Urteil des VG Münster vom 04.05.2010

VG Münster (aufschiebende wirkung, unvollständige angabe, schätzung, frist, verwaltungsgericht, antrag, behörde, lasten, wassermenge, falle)

Verwaltungsgericht Münster, 3 L 189/10
Datum:
04.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 189/10
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 675/10 gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 00.00.0000 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.802,65 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 675/10 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 00.00.0000 anzuordnen,
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hat Erfolg.
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Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 VwGO statthafte und - namentlich unter
Beachtung des § 80 Abs. 6 VwGO - ansonsten zulässige Antrag ist begründet. Es
bestehen ernstliche Zweifel (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) an der Rechtmäßigkeit des
Bescheides der Antragsgegnerin vom 00.00.0000.
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Nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen
summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die Heranziehung der
Antragstellerin zu einem Wasserentnahmeentgelt für das Veranlagungsjahr 2006 nach
Ablauf der maßgeblichen Festsetzungsfrist erfolgt ist. Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1
Wasserentnahmeentgeltgesetz (WasEG) beträgt - ab dem Veranlagungsjahr 2006 - die
Festsetzungsfrist zwei Jahre nach Ablauf des Veranlagungsjahres. Der Lauf der Frist
beginnt nach § 4 Abs. 4 Satz 3 WasEG mit der gesetzlich oder behördlich bestimmten
Frist nach § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 WasEG. Maßgeblich ist vorliegend der Fristbeginn
nach der in § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG geregelten Frist (1. März des auf das
Veranlagungsjahr folgenden Jahres 2007), weil eine behördliche Fristsetzung im Sinne
von § 3 Abs. 2 Satz 2 WasEG nicht erfolgt ist. Zum Zeitpunkt des Erlasses des
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Heranziehungsbescheides für das Veranlagungsjahr 2006 im März 2010 war diese
Zwei-Jahres-Frist verstrichen.
Die Annahme der Antragsgegnerin, wonach im vorliegenden Fall gemäß § 4 Abs. 4
Satz 2 WasEG die Festsetzungsfrist zehn Jahre beträgt, begegnet ernstlichen und
durchgreifenden Zweifeln. Die verlängerte Festsetzungsfrist gilt nach dem Wortlaut der
Regelung dann, wenn der Entgeltpflichtige unrichtige oder unvollständige Angaben
gemacht hat und dadurch das Wasserentnahmeentgelt verkürzt wird. Gemessen am
Wortlaut liegen die Voraussetzungen der genannten Regelung bezogen auf die
Veranlagung der Antragstellerin für das Jahr 2006 nach summarischer Prüfung nicht vor.
Die Antragstellerin hat innerhalb der Erklärungsfrist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG
keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht, weil sie insoweit gar keine
Erklärung über die entnommene Wassermenge abgegeben hat. Vielmehr hat sie im
Januar 2010 richtige und vollständige Angaben - allerdings verspätet - gemacht.
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Dem im Abgabenrecht geltenden Erfordernis der Normenklarheit und dem Verbot der
Analogiebildung zu Lasten des Abgabenschuldners widerspräche es, § 4 Abs. 4 Satz 2
WasEG über seinen Wortlaut hinaus anzuwenden. Eine unrichtige oder unvollständige
Angabe eines Abgabenschuldners setzt voraus, dass dieser überhaupt eine Angabe
gemacht hat. Das "Schweigen" des Abgabenschuldners kann dem insoweit nicht
gleichgesetzt werden (vgl. entsprechend auch die Differenzierung in § 370 Abs. 1 Nr. 1
und Nr. 2 der Abgabenordnung - AO -). Vorschriften des Abgabenrechts mögen dann
auslegungsfähig sein, wenn es dem Gesetzgeber angesichts einer Vielzahl von
Fallgestaltungen nicht möglich war, jede Einzelheit zu regeln. Solches aber ist hier nicht
der der Fall. Der Gesetzgeber hätte es vielmehr in der Hand gehabt, im Falle der
Nichtabgabe einer Erklärung eine verlängerte Festsetzungsfrist vorzuschreiben, wie es
etwa das saarländische Landesrecht vorsieht (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 3 saarländisches
Grundwasserentnahmeentgeltgesetz). Das aber hat der nordrhein-westfälische
Gesetzgeber nicht getan. Er hat hingegen für den Fall der Nichtbefolgung der
Erklärungspflicht gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG geregelt, dass die zuständige
Behörde die Wassermenge schätzt. Abweichend von entsprechenden Gesetzen
anderer Bundesländer hat er diese Schätzung auch nicht etwa in das Ermessen der
Behörde gestellt ("kann schätzen" oder "darf schätzen"). Die Schätzung ist vielmehr als
Vollzugsgebot an die Behörde (zwingend) vorgesehen. Unterbleibt diese Schätzung
und führt das zu einem Vollzugsdefizit, etwa wegen Mängeln im Informationsaustausch
zwischen Wasserbehörden und Festsetzungsbehörden, kann dies nicht zu Lasten des
Abgabenschuldners eine verlängerte Festsetzungsfrist auslösen.
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Darüber hinaus lässt sich auch aus den Regelungen der AO kein anderes Ergebnis
herleiten. § 10 Abs. 1 WasEG sieht ausdrücklich vor, welche Vorschriften der AO beim
Vollzug des Gesetzes anzuwenden sind. Bezüglich der Festsetzungsverjährung ist
nach § 10 Abs. 1 Buchst. j) WasEG allein § 171 Abs. 1 bis 3a, Abs. 12 und 13 AO
betreffend die Ablaufhemmung anwendbar. Anders als in entsprechenden Gesetzen
anderer Bundesländer (vgl. statt vieler etwa nur § 23 Abs. 8 sächsisches Wassergesetz,
§ 25 Abs. 1 Nr. 9 niedersächsisches Wassergesetz) hat der nordrhein-westfälische
Gesetzgeber für das Festsetzungsverfahren weitere Vorschriften der AO wie
beispielweise § 169 Abs. 2 AO nicht für anwendbar erklärt. Ebenfalls hat er für die
Festsetzungsfrist keine besonderen Regelungen im Falle aller in Betracht kommenden
Abgabenverkürzungen in ausdrücklicher Anlehnung an die AO vorgenommen. Nach §
378 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann eine solche (leichtfertige) Verkürzung etwa
- neben unrichtigen oder unvollständigen Angaben, vgl. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - auf
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Verhalten beruhen, durch das die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich
erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden. Nach ausdrücklichen
Regelungen in entsprechenden Gesetzen anderer Bundesländer führt dieser in der AO
bezeichnete Sachverhalt der Abgabenverkürzung (umfassend) zu einer Verlängerung
der Festsetzungsfrist (vgl. etwa § 17c Abs. 2 Satz 2 Wassergesetz BW, § 18 Abs. 2 Satz
2 Wassergesetz MV). Das nordrhein-westfälische WasEG sieht solches ausdrücklich
nicht vor.
Des Weiteren fällt ins Gewicht, dass die Verletzung der Erklärungspflicht aus § 3 Abs. 2
Satz 1 WasEG bei dem vorbeschriebenen Verständnis des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG
auch nicht etwa rechtlich folgenlos bliebe. Erstens ist insoweit (zwingend) die
behördliche Schätzung nach § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG vorgesehen. Zweitens dürfte
gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 2 WasEG i.V.m. §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 378 AO bei Vorliegen
der entsprechenden Voraussetzungen im Einzelfall die Ahndung einer Straftat bzw.
einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommen.
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Schließlich führt auch die Berufung der Antragsgegnerin auf das zum
Abwasserabgabenrecht ergangene Urteil des OVG NRW vom 18. Dezember 1998 - 9 A
4761/95 - nicht weiter. Der Entscheidung liegen andere rechtliche Zusammenhänge zu
Grunde; für den vorliegend relevanten Bereich der Festsetzungsfrist bei der
Heranziehung zum Wasserentnahmeentgelt trifft das WasEG hinreichend eindeutige
Regelungen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht gewichtet die sich aus dem Antrag
auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ergebende Bedeutung der Sache mit 1/4
der im Klageverfahren streitigen Forderung (hier insgesamt 11.210,58 Euro).
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