Urteil des VG Münster vom 06.12.2002

VG Münster: treu und glauben, nachbesserung, erfüllung, kolloquium, auflage, vergleich, daten, beendigung, leistungsklage, laden

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 871/02
Datum:
06.12.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 871/02
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, das Habilitationsverfahren des Klägers
fortzusetzen und den Kläger binnen 4 Monaten nach Rechtskraft des
Urteils zum Habilitationsvortrag mit anschließendem Kolloquium vor den
Habilitationsausschuss zu laden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger, heute Honorarprofessor an der Fachhochschule P, F, X1, Standort: X1,
beantragte im Juni 1981 beim Dekan der Beklagten die Eröffnung des
Habilitationsverfahrens im Fach Chirurgie. Zugleich legte er eine Habilitationsschrift mit
dem Titel „Posttraumatisches Heilungsverhalten querosteotomierter, instabil versorgter
Schaftknochen unter dem Einfluss von dynamischem Interferenzstrom. Eine
experimentelle Studie am Großtier" vor. Am 14. Juli 1981 beschloss der Fachbereichsrat
Klinische Medizin der Beklagten die Eröffnung des Habilitationsverfahrens und bestellte
eine Habilitationskommission.
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Die Habilitationskommission holte Gutachten verschiedener Professoren ein, die zu
unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Habilitationsschrift gelangten. Unter
Zugrundelegung des Berichts der Habilitationskommission lehnte der
Habilitationsausschuss - zu dem als stimmberechtigte Mitglieder alle zur Gruppe der
Professoren des Fachbereichs rechnenden Mitglieder gehören (Art. 58 Abs. 1 Nr. 1 der
Verfassung der X-Universität zu N [UV] vom 31. Dezember 1984 i.d.F. vom 20. März
1990) - im Jahr 1984 die Fortsetzung des Verfahrens ab. Auf den dagegen eingelegten
Widerspruch des Klägers wurde das Habilitationsverfahren im Oktober 1984 fortgesetzt.
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Die Habilitationskommission holte weitere Gutachten ein. In Abstimmung mit der
Kommission legte der Kläger im Juni 1987 eine geänderte Fassung seiner
Habilitationsschrift vor. Am 8. Dezember 1988 lehnte der Habilitationsausschuss die
Fortführung des Verfahrens erneut ab. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 21.
Dezember 1989 legte der Kläger Widerspruch ein, dem der Habilitationsausschuss am
29. Dezember 1989 stattgab.
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Die vom Habilitationsausschuss eingesetzte Habilitationskommission forderte zunächst
die bisherigen Gutachter - u.a. B (G) - zu ergänzenden Stellungnahmen auf. B
befürwortete weiterhin die Annahme der Arbeit als Habilitation in Übereinstimmung mit
seinem am 8. Januar 1986 erstatteten Gutachten. Am 4. Dezember 1990 beschloss die
Habilitationskommission, drei weitere auswärtige Gutachter um die Beurteilung der
Arbeit zu bitten. Von diesen drei Gutachtern kamen die T-O (F1) und L (E) in ihren
Gutachten zu der Empfehlung, die Leistung des Klägers als Habilitationsschrift
anzunehmen. T1 (N1) empfahl in seinem Gutachten die Annahme der Arbeit als
Habilitationsschrift nach Überarbeitung. Seiner Auffassung nach wäre es u.a.
wünschenswert gewesen, wenn der Kläger in seiner Arbeit Ansätze einer
Semiquantifizierung der histologischen Bilder gewagt hätte und bestimmte Befunde im
einfachen Blindverfahren von mehreren Untersuchern beurteilt worden wären.
5
Auf der Grundlage des erstellten Berichts der Habilitationskommission sprach sich die
Mehrheit der stimmberechtigten Professoren des Habilitationsausschusses gegen eine
Fortsetzung des Verfahrens aus. Daraufhin teilte der Dekan der Beklagten dem Kläger
durch Bescheid vom 12. Dezember 1991 mit, dass das Habilitationsverfahren nicht
fortgesetzt werde. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger am 3.
Dezember 1992 Klage.
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Der Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das
erkennende Gericht blieb ebenso erfolglos (Beschluss vom 9. Juni 1993 - 1 L 760/93 -)
wie seine anschließend eingelegte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) (Beschluss vom 19. November 1993 - 22 B
1651/93 -).
7
Im Hauptsacheverfahren hob das erkennende Gericht den angefochtenen Bescheid der
Beklagten durch Urteil vom 28. Januar 1994 (1 K 3759/92) auf. Die dagegen eingelegte
Berufung der Beklagten wies das OVG NRW durch Urteil vom 16. Januar 1995 (22 A
969/94) zurück und verpflichtete die Beklagte, über die Fortsetzung des
Habilitationsverfahrens des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu entscheiden. Dabei gab das OVG NRW der Beklagten u.a. auf, einer
erneuten Entscheidung des Habilitationsausschusses die Gutachten der B, T1, T-O und
L zu Grunde zu legen, und stellte fest, bei der Abstimmung komme es auf die Mehrheit
der Ja-Stimmen gegenüber den Nein- Stimmen an; Stimmenthaltungen seien als nicht
abgegebene Stimmen anzusehen.
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Daraufhin führte der Habilitationsausschuss eine erneute schriftliche („erste")
Abstimmung betreffend das Habilitationsverfahren des Klägers durch, in der die
Mehrzahl der stimmberechtigten Mitglieder des Habilitationsausschusses erneut gegen
die Fortsetzung des Habilitationsverfahrens votierten. Unter dem 6. September 1995
teilte der Prodekan in Vertretung des Dekans der Beklagten den Mitgliedern des
Habilitationsausschusses mit, dass es nach der Entscheidung des OVG NRW
erforderlich sei, in einer zweiten Abstimmungsrunde darüber zu befinden, ob das
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Habilitationsverfahren des Klägers endgültig beendet sei oder ob es bei Erfüllung
bestimmter Voraussetzungen, also im Falle einer Nachbesserung der Arbeit auf Grund
bestimmter Maßgaben, wieder aufgenommen werden könne. In dieser („zweiten")
Abstimmungsrunde stimmten 99 Mitglieder des Habilitationsausschusses für eine
endgültige Beendigung und 9 Mitglieder für eine Wiederaufnahme des
Habilitationsverfahrens unter Angabe bestimmter Maßgaben. 38 Stimmberechtigte
wählten die Alternative, kein Votum abzugeben. Der Dekan der Beklagten stellte
daraufhin durch Bescheid vom 16. Oktober 1995 fest, dass das Habilitationsverfahren
nicht fortgesetzt werde.
Auf die nach erfolglosem Vorverfahren hiergegen erhobene Klage verpflichtete das
erkennende Gericht die Beklagte durch Urteil vom 12. März 1999 (1 K 1583/96), über die
Fortsetzung des Habilitationsverfahrens des Klägers unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Dabei gab es der Beklagten u.a.
auf, unter Berücksichtigung der Vorgaben des OVG NRW in seinem Urteil vom 16.
Januar 1995 die zweite Abstimmungsrunde zu wiederholen, wobei u.a. diejenigen
Mitglieder des Habilitationsausschusses, die für eine endgültige Beendigung des
Habilitationsverfahrens stimmen wollten, ihre Ablehnung substantiiert zu begründen
hätten. Den dagegen gerichteten Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung
lehnte das OVG NRW mit Beschluss vom 23. Juli 1999 (22 A 1882/99) ab.
10
Bei der im September/Oktober 1999 durchgeführten Wiederholung des zweiten
Abstimmungsverfahrens über die Beendigung bzw. Fortsetzung des
Habilitationsverfahrens des Klägers unter Beifügung der Habilitationsschrift sowie der
Gutachten der B, T1, T-O und L votierten von 146 stimmberechtigten Mitgliedern des
Habilitationsausschusses 33 für die endgültige Beendigung des Habilitationsverfahrens
und 18 für eine Fortsetzungsmöglichkeit nach Überarbeitung der Habilitationsschrift. 95
Stimmberechtigte gaben kein Votum ab. Daraufhin stellte der Dekan der Beklagten
durch Bescheid vom 28. Februar 2000 wiederum fest, dass das Habilitationsverfahren
des Klägers nicht fortgesetzt werde. Zur Begründung führte er aus, die Mehrheit der
Mitglieder des Habilitationsausschusses habe ihr ablehnendes Votum auf eine Vielzahl
von Mängeln gestützt und damit eine individuelle Wertungsentscheidung getroffen.
11
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 14. März 2000 Widerspruch und
am 18. März 2000 Klage vor dem erkennenden Gericht.
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Den unter dem 20. April 2000 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das erkennende Gericht durch Beschluss vom 23.
Mai 2000 (10 L 571/00) ab. Den dagegen gerichteten Antrag des Klägers auf Zulassung
der Beschwerde lehnte das OVG NRW durch Beschluss vom 19. Dezember 2000 (14 B
880/00) ab.
13
Auf die von dem Kläger nach erfolgloser Durchführung eines Vorverfahrens gegen den
Bescheid vom 28. Februar 2000 bereits am 18. März 2000 erhobene Klage (10 K
692/00) verpflichtete das erkennende Gericht die Beklagte durch Urteil vom 23. März
2001, dem Kläger in einem Bescheid mitzuteilen, dass das Habilitationsverfahren bei
Erfüllung bestimmter Voraussetzungen fortgesetzt werde, wobei das Gericht der
Beklagten die Beachtung verschiedener Maßgaben aufgab. Nach diesem
rechtskräftigen Urteil hat die Beklagte dem Kläger u.a. die nachzubessernden Stellen
der Habilitationsschrift im Einzelnen abschließend zu bezeichnen (Nr. 2) und die
Maßgaben für eine Nachbesserung anzugeben (Nr. 3), die allein aus den eine
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Fortsetzung des Habilitationsverfahrens befürwortenden Stellungnahmen entnommen
werden sollten (Nr. 4); die Erfüllung der geforderten Maßgaben muss dem Kläger
möglich sein, anderenfalls die Maßgaben als erfüllt anzusehen sind (Nr. 5).
Am 11. Juni 2001 fand zwischen den Beteiligten eine Besprechung statt, an der u.a.
neben dem Kläger und dessem Prozessbevollmächtigten der Dekan und der
Forschungsdekan der Beklagten teilnahmen. Ausweislich eines vom
Prozessbevollmächtigten des Klägers diktierten Vermerkes war Gegenstand des
Gesprächs der Inhalt der Maßgaben, bei deren Erfüllung das Habilitationsverfahren des
Klägers wieder aufgenommen werden sollte. Auf der Grundlage dieser Besprechung
erließ der Dekan der Beklagten am 19. Juni 2001 einen mit Rechtsmittelbelehrung
versehenen Bescheid. Darin teilte der Dekan der Beklagten dem Kläger mit, dass das
Habilitationsverfahren unter folgenden Voraussetzungen fortgesetzt werde:
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1. Der Kläger habe „zusätzlich eine semiquantitative Doppelblind- auswertung der
histologischen Bilder vorzunehmen und eine Statistik mit nicht parametrischen Tests zu
erstellen, um einen Gruppenvergleich zu ermöglichen".
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2. Die Erfüllung der Ziff. 1 könne in Form eines Nachtrags zur Habilitationsschrift
erfolgen.
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3. Der Kläger könne bei der Nachbesserung Beratung durch ein vom Dekan benanntes
Fakultätsmitglied in Anspruch nehmen.
18
Hierauf nahm der Kläger unter dem 7. August 2001 Kontakt mit dem vom Dekan als
Fakultätsmitglied benannten I auf. Letzterer bat den Kläger, die histologischen Schnitte
seiner damaligen Versuchsreihen im Dekanat der Beklagten abzugeben, damit sie an
ihn weitergeleitet würden, um sie selbst durchzusehen und zuzuordnen. Daraufhin gab
der Kläger seine damaligen relevanten histologischen Sektionspräparate am 5.
September 2001 im Dekanat der Beklagten ab. I nahm eine „einfach verblindete"
Auswertung der überreichten drei Präparatserien vor, ohne zu wissen, welche Serie im
Einzelnen der Kontroll- und welche der Behandlungsgruppe entsprach. In seiner
gutachterlichen Stellungnahme vom 9. Dezember 2001 kam er zu dem Ergebnis, dass
auf Grund starker Unterschiede zwischen den Längsschnittpräparaten hinsichtlich der
Geometrie des Frakturspalts und der Querschnittpräparate hinsichtlich der
Repräsentanz eingebrachter Osteosyntheseplatten und -schrauben eine
Gruppenbildung und damit verbunden ein Vergleich zwischen Präparaten gleicher
Ordnungsziffer aus den drei Serien R, B und G nicht möglich sei.
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Das Gutachten brachte der Dekan der Beklagten dem Kläger mit Schreiben vom 8.
Januar 2001 zur Kenntnis. Der Kläger wandte sich daraufhin an S - Fachtierarzt für
Pathologie -, ehem. Leiter der zentralen tierexperimentellen Einrichtung des
Universitätsklinikums N, mit der Bitte um Beantwortung der Fragen, was eine
semiquantitative Doppelblindauswertung sei und ob es sich um eine solche bei dem
Gutachten von I handele. In seinem Antwortschreiben vom 7. Februar 2002 teilte S
Folgendes mit: Doppelblindauswertungen seien nur im Rahmen klinischer Prüfungen
neuer Arzneimittel am Patienten möglich. Der Auftraggeber stelle dem Arzt
Prüfsubstanzen zur Verfügung, die nach einem Nr.-System verschlüsselt seien. Weder
der behandelnde Arzt noch die Patienten wüssten, ob ihnen ein Placebo oder die
Prüfsubstanz verabreicht würde. Am Ende einer solchen Doppelblindstudie könne der
Auftraggeber, wenn alle Daten der Prüfparameter (Werte der klinisch- chemischen oder
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hämatologischen Untersuchungen) vorlägen, die Placebo- und Prüfsubstanzgruppe
zusammenstellen. Zwar sei ein einfacher Blindversuch auch bei präklinischen
Versuchsvorhaben möglich, indem vom Versuchsleiter nummerierte Prüfsubstanzen an
die Versuchstiere verabreicht und die Daten der Prüfparameter (Ergebnisse der
histologischen Untersuchungen von Geweben und Organen) dem Auftraggeber zur
Verfügung gestellt würden, der die Ergebnisse dann den Kontroll- und
Behandlungsgruppen zuordne. Bei dem Kläger handele es sich jedoch gleichzeitig um
den Auftraggeber und den Versuchsleiter in einer Person. Eine nachträgliche
semiquantitative Doppelblindauswertung der histologischen Schnitte (z.B.
halbquantitative Schätzung des Kallus) sei aus wissenschaftlicher Sicht unmöglich, da
der Kläger auf Grund der von ihm vorgenommenen mikromorphologischen Analyse die
meisten Präparate und ihre Gruppenzugehörigkeit kenne. Die weitere Auflage eines
nichtparametrischen Tests entfalle, da dieser von den Ergebnissen einer vorherigen
Doppelblindauswertung abhängig sei. Die von I vorgenommene Auswertung könne nur
im Sinne einer einfachen Blindauswertung interpretiert werden. Jeder externe Pathologe
könne ebenfalls nur eine solche einfache Blindauswertung vornehmen.
Unter dem 12. Februar 2002 forderte der Kläger die Beklagte über seine
Prozessbevollmächtigten auf, das Habilitationsverfahren fortzusetzen. Daraufhin teilte
der Dekan der Beklagten dem Kläger mit Schreiben vom 25. Februar 2002 mit, der
Fachbereichsrat der N Fakultät werde in seiner Sitzung am 23. April 2002 entscheiden,
ob der Kläger die Auflagen zur Nachbesserung der Habilitationsschrift erfüllt habe.
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Am 23. März 2002 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt
er vor: Es handele sich um eine allgemeine Leistungsklage, die ohne Vorverfahren
zulässig sei. Er habe einen Anspruch auf Fortsetzung des Habilitationsverfahrens und
Ladung zum Habilitationsvortrag mit anschließendem Kolloquium. Die ihm mit Bescheid
vom 19. Juni 2001 auferlegten Nachbesserungsmaßgaben seien als erfüllt anzusehen.
Zwar seien die auferlegten Maßgaben das Ergebnis einer Besprechung mit Vertretern
der Beklagten gewesen, ihm sei die auferlegte „semiquantitative
Doppelblindauswertung" jedoch objektiv unmöglich. Solche Auswertungen gebe es nur
im Rahmen klinischer Prüfungen neuer Arzneimittel. Vermutlich sei die Unerfüllbarkeit
und Unzumutbarkeit von den Vertretern der Beklagten genauso wenig erkannt worden
wie von ihm. Allerdings hätte der Habilitationsausschuss, dem Fachleute angehörten
und der die dem Bescheid vom 19. Juni 2001 zu Grunde liegende Entscheidung über
Nachbesserungsarbeiten getroffen habe, erkennen müssen, dass ihm - dem Kläger - die
Erfüllung der Auflage unmöglich sei. Da keine Daten einer semiquantitativen
Untersuchung existierten, sei ihm auch die Erstellung nicht parametrischer Tests
unmöglich. Damit seien nach dem rechtskräftigen Urteil der Kammer vom 23. März 2001
die Nachbesserungsmaßgaben als erfüllt anzusehen. Ein gebundener Anspruch folge
daraus, dass die Beklagte bei Erfüllung der Auflagen auf die Ausübung ihres
Fortsetzungsermessens verzichtet habe. Soweit eine Nachbesserung durch eine
doppelt geblindete Auswertung zweier neu zu bestellender Histopathologen gefordert
werde, handele es sich nicht um eine Nachbesserung durch ihn, sondern um die
Einholung weiterer Gutachten von Dritten.
22
Im Rahmen der am 27. September 2002 durchgeführten mündlichen Verhandlung, in
deren Verlauf die Beteiligten einen - später widerrufenen - Vergleich schlossen, räumte
der Kläger ein, dass ihm seinerzeit klar gewesen sei, dass er bei der geforderten
Doppelblindauswertung als verantwortlicher Versuchsleiter nicht selbst hätte mitwirken
können. Er habe sich in gewisser Weise befangen gefühlt, da er die Präparate und
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deren Zuordnung gekannt habe. Diese Bedenken habe er gegenüber den anwesenden
Vertretern der Beklagten geäußert. Der Dekan habe gleichwohl mit den Worten: „Wir
machen es doch." an dem Vorschlag festgehalten.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, sein Habilitationsverfahren fortzusetzen und ihn binnen 4
Monaten nach Rechtskraft des Urteils zum Habilitationsvortrag mit anschließendem
Kolloquium vor den Habilitationsausschuss zu laden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor: Die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Habilitationsverfahrens seien
zuvor mit dem Kläger genau abgestimmt worden. Die Nachbesserungsmaßgaben seien
bestandskräftig. Sie seien auch erfüllbar. Die semiquantitative Doppelblindauswertung
sei von einem der Gutachter gefordert worden. Diese Art der Auswertung sei bekannt
und werde nicht nur im Rahmen klinischer Prüfungen von Arzneimitteln, sondern auch
bei einer Auswertung histologischer Präparate eingesetzt. Bei der Auflage habe es sich
ihrer Auffassung nach um eine doppelt geblindete Auswertung handeln sollen. Ihr sei
durchaus bekannt gewesen, dass der Kläger als Versuchsleiter für diese Art der
Auswertung nicht in Betracht komme. Vielmehr habe je ein vom Kläger und ein von ihr
zu bestellender Histopathologe die kodierten Präparate auswerten und versuchen
sollen, Gruppen zu bilden. Die einfache parametrische Auswertung habe bedeuten
sollen, dass eine Variable (Einfluss von Schwachstrom auf die Knochenheilung) mit der
Kontrollgruppe verglichen werde. Neben der „geblindeten Auswertung" durch I sei eine
weitere „geblindete Auswertung" durch einen weiteren unabhängigen Pathologen
möglich und durchführbar. Die Maßgaben zur Nachbesserung habe der Kläger daher
nicht erfüllt.
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Die Beteiligten haben am 27. September 2002 auf (erneute) mündliche Verhandlung
verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu
den Akten gereichten Schriftsätze der Beteiligten, der von der Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge (1 Ordner, 1 Habilitationsschrift) sowie auf die Gerichtsakten 1 K
3759/92 (OVG NRW 22 A 969/94), 1 K 1583/96 (OVG NRW 22 A 1882/99) und 10 L
571/00 (OVG NRW 14 B 880/00) Bezug genommen.
30
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet die Kammer ohne (erneute) mündliche
Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
32
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig. Gegenstand der allgemeinen
Leistungsklage sind alle öffentlich-rechtlichen Ansprüche auf Vornahme von
Verwaltungshandlungen, die nicht im Wege der Verpflichtungsklage geltend gemacht
werden können. Da sich die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO allein auf
den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts bezieht, kommt die
allgemeine Leistungsklage grundsätzlich für alle übrigen Formen des
33
Verwaltungshandelns in Betracht.
Der Kläger begehrt die Vornahme einer sonstigen Verwaltungshandlung des Beklagten,
die keinen Verwaltungsakt darstellt. § 10 Abs. 1 Satz 1 der Habilitationsordnung -
HabilO - der Beklagten vom 12. Mai 1975 sieht bei Fortsetzung des Verfahrens vor, dass
der Dekan den Bewerber zum Habilitationsvortrag mit anschließendem Kolloquium vor
den Habilitationsausschuss lädt. Hierbei handelt es sich um eine einfache Ladung zu
einem weiteren Prüfungsabschnitt, die keinen Verwaltungsaktcharakter besitzt. Die
Ladung zur Prüfung stellt grundsätzlich eine schlicht-hoheitliche Verfahrenshandlung
dar, durch die keine Verpflichtung des Geladenen begründet wird, sich der Prüfung zu
unterziehen.
34
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 1981 - 9 S 92/81 -, zit. nach
JURIS; Bay VGH, Beschluss vom 11. Januar 1989 - 3 B 88.01381 -, in: BayVBl. 1989,
343; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 1984 - 8 C 87.82 -, NJW 1984, 2541;
ferner: Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2.Aufl., 2001, Rn. 139; Niehues, Schul- und
Prüfungsrecht, Band 2, Prüfungsrecht, 3. Aufl., 1994, Rn. 379.
35
Mit der Ladung vor den Habilitationsausschuss sind für den Kläger keine konkreten
Rechtswirkungen für die Prüfung oder die Prüfungsentscheidung verbunden. Diese
knüpfen vielmehr an den nach der Ladung zu erbringenden Habilitationsvortrag und das
sich anschließende Kolloquium an (§ 10 Abs. 3 Satz 1 HabilO).
36
Der Kläger ist auch analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, da nicht offensichtlich und
eindeutig auszuschließen ist, dass er durch die Ablehnung des von ihm mit Schreiben
vom 12. Februar 2002 gegenüber der Beklagten geltend gemachten Anspruchs auf
Fortsetzung des Habilitationsverfahrens und Ladung vor den Habilitationsausschuss in
eigenen Rechten, namentlich in seinem Recht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG,
verletzt wird. Der Kläger macht gegenüber der Beklagten geltend, dass das ihm
auferlegte Nachbesserungsverlangen als erfüllt anzusehen sei, so dass die
Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 HabilO gegeben seien. Ob dies tatsächlich der Fall ist,
ist keine im Rahmen der Klagebefugnis zu behandelnde Frage, sondern im Rahmen der
Begründetheit der Klage zu prüfen.
37
Für den Kläger besteht ferner ein Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen
Sachentscheidung. Das grundsätzlich auch bei Leistungsklagen zu bejahende
schutzwürdige Interesse an der gerichtlichen Durchsetzung des behaupteten Anspruchs
entfällt ausnahmsweise nur dann, wenn besondere Umstände gegeben sind, die u.a.
dann vorliegen können, wenn sich das Klagebegehren als rechtsmissbräuchlich
darstellt, weil der Kläger in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Art und Weise
eine Verzögerung der Klageerhebung bewirkt hat. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht
gegeben. Indem der Kläger den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2001 nicht
angefochten hat und dadurch bestandskräftig hat werden lassen, ergibt sich keine
Verwirkung seines vorliegenden Klagebegehrens. Eine solche Verwirkung läge
vielmehr nur dann vor, wenn das Klagerecht über einen längeren Zeitraum bestand,
dies aber in Kenntnis des Berechtigten nicht ausgeübt wurde und dadurch beim
Beklagten ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, auf Grund
dessen dieser nicht mehr mit einer Klageerhebung in der Sache rechnen musste.
38
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 2000 - 4 A 11.99 -, NVwZ 2001, 206;
Beschluss vom 31. August 1999 - 3 B 57.99 -, NVwZ-RR 2000, 259.
39
Dies ist bei dem Klagebegehren des Klägers jedoch nicht der Fall. Allein durch die
Nichtanfechtung des Nachbesserungsbescheides vom 19. Juni 2001 ist bei der
Beklagten kein Vertrauenstatbestand der Gestalt geschaffen worden, dass der Kläger
mit der Nachbesserungsauflage auf eine weitere Durchführung des
Habilitationsverfahrens verzichtet hätte. Vielmehr sollte erst die auferlegte
Nachbesserung erfolgen und - je nach dem Ergebnis - das Verfahren fortgesetzt
werden. Zur Überprüfung und Auswertung der histologischen Bilder seiner
Versuchsreihe hat der Kläger seine Schnitte einem anderen Fakultätsmitglied vorgelegt.
Vor Kenntnis der Prüfung durch I hat der Kläger weder auf einen Anspruch auf
Fortsetzung des Habilitationsverfahrens - ausdrücklich oder konkludent - verzichtet,
noch wollte er bereits zu diesem Zeitpunkt klageweise ein Recht auf Fortsetzung des
Habilitationsverfahrens durchsetzen, noch ist durch einen längeren Zeitablauf - der sich
hier nur auf die Dauer der Präparatsprüfung durch I beschränkte - ein entsprechender
Vertrauenstatbestand bei der Beklagten entstanden. Vielmehr hat der Kläger nach
Kenntniserlangung des Ergebnisses der Prüfung durch I ohne zeitliche Verzögerung
rechtliche Schritte unternommen und zeitnah die vorliegende Klage erhoben. Mit
Schreiben des Dekans der Beklagten an seinen Prozessbevollmächtigten vom 8.
Januar 2002 ist ihm erstmalig das von I ermittelte Auswertungsergebnis mitgeteilt
worden. Daraufhin stellte der Kläger über seine Verfahrensbevollmächtigten mit
Schriftsatz vom 12. Februar 2002 einen Antrag auf Fortsetzung des
Habilitationsverfahrens. Nach Mitteilung des Dekans der Beklagten vom 25. Februar
2002, dass der Fachbereichsrat über die Erfüllung der Nachbesserungsauflage
entscheiden werde und der darin enthaltenen inzidenten Ablehnung, dem Begehren des
Klägers zu entsprechen, hat dieser am 23. März 2002 Klage erhoben.
40
Die Klage ist auch begründet.
41
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 HabilO einen
Anspruch auf Fortsetzung des Verfahrens und Ladung zum Habilitationsvortrag mit
anschließendem Kolloquium vor dem Habilitationsausschuss.
42
Das Habilitationsverfahren des Klägers ist fortzusetzen, da die durch Bescheid des
Dekans der Beklagten vom 19. Juni 2001 dem Kläger auferlegten
Nachbesserungsarbeiten seiner Habilitationsschrift im Sinne des § 9 Abs. 2 HabilO als
erfüllt anzusehen sind.
43
Die Beklagte ist durch Urteil des erkennenden Gerichts vom 23. März 2001 rechtskräftig
und mit bindender Wirkung für alle Beteiligten (§ 121 Nr. 1 VwGO) verpflichtet worden,
„dem Kläger in einem Bescheid mitzuteilen, dass das Habilitationsverfahren bei
Erfüllung bestimmter Voraussetzungen fortgesetzt wird und dabei unter Beachtung der
Maßgaben des Gerichts die Voraussetzungen anzugeben, nach deren Erfüllung das
Verfahren wieder aufgenommen wird". Die zu beachtenden Maßgaben hat das Gericht
in den Entscheidungsgründen näher präzisiert, die zur Auslegung des Urteilstenors und
zur näheren Bestimmung der dort in Bezug genommenen Voraussetzungen
heranzuziehen sind. Da die Maßgaben, die das Verpflichtungsurteil der Beklagten zur
Beachtung bei dem Erlass des neuen Verwaltungsakts vorschreibt, sich nicht aus der
Urteilsformel selbst entnehmen lassen, ergibt sich der Umfang der materiellen
Rechtskraft und damit der Bindungswirkung notwendigerweise aus den
Entscheidungsgründen, die die nach dem Urteilstenor zu beachtende Rechtsauffassung
des Gerichts im Einzelnen darlegen.
44
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 -, NJW 1996, 737 ff. = NVwZ 1996,
473.
45
Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts hatte die Beklagte die nachzubessernden
Stellen der Habilitationsschrift im Einzelnen unter genauer Angabe der Seitenzahl und
der dort in Rede stehenden Passagen abschließend zu bezeichnen (Nr. 2). Hierzu
waren zudem die jeweiligen Maßgaben anzugeben, nach denen die Nachbesserung
erfolgten sollte (Nr. 3). Die nachzubessernden Stellen sowie die Maßgaben für die
Nachbesserung sollten allein den eine Fortsetzung des Habilitationsverfahrens nach
Nachbesserung befürwortenden Stellungnahmen entnommen werden (Nr. 4). Die
Erfüllung der Maßgaben musste dem Kläger möglich sein; sofern dieser die
Unmöglichkeit der Erfüllung einer Maßgabe belegte, sollte diese als erfüllt gelten (Nr. 5).
Das Ausmaß der verlangten Nachbesserung durfte insgesamt nicht einer
Neuanfertigung gleichkommen (Nr. 6).
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Ausgehend von diesen Vorgaben ist das durch Bescheid vom 19. Juni 2001 gegenüber
dem Kläger artikulierte Nachbesserungsverlangen der Beklagten als erfüllt im Sinne der
Nr. 5 der Maßgaben-Vorgaben des Urteils der Kammer vom 23. März 2001 anzusehen.
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Unabhängig davon, ob die Beklagte sich an die rechtlich bindenden Vorgaben des
rechtskräftigen Urteils bei Abfassung des gegenüber dem Kläger erlassenen
Nachbesserungsbescheids gehalten hat, hat sie ihm mit ihrem Bescheid vom 19. Juni
2001 jedenfalls eine Nachbesserung auferlegt, die von den eine Fortsetzung des
Habilitationsverfahrens nach Nachbesserung befürwortenden Gutachtern so nie
gefordert worden ist (vgl. S. 5 des Gutachtens T1 vom 11. April 1991; ferner die
Stellungnahmen der Mitglieder des Habilitationsausschusses O1 und T2) und die zu
erfüllen dem Kläger auch tatsächlich unmöglich ist. Der Dekan der Beklagten forderte
den Kläger unter Nr. 1 seines Bescheides vom 19. Juni 2001 auf, „zusätzlich eine
semiquantitative Doppelblindauswertung der histologischen Bilder vorzunehmen und
eine Statistik mit nichtparametrischen Tests zu erstellen, um einen Gruppenvergleich zu
ermöglichen".
48
Die von dem Kläger geforderte „semiquantitative Doppelblindauswertung" ist diesem
nicht möglich.
49
In der medizinischen Wissenschaft versteht man unter einem „Doppelblindversuch" eine
Testreihe, bei der weder die Versuchsperson bzw. das Versuchstier die Zuordnung der
Prüfsubstanz zu einem Versuchsteilnehmer kennt noch der Arzt oder der
Versuchshelfer. Die Zuteilung der Probanden zur Test- oder Kontrollgruppe erfolgt nach
dem Zufallsprinzip anhand besonderer statistischer mathematischer Auswahlverfahren.
Solche Doppelblindversuche kommen insbesondere in der Arzneimittelprüfung zur
Anwendung.
50
Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Berlin/New York, Stand: 2002, zum Stichwort:
Blindversuch; dtv-Wörterbuch Medizin, Februar 2000, zum Stichwort: Blindversuch;
Roche, Lexikon Medizin, 4. Aufl., 1998, zum Stichwort: Blindversuch; Der
Gesundheitsbrockhaus, 2. Aufl., Wiesbaden 1979, S. 102.
51
Hiervon ausgehend ist mit dem Begriff der „Doppelblindauswertung" die Prüfung von
bereits vorhandenen Ergebnissen zu verstehen, bei denen weder dem Versuchsleiter
52
bzw. Versuchshelfer noch dem Auftraggeber die Zuordnung der Prüfsubstanz zu einem
der Probanden bekannt ist. Überträgt man die Definition des Doppelblindversuchs auf
die dem Kläger auferlegte Doppelblindauswertung seiner histologischen Bilder, so ist
ihm dies nicht ohne eine erneute Durchführung der Versuchsreihen möglich, da er der
maßgebliche Versuchsleiter und gleichzeitig Auftraggeber der von ihm gewonnenen
histologischen Präparate war und er die Zuordnung der histologischen Bilder der von
ihm untersuchten einzelnen Schafe kannte. Die „Doppelblindauswertung" setzt deshalb
voraus, dass Personen, die nicht in die Versuchsreihe involviert waren, die von den mit
dynamischem Interferenzstrom (DIC) in unterschiedlicher Stärke behandelten Schafen
ermittelten Daten anhand bestimmter Prüfparameter auswerten und sie den
Behandlungs- und Kontrollgruppen zuordnen, um daraus Rückschlüsse für die der
Habilitationsarbeit zu Grunde liegenden Hypothesen zu gewinnen. Die dem Kläger
auferlegte Doppelblindauswertung würde für ihn bedeuten, dass er eine erneute
Versuchsreihe in einem Doppelblindversuch durchführte, die er zwar in Auftrag gibt, an
der er aber nicht unmittelbar beteiligt wäre. Dies käme aber einer Neuanfertigung der
Arbeit gleich und ist nicht als Nachbesserung anzusehen, weshalb diese
Aufgabenstellung bereits nach den gerichtlichen Maßgaben ausscheidet.
Soweit die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vorträgt, dass es sich ihrer Auffassung
nach bei der „Doppelblindauswertung" um eine doppelt geblindete einfache Auswertung
durch zwei jeweils von ihr und dem Kläger zu bestellende unabhängige
Histopathologen hätte handeln sollen, die die kodierten Präparate der Versuchsreihen
des Klägers hätten ordnen und bewerten sollen, folgt die Kammer dem nicht. Diese
Interpretation findet im eindeutigen Wortlaut der Nachbesserungsverfügung des Dekans
der Beklagten vom 19. Juni 2001 keinen Anhaltspunkt. Für die Bestimmung des
Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts, um den es sich bei dem Bescheid der
Beklagten unstreitig handelt, ist zunächst vom erklärten Wortlaut des verfügenden Teils,
ggf. unter Zuhilfenahme der Begründung, auszugehen.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1980 - 6 C 55.79 -, BVerwGE 60, 223 (228); Urteil vom
17. Oktober 1989 - 1 C 18.87 -, BVerwGE 84, 11 (14) = NVwZ 1990, 559 ff.
54
Nur soweit der Wortlaut des Verwaltungsaktes mehrdeutig und die Begründung für die
Bestimmung des Regelungsgehalts des Verwaltungsaktes unergiebig ist, kommt es für
die Auslegung des Inhalts nach den in entsprechender Anwendung des § 133 BGB
maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen von Willenserklärungen auf den
„Empfängerhorizont" des Adressaten an, d.h. darauf, wie der Adressat des
Verwaltungsaktes einschließlich eines möglichen Drittbetroffenen den Inhalt des
Verwaltungsaktes nach Treu und Glauben bei verständiger Würdigung verstehen
musste bzw. durfte.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1991 - 7 C 43.90 -, NVwZ 1993, 177 (179); Urteil vom 3.
November 1998 - 9 C 51.97 -, NVwZ-RR 1999, 277; Urteil vom 14. Februar 2001 - 11 C
9.00 -, NVwZ 2001, 1417 (1420); ferner: Kluth, Rechtsfragen der verwaltungsrechtlichen
Willenserklärung, NVwZ 1990, 608 (610).
56
Für die Auslegung kommt es insoweit nicht allein auf die abgegebene Erklärung,
sondern auch auf die Umstände vor und bei Ergehen der behördlichen Maßnahme an.
57
Vgl. Stelkens/Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl, München 2000, § 35
Rn. 47; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7.Aufl., München 2000, § 35 Rn. 16 m.w.N.
58
Nach den Darlegungen des Klägers und des Dekans in der mündlichen Verhandlung
vor dem erkennenden Gericht am 27. September 2002 war beiden die Bedeutung des
Begriffes der „Doppelblindauswertung" geläufig und klar. So erklärte der Kläger vor
Gericht, dass er auf den Vorschlag, die histologischen Präparate auszuwerten,
sinngemäß eingewandt habe, diese alle zu kennen. Er habe sich selber in gewisser
Weise voreingenommen und für eine derartige Auswertung als befangen gefühlt, weil er
die Präparate und deren Zuordnung zu den verschiedenen Gruppen der Versuchstiere
gekannt habe. Ihm sei klar gewesen, dass der Versuchsleiter selbst bei einer
Doppelblindauswertung nicht mitwirken könnte. Seine Bedenken gegen eine solche
Auflage habe er dem Dekan auch mitgeteilt. Dieser habe aber gleichwohl an dem
Vorschlag festgehalten. Für diese Sachverhaltsdarstellung spricht der vom
Prozessbevollmächtigten des Klägers in Anwesenheit des Dekans und anderer
Vertreter der Beklagten diktierte Vermerk der Besprechung (Beiakte - Heft 4 - Blatt 59).
Danach sollte das Habilitationsverfahren u.a. nach einer „semiquantitativen
Doppelblindauswertung der histologischen Bilder" fortgesetzt werden. Auch der Dekan
der Beklagten räumte in der mündlichen Verhandlung ein, dass ihm zwar bewusst
gewesen sei, dass der Kläger Versuchsleiter der von ihm durchgeführten Experimente
gewesen sei und man es als „intellektuellen Kurzschluss" bezeichnen müsste, wenn
man den Kläger selbst mit der Auswertung seiner histologischen Bilder hätte betrauen
wollen. Warum aber gleichwohl an dieser Terminologie festgehalten und ausdrücklich
dem Kläger die „semiquantitative Doppelblindauswertung" mit dem
Nachbesserungsbescheid aufgegeben worden ist, konnten die Vertreter der Beklagten
nicht nachvollziehbar darlegen. Dass mit der Begrifflichkeit der
„Doppelblindauswertung" etwas anderes bezeichnet werden sollte als dies
üblicherweise im medizinischen Sprachgebrauch verstanden wird, ist weder von der
Beklagten noch von ihrem Dekan in der mündlichen Verhandlung substantiiert dargelegt
worden. Auf die Frage des Gerichts, warum die Beklagte trotz der Kenntnis, dass ein
Versuchsleiter eine solche Auswertung grundsätzlich nicht selbst vornimmt, an der
geforderten „Doppelblindauswertung" festgehalten habe, ließ sich der Dekan allein
dahin ein, „dass hier in gewisser Weise unscharfe Termini gebraucht worden" seien.
Anhaltspunkte dafür, dass mit diesem Begriff - wie die Beklagte mit ihrer
Klageerwiderung vorträgt - gemeint gewesen sei, zwei jeweils von ihr und dem Kläger
zu bestellende unabhängige Histopathologen hätten die kodierten Präparate der
Versuchsreihen des Klägers ordnen und bewerten sollen, sind weder der Verfügung
noch dem Vermerk noch den Darlegungen des Klägers und des Dekans in der
mündlichen Verhandlung zu entnehmen. Der Begriff des Doppelblindversuchs bzw. der
Doppelblindauswertung ist, wie die vorstehenden Ausführungen und Zitate belegen, im
medizinischen Sprachgebrauch eindeutig geklärt. Sofern die Beklagte jetzt eine andere
Auslegung vornimmt, sieht die Kammer dies als bloße Schutzbehauptung an. Die von
ihr vorgenommene Interpretation widerspricht sowohl dem erklärten Wortlaut des
Bescheides als auch dem festgehaltenen Besprechungsergebnis wie auch dem
tatsächlichen Geschehensablauf. Weder wurde dem Kläger aufgegeben, von seiner
Seite aus eine dritte Person mit einer geblindeten Auswertung seiner histologischen
Bilder zu beauftragen, noch ist durch die Beklagte selbst ein solcher Auftrag für eine
einfach geblindete Auswertung durch einen unabhängigen Gutachter erfolgt. I hat die
Untersuchung - wie sich aus dem Verwaltungsvorgang der Beklagten nachvollziehen
lässt - vielmehr auf eigenen Wunsch alleine vorgenommen. Der Auslegung, wie sie die
Beklagte dem Nachbesserungsbescheid beimessen will, widerspricht auch die
Einlassung des Dekans in der mündlichen Verhandlung. Danach sei bei der
Besprechung zwar daran gedacht worden, dass der Kläger selbst eine Person seines
59
Vertrauens mit der weiteren Auswertung der von ihm gewonnenen Ergebnisse
beauftragen sollte, doch ist dies dem Kläger gerade nicht aufgegeben worden. Von
einer zweifachen (doppelten) unabhängigen Überprüfung der histologischen Bilder ist in
der Besprechung weder nach den Darlegungen des Dekans noch demjenigen des
Klägers die Rede gewesen. Angesichts dessen ist nicht nachvollziehbar, warum dem
Kläger mit dem Bescheid eine doppelte Blindauswertung, also eine zweifach einfach
geblindete Auswertung seiner Ergebnisse durch Dritte hätte auferlegt werden sollen,
zumal nach dem zu Grunde liegenden Urteil der Kammer vom 23. März 2001 dem
Kläger selbst erfüllbare, d.h. tatsächlich mögliche Nachbesserungen auferlegt werden
sollten. Nach der Einlassung des Dekans in der mündlichen Verhandlung hätte danach
eine einfache Blindauswertung der vom Kläger gewonnenen histologischen Bilder bzw.
der Schnitte oder Präparate durch einen unabhängigen Dritten ausgereicht. Eine solche
Auswertung ist zwar letztlich auch nur von I vorgenommen worden, doch geschah dies
allein auf dessen Initiative, obwohl er nach der Regelung unter Nr. 3 des
Verwaltungsaktes lediglich als beratendes Fakultätsmitglied für die Nachbesserung
durch den Kläger benannt worden ist. Für den Kläger war es von dessen
Empfängerhorizont nicht hinreichend klar, welche Nachbesserungsaufgabe ihm im
Einzelnen auferlegt worden war: Ob er nunmehr selbst (noch einmal) seine
Untersuchungsergebnisse untersuchen sollte, was jedoch wenig Sinn gemacht hätte, da
er die Zuordnungen kannte, oder ob er seine histologischen Bilder zusammen mit dem
ihm benannten Fakultätsmitglied durchgehen und zuordnen sollte oder ob er sie dem
benannten Fakultätsmitglied alleine zur Auswertung überlassen sollte. Dass dem Kläger
von seinem Empfängerhorizont aus selbst nicht klar war, was die Beklagte von ihm im
Wege des Nachbesserungsbescheides verlangte, ergibt sich auch aus der bei dem
Verwaltungsvorgang befindlichen Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem
Dekanat der Beklagten. So fragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers beim
Dekanat der Beklagten mit Schreiben vom 9. August 2001 an, ob „I die semiquantitative
Doppelblindauswertung der histologischen Bilder vornimmt oder M sagt, wie dieser das
nach den Wünschen des Habilitationsausschusses tun soll. ... Bitte seien Sie so
freundlich, möglichst kurzfristig zu entscheiden, ob wie vorgeschlagen verfahren werden
kann oder wer die Doppelblindauswertung vornehmen soll." Hieraus ergibt sich, dass
dem Kläger nicht klar war, durch wen und wie die „Doppelblindauswertung" nun im
Einzelnen erfolgen sollte. Ihm selbst war nur deutlich, dass ihm als Versuchsleiter und
Kenner der histologischen Bilder eine solche Auswertung unmöglich war. Nähere
konkrete Anforderungen im Sinne der Interpretation der Beklagten kommen weder in
dem Bescheid noch in den ihn begleitenden Erlassumständen zum Ausdruck. Der
Hinweis des Dekans in der mündlichen Verhandlung auf den Gebrauch unscharfer
Termini vermag diese Unklarheiten nicht zu beseitigen, da er selbst einräumte, als
Grundlagenforscher und experimenteller Dermatologe mit der durch diese Methode
möglichen Absicherung gewonnener Forschungserkenntnisse im täglichen
Arbeitsbereich zu tun zu haben, so dass ihm die präzise Umschreibung des
Aufgabenbereichs hätte bekannt sein müssen.
Was die Beklagte im Einzelnen von dem Kläger als Nachbesserung gewollt hat, lässt
sich somit anhand der Umstände und der Besprechung nicht klären. Der Kläger selbst
hatte - insoweit von der Beklagten nicht substantiiert in Abrede gestellt oder gar
widerlegt - auf die Ungereimtheit in der Begrifflichkeit hingewiesen. Da die Beklagte
gleichwohl an dem von ihr gewählten Terminus der „semiquantativen
Doppelblindauswertung" festgehalten hat, gehen die Unklarheiten über die
Aufgabenstellung für eine Nachbesserung der Habilitationsarbeit des Klägers und die
ihm damit auferlegte Unmöglichkeit zu ihren Lasten.
60
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1980, a.a.O., S. 229 m.w.N.; Urteil vom 17. August
1995 - 1 C 15.94 -, BVerwGE 99, 101 (103); Urteil vom 3. November 1998, a.a.O.
61
Ob und inwieweit die weitere Auflage der Erstellung einer Statistik mit
nichtparametrischen Tests auf Grundlage des Gutachtens von T1 bzw. der eine
Nachbesserung befürwortenden Stellungnahmen der stimmberechtigten Mitglieder des
Habilitationsausschusses als taugliche Nachbesserungsmaßgabe der
Habilitationsschrift angesehen werden kann, ist insoweit nicht mehr
entscheidungserheblich. Zweifel bestehen jedenfalls insoweit, als diese Auflage von
den Gutachtern und den stimmberechtigten Befürwortern einer Fortsetzung des
Habilitationsverfahrens nicht - jedenfalls nicht in dieser Form - gefordert wurde.
Während O1 eine Graduierung der Befunde (Skalierung) [= Grade in einer Werteskala]
und darauf aufbauende nichtparametrische Tests als nachzubessernde Stellen
ansprach, sollten nach T2 zumindest Ansätze einer Semiquantifizierung der
histologischen Bilder und ein statistischer Vergleich zwischen den von dem Kläger
bereits hergestellten Gruppen II und III (vgl. Habilitationsschrift S. 38) vorgenommen
werden. Gefordert war somit nicht eine Statistik nichtparametrischer Tests, sondern
allein ein statistischer Vergleich zwischen der Gruppe II (Querosteotomie mit DIC von 12
mA) und der Gruppe III (Querosteotomie mit DIC von 60 mA). Darüber hinaus sollten die
nichtparametrischen [= nicht von bestimmten Messgrößen abhängigen] Tests auf einer
statistischen Auswertung aufbauen. Ein Konglomerat dieser verschiedenen
Nachbesserungsvorschläge entspricht nicht der Vorgabe der Nr. 6 des Urteils vom 23.
März 2001.
62
Unabhängig davon ist die dem Kläger auferlegte weitere Nachbesserungsmaßgabe,
eine Statistik mit nichtparametrischen Tests zu erstellen, um einen Gruppenvergleich zu
ermöglichen, jedenfalls auch tatsächlich unmöglich. Die Auflage steht im unmittelbaren
Zusammenhang mit der geforderten semiquantitativen Doppelblindauswertung der
histologischen Bilder. Es ist offensichtlich, dass infolge einer dem Kläger nicht mehr
möglichen Doppelblindauswertung auch die geforderten nichtparametrischen Tests, die
einen Vergleich der (Behandlungs- und Kontroll-) Gruppen ermöglichen und diese
statistisch erfassen sollen, nicht durchgeführt werden können.
63
Auf Grund der bindenden Vorgabe für die Beteiligten durch das verwaltungsgerichtliche
Urteil vom 23. März 2001 gelten die dem Kläger durch Bescheid der Beklagten vom 19.
Juni 2001 auferlegten Maßgaben zur Nachbesserung seiner Habilitationsschrift als
erfüllt. Der Kläger hat mit der von ihm eingeholten Stellungnahme von S vom 7. Februar
2002 auch im Sinne der Maßgabe Nr. 5 des verwaltungsgerichtlichen Urteils belegt,
dass ihm die Erfüllung der ihm auferlegten Nachbesserungen nicht möglich ist. So führt
S in seiner Stellungnahme nachvollziehbar und überzeugend aus, dass die geforderten
Voraussetzungen nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand von dem Kläger nicht erfüllt
werden könnten, da es eine Doppelblinduntersuchung für präklinische
tierexperimentelle Studien nicht gebe und selbst bei einer Übertragbarkeit dieser
Untersuchungsmethode der Kläger derjenige sei, der den Versuch geplant, durchgeführt
und - einschließlich der histologischen Untersuchungen - auch ausgewertet habe.
64
Das Verfahren ist wiederaufzunehmen und fortzusetzen. § 9 Abs. 2 HabilO sieht vor,
dass das Verfahren nach Erfüllung der Voraussetzungen, die der Dekan dem Bewerber
mit rechtsmittelfähigem Bescheid angegeben hat, wieder aufgenommen werden kann.
Die Ausübung dieses Ermessens hat der Dekan der Beklagten bereits mit dem
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Bescheid vom 19. Juni 2001 ausgeübt, indem er dem Kläger unter Nr. 1 des Bescheids
mitteilte, dass das Habilitationsverfahren bei Erfüllung der Nachbesserungsmaßgaben
fortgesetzt werde. Die Erfüllung der Nachbesserungsauflagen liegt aber nach den
vorstehenden Feststellungen vor.
Wird das Verfahren fortgesetzt, ist der Bewerber gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 vom Dekan
zum Habilitationsvortrag mit anschließendem Kolloquium vor den
Habilitationsausschuss zu laden. In Anbetracht der zeitlichen Dimensionen des Falles
und einer nicht hinnehmbaren Verzögerung des Habilitationsverfahrens des Klägers
durch die Beklagte ist diese verpflichtet, den Kläger binnen vier Monaten nach
Rechtskraft des Urteils vor den Habilitationsausschuss mit anschließendem Kolloquium
zu laden. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass eine Ladung des Klägers innerhalb
der nächsten Semester erfolgen kann und der Kläger somit die Möglichkeit erhält, noch
vor Erreichen der Altersgrenze seinen Vortrag halten zu können.
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Die Beklagte trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §
167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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