Urteil des VG Münster vom 28.05.2002

VG Münster: anfechtungsklage, abgabe, angemessenheit, erlass, anspruchsvoraussetzung, vollstreckung, wohnhaus, einfluss, vollstreckbarkeit, handelsvertreter

Verwaltungsgericht Münster, 9 K 2029/00
Datum:
28.05.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 2029/00
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Oktober 1999 und der
Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises Steinfurt vom 2. Juni
2000 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Kläger und Beklagter tragen die Kosten je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgegner vor der
Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger beantragte am 30. März 1999 bei dem Beklagten Wohngeld als
Lastenzuschuss. Mit Schreiben vom 15. September 1999 forderte der Beklagte den
Kläger auf, den Einkommensteuerbescheid 1998, die Fremdmittelbescheinigung der
Volksbank, den Bescheid der WfA, den letzten Grundsteuerbescheid, den Bescheid
über die Eigenheimzulage sowie weitere im Einzelnen bezeichnete
Einkommensnachweise vorzulegen. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass für
den Fall, dass diese Nachweise innerhalb von vierzehn Tagen nicht vorliegen würden,
die mangelnde Mitwirkung eine Ablehnung des Wohngeldantrages gemäß § 66
Sozialgesetzbuch I (SGB I) bewirken könne. Am 29. September 1999 legte der Kläger
die angeforderten Unterlagen mit Ausnahme des Einkommensteuerbescheids 1998 und
der Fremdmittelbescheinigung der Volksbank vor. Das Fehlen der Unterlagen erklärte
der Kläger damit, dass der Einkommensteuerbescheid für 1998 noch nicht vorliege; die
Fremdmittelbescheinigung Volksbank sei beantragt worden und werde nach Erhalt
sofort nachgereicht.
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Mit Bescheid vom 13. Oktober 1999 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers wegen
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fehlender Mitwirkung ab.
Am 29. Oktober 1999 legte der Kläger Widerspruch ein, welchen der Landrat des
Kreises Steinfurt mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2000 mit der Begründung
zurückwies, die Unterlagen hätten berechtigterweise gefordert werden dürfen; die
Fristsetzung sei mit vierzehn Tagen angemessen gewesen. Der Kläger sei über die
Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung aufgeklärt worden. Die Tatsache, dass der Kläger
nicht bis Ende Mai 1999 seine Einkommensteuererklärung eingereicht habe, sei von
ihm zu vertreten. Die geforderte Fremdmittelbescheinigung sei bereits am 30.
September 1999 ausgestellt worden, der Kläger sei aber offensichtlich nicht bereit
gewesen, diese Bescheinigung umgehend einzureichen. Durch die nachhaltige
Weigerungshaltung habe es der Kläger unmöglich gemacht, zu einem möglicherweise
anderen Entscheidungsergebnis zu kommen. Der vorgelegte
Einkommensteuerbescheid 1997 hätte wohngeldrechtlich nicht zu Grunde gelegt
werden dürfen.
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Laut Empfangsbekenntnis wurde der Widerspruchsbescheid dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Juni 2000 zugestellt.
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In seiner am 6. Juli 2000 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass die Frist
von vierzehn Tagen nicht nur unangemessen kurz, sondern auch angesichts der bis
dahin verstrichenen Zeit seit Antragstellung nicht nachvollziehbar gewesen sei. Der
Kläger habe die ihm vorliegenden Unterlagen unverzüglich beigebracht. Auch sei der
Beklagte darüber informiert gewesen, dass die fehlenden Unterlagen beantragt worden
seien und nachgereicht würden. Der Steuerbescheid 1997 sei zur Entscheidung über
seinen Antrag zudem ausreichend gewesen.
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Mit Bescheid vom 29. November 2000 bewilligte der Beklagte dem Kläger Wohngeld ab
Januar 2000.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung des Wohngeldbescheids vom 13. Oktober 1999 und
des Widerspruchsbescheids des Landrats des Kreises Steinfurt vom 2. Juni 2000 zu
verpflichten, ihm ab dem 1. März 1999 Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Gerichtsakte, die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge, den
Widerspruchsvorgang des Landrats des Kreises Steinfurt sowie das Protokoll des
Erörterungstermins vom 16. Oktober 2001 Bezug genommen.
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Die Parteien haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und
sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle der Kammer
einverstanden erklärt.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
(§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) durch den Berichterstatter an
Stelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
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Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger über die Anfechtung des
Versagungsbescheids vom 13. Oktober 1999 hinaus begehrt, ihm Wohngeld nach
Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Dem Kläger fehlt
diesbezüglich das Rechtsschutzinteresse, da über diese Frage noch keine behördliche
Entscheidung getroffen worden ist. Die Versagung der Wohngeldzahlung durch den
Beklagten wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 SGB I ist allein mit der
Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) anzugreifen. Die Vorschrift des § 113 Abs.
4 VwGO, nach der mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes
gleichzeitig die Leistung verlangt werden kann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt
eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht, findet keine Anwendung.
Diese setzt nämlich voraus, dass die Verwaltung gerade über die begehrte Leistung
entschieden hat, hier also über die materiellen Voraussetzungen des Anspruchs auf
Wohngeld. Davon kann indes keine Rede sein, wenn die Verwaltung gemäß § 66 SGB I
bis zur Nachholung der Mitwirkung eine Leistung versagt, weil der Antragsteller seiner
Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Eine solche Entscheidung setzt nämlich
nicht voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen der geltend gemachten
Wohngeldleistung nicht erfüllt sind. § 66 Abs. 1 SGB I erlaubt es dem Leistungsträger
gerade, „ohne weitere Ermittlungen", also ohne abschließende Prüfung der
Anspruchsvoraussetzungen, bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung zu
versagen. Maßgeblich ist allein, ob die in § 66 SGB I geregelten Voraussetzungen bei
dem Erlass des Versagungsbescheides gegeben waren.
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- BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1985 - 5 C 133.81 -, BVerwGE 71, 8, 11 -
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Mit der Versagung des Wohngeldes mangels Mitwirkung hat der Beklagte eine
Entscheidung getroffen, die sich ihrem Wesen nach von der Ablehnung des
Leistungsanspruchs wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung unterscheidet.
Der Unterschied wird an dem unterschiedlichen Ausmaß der Bestandskraft deutlich.
Anders als die Ablehnung einer Leistung wegen des Fehlens einer
Anspruchsvoraussetzung ist die Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ausdrücklich
„bis zur Nachholung der Mitwirkung" begrenzt und, weil der Leistungsträger versagte
Leistungen nach Mitwirkung nachträglich erbringen kann (§ 67 SGB I), auch für die Zeit
bis zur Nachholung vorläufiger Natur. Dies hat zur Folge, dass die Anfechtung einer
Versagung grundsätzlich nicht mit einer Verpflichtungsklage verbunden werden kann,
die Versagung vielmehr allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist, sodass sich die
gerichtliche Überprüfung eines auf § 66 SGB I gestützten Bescheids auf die in dieser
Vorschrift bestimmten Voraussetzungen für die Versagung der Leistung zu beschränken
pflegt.
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Im Übrigen ist die als Anfechtungsklage zulässige Klage begründet. Der angefochtene
Versagungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wohngeld durfte auf der Grundlage des § 66 SGB I nicht versagt
werden, da die dem Kläger gesetzte Frist unangemessen kurz war.
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Die Versagung von Wohngeld gemäß § 66 SGB I setzt neben einem Verstoß gegen die
dem Antragsteller gemäß § 60 SGB I obliegende Pflicht zur Mitwirkung eine
angemessene Fristsetzung zur Bewirkung der im Einzelnen geforderten
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Mitwirkungshandlung voraus (§ 66 Abs. 3 SGB I). Die Frist war im vorliegenden Fall
unangemessen kurz, da dem Kläger für die Beschaffung der Unterlagen zu wenig Zeit
zur Verfügung stand. Zweck der Frist des § 66 Abs. 3 SGB I ist es, den Antragsteller vor
Überraschungen zu schützen und ihm ausreichend Zeit zu geben, die angeforderten
Unterlagen zu beschaffen. Die Frage der Angemessenheit einer Frist kann daher immer
nur bezogen auf den konkreten Fall beurteilt werden. Der Umstand, dass der Kläger
möglicherweise bereits auf Grund eines früheren Antragsverfahrens oder seit dem Tag
der Antragstellung oder nach schriftlicher Erinnerung durch den Beklagten vom 31. März
1999 - deren Absendung sich dem Verwaltungsvorgang nicht zweifelsfrei entnehmen
lässt - oder in der Folgezeit nach telefonischer Verständigung mit dem Sachbearbeiter
des Beklagten - wofür sich in dem Verwaltungsvorgang kein Anhaltspunkt findet -
wusste, welche Unterlagen für die Bearbeitung des Antrags noch vorgelegt werden
müssen, ist bei der Beurteilung der Angemessenheit der Frist unbeachtlich. Erst mit der
den Anforderungen des § 66 Abs. 3 SGB I genügenden Aufforderung - dies war das
Schreiben des Beklagten vom 15. September 1999 - wird dem Betroffenen deutlich vor
Augen geführt, welche Entscheidung im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn er dem
Mitwirkungsverlangen nicht nachkommt.
Das hiernach allein maßgebliche Schreiben des Beklagten vom 15. September 1999 ist
dem Kläger ausweislich des Rückscheins am 16. September 1999 zugegangen, sodass
die Frist gemäß § 26 Abs. 2 SGB X am folgenden Tag begonnen hat. Angesichts der
Vielzahl von Unterlagen, die der Kläger zum Teil zusammen zu stellen, zum Teil erst zu
beschaffen hatte, war diese Frist zu kurz bemessen. Es kommt nämlich entscheidend
darauf an, ob der Kläger nach einer Aufforderung im Sinne des § 66 Abs. 3 SGB I noch
genügend Zeit hat, um zügig seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Zwar wäre die
Beschaffung der angeforderten Unterlagen - jede für sich gesehen und vom noch nicht
erlassenen Einkommensteuerbescheid 1998 abgesehen - nicht aufwändig und
durchaus innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen zu erledigen gewesen. Dem Kläger
wurde jedoch die Vorlage einer Vielzahl von Unterlagen aufgegeben, wofür eine derart
kurze Fristsetzung nicht ausreichend ist.
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Die Versagungsentscheidung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger
seinen Mitwirkungspflichten dadurch nicht gekommen ist, dass er seine
Einkommensteuererklärung für das Jahr 1998 nicht bis zum 31. Mai 1999 beim
zuständigen Finanzamt abgegeben hat. Zwar zählt die rechtzeitige Vorlage einer
Zweitschrift der Einkommensteuererklärung zu den Mitwirkungspflichten des
Betroffenen (vgl. Nr. 11.25 Abs. 1 Satz 3 WoGVwV a. F.), sodass bei deren Versäumnis
auch der Wohngeldantrag wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt werden kann. Dies
entbindet den Beklagten zum Einen jedoch nicht vom Erfordernis einer angemessenen
Fristsetzung, zum Anderen gilt die Verpflichtung zur Abgabe bis zum 31. Mai des Jahres
nur dann, wenn dem Steuerpflichtigen die Abgabe der Steuererklärung zu diesem
Termin auch tatsächlich möglich ist.
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- vgl. Stadler/Gutekunst/Forster/Wolf, Wohngeldgesetz, Stand Januar 2001, § 11 Rdnr.
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Hierzu hat der als selbstständiger Handelsvertreter tätige Kläger unwiderlegt
vorgetragen, dass es zu erheblichen Problemen im Zusammenhang mit der Abgabe der
Erklärung gekommen sei, da das im Juli 1998 bezogene Wohnhaus teilweise
gewerblich genutzt worden sei und Abschreibungsprobleme aufgetreten seien. Dies
habe eine Rücksprache mit dem Finanzamt erfordert, die auch erfolgt sei. Hinzu kommt,
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dass der Beklagte in dem maßgeblichen Schreiben vom 15. September 1999
gegenüber dem Kläger in keiner Weise zu erkennen gegeben hat, dass er eine
Versagung des Wohngeldes maßgeblich auf die Tatsache stützen will, dass der Kläger
seiner steuerlichen Erklärungspflicht nicht rechtzeitig nachgekommen ist. Zudem hat er
den Kläger ausschließlich aufgefordert, den Einkommensteuerbescheid für 1998
vorzulegen, auf dessen rechtzeitigen Erlass der Kläger ohnehin keinen Einfluss hat; die
Vorlage einer Zweitschrift der Einkommensteuererklärung wurde dem Kläger hingegen
nicht aufgegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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