Urteil des VG Neustadt vom 16.03.2011

VG Neustadt: therapie, abklärung, fürsorgepflicht, wahrscheinlichkeit, adäquate kausalität, ärztlicher behandlungsvertrag, leistungsfähigkeit, befund, schmerzensgeld, gesundheitszustand

VG
Neustadt/Wstr.
16.03.2011
1 K 1335/09.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 16.03.2011 - 1 K 1335/09.NW
Beamtenrecht
Verkündet am: 16.03.2011
gez. …
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verkündet am:
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn R.,
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter: dbb beamtenbund und tarifunion,, Dienstleistungszentrum Südwest,
Kaiserring 14-16, 68161 Mannheim,
gegen
die Stadt Ludwigshafen am Rhein, vertreten durch die Oberbürgermeisterin - Rechtsamt -, Rathausplatz
20, 67059 Ludwigshafen,
- Beklagte -
wegen Schadensersatzes
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 16. März 2011, an der teilgenommen haben
Präsidentin des Verwaltungsgerichts Faber-Kleinknecht
Richterin am Verwaltungsgericht Jahn-Riehl
Richter am Verwaltungsgericht Scheurer
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Hannah
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Weißenmayer
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz des materiellen und immateriellen
Schadens verpflichtet ist, welcher ihm durch die unterlassene Mitteilung eines vorhandenen
Linksschenkelblocks und dessen weiterer Abklärung an seiner Gesundheit entstanden sein soll.
Der am 21. Juli 1970 geborene Kläger ist Brandmeister. Die Beklagte stellte ihn im Juni 1995 in den
Feuerwehrdienst ein, nachdem er zuvor auf seine Dienstfähigkeit untersucht worden war. Dabei wurde ein
Linksschenkelblock des Herzens im EKG festgestellt, den die untersuchende Ärztin jedoch als die
körperliche Leistungsfähigkeit eines Feuerwehrmanns nicht einschränkend ansah. Der Kläger wurde vom
festgestellten Linksschenkelblock nicht in Kenntnis gesetzt. Auch nach der
Feuerwehrtauglichkeitsuntersuchung „G26“ am 29. Juli 2004 veranlasste der betriebsärztliche Dienst
weder eine gesundheitliche Abklärung noch informierte er den Kläger über den Linksschenkelblock.
Im Jahr 2006 litt der Kläger an Luftnot. Eine Untersuchung zur Dienstfähigkeit am 12. September 2007
ergab, dass er aufgrund einer schweren Herzerkrankung feuerwehrdienstunfähig ist, woraufhin er ins
Straßenverkehrsamt der Beklagten versetzt wurde.
Mit Antrag, eingegangen am 17. Januar 2008, beantragte der Kläger Schadensersatz wegen der
Verletzung der Fürsorgepflicht, da die Erkrankung des Herzens aufgehalten oder vermindert hätte werden
können, wenn er vom Befund des Linksschenkelblocks und dessen zutreffender Beurteilung unterrichtet
worden wäre. In diesem Fall hätte er sich schon damals einer weiteren kardiologischen Untersuchung
unterzogen, was zumindest zu einer Verringerung des krankheitsbedingten Schadens geführt hätte.
Die Beklagte hörte hierzu die Betriebsärztin des ärztlichen Dienstes an, die in ihrer Stellungnahme vom 6.
Februar 2008 ausführte, dass der Linksschenkelblock bei der Einstellungsuntersuchung und den
folgenden Untersuchungen bekannt gewesen sei. Des Weiteren erläuterte sie das Vorgehen im Umgang
mit dem Einstellungsbefund, der nach ihrer Auffassung keinen Krankheitswert gehabt habe.
Die Beklagte holte ein Gutachten der Universitätsmedizin Mannheim, Prof. Dr. Süselbeck, vom 13. März
2009 ein, der davon ausging, der Linksschenkelblock sei zwischen 2002 und 2004 entstanden. Er führte
aus: Ein Linksschenkelblock sei nur ein unspezifisches Symptom, der Anlass gegeben habe, die Ursache
weiter abzuklären.
Die Beklagte lehnte am 6. Mai 2009 den Antrag des Klägers auf Schadensersatz ab, weil eine Verletzung
der Fürsorgepflicht durch das Gutachten nicht nachgewiesen sei.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2009
zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 5. November 2009 zugestellt.
Der Kläger hat am 7. Dezember 2009, einem Montag, Klage erhoben.
Er trägt vor: Bei den Untersuchungen seiner Feuerwehrdiensttauglichkeit habe der ärztlichen Dienst
festgestellt, dass er einen kompletten Linksschenkelblock aufweise. Hierüber sei er nicht informiert
worden. Ausweislich der Gutachten sei ein solcher Linksschenkelblock ein unspezifisches Zeichen,
welchem eine pathologische kardiale Veränderung zugrunde liegen könne, aber nicht müsse. Bei der
Entdeckung des Linksschenkelblocks hätte eine kardiologische Abklärung erfolgen müssen, da eine gute
körperliche Leistungsfähigkeit Voraussetzung für die Arbeit eines Feuerwehrmanns sei. Der
Informationspflicht sei nicht nachgekommen worden, was der Beklagten zuzurechnen sei. Tatsächlich
habe sich hinter diesem unspezifischen Zeichen eine dilatative Kardiomyopathie verborgen. Als Ursache
hierfür komme eine idiopathische Kardiomyopathie (genetisch bedingte Erweiterung und
Funktionseinschränkung des Herzmuskels ohne direkte Ursache) oder eine Herzschwäche als Folge
einer durchgemachten Herzmuskelentzündung (Myokarditis) in Frage. Eine Unterscheidung zwischen
diesen beiden Ursachen sei aufgrund der aktuellen Befunde nicht möglich. Die Auswirkungen der
dilatativen Kardiomyopathie habe er, der Kläger, erstmals 2006 bei der aufgetretenen Luftnot verspürt.
Zwar sei durch deren Behandlung eine Besserung im alltäglichen Leben eingetreten, seine
Leistungsfähigkeit sei aber weiterhin bei größeren Anstrengungen gegenüber früher deutlich vermindert.
Er ermüde schneller und habe an Lebensqualität verloren. Das sei vermeidbar gewesen. Im Fall einer
akuten Myokarditis hätte eine konsequente körperliche Schonung ohne medikamentöse Therapie eine
Ausheilung der Erkrankung mit dem Erhalt der normalen Leistungsfähigkeit ermöglicht. Im Fall einer
chronischen Myokarditis hätte zwar auch bei optimaler Therapie kein Erhalt der Herzfunktion erreicht
werden können, aber bei einer solchen chronischen oder bei einer dilatativen Kardiomyopathie nach
chronischer Herzmuskelentzündung hätte eine frühzeitig begonnene medikamentöse Therapie zu einer
signifikanten Steigerung der Lebenserwartung geführt. Deshalb sei festzuhalten, dass unabhängig von
der Genese bei rechtzeitiger Behandlung entweder eine Ausheilung der Erkrankung oder eine
signifikante Steigerung der Lebenserwartung hätte erzielt werden können. Der erkannte
Linksschenkelblock hätte ihm durch die Beklagte mitgeteilt werden müssen, damit frühzeitig eine
entsprechende Abklärung und Therapie hätte begonnen werden können. Dazu sei die Beklagte aufgrund
ihrer Fürsorgepflicht im gegenseitigen Treueverhältnis verpflichtet gewesen, da sie ihn, den Kläger, vor
Schaden zu bewahren habe. Damit nehme auch die Feuerwehrtauglichkeitsuntersuchung am
Pflichtenkreis des Dienstherrn teil. Diese Fürsorgepflicht sei verletzt worden, was zur Folge gehabt habe,
dass er, der Kläger, keine eigenen Maßnahmen zur Behebung einer schwerwiegenden Erkrankung habe
durchführen können. Aus diesem Grund stehe ihm ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.
Eine abschließende Bezifferung in Geld sei nicht möglich, zu berücksichtigen seien aber:
1. Behandlungskosten und sonstige krankheitsbedingte Aufwendungen in der Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft.
2. Einbußen in der Besoldung, insbesondere durch Wegfall nicht ständiger Besoldungsbestandteile.
3. Im Fall einer möglicherweise eintretenden Dienstunfähigkeit die Differenz zwischen Besoldung und
Versorgung unter Berücksichtigung einer anzunehmenden beruflichen Entwicklung.
4. Ein angemessenes Schmerzensgeld.
Eine Kausalität zwischen der fehlenden frühzeitigen Mitteilung und der dadurch entstandenen
Verringerung der Lebensqualität des Klägers sei unverkennbar (Beweis: Sachverständigengutachten).
Hier sei die Feststellungsklage gewählt worden, da der Schadensersatzanspruch insbesondere in
materieller Hinsicht weitgehend zukunftsgerichtet sei und gegenwärtig lediglich aus den entgangenen
Zulagen bestehen dürfte.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.
Oktober 2009 festzustellen, dass die Beklagte dem Grunde nach zum Ersatz des materiellen und
immateriellen Schadens verpflichtet ist, welcher ihm aufgrund der unterlassenen Mitteilung bezüglich
seines Linksschenkelblocks entstanden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Bereits bei der Einstellungsuntersuchung 1995 sowie den Folgeuntersuchungen zur
Feuerwehrtauglichkeit sei ein sogenannter „Linksschenkelblock“ festgestellt worden, der sich jedoch auf
die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers nicht ausgewirkt habe. Soweit sich der Kläger zur
Feststellung einer Schadensersatzpflicht auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Beklagte
berufe, könne dem nicht gefolgt werden. Bei einer gefahrgeneigten Tätigkeit müsse lediglich die Eignung
der Beamten untersucht werden. Ergebe die Untersuchung, dass der Beamte feuerwehrdienstfähig sei,
bestehe für den untersuchenden Arzt kein Grund, ihm die Befunde, die anlässlich der Untersuchung zu
Tage getreten seien, mitzuteilen, sofern diese nicht pathologischer (krankhafter) Natur seien und oder die
Feuerwehrdienstfähigkeit in Frage stellten. Die Untersuchung sei nämlich nicht darauf angelegt, eine
Verlässlichkeitsgrundlage für den Gesundheitszustand des Bewerbers zu schaffen, sondern sie sei strikt
anlassbezogen. Deshalb habe hier keine Verpflichtung bestanden, den Kläger auf einen Befund, nämlich
den Linksschenkelblock hinzuweisen, da dieser von unspezifischer Art und ohne pathologischen
Charakter gewesen sei. Ansonsten würde die Fürsorgepflicht des Dienstherrn überspannt und ihm die
Verantwortung für den allgemeinen Gesundheitszustand des Beamten aufgebürdet.
Darüber hinaus fehle es hier an der erforderlichen Kausalität. Zudem sei die Feststellungsklage
unzulässig, soweit sie den Ersatz des immateriellen Schadens zum Gegenstand habe. Der Rechtsweg zu
den Verwaltungsgerichten sei dafür nicht gegeben. Das Beamtenverhältnis vermittle keinen Anspruch auf
Ersatz immateriellen Schadens. Der Anspruch auf Ersatz wegen schuldhafter Verletzung der
Fürsorgepflicht habe sich aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen entwickelt, die für privatrechtliche
Dienstverhältnisse gelten würden. In keiner dieser Vorschriften des Privatrechts werde dem
Schadensersatzberechtigten ein Anspruch auf Schmerzensgeld eingeräumt. Nur für den Bereich der
unerlaubten Handlung seien Schadensersatzansprüche gemäß § 253 BGB möglich.
Die Beklagte hat auf gerichtliche Verfügung vom 19. Juli 2010 die ergänzende gutachterliche
Stellungnahme des Prof. Dr. Süselbeck vom 22. Februar 2011 eingeholt, der ausgeführt hat: Aus dem
EKG, das wohl aus dem Jahr 1995 stamme, sei bereits ein kompletter Linksschenkelblock zu entnehmen.
Da ein Linksschenkelblock praktisch immer auf eine kardiovaskuläre Erkrankung hinweise, werde der
isolierte Befund bei fehlenden Hinweisen auf koronare Herzerkrankungen und einen Myokardschaden als
latente Kardiomyopathie angesehen. Das bedeute, dass ein kompletter Linksschenkelblock praktisch
immer pathologisch sei. Die Betriebsärztin hätte deshalb weitere Untersuchungen durchführen lassen
müssen, da eine koronare Herzerkrankung zum damaligen Zeitpunkt nicht habe sicher ausgeschlossen
werden können. Eine echokardiografische Untersuchung sei veranlasst gewesen. Es treffe jedenfalls nicht
zu, dass es sich bei einem kompletten Linksschenkelblock lediglich um eine elektrische Anomalie handle.
Vielmehr habe auch bei fehlenden klinischen Symptomen eine weitere kardiologische Abklärung erfolgen
müssen. In der Retrospektive sei davon auszugehen, dass der Linksschenkelblock des Klägers schon ein
Anzeichen der jetzt festgestellten dilatativen Kardiomyopathie gewesen sei. Wenn schon damals eine
Schwäche vorgelegen hätte, hätte man durch eine frühzeitige medikamentöse Therapie die Prognose des
Patienten beeinflussen können. Schwierig zu beantworten sei die Frage, ob die Kardiomyopathie, wenn
sie früher erkannt worden wäre, ursächlich hätte vermieden oder ihr Verlauf gelindert werden können, da
viele Prämissen erfüllt sein müssten, die in der Retrospektive nicht eindeutig geklärt werden könnten. Es
liege die Vermutung nahe, dass von einer virale Genese vor 1995 auszugehen sei, die bei fehlender
Herzschwäche nicht medikamentös behandelt worden wäre. Der Patient wäre aber dann engmaschig
kontrolliert worden. Wenn man aber 1995 schon eine Herzschwäche diagnostiziert hätte, wäre mit einer
medikamentösen Therapie begonnen worden, die die Prognose des Patienten verbessert hätte. Eine
Heilung durch die medikamentöse Therapie sei aber nicht zu erwarten gewesen. Der Verlauf hätte
allerdings verlangsamt werden können. Hingegen könne nicht sicher beantwortet werden, ob bei einer
kardiologischen Abklärung im Jahr 1995 eine sich möglicherweise erst später entwickelnde
Herzschwäche vorhergesehen hätte werden können oder ob dadurch spätere kardiologische
Abklärungen angezeigt gewesen wären, die eine frühzeitige entstehende Herzschwäche offenbart hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und
zwei Bände Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz.
Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.
Oktober 2009, mit dem sie die Gewährung von Schadensersatz wegen Fürsorgepflichtverletzung versagt
hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch wegen falscher gesundheitlicher Beratung und einer
falschen dienstlichen Verwendung zu.
Nach §§ 1, 45 Gesetz zur Regelung des Status der Beamtinnen und Beamten in den Ländern
(Beamtenstatusgesetz – BeamtStG –) vom 17. Juli 2008 (BGBl. I S. 1010), der fast wortgleich mit § 87 Satz
1 Landesbeamtengesetz (LBG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 1970, zuletzt geändert durch
Gesetz vom 9. Juli 2010 (GVBl. S. 167) ist, hat der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und
Treueverhältnisses für das Wohl des Beamten zu sorgen.
Daraus folgt, dass bei einer Verletzung dieser Fürsorgepflicht ein Anspruch auf Schadensersatz des
Beamten besteht, wenn der Schaden adäquat kausal durch die Fürsorgepflichtverletzung hervorgerufen
worden ist. Für den Fall eines die Fürsorgepflicht verletzenden Unterlassens folgt daraus, dass das
gebotene pflichtgemäße Handeln des Dienstherrn nicht nur möglicherweise, sondern mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit den Eintritt des Schadens hätte verhindert haben müssen, um einen
Schadensersatzanspruch auszulöschen (BVerwG, Urteil vom 21. September 2000 – 2 C 5/99 –, juris;
Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 79 Rn. 25 f. m. w. N.).
Der den Schadensersatz geltend machende Beamte trägt hierfür die materielle Beweislast.
Ob der Beamte einen Anspruch auf Schmerzensgeld in einem nachgewiesenen Fall einer adäquaten
kausalen Beeinträchtigung von Leib und Gesundheit entsprechend § 253 Abs. 2 BGB geltend machen
kann, oder ob der Schmerzensgeldanspruch durch die abschließende Regelung der Ansprüche aus dem
Beamtenrecht, z.B. durch die Regelung der Ansprüche bei einem Dienstunfall und einer Berufserkrankung
ausgeschlossen ist (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 15. Dezember 2009 – AN 1 K 09.01482 – in juris;
Plog/Wiedow a. a. O.), kann dahinstehen. Es fehlt hier nämlich bereits an dem mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit zu führenden Nachweis des adäquaten Ursachenzusammenhangs
zwischen der schuldhaften unzureichenden ärztlichen Aufklärung bei der Einstellungs- und den
Folgeuntersuchungen zur Feuerwehrtauglichkeit durch den ärztlichen Dienst und der vorliegenden
Erkrankung des Klägers (dilatative Kardiomyopathie).
Die Fürsorgepflicht ist durch den betriebsärztlichen Dienst in einer der Beklagten zurechenbaren Weise
schuldhaft verletzt worden. Die Zurechenbarkeit des ärztlichen Handelns ergibt sich aus § 16 Gesetz über
Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) vom 12.
Dezember 1973 (BGBl. I 1973, 1885), wonach in Verwaltungen und Betrieben der Gemeinden ein den
Grundsätzen des ASIG gleichwertiger arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Arbeitsschutz zu
gewährleisten ist. Nach § 3 Abs. 1 Zif. 2 ASiG haben die Betriebsärzte die Aufgabe den Arbeitgeber beim
Arbeitsschutz und der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Sie
haben insbesondere die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten
sowie die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten. Damit ist der betriebsärztliche Dienst
beim Klinikum Ludwigshafen Erfüllungsgehilfe der Beklagten und das Verschulden seiner Ärzte ist der
Beklagten entsprechend § 278 BGB zuzurechnen (vgl. LG Paderborn, Urteil vom 15. Mai 2001 – 2042/01
–, juris).
Hier liegt auch eine Pflichtverletzung vor. Das Gericht folgt dem zu keinen Zweifeln Anlass gebenden
Gutachten des Prof. Dr. Süselbeck vom 13. März 2009 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom
28. Februar 2011, wonach bereits 1995, d. h. zum Zeitpunkt der Einstellungsuntersuchung des Klägers,
nach der ärztlichen Lehre und Praxis gesichert war, dass ein Linksschenkelblock fast immer pathologisch
ist und deshalb eine abklärende echokardiographische Untersuchung zur Erforschung der zugrunde
liegenden Ursache oder Erkrankung auch im Fall des Klägers zwingend erforderlich gewesen wäre, da
ein EKG hierzu nicht ausgereicht habe.
Dieses schuldhafte Unterlassen hat aber nicht mit dem erforderlichen Grad einer an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit – ganz oder teilweise – zu der hier maßgeblichen
Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers geführt. Hierzu heißt es in der Stellungnahme des Prof. Dr.
Süselbeck vom 28. Februar 2011auf die Frage: Mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit kann davon
ausgegangen werden, dass bei einer kardiologischen Abklärung die beim Kläger nunmehr festgestellte
dilatative Kardiomyopathie hätte vermieden oder ihr Verlauf wesentlich abgemildert werden können?
„In der Retrospektive muss davon ausgegangen werden, dass der Linksschenkelblock des Patienten
schon Anzeichen der jetzt festgestellten dilatativen Kardiomyopathie waren. Ob zum damaligen Zeitpunkt
echokardiographisch eindeutig eine Kardiomyopathie festgestellt werden konnte, kann jetzt in der
Retrospektive nicht beantwortet werden. Wenn zum damaligen Zeitpunkt schon eine Schwäche
vorgelegen hat, hätte man durch frühzeitige medikamentöse Therapie die Prognose des Patienten
beeinflussen können. Des Weiteren wäre bei Feststellung einer gesicherten Kardiomyopathie sicherlich
keine Eignung zum Berufsfeuerwehrmann erteilt worden. Insgesamt sind maximale Belastungen wie sie
im Feuerwehrberuf auftreten können, eher kontraproduktiv für den Krankheitsverlauf.“
Daraus folgt, dass in der Retrospektive nicht eindeutig geklärt werden kann, ob bei Durchführung der
schuldhaft versäumten Echokardiographie die jetzt festgestellte dilatative Kardiomyopathie hätte
festgestellt werden können. Hätte damals keine Schwächung vorgelegen, wären keine medikamentösen
Therapien durchgeführt worden. Hätte eine Schwächung vorgelegen, was aber nicht mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, wäre der Kläger nach Auffassung des Prof. Dr.
Süselbeck nicht in den Feuerwehrdienst eingestellt worden. Wie sich dann die Gesundheit des Klägers
entwickelt und welche beruflichen Aussichten und welche konkreten Bezüge er erzielt hätte, lässt sich
nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen. Des Weiteren erläutert Prof. Dr. Süselbeck
in der ergänzenden Stellungnahme: Die Frage, ob die Kardiomyopathie, wenn früher erkannt, ursächlich
vermieden oder im Verlauf gelindert hätte werden können, sei schwierig zu beantworten, da sehr viele
Prämissen erfüllt sein müssten, die in der Retrospektive nicht eindeutig geklärt werden könnten. Er führt
hierzu aus:
„Insgesamt beruhen viele Kardiomyopathien auf abgelaufenen Myokarditiden also Herzentzündungen,
die meistens viralen Genesen sind. Ursächlich lassen sich diese Herzentzündungen nicht behandeln. Aus
meiner Sicht kann bei dem Patienten (davon) ausgegangen werden, dass der Linksschenkelblock schon
Ausdruck der Kardiomyopathie war, so dass, wenn eine virale Genese vorliegt, diese vor 1995 datieren
muss. Bei fehlender Herzschwäche hätte man auch 1995 nicht medikamentös behandelt, aber den
Patienten engmaschig kontrolliert. Wenn 1995 schon eine Herzschwäche diagnostiziert worden wäre,
wäre wie oben ausgeführt, mit einer medikamentösen Therapie begonnen worden, die die Prognose des
Patienten verbessert. Aus vorliegenden Studien ist aber eindeutig zu sagen, dass auch pharmakologisch
behandelte Herzschwächen progressiv verlaufen und durch die medikamentöse Therapie nicht geheilt
werden können. Der Verlauf kann allerdings verlangsamt werden. Letztendlich kann diese Frage nicht
eindeutig beantwortet werden.“
Auch hier fehlt es an der erforderlichen mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellten
adäquaten Kausalität.
Zu der Frage, ob bei einer kardiologischen Abklärung im Jahr 1995 eine sich möglicherweise erst später
entwickelte Herzschwäche vorher gesehen hätte werden können oder eine spätere kardiologische
Abklärung angezeigt gewesen wäre, die dann frühzeitig eine entstehende Herzschwäche offenbart hätte,
führt Prof. Dr. Süselbeck aus:
„Wie oben ausgeführt, hätte 1995 der komplette Linksschenkelblock eindeutig abgeklärt werden müssen.
Folgende Szenarien wären aus meiner Sicht retrospektiv möglich gewesen. Bei normaler Herzfunktion
und vergrößertem Herz hätte man sicherlich echokardiographische Verlaufskontrollen empfohlen, um
frühzeitig mit einer medikamentösen Therapie zu beginnen. Bei normaler Herzfunktion und normal
großem Herz ist insbesondere die Interpretation eines Belastungs-EKGs schwierig, da der elektrische
Stromkurvenverlauf nicht beurteilt werden kann. Regelmäßige Belastungsuntersuchungen zur Beurteilung
des Stromkurvenverlaufes machen also bei diesen Patienten praktisch keinen Sinn. Es kann natürlich
eine gewisse Leistungsfähigkeit dokumentiert werden, jedoch nicht eine Durchblutungsstörung im Bereich
des Herzens. Insgesamt ist diese Frage allerdings zu spekulativ, um sie eindeutig zu beantworten.“
Auch diese Antwort ergibt, dass zwar Hinweise dafür bestehen, dass bei einer bereits 1995 vom Kläger
durchzuführenden echokardiologischen Abklärung ein Befund hätte festgestellt werden können, der zu
einer darauf ausgerichteten Gesundheitsfürsorge hätte führen können, dass dies aber heute nicht sicher
festgestellt werden kann. Aus dem Vorgesagten kann nicht geschlossen werden, dass die fehlende Suche
nach der Ursache für den Linksschenkelblock vom Standpunkt eines optimalen Betrachters und nach den
nur dem Handelnden bzw. Nichthandelnden bekannten Umständen generell (und nicht nur unter
besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer
Betracht bleibende Umständen) zur Entstehung der dilatativen Kardiomyopathie geführt hat.
Aus diesem Grund ist es hier unerheblich, ob vom Kläger zu einem früheren Zeitpunkt persönlich zu
veranlassende Untersuchungen seinen eingetretenen Gesundheitszustand hätten vermeiden können
oder ob durchgeführte Untersuchungen anderer Ärzte ebenfalls die erforderliche echokardiologische
Untersuchung vermissen ließen. Jedenfalls hat das vom Hausarzt 2002 durchgeführte EKG keinen
Linksschenkelblock erkennen lassen oder Veranlassung für eine konkrete Untersuchung gegeben.
Da die Beweislage hier nicht ausreicht, um eine adäquate Kausalität mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit festzustellen, und weitere Nachweise nicht zu führen sind, entscheidet die materielle
Beweislast. Diese trägt der Kläger. Grundsätzlich ist derjenige für die anspruchsbegründenden Tatsachen
beweispflichtig, der einen Anspruch erhebt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. April 2008 – 6 A 5232/05,
juris). Eine Beweislastumkehr, wie sie der Kläger hier geltend macht, ist demgegenüber nicht geboten.
Auch wenn von einer Beweislastumkehr insoweit auszugehen wäre, als bei einer Verletzung einer
Aufklärungs- und Beratungspflicht unter Umständen der Verletzende das Risiko der Unaufklärbarkeit des
Ursachenzusammenhanges zumindest insoweit trägt, als in Frage steht, wie der andere Teil gehandelt
hätte, wenn er pflichtgemäß ins Bild gesetzt worden wäre (so OVG NRW a.a.O.), so ist hier gerade nicht
das mögliche Handeln des Klägers beweisbedürftig, sondern die nicht bewiesene Frage, ob durch weitere
Untersuchungen das Leiden des Klägers hätte verhindert oder gelindert werden können.
Eine Beweislast ist auch nicht, wie vom Kläger angeregt, nach dem im Arztrecht für Behandlungsfehler
entwickelten Grundsätzen der Beweislastumkehr der Beklagten aufzuerlegen. Denn hier liegt weder ein
ärztlicher Behandlungsvertrag vor, einem solchen kann die Einstellungsuntersuchung nicht gleichgestellt
werden, noch hat die Beklagte eine durch ihre Erfüllungsgehilfen eröffnete Risikosphäre zu verantworten
oder ist sie diejenige, der der Nachweis aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und fachlichen Einblicks
allein obliegt.
Für die nicht abschließend zu klärende Frage, ob weitere Untersuchungen die Erkrankung des Klägers
zumindest gelindert hätten, bleibt auch zu bedenken, dass die hausärztliche Behandlung bei einer
Veranlassung weiterer Untersuchungen im Jahr 2002 zumindest die von der Beklagten zu Unrecht nicht
veranlasste Abklärung überholt hätte.
Nach dem bereits Ausgeführten kann hier dahingestellt bleiben, wie ein möglicher Schaden zu berechnen
wäre, wenn der Kläger wegen einer sich möglicherweise aufgrund weiterer aufklärender Untersuchungen
ergebenden Herzschwäche 1995 nicht in den Feuerwehrdienst eingestellt worden wäre.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung ...
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 2, 63 Abs. 3 GKG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Faber-Kleinknecht gez. Jahn-Riehl gez. Scheurer