Urteil des VG Neustadt vom 30.03.2011

VG Neustadt: gutachter, lebensgefahr, haus, schwerer unfall, trauma, brandbekämpfung, erwerbsfähigkeit, psychiatrie, hilflosigkeit, kausalität

VG
Neustadt/Wstr.
30.03.2011
1 K 1107/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 30.03.2011 - 1 K 1107/10.NW
Beamtenrecht
Verkündet am: 30.03.2011
gez. …
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn …
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter: dbb beamtenbund und tarifunion,, Dienstleistungszentrum Südwest,
Kaiserring 14-16, 68161 Mannheim,
gegen
die Stadt Ludwigshafen am Rhein, vertreten durch die Oberbürgermeisterin - Rechtsamt -, Rathausplatz
20, 67059 Ludwigshafen,
- Beklagte -
wegen Unfallruhegehalts
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 30. März 2011, an der teilgenommen haben
Präsidentin des Verwaltungsgerichts Faber-Kleinknecht
Richterin am Verwaltungsgericht Jahn-Riehl
Richter am Verwaltungsgericht Scheurer
ehrenamtliche Richterin Bankangestellte i.R. Memmer
ehrenamtliche Richterin Dipl. Ing. (FH) Neugebauer
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 20. Juli 2010 und Aufhebung des
Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2010 verpflichtet, dem Kläger ein erhöhtes Unfallruhegehalt
gemäß § 37 BeamtVG zu gewähren und die sich ergebenden Nachzahlungsbeträge seit
Rechtshängigkeit mit 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der 1973 geborene Kläger war Feuerwehreinsatzbeamter der Beklagten (Besoldungsgruppe A 7). Er
begehrt ein erhöhtes Unfallruhegehalt gemäß § 37 Beamtenversorgungsgesetz.
Aufgrund seines Einsatzes im Rahmen der Brandkatastrophe in Ludwigshafen am 3./4. Februar 2008 erlitt
er eine posttraumatische Belastungsstörung, die auf seinen Antrag hin und nach Hinzuziehung des
Amtsarztes mit Bescheid vom 20. Juni 2008 als Dienstunfall anerkannt wurde. Seit 24. Februar 2008 war
der Kläger dienstunfähig erkrankt. Im März 2009 führte er ein stationäres Heilverfahren in der Klinik
Berchtesgadener Land durch, das nicht zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit führte. Mit Bescheid
der Beklagten vom 22. April 2010 wurde ihm ein laufender Unfallausgleich ab 3. Februar 2008 bewilligt.
Grundlage hierfür war eine Stellungnahme des Amtsarztes über die Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von insgesamt 60 %, wobei er schwere psychovegetative/psychische Störungen und mittelgradige
soziale Anpassungsschwierigkeiten in der Folge des Unfallgeschehens vom 3. Februar 2008 mit 55 %
bewertete.
Aufgrund amtsärztlichen Gutachtens wurde der Kläger mit Bescheid vom 30. Juni 2010 zum Ablauf des
31. Juli 2010 in den Ruhestand versetzt. Dabei erkannte die Beklagte an, dass die Dienstunfähigkeit und
die Ruhestandsversetzung auf die Folgen des Dienstunfalls zurückzuführen sind. Mit Bescheid vom
20. Juli 2010 setzte sie die Versorgungsbezüge gemäß § 36 Beamtenversorgungsgesetz fest. Hiergegen
erhob der Kläger am 2. August 2008 Widerspruch mit dem Begehren, ein erhöhtes Unfallruhegehalt
gemäß § 37 Beamtenversorgungsgesetz anzuerkennen.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 20. Juli 2010 veranlasste die Beklagte
ein Gutachten zur Höhe der MdE als Voraussetzung für die Gewährung des erhöhten Unfallruhegehalts
bei Prof. Dr. Biedert, Zentrum für Psychiatrie in Wiesloch. Dessen Gutachten vom 1. September 2010 kam
zum Ergebnis, dass eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung als
Folgezustand einer posttraumatischen Belastungsstörung vorliege, die eine MdE von zumindest 50 %
impliziere. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück,
weil die erforderliche Kausalität zwischen der erforderlichen besonderen Lebensgefahr und der erlittenen
posttraumatischen Belastungsstörung nicht vorliege. Die posttraumatische Belastungsstörung sei nämlich
nicht auf die Lebensgefahr, sondern auf die Bergung der bei dem Brand ums Leben gekommenen und bis
zur Unkenntlichkeit verbrannten Personen zurückzuführen.
Der Kläger hat hiergegen am 18. November 2010 Klage erhoben.
Das Gericht hat durch Beweisbeschluss vom 7. Februar 2011 sowie auf die Einwendungen und Fragen
der Beklagten hin insgesamt drei ergänzende Stellungnahmen des Prof. Dr. Biedert, zum Entstehen der
posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger, eingeholt (vgl. Bl. 91, 102 und 119 der Gerichtsakte).
Der Kläger trägt vor: Prof. Dr. Biedert sei zunächst nicht mit der Beantwortung der Kausalitätsfrage
beauftragt gewesen, dennoch ergebe sich schon auf Seite 17 seines Gutachtens, dass der Auslöser der
posttraumatischen Belastungsstörung in dem Diskrepanzerlebnis zwischen der Lebensgefahr und der
mangelnden Bewältigung dieser Situation begründet sei. Die Bergung der Leichen werde dagegen nicht
als auslösender Faktor dargestellt. Er habe als Feuerwehrbeamter schon viele Todesopfer erlebt und
hieraus keine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Auch aus der Stellungnahme des
behandelnden Arztes Dr. .. vom 5. April 2010 ergebe sich, dass der Zeitpunkt der Traumatisierung
während des Einsatzgeschehens liege. Dies bestätigten auch die ergänzenden Stellungnahmen des
Gutachters Prof. Dr. Biedert im Gerichtsverfahren.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20. Juli 2010 und Aufhebung des
Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2010 zu verpflichten, ihm ein erhöhtes Unfallruhegehalt gemäß
§ 37 Beamtenversorgungsgesetz zu gewähren und die sich ergebenden Nachzahlungsbeträge seit
Rechtshängigkeit mit 5 % Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Der Feuerwehreinsatz am 3./4. Februar 2008 könne nicht als einheitliches Geschehen
betrachtet werden. Er habe am 3. Februar um 16:22 Uhr begonnen und am 4. Februar um 6:00 Uhr
geendet. Die eigentliche Brandbekämpfung habe bis in die Nachtstunden, bis ca. 23:17 Uhr, gedauert. Zu
diesem Zeitpunkt seien laut Einsatzbericht die Flammen gelöscht gewesen. Um 17:12 Uhr sei die letzte
lebende Person, ein Kleinkind, vom Kläger gerettet worden. Der Kläger sei von 16:29 Uhr bis 17:02 Uhr
und von 17:16 Uhr bis 17:43 Uhr zur unmittelbaren Brandbekämpfung eingesetzt gewesen. Danach sei ab
21:46 Uhr bis 22:12 Uhr für ihn ein Einsatz auf der Drehleiter verzeichnet. Am 4. Februar 2008 sei er
zwischen 4:53 Uhr und 6:00 Uhr freiwillig mit einem Kollegen an der Bergung der Leichen im 2.
Obergeschoss des Hauses beteiligt gewesen. Diese Tätigkeit sei nicht mehr mit einer besonderen
Lebensgefahr verbunden gewesen, auch wenn eine gewisse Einsturzgefahr des Gebäudes noch
bestanden habe. Dazwischen liege eine Zäsur von 11 Stunden. Der erste Teil des Geschehens habe
lediglich untergeordnete Bedeutung für das Entstehen der posttraumatischen Belastungsstörung.
Es sei nämlich fraglich, ob die Rettungsarbeiten tatsächlich zum subjektiven Empfinden eigenen
Versagens beim Kläger geführt haben könnten. Der Einsatz in einem brennenden Haus gehöre zum
normalen Dienst eines Feuerwehrbeamten. Dagegen sei die Bergung der Leichen wegen der konkreten
Auffindesituation hier ein singuläres und außergewöhnliches Ereignis gewesen. Auch träfen die
Schilderungen des Klägers, wie sie dem Gutachten des Prof. Dr. Biedert zu entnehmen seien, nicht zu. Es
habe keinen Funkruf der Einsatzleitung gegeben und die jetzt von ihm bezüglich der Lebensgefährdung
angeführten Umstände seien keinem Vorgesetzten gegenüber geschildert worden. Es werde deshalb
bestritten, dass der Kläger die Orientierung in dem brennenden Haus verloren habe. Nicht
bestritten, dass der Kläger die Orientierung in dem brennenden Haus verloren habe. Nicht
nachvollziehbar sei es auch, dass er freiwillig bereit gewesen sei, die Leichen zu bergen, wenn die
posttraumatische Belastungsstörung zu diesem Zeitpunkt schon entstanden gewesen wäre. Es stelle sich
vielmehr die Frage, ob das vom Gutachter hervorgehobene Diskrepanzerlebnis nicht darin bestehe, dass
der Kläger nach der erfolgreichen Rettung eines Mädchens Stunden danach mit der Ergebnislosigkeit
seines Handelns konfrontiert worden sei. Jedenfalls sei nicht ausreichend gutachterlich geklärt, dass die
posttraumatische Belastungsstörung unmittelbar auf Ereignisse oder Empfindungen des Klägers während
der Brandbekämpfung zurückzuführen sei. Dagegen spreche, dass er Stunden nach dem eigentlichen
Brandeinsatz keine Symptome gezeigt und sich noch im Juli 2008 auf die Beförderungsstelle eines
Truppführers beworben habe. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. Biedert (S. 18) hätten erst das Verhalten
der Vorgesetzten und die fehlende Anerkennung nach dem Unfallereignis das Entstehen der Erkrankung
begünstigt. Zusammen mit den Belastungen bei der Bergung der Leichen und der späteren Reaktionen
der Öffentlichkeit überlagerten diese Umstände das Einsatzgeschehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze und die von den
Beteiligten vorgelegten Unterlagen, die Verwaltungsakten der Beklagten, einschließlich des darin
enthaltenen Gutachtens des Prof. Dr. Biedert vom 1. September 2010, sowie dessen ergänzende
gutachterliche Stellungnahmen vom 14. Februar, 17. Februar und 16. März 2011 verwiesen, die sämtlich
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm ein
erhöhtes Unfallruhegehalt gemäß § 37 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG – zuerkennt.
Insoweit ist der Bescheid über die Festsetzung seiner Versorgungsbezüge vom 20. Juli 2010 abzuändern
und der Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2010 aufzuheben, § 113 Abs. 5 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –.
Gemäß § 37 Abs. 1 BeamtVG erhält ein Beamter das erhöhte Unfallruhegehalt, wenn er sich bei
Ausübung einer Diensthandlung einer damit verbundenen besonderen Lebensgefahr aussetzt und
infolge dieser Gefährdung einen Dienstunfall erleidet, aufgrund dessen er dienstunfähig wird und in den
Ruhestand tritt. Des Weiteren ist erforderlich, dass er im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand infolge
des Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 % beschränkt ist. Diese Voraussetzungen
liegen hier vor.
Durch den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2010 ist anerkannt, dass der Kläger aufgrund des
Dienstunfalls mit der Folge einer posttraumatische Belastungsstörung dienstunfähig geworden und in den
Ruhestand getreten ist. Ebenso ist geklärt, dass er im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung dienstunfallbedingt
um mindestens 50 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert war. Allein streitig ist zwischen den Beteiligten,
ob der Dienstunfall auf einer mit besonderer Lebensgefahr verbundenen Diensthandlung beruht. Der
Beamte muss gemäß § 37 Abs. 1 BeamtVG den Dienstunfall infolge der objektiven besonderen
Lebensgefahr erlitten haben, diese muss mithin kausal für das Unglück gewesen sein. Aus diesem Grund
kommt es auf die konkrete Gefährdungslage im Zeitpunkt des erlittenen Dienstunfalls an, die Gefahren
davor oder danach sind dagegen nicht anspruchsbegründend (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.
Mai 2008 – 2 A 10062/08.OVG –, ESOVGRP).
Eine besondere Lebensgefahr ist mit der Diensthandlung verbunden, wenn die Gefährdung des Beamten
weit über das normale Maß hinausgeht, der Verlust des Lebens mithin wahrscheinlich oder doch sehr
naheliegend ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 1993 – 2 B 67/93 – juris). Dieser
Gefährdungsgrad wird insbesondere anerkannt für die Entschärfung von Sprengkörpern durch
Feuerwerker, die Rettung eingeschlossener Menschen aus brennenden Gebäuden durch Feuerwehrleute
und die Verfolgung bewaffneter Verbrecher durch die Polizei (vgl. Wilhelm, in: GKÖD, Beamtenrecht des
Bundes und der Länder, Richterrecht und Wehrrecht, § 37 Rn. 8 m. w. N.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
16. Januar 1998 – 2 A 10106/97.OVG –). Der Kläger war danach jedenfalls bei den Rettungsarbeiten im
Rahmen der Brandkatastrophe während seines unmittelbaren Einsatzes im brennenden Haus einer
besonderen Lebensgefahr ausgesetzt. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
Diese besondere Gefährdungslage war nach Überzeugung des Gerichts für das Entstehen des
Dienstunfalls mit der Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger ursächlich.
Die für den qualifizierten Dienstunfall erforderliche Kausalität zwischen der besonderen Lebensgefahr
und den zur Dienstunfähigkeit führenden Verletzungsfolgen setzt nach den allgemeinen
dienstunfallrechtlichen Grundsätzen voraus, dass die lebensgefährliche Situation wesentliche Bedeutung
für den Eintritt des Schadens hat. Dies ist der Fall, wenn sie allein, überwiegend oder im Zusammenwirken
mit anderen, nicht lebensgefährlichen Umständen zumindest annähernd gleichwertig zum
Schadenseintritt beigetragen hat. Dabei sind die verursachten psychischen Schädigungen in den
Dienstunfallschutz einbezogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 2 C 134/07 –, BVerwGE 135,
176).
Aus dem Gutachten des Prof. Dr. Biedert vom 1. September 2009 und seinen ergänzenden
Stellungnahmen vom 14. und 17. Februar sowie vom 16. März 2011 folgt zur Überzeugung des Gerichts,
dass die unfallbedingte psychische Schädigung des Kläges, die postttraumatische Belastungsstörung,
hier wesentlich durch die Ereignisse während des unmittelbaren dienstlichen Einsatzgeschehens im
brennenden Gebäude ausgelöst wurde, und nicht, wie die Beklagte meint, wesentlich auf erst später
hinzugetretene Faktoren zurückzuführen ist.
Im Gutachten vom 1. September 2009 führt Prof. Dr. Biedert auf Seite 16 und 17 aus:
„Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht gemäß der aktuell gültigen internationalen
Klassifikation psychischer Störungen, 10. Revision (ICD-10), als eine verzögerte oder protrahierte
Reaktion auf ein belastendes Ergeignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem Betroffenen eine tiefe Verstörung hervorrufen würde.
Hierzu gehören eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine
Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder die Tatsache, Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder
selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen geworden zu sein.
Prämorbide Persönlichkeitsfaktoren wie bestimmte Persönlichkeitszüge (z. B. zwanghafte oder
asthenische) oder neurotische Erkrankungen in der Vorgeschichte können die Schwelle für die
Entwicklung dieses Syndroms zwar senken und seinen Verlauf verstärken, aber die letztgenannten
Faktoren sind weder nötig noch ausreichend, um das Auftreten einer solchen Störung zu erklären.“
(…)
„Im vorliegenden Fall ist als Auslösefaktor für die Entwicklung einer solchen posttraumatischen
Belastungsstörung das vitale Diskrepanzerlebnis zwischen den bedrohlichen Situationsfaktoren (z.
B. Angst zu sterben) und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten (subjektives Empfinden eigenen
Versagens in der bedrohlichen Situation, indem Herr F. z.T. entgegen entsprechender gelernter
Vorschriften gehandelt habe) zu sehen, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe
einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und des Weltverständnisses bewirkt.“
Schon diese Ausführungen sprechen dafür, dass gerade die psychisch nicht bewältigte
lebensbedrohliche Situation und die dabei erlittene Todesangst des Klägers in dem brennenden und
verqualmten Haus wesentlich ursächlich für das Entstehen der psychischen Erkrankung in Form der
posttraumatischen Belastungsstörung war. Denn bei dem späteren Geschehen, beispielsweise der
Bergung der Leichen, konnte eine solche Bedrohungslage mit Todesangst nicht mehr bestehen. Nach
den weiteren Ausführungen des Gutachters in der ergänzenden Stellungnahme vom 14. Februar 2011 (Bl.
den weiteren Ausführungen des Gutachters in der ergänzenden Stellungnahme vom 14. Februar 2011 (Bl.
91 ff. GA) kann schon
definitionsgemäß
zwischen einer solchen bedrohlichen Situation (hier: Angst, während des Einsatzes am Brandort sterben
zu müssen) und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten des Betroffenen eine posttraumatische
Belastungsstörung in Gang setzen. Zur weiteren Begründung führt der Gutachter hier aus, bei dem Einsatz
am Brandort habe es sich nach der zumindest subjektiven Empfindung des Klägers nicht mehr um einen
rational durchorganisierten Vorgang, der ein eigenverantwortliches Agieren beinhalte, gehandelt, sondern
nur noch um ein desorganisiertes Reagieren ohne eigene Handlungshoheit. Demgegenüber ergaben
sich nach Überzeugung des Gutachters aufgrund der Exploration des Klägers keinerlei Anhaltspunkte, die
dafür sprechen würden, dass dieser durch den Anblick bzw. durch die Bergung von Toten per se
psychisch verletzt werden konnte.
Diese Darlegungen des Gutachters und die hierfür angeführten Erläuterungen sind nach Auffassung des
Gerichts plausibel. Die posttraumatische Belastungsstörung stellt eine psychische Reaktion nach einem
vom Betroffenen erlebten Trauma dar, das nicht adäquat verarbeitet werden kann. Das bedeutet, dass
dem Trauma selbst eine entscheidende Bedeutung für das Entstehen des Krankheitsbildes zukommen
muss. Vor dem Hintergrund der sachverständigen Auffassung des Gutachters, dass überhaupt nur das
Erleben der bedrohlichen, hier der lebensbedrohlichen, Situation als Grundlage einer posttraumatischen
Belastungsstörung in Betracht kommt, ist seine Einordnung des Geschehens während der späteren
Bergung der Toten als untergeordneter Faktor nachvollziehbar. Nach seiner Überzeugung ist auch gar
keine strikte Trennung innerhalb des Einsatzgeschehens mehr möglich, was er nachvollziehbar damit
begründet, dass es sich bei den Toten eben nicht um beliebige Tote gehandelt habe. Vielmehr habe der
Anblick dieser spezifischen Toten die zuvor erlebten subjektiven Empfindungen der Ohnmacht und des
Ausgeliefertseins und der unmittelbaren Todesgefahr während der Ereignisse im Rahmen der
Brandbekämpfung wieder in die unmittelbare Erinnerung zurückgerufen (vgl. erneut die Stellungnahme
des Gutachters vom 14. Februar 2011). Damit prägen die vorangegangenen Erlebnisse auch diese
spätere Phase des Geschehens entscheidend, womit ihnen jedenfalls keine untergeordnete Bedeutung
innerhalb des Gesamtgeschehens zukommt.
Das Gericht sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit des Gutachtens des Prof. Dr. Biedert und seiner
ergänzenden Stellungnahmen zu zweifeln. Der Gutachter hat ein ausführliches Explorationsgespräch mit
dem Kläger geführt. Das Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen sind insgesamt schlüssig und
frei von inneren Widersprüchen. Auch die Einwendungen der Beklagten erschüttern ihre
Überzeugungskraft nicht.
Nach ihrer von der Auffassung des Gutachters abweichenden Überzeugung liegt eine Zäsur zwischen
den eigentlichen Rettungsarbeiten im brennenden und verqualmten Haus und den nachfolgenden – nicht
mehr lebensgefährlichen – Bergungsarbeiten und ist die posttraumatische Belastungsstörung nicht auf
den lebensgefährlichen Teil des Rettungsgeschehens zurückzuführen. Insoweit stellt sie indessen ohne
Erfolg lediglich ihre eigene Einschätzung als medizinischer Laie über die wesentlichen Ursachen für die
psychische Erkrankung des Klägers der – wie dargelegt – substantiiert begründeten Meinung des hierzu
sachkundigen Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Biedert gegenüber. Auch wenn der
Einsatz in einem brennenden Haus grundsätzlich zu den „normalen Aufgaben“ eines Feuerwehrbeamten
gehört, schließt dies nicht aus, dass der Beamte im Einzelfall aufgrund einer individuell erlebten Situation
eine psychische Reaktion in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln kann. Dabei ist
zu berücksichtigten, dass der Kläger hier nach seinem subjektiven Empfinden, wie er es gegenüber dem
Gutachter und auch gegenüber seinem behandelnden Arzt Dr. … (vgl. dessen Attest vom 5. April 2010, Bl.
71 GA) dargestellt hat, nach seiner Rückkehr in das brennende Haus ab 17:16 Uhr gerade nicht mehr als
„normalen Einsatz“ erlebte, bei dem er aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten als Feuerwehrmann
auch eine lebensgefährliche Lage bis zu einem gewissen Grad durch sein Tun beherrschen und sich
selbst schützen kann. Vielmehr empfand er nach Darstellung beider Fachärzte in der konkreten Situation
eine Orientierungslosigkeit, war überzeugt, dass er nicht mehr aus dem Haus heraus käme (Dr. … vom
5. April 2010) und hatte nach seinem subjektiven Empfinden jegliche Handlungshoheit verloren (Prof.
Dr. Biedert vom 14. Februar 2011).
Diese Angaben des Klägers, welche die Ärzte offensichtlich für glaubhaft erachtet haben, kann die
Beklagte nicht durch ihr Bestreiten entkräften. Ob ein Feuerwehrbeamter sich – in einem unstreitig zu
diesem Zeitpunkt noch brennenden und verqualmten Haus – orientierungslos fühlt und aufgrund dieser
erlebten Hilflosigkeit Todesangst empfindet, stellt ein inneres Geschehen dar, das dem objektiven Beweis
nicht zugänglich ist. Aus diesem Grund ist auch unerheblich, ob und von wem es in dieser Situation
Funkrufe gab (vgl. hierzu die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. Biedert vom 17. Februar 2011).
Dass der Kläger nicht sofort nach Beendigung des Rettungseinsatzes oder später den Kollegen oder
Vorgesetzten von seiner Angst und Hilflosigkeit berichtet hat, spricht ebenfalls nicht gegen die
Glaubhaftigkeit seiner Angaben gegenüber dem Gutachter. Die posttraumatische Belastungsstörung
entwickelt und zeigt sich nach den Darlegungen des Prof. Dr. Biedert im Gutachten vom 1. September
2010, die bereits oben zitiert wurden, sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16. März 2011
typischerweise als protrahierte Reaktion mit einer Latenz nach dem psychischen Trauma, die sogar
Wochen bis Monate dauern kann. Überdies erscheint es dem Gericht nicht fern liegend, dass der Kläger
gerade als junger Feuerwehrbeamter, der auf seinen Beruf stolz ist, solche Ängste und Versagensgefühle
nicht ohne Weiteres sich selbst oder gar Vorgesetzten und Kollegen gegenüber eingestehen konnte.
Dafür sprechen jedenfalls seine auf S. 4 bis 5 des Gutachtens vom 1. September 2010 wiedergegebenen
Aussagen im Rahmen der fachpsychiatrischen Untersuchung. Im Ergebnis gilt das Gleiche für den
Einwand der Beklagten, der Kläger habe nach dem Rettungseinsatz keine Symptome der
posttraumatischen Belastungsstörung gezeigt und sich sogar freiwillig noch zur Bergung der Leichen
bereit erklärt. Auch dies steht nach Überzeugung des Gerichts aus den genannten Gründen der
Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund der vorangegangenen
lebensbedrohlichen Rettungsarbeiten nicht entgegen (vgl. Prof. Dr. Biedert in der Stellungnahme vom 17.
Februar 2011).
Die von der Beklagten bemühten Äußerungen des Gutachters auf Seite 18 des Gutachtens vom
1. September 2010 begründen ebenfalls keine Zweifel an der wesentlichen Bedeutung der
lebensgefährlichen Rettungsarbeiten für die posttraumatische Belastungsstörung des Klägers. Danach
sind an posttraumatischen Risikofaktoren, die das Auftreten einer posttraumatischen Belastungsstörung
begünstigen und die Symptomatik verstärken, hier zwar die Vorkommnisse an der Dienststelle des
Klägers nach den Ereignissen am 3. Februar 2008 bzw. das Verhalten seiner Vorgesetzten u. s. w. (z. B.
keine unmittelbare psychologische Betreuung) zu nennen. Daraus ergibt sich aber nur, dass die
Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung gefördert werden kann durch die vom Gutachter
genannten Faktoren. Das eigentliche Trauma – das vom Gutachter mehrfach betonte Diskrepanzerlebnis
zwischen der bedrohlichen Situation (Angst zu sterben) und den fehlenden subjektiven
Bewältigungsmöglichkeiten – wird dadurch aber weder ersetzt noch in seiner Bedeutung überlagert. Auch
die weiteren von der Beklagten genannten Umstände, wie z. B. die möglicherweise fehlende
Anerkennung durch die unterbliebene Beförderung oder die nicht näher beschriebenen Reaktionen der
Öffentlichkeit nach der Brandkatastrophe, spielten nach dem Ergebnis des Gutachtens ersichtlich keine
entscheidende Rolle. Letztlich lässt der Gutachter diese weiteren begünstigenden Faktoren nämlich offen
(„wodurch auch immer begünstigt“, vgl. S. 18 Abs. 2 des Gutachtens).
Schließlich hat die Beklagte keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, die das Gericht mit ihr an
der Fachkompetenz des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Biedert zweifeln lassen. Die
Einholung eines Obergutachtens durch einen anderen Gutachter war nach alledem nicht geboten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2
VwGO und §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung …
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18.130,56 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
gez. Faber-Kleinknecht gez. Jahn-Riehl gez. Scheurer