Urteil des VG Münster vom 25.02.2003

VG Münster: getrennt lebender ehegatte, sozialhilfe, eigene mittel, auskunftserteilung, unterhaltspflicht, einkünfte, tod, anfang, vollstreckbarkeit, rechtsgrundlage

Verwaltungsgericht Münster, 5 K 1966/01
Datum:
25.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1966/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger verpflichtet ist, dem Beklagten
gegenüber seine Einkommensverhältnisse offen zu legen.
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Der Kläger ist der nicht getrennt lebende Ehegatte der Frau L L, deren Mutter F L über
Jahre im Sozialhilfebezug des Beklagten stand. Der Beklagte bat die Frau L L in der
Vergangenheit in regelmäßigen Abständen um Auskunft über ihre wirtschaftlichen
Verhältnisse und stellte jeweils - zuletzt im April 1999 - mit Blick auf die ihrer Mutter
geleisteten Sozialhilfe fest, dass von ihr kein Unterhaltsbeitrag für ihre Mutter zu fordern
sein. Mit Schreiben vom 19. April 2001 forderte der Beklagte die Frau L L wiederum auf,
Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu geben; diese Bitte um
Auskunftserteilung war ergänzt um den Zusatz, dass Frau L L auch Auskünfte über das
Einkommen ihres Ehemannes, des Klägers, zu erteilen hätte. Diese Aufforderung
beantwortete Frau L L dahingehend, dass ihr die Einkünfte ihres Ehemannes nicht
bekannt seien. Daraufhin forderte der Beklagte durch Bescheid vom 29. Juni 2001
gestützt auf § 116 Abs. 1 und 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) den Kläger
unmittelbar auf, Auskunft über sein Einkommen zu erteilen. Gegen diesen Bescheid
legte der Kläger rechtzeitig einen nicht näher begründeten Widerspruch ein, den der
Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001 zurückwies. Zur Begründung
führte er aus, dass die Mutter der Ehefrau des Klägers seit Jahren Leistungen nach dem
BSHG beziehe. Die Ehefrau des Klägers als Tochter der Sozialhilfeempfängerin sei
ihrer Mutter gegenüber unterhaltspflichtig. Die Unterhaltsansprüche der Mutter seien
gemäß § 91 BSHG Kraft Gesetzes auf den Beklagten als den zuständigen
Sozialhilfeträger übergegangen. Der Kläger als nicht getrennt lebender Ehegatte der
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unterhaltspflichtigen Tochter der Sozialhilfeempfängerin sei gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1
BSHG verpflichtet, dem zuständigen Träger der Sozialhilfe, also dem Beklagten, auch
über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben. Dies ergebe
sich ausdrücklich aus dem Gesetz und diene letztlich der Prüfung, ob die Ehefrau des
Klägers ihrer Mutter gegenüber tatsächlich Unterhalt zu leisten habe.
Hiergegen hat der Kläger am 30. August 2001 - rechtzeitig - die vorliegende Klage
erhoben. Zur Begründung macht er geltend, dass er nach dem Gesetz seinen
Schwiegereltern gegenüber nicht unterhaltspflichtig sei. Das Verfahren der Behörden,
sein Einkommen dem seiner Ehefrau hinzuzurechnen, führe dazu, dass er auf
Umwegen doch zum Unterhalt für seine Schwiegermutter herangezogen werde. Das sei
mit dem Gesetz nicht vereinbar. Die Oberlandesgerichte Frankfurt und Koblenz hätten
entschieden, dass in Unterhaltsfragen hinsichtlich der Einkünfte zu trennen und nicht
gleichsam nach einer „Eintopfmethode" zu verfahren sei; insoweit dürfe es aber nicht zu
einer ungleichmäßigen Behandlung kommen, so dass er davon ausgehe, dass seine
Pflicht zur Auskunftserteilung auf Grund dieser Gerichtsentscheidungen entfallen sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2001 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft er sich auf die Gründe der angegriffenen Bescheide, die er weiter
erläutert und vertieft; ergänzend verweist er mit Blick auf die vom Kläger in Bezug
genommenen Oberlandesgerichtsurteile auf das Urteil des Oberlandesgericht (OLG)
Hamm, das - anders als die von dem Kläger zitierten Entscheidungen - eine
zivilrechtliche Unterhaltspflicht der über nur geringe eigene Mittel verfügenden
unmittelbar unterhaltspflichtigen Person bejahe, wenn der nicht getrennt lebende
Ehepartner über ein entsprechend hohes Einkommen verfüge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte Heft 1)
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Sie hat indes in der Sache keinen Erfolg.
Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2001 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Rechtsgrundlage für das Auskunftsverlangen ist § 116 Abs. 1 Satz 1 BSHG; danach
sind die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten und die
Kostenersatzpflichtigen verpflichtet, dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens-
und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des Gesetzes
es erfordert. Nach Satz 2 dieser Bestimmung umfasst die Pflicht zur Auskunft auch die
Verpflichtung, auf Verlangen Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage
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zuzustimmen. Diese Vorschrift ermächtigt den zuständigen Sozialhilfeträger, eine
bestehende Auskunftsverpflichtung durch Erlass eines Verwaltungsaktes
durchzusetzen.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 22. Januar 1993 - 5 C 22.90 -,
BVerwGE 91, 375.
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Der Kläger ist - unstreitig - der nicht getrennt lebende Ehemann der Frau L, die ihrerseits
im Verhältnis zu ihrer Mutter, der Hilfeempfängerin, Unterhaltspflichtige im Sinne des §
116 BSHG ist, und gehört damit zum angesprochenen Personenkreis dieser Vorschrift.
Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob ein zivilrechtlicher
Unterhaltsanspruch der Mutter gegen ihre Tochter, die Ehefrau des Klägers, tatsächlich
besteht. Ausreichend ist vielmehr, dass die Ehefrau des Klägers als
Unterhaltsschuldnerin p o t e n t i e l l in Betracht kommt. Nur in Fällen, in denen das
Nichtbestehen des Unterhaltsanspruches o f f e n s i c h t l i c h ist - sogenannte
„Negativ-Evidenz" - ist das vorgenannte Tatbestandsmerkmal des § 116 Abs. 1 BSHG
zu verneinen.
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Vgl. dazu BVerwG, a. a. O., Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NW), Urteil vom 17. Januar 2000 - 22 A 6004/96 -, NWVBl. 2000, 391, OVG
Lüneburg, Urteil vom 21. Juni 1989 - 4 A 138/88 -, NJW 1990, 1062 sowie VG Münster,
Urteil vom 29. Oktober 2002 - 5 K 234/99 -.
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Eine solche „Negativ-Evidenz" besteht hier nicht. Die Ehefrau des Klägers ist als
Abkömmling ersten Grades in gerader Linie gemäß § 1601 BGB vielmehr (im
streitgegenständlichen Zeitraum) dem Grunde nach unterhaltspflichtig (gewesen), ihre
Mutter umgekehrt grundsätzlich gemäß § 1602 BGB unterhaltsrechtlich bedürftig. Ob die
weiteren zivilrechtlichen Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch vorgelegen
haben, wäre im Einzelnen von dem zuständigen Familiengericht zu prüfen, wenn der
Beklagte sich zu einer entsprechenden Heranziehungsklage entschließen sollte.
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Die vom Beklagten begehrte Auskunft ist auch zur Durchführung des BSHG erforderlich
im Sinne des § 116 Abs. 1 Satz 1 BSHG.
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Vgl. zur Erforderlichkeit im Sinne des § 116 BSHG OVG NW, a. a. O.
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Die Vorschrift des § 116 BSHG soll dem Sozialhilfeträger die Prüfung ermöglichen, ob
und in welchem Umfang der in § 2 BSHG normierte Nachrang der Sozialhilfe durch die
Inanspruchnahme Dritter (wieder) hergestellt werden kann. Gegenüber einem nach
bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen kann der Nachrang der Sozialhilfe unter den
Voraussetzungen des § 91 BSHG hergestellt werden; um feststellen zu können, ob
gemäß § 91 Abs. 1 BSHG ein Übergang eines Unterhaltsanspruches erfolgt ist, und ob
zur Verwirklichung des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe eine zivilrechtliche
Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches erfolgen soll, bedarf es vorliegend aber -
auch - der Überprüfung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Klägers
gegenüber s e i n e r E h e f r a u , um dann prüfen zu können, ob d i e s e ihrer Mutter
Unterhalt leisten muss (bzw. musste). Nur wenn der Beklagte auch die Einkommens-
und Vermögensverhältnisse des Klägers kennt, kann er sachgerecht und abschließend
prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang zur Herstellung des Nachranges der
Sozialhilfe eine Inanspruchnahme der Ehefrau des Klägers in Frage kommt.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger zur Begründung seiner Klage
in Bezug genommenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt und Koblenz.
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Entscheidungen um
zivilgerichtliche Entscheidungen zur Frage der Unterhaltspflicht handelt, die auf die a u
s d r ü c k l i c h g e s e t z l i c h n o r m i e r t e Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach
§ 116 BSHG keine unmittelbaren Auswirkungen haben können. Sie können allenfalls
bei einer etwaigen zivilrechtlichen Überprüfung dahingehend, ob und inwieweit
tatsächlich eine Unterhaltspflicht der Ehefrau des Klägers bestanden haben könnte, zu
berücksichtigen sein; insoweit ist allerdings auch darauf zu verweisen, dass das für den
räumlichen Bereich des Beklagten örtlich maßgebliche Oberlandesgericht Hamm
diesen Entscheidungen gerade nicht gefolgt ist, sondern eine von der Auffassung dieser
Gerichte und des Klägers abweichende Ansicht zu diesen Fragen vertritt, die mit der des
Beklagten konform geht. Dies bedarf vorliegend aber keiner weiteren Erörterung. Denn
jedenfalls verhalten sich diese Entscheidungen in der Sache nicht zu der Frage, ob die
im § 116 BSHG normierte Auskunftspflicht besteht, sondern - wie dargelegt - zu der
hiervon zu unterscheidenden Frage, inwieweit tatsächlich Unterhaltsansprüche bzw.
Unterhaltsverpflichtungen bestehen. Dabei können diese Entscheidungen auch nicht
dazu führen, dass etwa mit Blick auf derartige Unterhaltsansprüche von der oben
erwähnten sogenannten „Negativ-Evidenz" ausgegangen werden könnte; dies um so
weniger, weil das OLG Hamm insoweit gerade eine andere Auffassung vertritt. Diese
Fragen wären vielmehr in einem möglichen späteren Verfahren zur Klärung der
Unterhaltspflichten zu prüfen. Davon zu trennen ist aber die vorgeschaltete und
ausdrücklich gesetzlich festgeschriebene Verpflichtung zur Auskunftserteilung, der
zuvor zur Ermöglichung der Prüfung, ob Unterhaltsverpflichtungen bestehen,
nachzukommen ist.
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Diese gesetzlich vorgeschriebene Pflicht, Auskunft zu erteilen, ist vorliegend auch nicht
durch den Tod der Hilfeempfängerin entfallen, weil der Zweck, den Nachrang der
Sozialhilfe herzustellen, auch nachträglich noch für den hier erheblichen Zeitraum von
der Aufforderung durch den Beklagten Ende Juni 2001 bis zum Tod der Mutter Anfang
September 2001 hergestellt werden kann.
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Nach alledem ist der Bescheid rechtmäßig, die Klage mithin abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß
§ 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. den §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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