenn
man aber davon ausginge, dass es sich hier um eine Vergnügungsstätte handele, sei diese aufgrund der
geringen Dimensionierung nicht kerngebietstypisch und daher auch im Mischgebiet zulässig. Sein Betrieb
verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Ein Umkippen des Gebietscharakters in ein
Vergnügungsviertel sei nicht zu erwarten, da in der Nähe nur ein inzwischen amtlich geschlossenes
Wettbüro und ein Internetcafé, in dem eine inzwischen nicht mehr betriebene geringfügige Spielstätte
genehmigt sei, anzutreffen seien. Die weiteren von der Beklagten herangezogenen beiden Spielhallen
lägen weit entfernt. Für einen Trading-Down-Effekt durch sein hochwertig ausgestattetes Geschäftslokal
gebe es damit keine objektiven Anhaltspunkte, zumal er den Betrieb schon seit sechs Jahren führe, ohne
dass dies negative Auswirkungen auf die Umgebung gehabt habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1. April 2009 und des Widerspruchbescheids vom 12.
Februar 2010 zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt hierzu unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheids vor:
Bei der vorgesehenen Nutzung handele es sich um eine Vergnügungsstätte und keine Gaststätte. Das
gaststättentypische Getränkeangebot sei nur als Beiwerk des Wettbüros zu verstehen. Der Betrieb sei so
ausgestattet, dass sein besonderer Reiz darin liege, Wetten auf verschiedene Sportereignisse zu
platzieren und sich in geselliger Umgebung mit anderen Sportwettinteressierten anhand der laufenden
Sportübertragungen über die Chancen und Risiken des Wettspiels und der Sportereignisse
auszutauschen. Hierin liege der Unterhaltungswert der kommerziell angebotenen Leistung, der für eine
Vergnügungsstätte typisch sei. Im Übrigen sei diese Wettannahme schon wegen ihrer Lage ein zentraler
Dienstleistungsbetrieb, der eigentlich dem Kerngebiet vorbehalten sei. Schließlich verstoße die
Einrichtung einer solchen Gaststätte mit Wettannahmestelle wegen des zu befürchtenden Trading-Down-
Effekts gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Nach einer Studie zur Vorbereitung einer geplanten
Ausweisung eines Stadtumbaugebietes im dortigen Innenstadtbereich sei derzeit schon eine solche
städtebauliche Fehlentwicklung infolge einer Verdrängung kleinerer Gewerbebetriebe durch Spielhallen,
Wettbüros und Telefonläden eingetreten, die durch die Ansiedlung des Wettlokals des Klägers weiter
verfestigt würde.
Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die
Verwaltungs- und Widerspruchsakten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, sowie
die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Die Ablehnung der beantragten Baugenehmigung für die Umnutzung eines Ladenlokals in eine Sportsbar
mit Wettvermittlung und Getränkeausschank ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der Kläger hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Baugenehmigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
Grundlage für diesen Anspruch ist § 70 Abs. 1 LBauO. Danach ist eine Baugenehmigung zu erteilen,
wenn dem Bauvorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften
entgegenstehen. Die Nutzungsänderung in eine Sportsbar mit Wettvermittlung und Getränkeausschank
verstößt nicht gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften; insbesondere ist sie
bauplanungsrechtlich zulässig.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich zunächst nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6
BauNVO. Das Bauvorhaben liegt nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, sondern
im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Die erkennende Kammer geht insoweit in
Übereinstimmung mit den Parteien davon aus, dass sich die nähere Umgebung der
streitgegenständlichen Sportsbar im Wesentlichen auf den Straßenzug der … zwischen den beiden
Einmündungen der … und der … erstreckt. Diese nähere Umgebung ist gleichermaßen von Wohn- wie
gewerblicher Nutzung geprägt. Die Bebauung entspricht daher einem faktischen Mischgebiet, so dass
sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB und § 6 BauNVO beurteilt.
Des Weiteren teilt die erkennende Kammer auch die Auffassung des Stadtrechtsausschusses, dass die
Nutzung als Sportsbar mit Wettannahme nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO im allgemeinen Mischgebiet
zulässig ist. Danach sind nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten in den Teilen eines Mischgebiets,
die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind, allgemein zulässig. In der vorbeschriebenen
näheren Umgebung des Bauvorhabens in der … ist die Umgebungsbebauung vor allem durch die jeweils
gewerbliche Nutzung in den Erdgeschossen der dort befindlichen Anwesen geprägt. Demgegenüber tritt
die in den Obergeschossen anzutreffende Wohnnutzung deutlich zurück. Dementsprechend gehen auch
die Parteien im Grunde unstreitig davon aus, dass hier ein überwiegend gewerblich geprägter Teil des
Mischgebiets vorliegt.
Das Wettlokal des Klägers ist auch entgegen seiner Auffassung eine Vergnügungsstätte und keine bloße
Gaststätte. Eine Vergnügungsstätte ist ein auf kommerzielle Unterhaltung ausgerichteter besonderer
Gewerbebetrieb, der in unterschiedlicher Ausprägung unter Ansprache oder Ausnutzung des
Geselligkeitsbedürfnisses, des Spiel- oder Sexualtriebes einer bestimmten auf Gewinnerzielung
gerichteten Freizeitunterhaltung gewidmet ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. März 2007 – 8 A
10066/07.OVG – ESOVGRP). Vergnügungsbetriebe unterscheiden sich von Gaststätten, in denen
Getränke aller Art allein oder zusammen mit Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle an die Gäste
verabreicht werden. Werden in einem Gewerbebetrieb sowohl kommerzielle Unterhaltung als auch die
vorgenannten gaststättentypischen Leistungen angeboten, so richtet sich die planungsrechtliche
Qualifizierung danach, welches Leistungsangebot letztlich den Schwerpunkt des Betriebes ausmacht,
mithin welche Leistungen für das gewerbliche Angebot des Betriebes prägend sind (vgl. Urteil der
Kammer vom 30. November 2006 – 4 K 1100/06.NW – ESOVGRP).
Davon ausgehend ergibt sich auch bei einer gebotenen differenzierenden Betrachtung (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 10 B 1600/05.OVG-), dass prägend für das
Leistungsangebot der klägerischen Sportsbar eben die kommerzielle Unterhaltung der Gäste durch die
Teilnahme am Wettspiel in geselliger Runde ist. Dabei steht im Vordergrund, die Gäste durch ein
Getränkeangebot, die Aufstellung von Sitzplätzen in ansprechender Atmosphäre und die Einrichtung von
mehreren Fernsehschirmen, auf denen Sportereignisse verfolgt werden, zu motivieren, im Wettlokal zu
verbleiben, gemeinsam die Spannung des Wettspiels zu erleben und dadurch auch angereizt zu werden,
weiter an den angebotenen Wettspielen teilzunehmen. Damit liegt aber auch dem Wettspiel selbst eine
dem Glücksspiel vergleichbare Unterhaltungsmotivation der Gäste zugrunde. Die Gestaltung dieses
Wettspielangebotes erzielt ihren besonderen kommerziellen Wert nämlich gerade darin, die Gäste hier mit
dem Wettgeschehen so zu unterhalten, dass sie weiter vor Ort bleiben und auf das Wettangebot im Lokal
des Klägers zugreifen. Mithin wird auch eine vom Kläger vorgenommene, auf die bloße Abgabe von
Wettscheinen reduzierte Betrachtung des Wettbetriebs der tatsächlichen Konzeption seines
Gewerbebetriebs nicht gerecht.
Dass hier zudem nicht die Erbringung von Gaststättenleistungen im Vordergrund steht, folgt auch
unschwer daraus, dass das gaststättentypische Angebot sich allein auf eine Verabreichung von
Getränken aus einem Automaten, den die Gäste im Wege der Selbstbedienung nutzen, beschränkt. Das
Gaststättenangebot ist damit eindeutig auf ein Mindestmaß reduziert und erfüllt daher eine rein
unterstützende Funktion, das Wettgeschehen reizvoller zu gestalten und damit die Gäste zu mehr
Wettteilnahmen anzuhalten.
Diese in der Sportsbar des Klägers betriebene Vergnügungsstätte ist jedoch schon wegen ihrer geringen
Dimensionierung nicht kerngebietstypisch i.S.v. § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Kerngebietstypisch sind solche
Vergnügungsstätten, die nach ihrer Zweckbestimmung oder ihrem Umfang nur in einem Kerngebiet
allgemein zulässig sind. Ein Kerngebiet nach § 7 Abs. 1 BauNVO wird dadurch geprägt, dass es der
Unterbringung von Handelsbetrieben und zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der
Kultur dient. Kerngebiete erfüllen eine zentrale Versorgungsfunktion mit entsprechend vielfältigen,
urbanen Angeboten an Gütern und Dienstleistungen. Sie sind vorwiegend in Städten anzutreffen, die
einen größeren Einzugsbereich versorgen können (OVG Rheinland-Pfalz a. a. O.).
Davon ausgehend ist der Betrieb des Klägers nicht schon wegen seiner zentralen innerstädtischen Lage
bereits als zentraler Dienstleistungsbetrieb anzusehen. Es gibt nämlich keinerlei Hinweise dafür, dass
sich der Gewerbebetrieb an ein Kundenpublikum aus einem überörtlichen Einzugsbereich richtet. Hierfür
fehlt es schon an einem ausreichenden Platzangebot im Lokal des Klägers, das gerade einmal über
maximal 20 Sitze verfügt. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass der Gewerbebetrieb des Klägers
überörtlich beworben wird. Schließlich sind auch keine ausreichenden Parkplätze vorhanden, um die
Erreichbarkeit des Wettlokals für ein vorwiegend motorisiertes Kundenpublikum aus einem überörtlichen
Bereich attraktiv zu gestalten. Demgemäß erscheint es der erkennenden Kammer als sachgerecht, die für
die Abgrenzung einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte bei Spielhallen als Schwellenwert von der
Rechtsprechung entwickelten Nutzfläche von 100 qm (BVerwG, NVwZ-RR 1993, 65) auch in Bezug auf
ein solches Wettlokal, das eine ähnliche Vergnügungsstätte darstellt, anzuwenden, zumal andere
Anhaltspunkt für eine Charakterisierung als zentrale Dienstleistungsstätte hier nicht erkennbar sind. Nach
der reduzierten hier streitgegenständlichen Planung erreicht die Sportsbar des Klägers mit einer
Nutzfläche von 94 qm diesen Schwellenwert nicht.
Ist damit dieser Vergnügungsbetrieb des Klägers im faktischen Mischgebiet nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO
allgemein zulässig, so erweist er sich auch nicht nach § 15 Abs. 1 BauNVO als rücksichtslos. Nach § 15
Abs. 1 Satz 1 BauNVO kann eine nach § 6 BauNVO allgemein zulässige Nutzung im Einzelfall unzulässig
sein, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Mischgebiets
widerspricht. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist ein Nutzung im Einzelfall auch dann unzulässig, wenn
von ihr Belästigungen oder Störungen für die Umgebung ausgehen, die nicht zumutbar sind. Dass vom
Gewerbebetrieb des Klägers irgendwelche Störungen, insbesondere Lärmimmissionen auf die
benachbarte Wohnbebauung ausgehen, ist weder von der Beklagten vorgetragen worden noch für die
Kammer ersichtlich, nachdem der Betrieb des Klägers schon seit Jahren läuft, ohne dass es insoweit zu
Beschwerden aus der Nachbarschaft gekommen ist.
Soweit die Beklagte die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO
allein darauf stützt, dass im Hinblick auf die bereits dort befindlichen Vergnügungsstätten ein Trading-
Down-Effekt für das Mischgebiet zu befürchten sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Ein Trading-Down-Effekt
ist dann zu befürchten, wenn durch eine konzentrierte Ansiedlung von Vergnügungsbetrieben in einem
Baugebiet dessen Attraktivität für andere Gewerbebetriebe einerseits gemindert, andererseits aber auch
ein Verdrängungsprozess zum Nachteil des herkömmlichen Gewerbes letztlich dadurch eingeleitet wird,
dass Vergnügungsbetriebe aufgrund ihrer vergleichsweise höheren Ertragsmöglichkeit bei geringerem
Investitionsaufwand in der Lage sind, höhere Pachten zu zahlen und so die Immobilienpreise in einer
Weise steigen, so dass eine Betriebsansiedlung anderer Gewerbe auf Dauer nicht lohnend ist (vgl.
BayVGH, Beschluss 13. Februar 2008 - 15 ZB 07.2200 - juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Mai
2005 - 8 C 10053/05.OVG - ESOVGRP).
Hier ist nicht zu erkennen, dass mit der Zulassung des klägerischen Betriebs die Zahl der
Vergnügungsstätten in der näheren Umgebung bereits ein solches Maß erreicht, dass eine schleichende
Entwicklung zu einem Vergnügungsviertel zu erwarten ist. In der näheren Umgebung des klägerischen
Betriebs befinden sich nämlich nach Überzeugung der Kammer nicht so viele Vergnügungsstätten, dass
ein Verdrängungsprozess im Sinne eines Trading-Down-Effekts zulasten der herkömmlichen Gewerbe zu
befürchten ist. Die im Verwaltungsverfahren wiederholt genannten Spielbetriebe in der … befinden sich
bereits über 400 m nördlich vom klägerischen Betrieb entfernt. Angesichts dieser vergleichsweise großen
Entfernung in dem eng bebauten Innenstadtbereich kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese
beiden Spielbetriebe mit dem klägerischen Betrieb eine prägende Wechselwirkung auf den vorliegenden
Innenstadtbereich entwickeln können. Dies wurde im Klageverfahren dann auch von der Beklagten nicht
mehr ernsthaft behauptet.
Die in dem Internetcafé im Anwesen … zugelassene Spielstätte ist zwar eine Vergnügungsstätte. Sie ist
aber so geringflächig im hinteren Teil des Gewerbebetriebs angesiedelt, dass von ihr keine auf die
Umgebung prägende Wirkung auszugehen vermag. Das zugelassene Spielangebot hält sich in so engen
Grenzen, dass die Vergnügungsstätte als solche von der Straßenseite her kaum erkennbar ist. Mithin kann
es auch dahingestellt bleiben, ob derzeit ein Spielbetrieb noch stattfindet. Der Betrieb in der … ist
ursprünglich als Mischbetrieb von Spielhalle mit Wettannahmestelle konzipiert gewesen. Die
Wettannahmestelle ist inzwischen aus ordnungsrechtlichen Gründen mangels entsprechender
Glücksspielzulassung amtlich geschlossen worden. Verblieben ist lediglich die nicht kerngebietstypische
Spielhalle.
Selbst wenn man mit der Beklagten nur den ca. 100 m langen Straßenzug der … zwischen den
Einmündungen der … und der … allein in den Blick nimmt, vermag die Kammer eine zu befürchtende
Gebietsabwertung durch die Ansiedlung des Wettlokals des Klägers nicht zu erkennen. Die Sportsbar hat
ein vergleichsweise geringes Störpotenzial und lässt hier auch im Zusammenwirken mit dem im Hinblick
auf Öffnungszeiten, Besucherpublikum und Werbeauftritt typischerweise störanfälligeren
Spielhallenbetrieb in der Nachbarschaft ein solchermaßen dominantes Erscheinungsbild des
Vergnügungsgewerbes, das eine weitere Ansiedlung sonstiger Gewerbebetriebe unattraktiv erscheinen
lässt, nicht erwarten. Es fällt schon schwer, solch eine städtebauliche Fehlentwicklung bereits bei der
Ansiedlung lediglich eines zweiten, allgemein im Mischgebiet zulässigen Vergnügungsbetriebs zu
prognostizieren, zumal Wechselwirkungen zwischen dem Besucherpublikum beider Betriebe nach der
Schließung des Wettbüros in der … nicht naheliegen und das klägerische Wettlokal auch keine ihn von
allgemein hier zulässigen Vergnügungsstätten unterscheidende Betriebsbesonderheiten aufweist.
Nachdem aber beide Betriebe schon seit Jahren dort geführt werden, ist die erkennende Kammer bei der
Prognose, wie sich die klägerische Betriebsansiedlung künftig auswirken wird, auch nicht allein auf
Erfahrungswerte hinsichtlich einer Mischgebietsentwicklung bei einer Zunahme von ertragsstarken und
weniger kostenintensiven Vergnügungsstätten angewiesen. Vielmehr kann hier schon die konkret
eingetretene Entwicklung nach der Betriebsansiedlung vor nunmehr sechs Jahren zugrundegelegt
werden. Danach sind aber nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Aufgabe von herkömmlichen
Gewerbebetrieben und die Neuansiedlung weiterer Vergnügungsstätten im von der Beklagten in den
Blick gerückten Nahbereich der klägerischen Sportsbar nicht erkennbar. Insbesondere befindet sich im
Anwesen …, in dem der klägerische Betrieb angesiedelt ist, in unmittelbarer Nachbarschaft und mit
gleichem Zugang von der Straße ein Friseurgeschäft, das offensichtlich vom Betrieb des Klägers völlig
unbeeinträchtigt geblieben ist. Wenn die Befürchtungen der Beklagten hinsichtlich der behaupteten
städtebaulichen Folgen des klägerischen Wettlokals zuträfen, dann wäre aber doch naheliegend, dass ein
solcher Verdrängungsprozess im gesamten engeren Nahbereich bereits eingetreten ist. Hierfür ist aber
nichts ersichtlich.
Nachvollziehbare Anhaltspunkte hat die Beklagte insoweit auch nicht genannt. Sie ergeben sich
insbesondere auch nicht aus dem von ihr vorgelegten Konzept, das in eine Stadtumbauplanung münden
soll. Vielmehr legt der Vortrag der Beklagten zu den Zielen dieser Stadtumbauplanung eher den Schluss
nahe, dass die Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme wohl eine bisher noch nicht konkretisierte
Planung schützen soll. Das Rücksichtnahmegebot dient aber weder der Planungssicherung noch ist es
dazu bestimmt, eine durchaus mögliche Bebauungsplanung, mit der Vergnügungsstätten im Baugebiet
ausgeschlossen werden können, zu ersetzen.
Gegen die Belastbarkeit der von der Beklagten erhobenen Befürchtungen hinsichtlich eines Trading-
Down-Effekts spricht schließlich aber auch, dass sie selbst seit Jahren nicht gegen den ungenehmigten
klägerischen Betrieb mittels einer durchaus naheliegenden Nutzungsuntersagung vorgegangen ist. Dies
lässt sich kaum nachvollziehen, wenn tatsächlich eine städtebauliche Fehlentwicklung durch das
Wettlokal des Klägers zu befürchten wäre.
Erweist sich damit das klägerische Vorhaben nicht als rücksichtslos, so ist es bauplanungsrechtlich
zulässig. Anhaltspunkte für sonstige Verstöße gegen Bauordnungsrecht oder andere öffentlich-rechtliche
Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, sind nicht ersichtlich. Mithin ist dem
Kläger die beantragte Baugenehmigung entsprechend der Planung, die am 5. Januar 2009 eingereicht
wurde, zu erteilen.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung …
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird nach §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG auf 20.000,-- € festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Butzinger
gez. Kintz
gez. Bender