Urteil des VG Neustadt vom 09.02.2011

VG Neustadt: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, verdacht, mangel, fahreignung, gutachter, behörde, könig, faber, entziehung

VG
Neustadt/Wstr.
09.02.2011
1 L 87/11.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 09.02.2011 - 1 L 87/11.NW
Fahrerlaubnisrecht
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn T.
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Manfred Schreiber, Bahnhofstraße 60, 67105 Schifferstadt,
gegen
die Stadt Neustadt an der Weinstraße, vertreten durch den Oberbürgermeister, Marktplatz 1, 67433
Neustadt an der Weinstraße,
- Antragsgegnerin -
wegen Entziehung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
9. Februar 2011, an der teilgenommen haben
Präsidentin des Verwaltungsgerichts Faber-Kleinknecht
Richterin am Verwaltungsgericht Jahn-Riehl
Richter am Verwaltungsgericht Scheurer
beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.
Januar 2011 wird wiederhergestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den für sofort
vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2011 hat Erfolg. Die vom Gericht
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus,
weil sich die ihm gegenüber verfügte Fahrerlaubnisentziehung bei der im Eilverfahren gebotenen
summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.
Gemäß § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG –, § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – ist die
Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweist. Die Behörde kann nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV von der Ungeeignetheit ausgehen, wenn der
Fahrerlaubnisinhaber ein von ihm gefordertes Gutachten über seine Fahreignung nicht fristgerecht
beibringt. Dieser Schluss ist aber nur dann zulässig, wenn die Gutachtensanforderung in formeller und
materieller Hinsicht rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 5. Juli 2001, NJW 2002, 78). Daran fehlt es hier, denn das Anforderungsschreiben der
Antragsgegnerin vom 8. Oktober 2010 ist aus mehreren Gründen rechtswidrig.
Gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten
des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des
Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von
Kraftfahrzeugen zu klären sind und teilt ihm die Gründe für die Zweifel an seiner Eignung mit. Um diesen
formellen Mindestanforderungen zu genügen, muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus
verständlich sein, und der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das
in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerwG,
Urteil vom 5. Juli 2001, a.a.O.). Hierfür sind ihm insbesondere die Tatsachen bekannt zu geben, die den
Verdacht auf bestimmte Eignungszweifel begründen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom
10. August 1999, DAR 1999, 518; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage 2009, § 11
FeV Rdnr. 19, m.w.N.). Die an den Gutachter gerichtete Fragestellung muss im Anforderungsschreiben
abschließend bestimmt werden, damit eine anlassbezogene Themenstellung und Untersuchung
sichergestellt ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15. Mai 2008, BayVBL 2008, 724). Diesen Anforderungen
entspricht das Schreiben der Antragsgegnerin vom 8. Oktober 2010 nicht.
Es legt schon keine hinreichend konkrete Frage an den Gutachter fest. Die Fragestellung: „Liegt bei Herrn
G…….. eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 der FeV vor, wodurch die Eignung oder
die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird?“ bezieht sich auf sämtliche
in den Anlagen 4 und 5 zur FeV aufgeführten Krankheiten und Mängel, die von mangelndem
Sehvermögen und Schwerhörigkeit bis Nierenerkrankungen und Schlafstörungen reichen. Die Anlage 5
behandelt Eignungsfragen, die in Bezug auf die Fahrerlaubnis des Antragstellers überhaupt nicht
einschlägig sind. Die Fragestellung an den Gutachter ist damit völlig unbestimmt und geht inhaltlich viel zu
weit.
Des Weiteren enthält das Anforderungsschreiben auch keine substantiierte Darlegung der
Eignungszweifel unter Angabe von Tatsachen, auf denen diese Zweifel beruhen. In dem Schreiben wird
nur eine einzige – vom Antragsteller auch nicht bestrittene – Tatsache genannt, nämlich dass er in einem
Gerichtsverfahren ein Attest des Dr. ………, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vorgelegt hat. Mit diesem
Attest, das in den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin nicht vorliegt, hat er offenbar sein Fernbleiben
vom Verhandlungstermin wegen psychischer Belastung gerechtfertigt. Aus dieser Tatsache allein ergeben
sich keine ernst zu nehmenden Zweifel an seiner Fahreignung, denn die psychische Verfassung, einen
Gerichtstermin als Betroffener wahrnehmen zu können oder nicht, sagt nichts über die Fähigkeit zum
Führen eines Kraftfahrzeugs aus. Die weiteren Ausführungen der Antragsgegnerin „wurde uns bekannt,
dass Sie unter latenten Suizidimpulsen und depressiven Dekompensationen leiden sollen“ beinhalten
keinerlei konkrete Anknüpfungstatsachen für diesen Verdacht, sondern bleiben auf Mutmaßungen und
Äußerungen vom Hörensagen beschränkt.
Die Antragsgegnerin bezeichnet ferner nicht substantiiert die Eignungszweifel, die aus diesen Umständen
entstehen sollen. Die Formulierung „es liegt daher der Verdacht auf eine Erkrankung und/oder einen
Mangel nach Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) vor“ nimmt keine konkrete, in der Anlage 4 zur
FeV aufgeführte Erkrankung oder einen bestimmten, dort genannten Mangel in Bezug. Die weiter oben im
Schreiben vom 8. Oktober 2010 angeführten „latenten Suizidimpulse und depressiven
Dekompensationen“ sind in der Anlage 4 zur FeV nicht aufgeführt. Die Antragsgegnerin legt auch weder
den Verdacht auf eine der dort unter Ziffer 7 aufgelisteten psychischen Störungen dar, noch erläutert sie in
sonstiger Weise substantiiert und nachvollziehbar, welche - möglicherweise eignungsausschließende -
andere Erkrankung durch das fachärztliche Gutachten abgeklärt werden muss.
Schließlich hat die Behörde in der Anordnung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV zu bestimmen, welcher
medizinischen Fachrichtung der für die Fragestellung zuständige Facharzt mit verkehrsmedizinischer
Zusatzqualifikation angehören muss (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rdnrn. 11, 19), woran
es hier ebenfalls fehlt.
Der nach alledem rechtswidrigen Aufforderung, ein Fachgutachten beizubringen, musste der Antragsteller
nicht nachkommen und ihm kann folglich auch nicht vorgeworfen werden, nicht das Seine zur Klärung
berechtigter Eignungszweifel beigetragen zu haben (vgl. erneut BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG i.V.m. Ziff. 46.1 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichte (Hälfte des Auffangstreitwerts im Eilverfahren über die
Entziehung einer Fahrerlaubnis der Klasse B samt Einschlussklassen).
Rechtsmittelbelehrung …
gez. Faber-Kleinknecht gez. Jahn-Riehl gez. Scheurer