Urteil des VG Münster vom 09.04.2010

VG Münster (bundesrepublik deutschland, universität, verhältnis zu, ausbildung, abschluss, höhe, anordnung, ziel, beginn, wechsel)

Verwaltungsgericht Münster, 6 L 642/09
Datum:
09.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 642/09
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
aufgegeben, der Antragstellerin im Bewilligungszeitraum
Wintersemester 2009/2010 bis Sommersemester 2010 ab dem 1.
Oktober 2009 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe für
den Studiengang Master of Education LA Gymnasium/Gesamtschule mit
den Fächern Anglistik und Pädagogik zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
G r ü n d e
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der
Antragstellerin vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache
Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe für den Studiengang Master of Education LA
Gymnasium/Gesamtschule mit den Fächern Anglistik und Pädagogik im
Bewilligungszeitraum Wintersemester 2009/2010 bis Sommersemester 2010 zu
gewähren,
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ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Antragstellerin hat sowohl einen
Anordnungsgrund sowie einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu
verhindern oder aus anderen Gründen erforderlich ist. Daraus folgt, dass eine die
Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Anordnung auf
Gewährung von Ausbildungsförderung nur ergehen darf, wenn es - im Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung - aus den in § 123 Abs. 1 VwGO aufgeführten besonderen
Gründen notwendig ist, dass dem Begehren sofort entsprochen wird. Der geltend
gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die
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Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind
glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Auf Grund der überreichten Unterlagen und des Vortrags der Antragstellerin liegt der
erforderliche Anordnungsgrund vor. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie
ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in schwerer, unzumutbarer
Weise beeinträchtigt würde. Sie ist auf Grund ihrer finanziellen Situation nicht in der
Lage, das begonnene Studium aus eigenen Mitteln zu finanzieren.
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Die Antragstellerin hat dargelegt, dass sie durch eine Nebentätigkeit lediglich Einkünfte
in Höhe von 250 EUR monatlich erzielt; es ist offenkundig, dass dieser Betrag nicht
ausreicht, um über einen längeren Zeitraum die Lebenshaltungs- sowie die
Studienkosten tragen zu können, weil dieser Betrag schon allein durch die Miete für die
Unterkunft am Studienort in Höhe von 220 EUR im wesentlichen verbraucht ist. Es ist
der Antragstellerin auch nicht zuzumuten, neben dem Studium einer intensiveren
Erwerbstätigkeit nachzugehen. Hierzu hat das Gericht bereits durch Beschluss vom 29.
Juni 2009 - 6 L 279/09 - ausgeführt:
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"Die Sozialleistung "Ausbildungsförderung" hat die Funktion, den einzelnen jungen
Menschen in den Stand zu setzen, sich frei, insbesondere ohne wirtschaftliche Zwänge
in einer qualifizierenden Ausbildung persönlich zu entfalten und auf sein Berufsleben
vorzubereiten. Deshalb deckt die Ausbildungsförderung grundsätzlich den vollen Bedarf
des Auszubildenden für Lebensunterhalt und Ausbildungsbedarf und verlangt im
Gegenzug vom Auszubildenden, dass sich dieser voll seiner Ausbildung widmet.
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Vgl. dazu Rothe/Blanke, BAföG, Kommentar, 5. Auflage, Einführung, Randnummer 251
und § 1 Rdnr. 11."
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Ausgehend hiervon kann die Antragstellerin nicht darauf verwiesen werden, durch eine
Erweiterung ihrer Nebentätigkeit die für den Lebensunterhalt und die Studienkosten
ausreichenden Einnahmen zu erwirtschaften.
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Die Antragstellerin hat des weiteren durch Vorlage einer entsprechenden Erklärung
ihrer Eltern glaubhaft gemacht, dass diese ebenfalls nicht in der Lage sind, die
Antragstellerin über einen längeren Zeitraum finanziell so zu unterstützen, dass
hierdurch die erforderlichen Kosten getragen werden könnten. Die Richtigkeit dieser
Angaben erfährt eine Bestätigung dadurch, dass die Antragstellerin bereits für ihren
Bachelorstudiengang Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
(BAföG) in voller Höhe erhalten hat, weil ihre Eltern insoweit nicht leistungsfähig waren.
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Die Antragstellerin hat auch den erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft
gemacht.
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Nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung ist
hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf
Ausbildungsförderung gemäß §§ 1, 11 BAföG zusteht. Die Antragstellerin erfüllt nach
summarischer Prüfung die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1a Nr. 1 und 2 BAföG.
Danach steht dem Auszubildenden für einen Master-Studiengang Ausbildungsförderung
zu, wenn dieser auf einem Bachelor-Studiengang aufbaut und der Auszubildende außer
dem Bachelor-Studiengang noch keinen Studiengang abgeschlossen hat. Diese
Voraussetzungen sind im Falle der Antragstellerin erfüllt.
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Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob, wie der Antragsgegner meint, die Förderung
eines Master-Studienganges ausgeschlossen ist, wenn der Auszubildende zuvor mehr
als einen Bachelor-Studiengang mit dem entsprechenden Bachelor-Grad
abgeschlossen hat, oder ob der Erwerb eines zusätzlichen Bachelor-Abschlusses
förderungsrechtlich mit Blick auf die Förderung des angestrebten Master-Studienganges
unschädlich ist, wie die Antragstellerin vorträgt. Diese Frage bedarf keiner
abschließenden Würdigung und Entscheidung, weil die Antragstellerin nach Auffassung
der Kammer nur einen (einzigen) Bachelor-Studiengang abgeschlossen hat. Die an der
X. X1. -Universität in N. erbrachten Studienleistungen stellen nicht die Aufnahme eines
neuen, weiteren Studienganges nach dem in C. absolvierten Bachelor-Studium dar
sondern dessen Fortsetzung. Denn die Antragstellerin hat sowohl in C. als auch in N.
ein Studium in denselben Fächern, nämlich Anglistik und Erziehungswissenschaften,
durchgeführt; sie hat diesen Studiengang auch nicht etwa in N. erneut von Beginn an
absolviert, sondern lediglich im Verlauf zweier Semester ergänzende Leistungspunkte
erworben, und sie hat auch keine weitere Abschlussarbeit gefertigt. Schließlich hat sie
mit dem an der Universität N. erworbenen Bachelor-Abschluss auch nicht etwa einen
weiteren, zusätzlichen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt, sondern könnte
lediglich ein- und denselben Berufsweg einschlagen. Folglich stellt dieser Bachelor-
Abschluss der Universität N. auch keinen zweiten Abschluss im Verhältnis zu dem
bereits in C. erworbenen dar. Dieser Würdigung entspricht es, dass die bereits in C.
erbrachten Leistungen von der Universität N. anerkannt und die in C. erreichten
Beurteilungen in der Abschlussnote des Bachelor-Zeugnisses der X. X1. -Universität N.
berücksichtigt worden sind. Damit ist das ursprünglich in C. durchgeführte Studium in
das weitere Studium in N. eingeflossen und bildet mit diesem zusammen ein
einheitliches Studium in einem Bachelor-Studiengang. Dieser Sachverhalt kann im
Ergebnis nicht anders gewertet werden, als wenn die Antragstellerin bereits vor ihrem
Abschluss in C. die Universität gewechselt und ihren Studiengang mit denselben
Fächern an einer anderen Universität -also in N. - weitergeführt hätte.
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Etwas anderes kann im Ergebnis nach Auffassung der Kammer aber auch dann nicht
gelten, wenn man dem Vorstehenden nicht folgt. Denn selbst die Annahme zweier
Bachelor-Studiengänge und entsprechender Abschlüsse könnte der Antragstellerin
förderungsrechtlich nicht zum Nachteil gereichen; vielmehr wäre die Antragstellerin
dann so zu behandeln, als liege nur ein Bachelor-Studium vor, bzw. wäre die Vorschrift
des § 7 Abs. 2 Satz 2 BAfög dann auf ihren Fall entsprechend anzuwenden.
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Die Antragstellerin hätte nämlich nicht zwei Bachelor-Studiengänge absolviert, etwa um
dann entscheiden zu können, auf welchem aufbauend sie ihre Ausbildung mit einem
Masterstudium fortsetzen möchte; sie hat vielmehr von Beginn der Aufnahme ihres
Studiums an das Ziel gehabt, im Anschluss an ihren Bachelor-Abschluss ihr Studium
mit einem Master-Studiengang in denselben Fächern fortzusetzen mit dem beruflichen
Ziel des Lehramtes an Gymnasien und Gesamtschulen. Dieses Berufsziel erfordert den
Abschluss auch des entsprechenden Master-Studienganges; lediglich, um dieses
Masterstudium beginnen zu können, ist die Antragstellerin gezwungen gewesen, an der
von ihr für die Weiterführung ihrer Ausbildung ausgewählten Universität N. zuvor weitere
Studienleistungen im dortigen Bachelor-Studiengang zu erbringen, weil ihr dort
andernfalls die Aufnahme des Master-Studienganges verweigert worden wäre. Der
Antragstellerin ist aber - wie jedem Studierendem - das Recht zuzubilligen, nach dem
Abschluss des Bachelor-Studienganges die Universität zu wechseln und den Master-
Studiengang an einer anderen Universität zu beginnen. Eine solche größere Flexibilität
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zu fördern war gerade auch eines der Ziele, die mit der Einführung der Bachelor- und
Master-Studiengänge in der Bundesrepublik Deutschland verfolgt worden sind, wobei
sogar darüberhinaus eine Durchlässigkeit auch zu im Ausland gelegenen Hochschulen
angestrebt worden ist; selbst die Fortsetzung einer Ausbildung mit einem Master-
Studiengang, der nicht (mehr) fachidentisch mit dem zuvor absolvierten Bachelor-
Studiengang sein muss, wie dies in der Vergangenheit jedenfalls förderungsrechtlich
erforderlich war, sollte durch die entsprechende Änderung des § 7 BAföG mit der
Einfügung des Abs. 1 a ermöglicht werden.
Vgl. hierzu Bundesdrucksache 14/4731, S. 31 und 47, 48.
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Wenn dann gerade in der Übergangszeit nach der Einführung der Bachelor- und Master-
Studiengänge in der Bundesrepublik Deutschland einzelne Universitäten ihre
Studiengänge derart unterschiedlich aufgebaut haben, dass der vom Gesetzgeber
gewollte Wechsel zwischen verschiedenen Universitäten erschwert oder fast unmöglich
gemacht wird, entsteht ein atypischer Sachverhalt, der - auch förderungsrechtlich - nicht
zu Lasten des betroffenen Studierenden gehen kann. Ein solcher Sachverhalt liegt aber
gerade im Falle der Antragstellerin vor. Denn der von ihr angestrebte Wechsel des
Studienortes von C. nach N. wurde dadurch erschwert, dass die X. X1. -Universität in N.
für die Zulassung zum Master-Studiengang in den Fächern Anglistik und
Erziehungswissenschaften Leistungen gefordert hat, die in der Universität C. nicht
erbracht werden konnten. Diese Forderung der X. -X1. -Universität, die ohnehin für die
Antragstellerin schon den Nachteil mit sich gebracht hat, vor Beginn ihres Master-
Studienganges zunächst noch diese zusätzlichen geforderten Leistungen im Bachelor-
Studiengang erbringen zu müssen, und die geradezu im Gegensatz zu den
gesetzgeberischen Intentionen bei Einführung dieses Studiensystems stehen, sind nicht
von der Antragstellerin zu vertreten und können nicht zu ihren Lasten dazu führen, dass
sie ihren grundsätzlich für den Master-Studiengang bestehenden Förderungsanspruch
verliert. Eine derartige Auslegung des § 7 Abs. 1 a BAföG steht nach Überzeugung der
Kammer schon nicht im Einklang mit den gesetzgeberischen Intentionen bei Einführung
der Bachelor- und Master-Studiengänge und bei der Einfügung des Abs. 1 a in den § 7
BAföG, wäre aber jedenfalls über § 7 Abs. 2 Satz 2 zu korrigieren.
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Die Antragstellerin kann schließlich auch nicht darauf verwiesen werden, dass sie ihre
Ausbildung mit einem Master-Studiengang in C. hätte fortsetzen können, weil dies dem
oben dargelegten gesetzgeberischen Ziel bei Einführung der Bachelor- und
Masterstudiengänge, auch eine größere - auch örtliche - Flexibilität bei der Gestaltung
der Ausbildung zu ermöglichen, gerade zuwiderlaufen würde. Es kann nicht angehen,
vom Gesetzgeber - und zwar, wie die Änderung des § 7 Bafög deutlich macht,
grundsätzlich auch förderungsrechtlich - gewollte Möglichkeiten einer flexiblen
Gestaltung der Ausbildung durch förderungsrechtliche Einschränkungen zu unterlaufen
und dem Studierenden einen Wechsel des Studienortes auf diese Weise unmöglich zu
machen.
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Der Antragstellerin steht deshalb die begehrte Ausbildungsförderung -mindestens
aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG - zu.
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Die Kosten des Verfahrens hat nach § 154 Abs. 1 VwGO der Antragsgegner zu tragen.
Gemäß § 188 S. 2 VwGO ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
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