Urteil des VG Münster vom 12.09.2002

VG Münster: schriftliche prüfung, lebenserwartung, begriff, mündliche prüfung, falsche aussage, zelle, zahl, vorprüfung, alter, auflage

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 915/97
Datum:
12.09.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 915/97
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das
Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des jeweils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger unterzog sich, nachdem er die Ärztliche Vorprüfung im März 1989 erstmals
und im August 1989 ein weiteres Mal nicht bestanden hatte, der zweiten
Wiederholungsprüfung. Das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen -
Landesprüfungsamt für Medizin und Pharmazie - (Funktionsvorgänger der Beklagten)
erklärte mit Bescheid vom 19. September 1996 die Ärztliche Vorprüfung im Herbst 1996
für nicht bestanden. Es führte zur Begründung aus: Die Ärztliche Vorprüfung sei
bestanden, wenn der schriftliche und der mündliche Teil bestanden seien oder wenn der
Prüfling in einem Prüfungsteil die Note „mangelhaft" und in einem anderen Prüfungsteil
mindestens die Note "gut" erhalten habe. Diese Voraussetzungen seien im Fall des
Klägers nicht erfüllt, weil dieser die Note "befriedigend" für die mündliche Prüfung
erhalten habe und die schriftliche Prüfung mit der Note "mangelhaft" zu bewerten sei.
Letzteres ergebe sich daraus, dass der Kläger nicht die gemäß § 14 Abs. 6 der
Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) für das Bestehen der schriftlichen Prüfung
erforderliche Zahl von Fragen zutreffend beantwortet habe. Von den 320 gestellten
Fragen verblieben nach Eliminierung von drei offensichtlich fehlerhaften Fragen 317
Fragen, von denen der Kläger 158 zutreffend beantwortet habe. Diese Zahl der
zutreffend beantworteten Fragen betrage weniger als 60 vom Hundert der als gestellt
geltenden Fragen und liege auch um mehr als 22 vom Hundert unter den
durchschnittlichen Prüfungsleistungen der Prüflinge, die nach einer Mindeststudienzeit
von zwei Jahren erstmals an der Prüfung teilgenommen hätten. Das
Durchschnittsergebnis dieser Prüflinge betrage 204,0 richtige Antworten.
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Der Kläger erhob im September 1996 Widerspruch. Er machte die Fehlerhaftigkeit bzw.
richtige Beantwortung von drei im schriftlichen Teil der Prüfung gestellter und als
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unzutreffend beantwortet bewerteter Fragen geltend und legte zu seinen Ausführungen
Kopien aus Fachbüchern vor.
Der Beigeladene nahm unter dem 11. November 1996 zu den Rügen des Klägers
Stellung und fügte Kopien aus Lehrbüchern bei. Der Funktionsvorgänger der Beklagten
wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1997
zurück und verwies hinsichtlich des schriftlichen Teils der Prüfung auf die
Stellungnahme des Beigeladenen.
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Der Kläger hat am 18. März 1997 Klage erhoben. Er wiederholt und ergänzt seine
bereits im Widerspruchsverfahren erhobenen Rügen und erhebt im Laufe Rechtsstreits
Einwände gegen drei weitere Prüfungsfragen. Er macht geltend: Die Frage Nr. 111 vom
ersten Tag sei fehlerhaft, weil sowohl die amtlich festgelegte Lösung als auch eine
weitere Lösung richtig sei. Bei Frage Nr. 157 vom ersten Tag sei weder die amtlich
festgelegte Lösung noch die von ihm gewählte Lösung zutreffend, sondern eine dritte
Antwort. Bei der Frage 29 vom zweiten Tag sei die amtlich festgelegte Antwort
unzutreffend; er habe die bestmögliche Lösung gewählt. Bei den Fragen Nr. 13 vom
zweiten Tag, Nr. 75 vom zweiten Tag und Nr. 77 vom zweiten Tag sei keine der jeweils
angebotenen fünf Antworten zutreffend. Der Kläger hat sich zu Begründung der
einzelnen Rügen in zahlreichen Schreiben geäußert und Kopien aus Fachbüchern
vorgelegt.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Landesversorgungsamtes Nordrhein- Westfalen -
Landesprüfungsamt für Medizin und Pharmazie - vom 19. September 1996 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1997 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, seine Ärztliche Vorprüfung im Herbst 1996 für bestanden zu erklären und
den schriftlichen Teil mit "ausreichend" zu bewerten.
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Die Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,
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die Klage abzuweisen.
9
Sie sind der Ansicht, dass der Kläger die Prüfung zu Recht nicht bestanden habe. Der
Beigeladene hat zu den gerügten Fragen weitere fachwissenschaftliche
Stellungnahmen abgegeben und Kopien aus Fachbüchern vorgelegt. Die Beklagte
macht sich im Wesentlichen die Stellungnahmen des Beigeladenen zu eigen.
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Die Beteiligten haben sich nach mündlicher Erörterung der Streitsache damit
einverstanden erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der Beiakten (3 Hefte) ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 19.
September 1996 in der Gestalt des zugehörigen Widerspruchsbescheides ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Die zweite Wiederholung der Ärztlichen Vorprüfung des Klägers vom Herbst 1996 ist zu
Recht gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 ÄAppO für nicht bestanden erklärt worden, weil der
Kläger den schriftlichen Teil der Prüfung nicht bestanden hat und seine mit der Note
"mangelhaft" bewerteten Leistungen im schriftlichen Prüfungsteil nicht durch mindestens
die Note "gut" im mündlichen Prüfungsteil ausgeglichen werden. Die Bewertung der
schriftlichen Prüfung des Klägers als nicht bestanden ist rechtmäßig. Der Kläger hat die
für das Bestehen der Prüfung nach § 14 Abs. 6 ÄAppO erforderliche Mindestzahl
zutreffend beantworteter Prüfungsfragen nicht erreicht. Die Note "mangelhaft" für die
nicht bestandene schriftliche Prüfung folgt gemäß § 14 Abs. 7 ÄAppO daraus, dass der
Kläger mindestens 90 vom Hundert der für das Bestehen der Prüfung erforderlichen
Mindestzahl zutreffend beantworteter Fragen erreicht hat.
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Nach § 14 Abs. 6 ÄAppO in der ab dem 1. Januar 1988 geltenden Fassung - später in
Kraft getretene Änderungen dieser Vorschrift haben für den vorliegenden Fall keine
Bedeutung - ist die schriftliche Prüfung bestanden, wenn der Prüfling mindestens 60
vom Hundert der gestellten Prüfungsfragen zutreffend beantwortet hat (absolute
Bestehensgrenze) oder wenn die Zahl der vom Prüfling zutreffend beantworteten
Fragen um nicht mehr als 22 vom Hundert die durchschnittlichen Prüfungsleistungen
der Prüflinge unterschreitet, die nach der Mindeststudienzeit von zwei Jahren bei der
Ärztlichen Vorprüfung erstmals an der Prüfung teilgenommen haben - Referenzgruppe -
(relative Bestehensgrenze). Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht
erfüllt.
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Der Kläger hat nach den Feststellungen der Beklagten und des Beigeladenen bei 317
als gestellt geltenden Fragen und einem Durchschnitt der Referenzgruppe von 204,0 mit
158 als zutreffend bewerteten Antworten weder die absolute Bestehensgrenze von (317
x 0,60 =) 190,2 noch die relative Bestehensgrenze von (204,0 x 0,78 =) 159,12 erreicht.
Die Einwände des Klägers gegen die Bewertung der schriftlichen Prüfung führen nicht
dazu, dass er durch Eliminierung weiterer Prüfungsfragen entsprechend § 14 Abs. 4
ÄAppO oder durch Gutschrift weiterer Antworten wenigstens die maßgebliche relative
Bestehensgrenze erreicht. Dabei braucht das erkennende Gericht nicht allen
Einwänden des Klägers nachzugehen, weil jedenfalls ein Teil seiner Einwände nicht
durchgreift und bei den verbleibenden Prüfungsaufgaben die Berechtigung der
Einwände unterstellt werden kann, ohne dass der Kläger die für das Bestehen der
Prüfung erforderliche Mindestzahl zutreffend beantworteter Fragen erreicht.
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Die Einwände des Klägers gegen die Fragen Nr. 111 vom ersten Tag und Nr. 29 vom
zweiten Tag greifen nicht durch.
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Die Frage Nr. 111 vom ersten Tag lautet:
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Welches Ereignis gehört nach Aktivierung der Phospholipase C (Phosphatidylinositol -
4,5 - Biphosphat - Phosphodieterase) nicht zur nachgeschalteten Signalkette?
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(A) Bindung von GTP an ein (trimeres) G-Protein
20
(B) intrazelluläre Freisetzung von Diacylglycerol
21
(C) intrazelluläre Freisetzung von Inositoltriphosphat
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(D) Ca2+-Freisetzung aus intrazellulären Speichern
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(E) Aktivierung von Proteinkinase C
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Der Beigeladene hat (A) als zutreffende Antwort festgelegt, der Kläger hat die Antwort
(D) gewählt.
25
Der Kläger macht geltend, diese Prüfungsaufgabe sei als fehlerhaft zu eliminieren, weil
sie entgegen dem vorgegebenen Prüfungsschema statt einer zutreffenden Antwort zwei
zutreffende Antworten enthalte. Neben der amtlich festgelegten Lösung (A) enthalte
nämlich auch die Antwort (B) eine falsche Aussage. Die Freisetzung des Diacylglycerol
(DAG = DG) finde nicht "intrazellulär" sondern "intramembranös" statt. Das DAG bleibe
in der Membran der Zelle und die Zellmembran gehöre nicht zum Intrazellulärraum, der
als der von der Zellmembran umgebene Raum definiert werde. Soweit das DAG im
Fachschrifttum als "intrazellulärer" Botenstoff bezeichnet werde, bedeute dies nur, dass
das DAG intrazellulär "arbeite".
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Der Beigeladene und ihm folgend die Beklagte erwidern: Der Kläger interpretiere den
Begriff "intrazelluläre Freisetzung" unzulässigerweise als "Freisetzung in den
Intrazellulärraum". Die Botenstoffe des Phosphoinositolsystems würden nicht außerhalb
der Zelle (extrazellulär), sondern in der Zellmembran, die Bestandteil der Zelle sei, also
intrazellulär gebildet. Es sei abwegig, diese Aussage als falsch zu bewerten.
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Die Beteiligten streiten hiernach über die medizinische Fachfrage, ob der Begriff
"intrazellulär" sich auch auf Vorgänge innerhalb der Zellmembran bezieht oder die
Verwendung dieses Begriffs auf den Intrazellulärraum beschränkt ist, der unstreitig als
"der von der Zellmembran umgebene Raum" definiert wird. In dieser Fachfrage kann der
Einwand des Klägers keinen Erfolg haben, weil er nicht hinreichend substantiiert
dargelegt hat, dass seine Auffassung vertretbar ist und so auch vertreten wird.
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Der klagende Prüfling muss dem Gericht im Rahmen seiner prozessualen
Mitwirkungspflicht "wirkungsvolle Hinweise" geben, d. h. seine Einwände konkret und
nachvollziehbar begründen. Dazu muss er konkret darlegen, in welchen Punkten die
Korrektur bestimmter Prüfungsleistungen nach seiner Auffassung Bewertungsfehler
aufweist, indem er substantiierte Einwände gegen Prüferbewertungen erhebt. Macht er
geltend, dass seine als falsch bewertete Antwort in Wahrheit vertretbar sei und auch so
vertreten werde, so hat er dies unter Hinweis auf entsprechende Fundstellen näher
darzulegen. Dies bedeutet, dass der klagende Prüfling die ihm zur Zeit der Prüfung zur
Verfügung stehenden Erkenntnisquellen benennen muss, aus denen sich die
Richtigkeit der von ihm gemachten Aussagen ergibt.
29
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Dezember 1994 - 22 A 1520/93 - Seite 27 unter Hinweis
auf BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 1529/84, 138/87 - NJW 1991, 2008
(2010 f.) und BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993 - 6 C 35/92 - NVwZ 1993, 681 (683).
30
Diese Pflicht zur substantiierten Darlegung besteht nicht nur, wenn ein Prüfling geltend
macht, die angekreuzte Antwort sei zutreffend, sondern auch dann, wenn er - wie hier -
einwendet, eine Prüfungsaufgabe sei zu eliminieren, weil neben der amtlich
festgelegten Lösung eine weitere von ihm selbst nicht angekreuzte Antwort zutreffend
sei. Die dargestellten Anforderungen hat der Kläger nicht erfüllt.
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Er hat nicht unter Bezeichnung entsprechender Fundstellen im Fachschrifttum
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substantiiert dargelegt, dass seine Auffassung, "intrazellulär" und "Intrazellulärraum"
seien gleichzusetzen und ein anderes weiteres Begriffsverständnis sei falsch, vertreten
wird. Das angeführte medizinische Wörterbuch (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch,
257. Auflage 1994) stützt die Ansicht des Klägers nicht. Es enthält jeweils eigene
Definitionen für die Begriffe "intrazellulär" (S. 733) und "Intrazellulärraum" (S. 733, ferner
S. 481 unter dem Stichwort "Flüssigkeitskompartimente"), ohne dass diese Begriffe
gleichgesetzt werden. Das Wörterbuch definiert "intrazellulär" als "in (innerhalb) der
Zelle" und verweist zugleich auf den Begriff der "Zelle". Das ist ohne weiteres mit der
Auffassung des Beigeladenen und der Beklagten in Einklang zu bringen, die die
Vorgänge "innerhalb" der Zellmembran, die Bestandteil der Zelle ist, im Gegensatz zu
"extrazellulär" als "intrazellulär" bezeichnen. Die weiteren vom Kläger benannten
Fundstellen des Fachschrifttums (Klinke/Silbernagl, Lehrbuch der Physiologie, 1994, S.
34; Schmidt/Thews, Physiologie des Menschen, 26. Auflage 1995, S. 17 f.;
Silbernagl/Despopoulos, Taschenatlas der Physiologie, S. 242 bis 245; von
Zetkin/Schaldach, Wörterbuch der Medzin, 6. Auflage, S. 657, 474) lassen nicht
erkennen, dass dort die Auffassung vertreten wird, der Begriff "intrazellulär" sei
ausschließlich auf den "Intrazellulärraum" bezogen zu verstehen. Es handelt sich
vielmehr nur um Schlussfolgerungen des Klägers aus den genannten Quellen. Für die
Annahme eines ausschließlich auf den "Intrazellulärraum" beschränkten
Verständnisses des Begriffs "intrazellulär" reicht nicht aus, dass ein für dieses Wort
angegebenes Beispiel Gallenkapillare betrifft, "die von dem Zytoplasma der Leberzellen
begrenzt werden", oder dass in bildlichen Darstellungen der Weitergabe von
Informationen innerhalb der Zelle durch sekundäre Botenstoffe auch der Begriff
"Intrazellulärraum" auftaucht. Das genannte Beispiel und Ereignisse innerhalb des
Intrazellulärraumes werden auch von dem weiteren Begriff "intrazellulär" mitumfasst, wie
er von dem Beigeladenen und der Beklagten vertreten wird.
Die Frage Nr. 29 vom zweiten Tag lautet:
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Die durchschnittliche Lebenserwartung wird definiert als
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(A) durchschnittliche Anzahl an Jahren, die die Menschen eines Jahrgangs leben
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(B) Durchschnittsalter aller in einem Jahr Verstorbenen
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(C) Anzahl an Jahren, die Menschen eines bestimmten Alters unter den bestehenden
Sterbeverhältnissen durchschnittlich noch vor sich haben
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(D) Alter, das der einzelne erreichen wird
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(E) durchschnittliche Anzahl an Lebensjahren, die die mittlere Gesamtbevölkerung
eines Jahres statistisch noch zu erwarten hat.
39
Der Beigeladene hat (C) als zutreffende Antwort festgelegt, der Kläger die Antwort (A)
markiert.
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Der Kläger verlangt die Gutschrift eines weiteren Punktes oder wenigstens Eliminierung
der Prüfungsaufgabe. Er macht geltend, die Antwort (A), die "eine saloppe mögliche
Definition" gebe, sei die bestmögliche Lösung. Die Antwort (C) sei dagegen
unzutreffend. Sie beschreibe die Sterbetafel, definiere die "mittlere restliche
Lebenserwartung" und beziehe sich mit der Formulierung "unter den bestehenden
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Sterbeverhältnissen" nur auf die derzeit bestehenden Sterbeverhältnisse. Der Begriff der
durchschnittlichen Lebenserwartung "erfordere aber die Berücksichtigung von
Neugeborenen, Jahrgang, Geburt etc. sowie auch älterer Generationen z. B: die
durchschnittliche Lebenserwartung von 1850." Die Aussage unter (C) schließe einen
Vergleich der durchschnittlichen Lebenserwartungen zu verschiedenen Zeiten (z. B.
1900 und 1988) aus. Es hätte gesagt werden müssen "unter den jeweils bestehenden
Sterbeverhältnissen". Die Antwort (D) ermögliche dagegen, die genannten Aspekte zu
berücksichtigen. Wegen der weiteren Einzelheiten der zahlreichen Äußerungen des
Klägers zur Frage 29 vom zweiten Tag und der vorgelegten Literaturauszüge verweist
das Gericht auf den Inhalt der Akten.
Der Beigeladene und ihm folgend die Beklagte entgegnen unter anderem Folgendes:
Die Aussage der Antwort (C) sei eine umfassende und international übliche Definition
der "durchschnittlichen (mittleren) Lebenserwartung", die alle Altersklassen erfasse. Die
durchschnittliche Lebenserwartung lasse sich nicht nur für Neugeborene ermitteln,
sondern für jedes Lebensalter. Die durchschnittliche Lebenserwartung sei nur eine
Information, die einer Sterbetafel entnommen werde könne, beschreibe aber nicht die
Sterbetafel. Die vom Kläger gewählte Antwort (A) sei keine anhand der Literatur
nachvollziehbare Definition des Begriffs "Lebenserwartung". Es fehle der Bezug auf die
bestehenden Sterbeverhältnisse, insbesondere gehe aus der Formulierung nicht hervor,
dass mit dem Begriff "Lebenserwartung" die durchschnittliche Zahl der von einem
Individuum bestimmten Alters noch zu erwartenden Lebensjahre gemeint sei. Soweit
der Kläger einen Auszug aus einer kommentierten Prüfungsfragensammlung vorgelegt
habe, lasse sich den Ausführungen des Kommentars keine schlüssige Begründung für
eine behauptete Missverständlichkeit der Prüfungsfrage entnehmen. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
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Die teilweise schwer nachvollziehbaren Rügen des Klägers sind unberechtigt. Die
Prüfungsaufgabe Nr. 29 vom zweiten Tag ist nicht fehlerhaft, weil sie verständlich,
widerspruchsfrei und eindeutig ist. Auch ist die als Lösung festgelegte Antwort (C)
zutreffend, weil sie einer allgemein üblichen Definition der "durchschnittlichen
Lebenserwartung" entspricht. Definition ist die Bestimmung der wesentlichen Merkmale
eines Begriffs. Die wesentlichen Merkmale des Begriffs durchschnittliche (mittlere)
Lebenserwartung können bereits als allgemeinkundige Tatsachen der Brockhaus-
Enzyklopädie, Band 13, 19. Auflage 1990, S. 176 f. entnommen werden, wo es unter
dem Stichwort Lebenserwartung heißt:
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"...In der Bevölkerungsstatistik wird als mittlere L. eines Neugeborenen die
wahrscheinliche Zahl der Jahre bezeichnet, die ein Neugeborener entsprechend den
herrschenden Sterbeverhältnissen (...) eines Beobachtungszeitraums leben wird. Sie
wird anhand von Sterbetafeln errechnet, ...Ferner wird sie auch für jedes Lebensalter
errechnet. Diese altersspez. mittlere L. gibt dann an, wie viele Jahre ein Mensch eines
bestimmten Alters wahrscheinlich leben wird; ...".
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Diese Begriffsbestimmung steht in Einklang mit den Ausführungen der von den
Beteiligten bezeichneten Literaturstellen, die teilweise bestimmte Aspekte beleuchten
oder weitere Erläuterungen enthalten. Die Aussage "Anzahl an Jahren, die Menschen
eines bestimmten Alters unter den bestehenden Sterbeverhältnissen durchschnittlich
noch vor sich haben" in der Antwort (C) erfüllt die wesentlichen Merkmale der zitierten
Begriffsbestimmung. Die Unterscheidung zwischen Lebenserwartung bei Geburt oder in
einem bestimmten Alter (im Alter x) ist kein wesentliches Begriffsmerkmal. Die
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durchschnittliche Lebenserwartung im Alter x ist der umfassendere Begriff und schließt
mit dem Alter 0 die Lebenserwartung bei Geburt mit ein. Wesentlich für die
Begriffsbestimmung ist, dass die während eines Beobachtungszeitraums herrschenden
Sterbeverhältnisse Grundlage für die Prognose sind, wie viele Jahre ein Mensch eines
bestimmten Alters wahrscheinlich leben wird. Diese Prognosegrundlage wird in der
Antwort (C) mit der Formulierung "unter den bestehenden Sterbeverhältnissen"
gekennzeichnet. Es muss auch nicht, wie der Kläger meint, "unter den jeweils
bestehenden Sterbeverhältnissen" heißen, um die Lebenserwartungen aus
unterschiedlichen Zeiten miteinander vergleichen zu können. Es ist unverständlich,
weshalb für diesen Zweck die Begriffsdefinition anders gefasst werden sollte. Will man
die durchschnittlichen Lebenserwartungen, die zu verschiedenen Zeiten prognostiziert
wurden, miteinander vergleichen, versteht sich von selbst, dass den jeweiligen
Prognosen dann die jeweils herrschenden Sterbeverhältnisse zugrunde gelegen haben.
Anders als die Antwort (C) erfüllt die vom Kläger gewählte Antwort (A) nicht die
Voraussetzungen einer Definition. Die Aussage "durchschnittliche Anzahl an Jahren,
die die Menschen eines Jahrgangs leben" lässt wesentliche Merkmale des Begriffs
"durchschnittliche Lebenserwartung" vermissen, nämlich die Bezugnahme auf die
herrschenden Sterbeverhältnisse und eine Verdeutlichung des Prognosecharakters
(Lebenserwartung). Bezeichnenderweise hat der Kläger selbst die Antwort (A) "eine
saloppe mögliche Definition" genannt. "Salopp", also ungezwungen und nachlässig,
darf eine Definition nicht sein. Das erkennende Gericht verweist zur weiteren
Begründung ergänzend auf die oben wiedergegebenen und zutreffenden Ausführungen
des Beigeladenen.
Der Einwand des Klägers gegen die Frage Nr. 157 des ersten Tages vermag ihm
ebenfalls nicht zum Bestehen der Prüfung zu verhelfen. Der Beigeladene hat die
Antwort (C) auf diese Frage als Lösung festgelegt. Der Kläger hat die Antwort (A)
markiert. Er macht geltend, allein die Antwort (E) sei zutreffend. Wenn der Kläger mit
seiner Rüge Recht hätte, verminderte sich die relative Bestehensgrenze nicht. Eine
Eliminierung der Prüfungsaufgabe, die eine Absenkung der Bestehensgrenze um den
auf die amtlich festgelegte Lösung entfallenden Antwortanteil der Referenzgruppe zur
Folge hätte, setzt voraus, dass die Frage im Sinne von § 14 Abs. 4 Satz 1 i. V: m. Abs. 2
ÄAppO fehlerhaft ist. Die Frage Nr. 157 des ersten Tages wäre aber nicht fehlerhaft,
wenn allein die Antwort (E) zuträfe. Sie wäre nämlich dann ebenfalls eindeutig
beantwortbar und ist nicht schon nach ihrem Wortlaut unverständlich, widersprüchlich
oder mehrdeutig. Die relative Bestehensgrenze verminderte sich auch nicht aus einem
anderen Grund. Träfe allein die Antwort (E) zu, wäre bei der Ermittlung der
durchschnittlichen Prüfungsleistungen der Referenzgruppe nur der niedrigere
Antwortanteil der Referenzgruppe, der auf die Antwort (C) entfällt (0,030), durch den
höheren Antwortanteil auszutauschen, der auf die Antwort (E) entfällt (0,125). Das
brächte dem Kläger ersichtlich keinen Vorteil. Im Übrigen hätte der Kläger die Prüfung
selbst dann nicht bestanden, wenn man - zu Unrecht - zu seinen Gunsten unterstellte,
die Frage Nr. 157 des ersten Tages sei zu eliminieren und deshalb der Durchschnitt der
Referenzgruppe um 0,030 zu vermindern. Dies zeigt die Berechnung am Ende dieser
Entscheidungsgründe.
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In Bezug auf die Fragen Nr. 13 vom zweiten Tag, Nr. 75 vom zweiten Tag und Nr. 77
vom zweiten Tag kann unterstellt werden, dass die Rügen des Klägers durchgreifen,
weil dies nach der Berechnung am Ende dieser Entscheidungsgründe nicht dazu führen
würde, dass der Kläger die schriftliche Prüfung bestanden hätte.
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Der Kläger wendet gegen die genannten Fragen jeweils ein, dass keine der
angebotenen fünf Antworten zutreffend sei. Träfen die Einwände zu, so wären die
Fragen nur zu eliminieren, ohne dass der Kläger einen zusätzlichen Punkt erhielte. Dies
gilt auch für die Frage Nr. 13 vom zweiten Tag. Wie sich aus der mit Schreiben vom 4.
März 1999 überreichten Stellungnahme des Klägers (Blatt 129, 149 der Gerichtsakte)
und aus dem weiteren Schreiben vom 8. Juni 1999 (Blatt 172 der Gerichtsakte) ergibt,
macht der Kläger geltend, die fünf möglichen Antworten auf die Frage Nr. 13 vom
zweiten Tag seien unzutreffend, weil alle angebotenen Antworten falsche Aussagen
enthielten. Er hat seine früher vertretene Ansicht, die vom ihm markierte Antwort (D) sei
zutreffend, nicht mehr aufrechterhalten; die Antwort (D) ist auch unrichtig, weil die
Aussage der Antwort (D) dem Begriff des Portalläppchens und nicht dem Begriff
Leberazinus entspricht.
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Eine Eliminierung der oben genannten drei Fragen hätte zur Folge, dass bei der
Berechnung der relativen Bestehensgrenze die durchschnittlichen Prüfungsleistungen
der Referenzgruppe um die Antwortanteile der Referenzgruppe zu vermindern wären,
die auf die amtlich festgelegten Lösungen der Prüfungsfragen entfallen. Diese
Antwortanteile sind 0,149 bei der Frage Nr. 13 vom zweiten Tag, 0,614 bei der Frage Nr.
75 vom zweiten Tag und 0,355 bei der Frage Nr. 77 vom zweiten Tag.
49
Die Unterstellungen, die das Gericht bei der Frage Nr. 157 vom ersten Tag und den
zuvor genannten weiteren drei Fragen zugunsten des Klägers vorgenommen hat,
ergeben folgende Berechnung:
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Veränderung der Bestehensgrenze:
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Durchschnitt der Referenzgruppe nach den Ermittlungen des Beigeladenen: 204,0
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Veränderungen: - 0,030 - 0,149 - 0,614 - 0,355
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Unterstellter Durchschnitt der Referenzgruppe: 202,852
54
Bestehensgrenze: 202,852 x 0,78 = 158,22456
55
Zahl zutreffender Antworten des Klägers: 158
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Ergebnis: Nicht bestanden.
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Die Zahl der vom Kläger zutreffend beantworteten Fragen erreicht nicht mindestens 22
vom Hundert der durchschnittlichen Prüfungsleistungen der Referenzgruppe. Dafür
wären 159 zutreffend beantwortete Fragen erforderlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem
Kläger gemäß § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und sich daher einem
Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 erster Halbsatz VwGO) ausgesetzt hat. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.
V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung.
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