Urteil des VG Münster vom 23.11.2010

VG Münster (kläger, abstand, dachgeschoss, grundstück, öffentlich, sicherung, wohnhaus, 1900, nutzungsänderung, interesse)

Verwaltungsgericht Münster, 2 K 1881/09
Datum:
23.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 1881/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beitreibbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur
Nutzungsänderung eines Wohnhauses zu einem Einfamilienwohnhaus mit
Einliegerwohnung durch teilweisen Ausbau des Dachgeschosses.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstückes Gemarkung T., Flur 00, Flurstück 000 mit
der postalischen Bezeichnung C.-straße 00 in T. Dieses Grundstück grenzt unmittelbar
westlich an das Grundstück der Beigeladenen (Flurstücke 000, 0 und 0 mit der
postalischen Bezeichnung C.-straße 00). Beide Grundstücke befinden sich im Ortskern
der Stadt T.; ein Bebauungsplan existiert für diesen Bereich nicht.
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Mit Bauschein vom 5. Mai 1900 erteilte die Baupolizeibehörde T. den damaligen
Eigentümern des Beigeladenengrundstückes eine Baugenehmigung zur Errichtung
eines Wohnhauses, das ausweislich der Bauvorlagen im Erdgeschoss und im ersten
Obergeschoss eine Wohnnutzung ausdrücklich vorsah. Eine konkrete Nutzung für das
Dachgeschoss war in den Bauvorlagen nicht vorgesehen. In der westlichen Außenwand
waren u.a. auch im Dachgeschoss zwei Fenster vorgesehen, aus denen eine Aussicht
in Richtung Osten erfolgen konnte. Zu diesen Bauvorlagen hatte der vormalige
Eigentümer des Grundstückes des Klägers unter dem 7. April 1900 sein Einverständnis
erklärt.
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Im Anschluss an das gerichtliche Verfahren 2 K 508/08, in dem der Kläger ein
bauaufsichtliches Einschreiten seitens des Beklagten gegenüber einer ungenehmigten
Wohnnutzung im Dachgeschoss des Wohnhauses der Beigeladenen gefordert hatte,
beantragten die Beigeladenen unter dem 15. Mai 2009 die Erteilung einer
Baugenehmigung für das oben genannte Vorhaben. In einer Anlage zum Bauantrag
teilten die Beigeladenen mit, dass eine Wohnnutzung des Dachgeschosses bereits kurz
nach Errichtung des Wohnhauses aufgenommen worden sei und bis heute fortgedauert
habe. Nach 1981 sei das Dachgeschoss renoviert worden, ohne statische
Veränderungen und Veränderungen des Äußeren des Hauses vorzunehmen. Durch die
begehrte Nutzungsänderungsgenehmigung solle der Familie eine ausreichende
Wohnmöglichkeit für Eltern und Kinder unter einem Dach ermöglicht werden.
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Mit Bauschein vom 8. Juli 2009 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die begehrte
Baugenehmigung, die dem Kläger ohne eine Rechtsmittelbelehrung übersandt worden
ist. In der mündlichen Verhandlung ergänzte der Beklagte diese Genehmigung, indem
er aus Gründen der Klarstellung den Aktenvermerk vom 8. Juli 2009, der seine
Abwägung vor Erteilung der Baugenehmigung enthält, zum Gegenstand der
Baugenehmigung machte.
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Am 1. Oktober 2009 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung
macht der Kläger geltend:
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Durch das Vorhaben entstehe eine eigenständige dritte Wohnung innerhalb des
Hauses. Das Vorhaben verstoße gegen § 6 BauO NRW und gegen die
Brandschutzbestimmungen der Bauordnung Nordrhein-Westfalen, da Öffnungen in der
östlichen Gebäudeaußenwand des Wohnhauses der Beigeladenen vorhanden seien.
Der Abstand des Wohnhauses der Beigeladenen habe einen Abstand von weniger als 2
m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze. Da durch die Nutzungsänderung die
Genehmigungsfrage für das gesamte Wohnhaus neu aufgeworfen werde, müssten die
Bauvorlagen hinreichend bestimmt sein. Dies sei nicht der Fall, da die Bauvorlagen
insbesondere keine Angaben dazu enthielten, dass das Wohnhaus im Erdgeschoss und
im ersten Obergeschoss die brandschutzrechtlichen Anforderungen erfülle.
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Der Kläger beantragt,
9
die Baugenehmigung des Beklagten vom 8. Juli 2009 in der Fassung der Modifizierung
vom 23. November 2010 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Er trägt vor:
13
Durch die vom Fachbereich Vermessung und Kataster vom 3. November 2010
durchgeführten Messungen werde amtlich bestätigt, dass der Abstand des Wohnhauses
der Beigeladenen, gemessen vom aufgehenden Mauerwerk des Wohngebäudes, einen
Abstand von 2,01 m bis 2,08 m zur östlichen Grundstücksgrenze betrage. Aus der
Stellungnahme der Brandschutzdienststelle - Brandschutzingenieur Dipl.-Ing. B. U. -
vom 9. November 2010 ergebe sich eindeutig, dass aus brandschutztechnischer Sicht
gegen die Nutzungsänderung auch unter Würdigung des § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW
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keine Bedenken beständen. Aus § 53 Abs. 2 BauO NRW ergebe sich, dass die
Vorschriften der §§ 29 bis 32 BauO NRW nicht für Gebäude mit Abstellräumen nach § 6
Abs. 11 BauO NRW gälten. Ausweislich der Genehmigungsunterlagen vom 9. April
1968 handele es sich bei dem auf dem Grundstück des Klägers an der
Grundstücksgrenze befindlichen Gebäude unstreitig um ein Garagengebäude im Sinne
des § 6 Abs. 11 BauO NRW.
Das Wohngebäude der Beigeladenen am vorhandenen Standort genieße
Bestandsschutz und sei daher baurechtlich anders zu beurteilen als ein etwa
vorgesehener gleichartiger Neubau in der Abstandsfläche. Bezüglich der von dem
Beklagten angestellten Ermessenserwägungen im Rahmen der Entscheidung nach § 6
Abs. 15 BauO NRW verweise er auf seinen Aktenvermerk vom 8. Juli 2009. Diese
Erwägungen vertiefte und ergänzte der Beklagte im Rahmen des gerichtlichen
Verfahrens. Insoweit wird auf den Schriftsatz vom 24. November 2009 Bezug
genommen. Insbesondere sei hervorzuheben, dass die Giebelfenster im Dachgeschoss
bereits vor Erteilung der jetzt angegriffenen Baugenehmigung Bestandsschutz
genossen hätten, zumal das Wohngebäude mit den beiden Giebelfenstern mit
ausdrücklichem Einverständnis des Rechtsvorgängers des Klägers am vorhandenen
Standort zugelassen worden seien und bei Bauabnahme eine Wohnnutzung im
Dachgeschoss behördlicherseits akzeptiert worden sei. Der damalige Grenzverlauf
(1900) entspreche nicht mehr dem heutigen Grenzverlauf und der Grenzabstand des
betreffenden Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen habe sich zum
Grundstück des Klägers inzwischen sogar vergrößert.
15
In Anbetracht der glaubhaften Ausführungen der Beigeladenen sei davon auszugehen,
dass das Dachgeschoss schon seit vielen Jahrzehnten zu Wohnzwecken genutzt
worden sei. Ein erhöhtes Gefährdungspotential eines Brandes aus einer Wohnnutzung
im Vergleich zu dem aus einem unbeobachteten Dachboden sei nicht feststellbar.
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Gewichtige nachbarliche Belange des Klägers ständen nicht entgegen, zumal dem
Kläger schon seit vielen Jahren die Wohnnutzung im Dachgeschoss bekannt gewesen
sei und er keine Einwendungen hiergegen erhoben habe.
17
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung machen sie geltend, dass drittschützende Belange durch die
Baugenehmigung nicht beeinträchtigt würden. Ferner führe die jahrelange Duldung der
Wohnnutzung im Dachgeschoss durch den Kläger zu einer Verwirkung etwaiger
Nachbarrechte.
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Am 26. Mai 2010 hat der Berichterstatter die Örtlichkeiten auf dem Grundstück des
Klägers und der Beigeladenen in richterlichen Augenschein genommen und mit den
Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert. Insoweit wird auf die Niederschrift und
wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der
Verfahrensakte sowie auf die von dem Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge
und die von dem Kläger und den Beigeladenen überreichten Anlagen ergänzend
verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
22
Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, aber
unbegründet. Die in der mündlichen Verhandlung teilweise modifizierte
Baugenehmigung des Beklagten vom 8. Juli 2009 verstößt nicht gegen den Kläger
schützende subjektive Nachbarrechte, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24
Zunächst verstößt das Vorhaben der Beigeladenen nicht gegen die nachbarschützende
Vorschrift des § 6 BauO NRW.
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Die Baugenehmigung ist mit § 6 BauO NRW vereinbar, obwohl das Wohnhaus der
Beigeladenen - entgegen den sich aus § 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 BauO NRW
ergebenden Abstandforderungen - nur einen Abstand zwischen 2,01 m und 2,08 m zur
Grenze des Grundstücks des Klägers einhält. Den insoweit widersprechenden
Behauptungen des Klägers, dass das Vorhaben einen geringeren Abstand als 2 m zur
östlichen Grundstücksgrenze aufweise, brauchte das Gericht nicht weiter nachzugehen.
Denn der Kläger hat nichts Substantiiertes dafür vorgetragen, dass die vom Fachbereich
Vermessung und Kataster des Beklagten vom 3. November 2010 durchgeführten
Messungen unrichtig sein könnten. Es war daher nicht angezeigt, durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens die Messungen dieses sachverständigen Amtes des
Beklagten nochmals überprüfen zu lassen.
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Zwar hält das Wohngebäude der Beigeladenen nur einen Abstand von weniger als 2,50
m zur östlichen Grundstücksgrenze ein, jedoch konnte der Beklagte unter Würdigung
nachbarlicher Belange und, insbesondere solcher des Brandschutzes gleichwohl die
beantragte Nutzungsänderung gestatten.
27
Der Beklagte hat die angefochtene Baugenehmigung in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise auf § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW gestützt, da nachbarliche
Belange des Klägers, insbesondere auch solche des Brandschutzes, soweit sie
Nachbarschutz vermitteln, der Erteilung nicht im Wege standen
28
§ 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW ist als einfachgesetzliche Ausprägung des aktiven
Bestandschutzes zu verstehen, sodass die hierauf gestützte Zulassungsentscheidung
keine vollständige Neubetrachtung des vorhandenen Bestandes auf der Grundlage der
aktuellen Gesetzeslage erfordert, zumal mit der genehmigten Einliegerwohnung nur
eine geringfügige Nutzungsintensivierung ohne wesentliche, insbesondere statische
Veränderungen, verbunden ist. Insbesondere gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür,
dass der Bestandsschutz durch nachhaltige bauliche Änderungen an dem Wohnhaus
untergegangen sein könnte.
29
Die im Rahmen des § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW zu treffende
Ermessensentscheidung zielt auf einen Interessenausgleich zum Wohle der
Entwicklung einer sozialgerechten Eigentumsordnung. Ist ein Gebäude, das in der
Vergangenheit formell oder jedenfalls materiell legal gewesen ist, mit heutigen
Abstandanforderungen nicht vereinbar, können unter Abwägung der Interessen des
Bauherrn mit denen des Nachbarn, in die öffentliche Belange einzustellen sein können,
auch solche Nutzungsänderungen nach Ermessen gestattet werden, die über den
Anwendungsbereich des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW hinausgehen.
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Dabei sind die Belange des Brandschutzes in die Abwägung einzustellen.
31
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Mai 2009 - 7 B 91/09 und vom 8. März 2007 - 7 A
3782/05 -, BRS 71 Nr. 125.
32
Gefordert ist eine Bewertung und Gewichtung der Nachbarinteressen in dem konkreten
Grenzverhältnis, in dem die abstandrechtlichen Vorgaben nicht eingehalten werden. Es
sind die dort im Einzelfall betroffenen Belange einzustellen. Insbesondere ist in Fällen
einer Nutzungsänderung - wie hier - zu berücksichtigen, in welchem Maße die
nachbarlichen Belange durch eine neue Nutzung betroffen werden und wie berechtigt
das Interesse ist, dass eine solche nur aufgenommen wird, wenn die
Mindestanforderungen an die Abstandflächen eingehalten werden, wie sie der
Gesetzgeber in § 6 Abs. 15 Satz 1 Nr. 2 BauO NRW bei bestehenden Gebäuden für den
Regelfall als Mindestmaß vorschreibt. Korrespondierend ist zu berücksichtigen, wie
berechtigt das Interesse des Bauherrn daran ist, die vorhandene Bausubstanz wie
vorgestellt nutzen zu können, auch wenn dies zu gewissen tatsächlichen
Beeinträchtigungen des Nachbarn führen wird. Die Frage ist also nicht, ob der
betroffene Nachbar bauplanungsrechtlich mit einer bestimmten Art der Nutzung im
Grundsatz rechnen muss, sondern, ob sein Interesse an der Einhaltung der
abstandrechtlichen Mindestvorgaben gegenüber dem Interesse des Bauherrn an der
(sinnvollen) Nutzung seiner vorhandenen Bausubstanz (ausnahmsweise) zurücktritt.
Das bemisst sich vornehmlich nach den Umständen des konkreten
Nachbarschaftsverhältnisses.
33
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. April 2010, - 7 A 2065/08 -.
34
Die von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung vom 8. Juli 2009, die er
durch seinen Schriftsatz vom 24. November 2009 im gerichtlichen Verfahren vertieft und
ergänzt hat, ist in Ansehung des § 114 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden.
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Namentlich hat der Beklagte die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht
überschritten, indem er den Interessen der Beigeladenen den Vorrang vor den Belangen
des Klägers eingeräumt hat.
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Für die hier zunächst interessierende Frage, ob allgemeine nachbarliche Belange des
Klägers durch diese Zulassungsentscheidung verletzt werden, war wesentlich zu
berücksichtigen, dass der Kläger in der Geltendmachung seiner Abwehrrechte gegen
das Wohnhaus in seiner äußeren Gestalt, das Gegenstand der Bauvorlagen für den
Bauschein vom 5. Mai 1900 gewesen ist, bereits deshalb gehindert war, weil der
vormalige Eigentümer des klägerischen Grundstückes sein Einverständnis für dieses
Vorhaben unter dem 7. April 1900 erteilt hatte. Von diesem Einverständnis waren
insbesondere auch die beiden Giebelfenster in der östlichen Außenwand erfasst.
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Ferner fällt ins Gewicht, dass die mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung
zugelassene Wohnnutzung im Dachgeschoss bereits vor Erteilung der
streitgegenständlichen Baugenehmigung passiv bestandsgeschützt war Denn diese
Nutzung als Einliegerwohnung (Zubehör zur unteren Wohnung) war jedenfalls unter
Geltung der Baupolizeiverordnung für den Regierungsbezirk Münster vom 1. Juni 1923
materiell genehmigungsfähig. Die Beigeladenen haben nämlich zur Überzeugung des
Gerichts dargelegt, dass eine Wohnnutzung im Dachgeschoss bereits kurz nach
Errichtung des Wohnhauses aufgenommen worden war, und - zumindest als Bestandteil
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der Hauptwohnung - mit den damals geltenden Bauvorschriften in Einklang gestanden
hat. Zur weiteren Begründung wird insoweit auf den gerichtlichen Hinweis vom 29.
Januar 2010 verwiesen. Soweit der Kläger den Angaben der Beigeladenen
entgegenhält, dass das Dachgeschoss in der Vergangenheit nur als Spielraum und für
vereinzelte Übernachtungen gedient habe, erkennt auch er im Kern an, dass eine
Wohnnutzung des Dachgeschosses vorgelegen hat. Seine Befürchtungen, dass eine
dritte selbständige Wohneinheit entstehe, werden durch den Inhalt der
Baugenehmigung bereits entkräftet, weil (nur) eine Einliegerwohnung genehmigt
worden ist.
Ein besonderes Interesse des Klägers, sein Grundstück vor einer Einsichtnahme aus
den Giebelfenstern zu schützen, besteht ebenfalls nicht. Durch die streitgegenständliche
Baugenehmigung wird der bisherige Zustand nur unwesentlich verändert, indem die
vormals bereits bestehenden Möglichkeiten der Einsichtnahme nunmehr für Bewohner
einer Einliegerwohnung auch formal legalisiert werden. Denn hinter diesen Fenstern
sind nach den eingereichten Bauvorlagen und den Feststellungen, die das Gericht
anlässlich der Ortsbesichtigung getroffen hat, ein Schlafraum und die Küche anzutreffen,
mithin Räume, die bei typisierender Betrachtung anderen Zwecken dienen sollen als als
Aussichtsplattform.
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Letztlich war auch zu berücksichtigen, dass der damalige Grenzverlauf von 1900 nicht
mehr dem heutigen Grenzverlauf entspricht und sich der Abstand des Wohnhauses der
Beigeladenen zum Grundstück des Klägers inzwischen sogar vergrößert hat.
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Vor diesem Hintergrund überwiegen die Interessen der Beigeladenen an der (weiteren)
Wohnnutzung des Dachgeschosses als Einliegerwohnung gegenüber den
nachbarlichen Belangen des Klägers.
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Die Ermessensentscheidung des Beklagten ist auch bezüglich der nachbarrechtlich
relevanten Belange des Brandschutzes nicht zu beanstanden.
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Der Beklagte hat eine Stellungnahme der Brandschutzdienststelle -
Brandschutzingenieur Dipl.-Ing. B. U. - vom 9. November 2010 vorgelegt, aus der sich
ergibt, dass aus brandschutztechnischer Sicht gegen die Nutzungsänderung auch unter
Würdigung des § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW keine Bedenken bestehen. Diese
Einschätzung beruht auf der zutreffenden Annahme, dass die nach § 6 Abs. 15 Satz 2
BauO NRW erforderliche Würdigung der Belange des Brandschutzes nicht mit der
Prüfung gleichzusetzen ist, ob sämtliche tatbestandlichen Anforderungen, die in den
jeweiligen brandschutzrechtlichen Bestimmungen der Bauordnung NRW benannt sind,
gewahrt sind. Denn § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW enthält gerade keine ausdrückliche
Bezugnahme auf die Vorschriften der §§ 29 ff BauO NRW.
43
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2009 - 7 B 91/09,
44
In diesem Verständnis ist vorliegend insbesondere auch § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW
nur auf seinen materiellen, nachbarschützenden Gehalt zu prüfen, mithin nur insoweit,
als es darum geht, ein Übergreifen von Feuer auf das Grundstück des Klägers zu
verhindern.
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Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW müssen Gebäudeabschlusswände bei solchen
Gebäuden hergestellt werden, die weniger als 2,50 m von der Nachbargrenze errichtet
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werden, es sei denn, es besteht ein Abstand (zu vorhandenen Gebäuden) von fünf
Meter oder ein solcher Abstand ist (zu zulässigen, aber noch nicht errichteten
Gebäuden) öffentlich-rechtlich gesichert. Tatsächlich besteht zwischen dem Haus der
Beigeladenen und dem Haus des Klägers ein Abstand von deutlich mehr als fünf
Metern. Insoweit hat der Beklagte auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die auf dem
Grundstück des Klägers befindlichen Garagen gemäß § 53 Abs. 2 BauO NRW bei
dieser Betrachtung unberücksichtigt bleiben.
Im Rahmen der Prüfung, ob eine Genehmigung nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW
erteilt werden kann, stellt eine fehlende öffentlich- rechtliche Sicherung i.S.d. § 31 Abs. 1
Nr. 1 BauO NRW dieses Abstandes ungeachtet der Gegebenheiten des Einzelfalls kein
zwingendes Hindernis für die Gestattung dar. Grundsätzlich dürften die Belange des
Brandschutzes zwar nur gewahrt sein, wenn auch die Anforderungen des § 31 BauO
NRW eingehalten werden.
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Vgl. zu § 6 Abs. 14 BauO NRW: OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2008 - 10 B 616/08
-.
48
Jedoch hat das Erfordernis der öffentlich-rechtlichen Sicherung eines
Gebäudeabstandes von fünf Metern seinen Grund nicht darin, dass ein
Gebäudeabstand von fünf Metern nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht als
aus brandschutztechnischer Sicht grundsätzlich ausreichend anzusehen ist, wie bereits
die Regelung selbst aufzeigt. Die öffentlich-rechtliche Sicherung bewirkt aber auch
keinen größeren Gebäudeabstand und damit kein Mehr an Brandschutz. Sie zielt
vielmehr darauf ab, für zukünftige Änderungen des Gebäudebestandes, einen
entsprechenden Abstand weiterhin sicherzustellen. Ob es einer öffentlich-rechtlichen
Sicherung des Gebäudeabstandes von fünf Metern auch in Fällen des § 6 Abs. 15 Satz
2 BauO NRW bedarf, ist Gegenstand der abwägenden Entscheidung.
49
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2009 - 7 B 91/09.
50
Diese fällt hier zu Gunsten der Beigeladenen aus. Zwischen den beiden Wohnhäusern
der Beigeladenen und des Antragstellers besteht derzeit ein Abstand von (mehr als) fünf
Metern. Eine öffentlich- rechtliche Sicherung in Form einer eingetragenen Baulast oder
durch entsprechende Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche nach § 23
BauNVO in einem Bebauungsplan liegt nicht vor. Jedoch kommt in § 6 Abs. 15 Satz 2
BauO NRW die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Brandschutzvorschriften
keine solche Bedeutung beizumessen, dass sie eine ansonsten abstandflächenrechtlich
mögliche Genehmigung zwingend hindern. In einem solchen Fall ist zu prüfen, ob eine
Abweichung von den brandschutzrechtlichen Vorschriften über die
Abweichungsvorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW möglich ist. Diese Prüfung
hat vor dem Hintergrund der eigentumsrechtlichen Gewährleistung einerseits und der
Sozialpflichtigkeit des Eigentums andererseits zu erfolgen.
51
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2009 - 7 B 91/09 unter Bezugnahme auf:
BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 17.90 -, BRS 52 Nr. 157.
52
Das Interesse an einer öffentlich-rechtlichen Sicherung des Abstandes von fünf Metern
konnte der Beklagte vorliegend im Rahmen seiner Interessenabwägung zurückstellen.
Denn - wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - kann das
Wohnhaus der Beigeladenen einen Bestandsschutz beanspruchen. Folglich dürften
53
auch nachträgliche Anforderungen des Brandschutzes nach § 31 BauO NRW nur auf
der Grundlage von § 87 Abs. 2 BauO NRW bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen
erfolgen.
Vgl. Boeddinghaus/ Hahn/ Schulte, Kommentar zur BauO NRW, § 31 Rn 14.
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Ferner ist bauordnungsrechtlich ausreichend gesichert, dass auch im Falle einer
Neubebauung auf dem Grundstück des Klägers ein Abstand von drei Metern von einem
solchen (neuen) Hauptgebäude gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 BauO NRW eingehalten
werden muss. Denn eine Grenzbebauung oder grenznahe Bebauung ist weder dem
Kläger noch den Beigeladenen insbesondere aufgrund der derzeit vorhandenen
Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen aus bauplanungs- und
bauordnungsrechtlichen Gründen nach § 34 BauGB bzw. § 6 BauO NRW möglich.
Diese rechtliche Beschränkung, der der Kläger für eine Neubebauung seines
Grundstücks derzeit unterliegt, kommt einer (anerkannten) öffentlich- rechtlichen
Sicherung in Form entsprechender Festsetzungen in einem Bebauungsplan in seinen
rechtlichen Wirkungen bereits sehr nahe, so dass - auch ohne entsprechende
Bebauungsplanfestsetzung - eine Unterschreitung des von § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO
NRW geforderten Abstandes von fünf Metern zwischen dem (derzeitigen)
Hauptgebäude der Beigeladenen und einem denkbaren Neubau des Klägers nicht zu
erwarten ist. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte seine
Interessenabwägung auch insoweit zu Gunsten des Vorhabens der Beigeladenen
vorgenommen hat, da nachhaltig schützenswerte nachbarliche Belange des Klägers
nicht im Wege standen und daher eine Abweichungsentscheidung im Ermessenswege
konkludent erfolgen konnte.
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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass auch eine Verletzung sonstiger
subjektiver Nachbarrechte des Klägers, insbesondere des bauplanungsrechtlichen
Gebotes der Rücksichtnahme, nicht feststellbar ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3; die außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 für erstattungsfähig zu erklären, weil die
Beigeladenen einen Sachantrag gestellt und sich somit dem Kostenrisiko des § 154
Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit folgt aus §
167 Abs. 2 VwGO und §§ 708, 711 ZPO.
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