Urteil des VG Münster vom 22.09.2010

VG Münster (der rat, stadt, kläger, grund, verhandlung, höhe, planung, teil, anlage, privater)

Verwaltungsgericht Münster, 3 K 1068/09
Datum:
22.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 1068/09
Tenor:
Der Beitragsbescheid des Beklagten vom 5. Mai 2009 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor in
gleicher Höhe Sicherheit leisten.
T a t b e s t a n d
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Die Kläger sind Eigentümer des 664 qm großen Grundstücks Gemarkung C. , Flur 00,
Flurstück 000, das an der X.-------straße gelegen und wohnnutzbar ist. Die X.-------straße
beginnt im Nordwesten an der C1.------straße und verläuft sodann - teilweise im
Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 41 a der Stadt T. - durch die geschlossenen
Reihen der hier errichteten Einfamilienhäuser bis zur Grenze dieses Bebauungsplanes.
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Auf Grund einer bis in das Jahr 2005 zurückgehenden Planung hatte der Beklagte mit
dem Ausbau der X.-------straße begonnen und in diesem Jahr eine Vorausleistung auf
den zu erwartenden Erschließungsbeitrag erhoben. Wegen der Verhältnisse im
Einzelnen verweist das Gericht auf das hierzu ergangene rechtskräftige Urteil vom 29.
Mai 2008 - 3 K 249/07 -.
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Der Beklagte hat die insgesamt noch nicht gewidmete Straße inzwischen mit den
Teileinrichtungen Fahrbahn, Gehweg, Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung
technisch fertiggestellt. Nach Erlass einer Satzung des Rates der Stadt T. vom 1. April
2009 über die Feststellung der Art des Bebauungsgebietes und der zulässigen
Geschosszahlen in dem betroffenen Abrechnungsgebiet sowie einem Beschluss zur
Abrechnung im Wege der Kostenspaltung vom selben Tage setzte der Beklagte
gegenüber den Klägern durch Bescheid vom 5. Mai 2009 einen (Teil-
)Erschließungsbeitrag in Höhe von 7.611,42 Euro fest; eine Zahlungsaufforderung
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erübrigte sich wegen eines überschießenden Guthabens aus der Vorausleistung.
Am 4. Juni 2009 haben die Kläger Klage erhoben. Sie bestreiten die Beitragspflicht mit
den Auffassungen, der Maßnahme fehle im nicht beplanten Bereich der Straße eine
Legitimation gemäß § 125 Abs. 2 BauGB; sie stelle sich wegen fehlender Widmung und
fehlenden Eigentums sowie dem daraus folgenden Eingriff in das Eigentum Privater als
rechtswidrig dar.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2009 aufzuheben.
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Der Beklagte tritt dem Vorbringen der Kläger entgegen und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Am 23. September 2009 hat der Rat der Stadt T. zum Betreff "Verfahren gemäß § 125
Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 4 - 7 BauGB" einen Beschluss über den Endausbau der Straßen
X.-------straße , X1.-------straße und C1.------straße im Stadtteil C. gefasst.
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Auf den Inhalt des Auszuges aus dem Protokollbuch des Rates, den der Beklagte unter
dem 4. November 2009 zur Verfügung gestellt hat, wird verwiesen. Das Gericht nimmt
wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen auf den Inhalt
der Gerichtsakte, insbesondere das Protokoll der Verhandlung vom heutigen Tag, die
Verfahrensakte des Vorausleistungsverfahrens, ferner auf die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2009 über die
Heranziehung der Kläger zu einem (Teil-)Erschließungsbeitrag für die erstmalige
Herstellung der X.-------straße ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, §
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Heranziehung im Wege der Kostenspaltung begegnet als solche gemäß § 127 Abs.
3 BauGB i. V. m. § 6 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der
Stadt T. vom 24. September 2004 (EBS) i. V. m. dem Beschluss des Rates der Stadt
über die Abrechnung im Wege der Kostenspaltung und die hierin einzubeziehenden
Teileinrichtungen vom 1. April 2009 keinen Bedenken. Zu den Voraussetzungen der
Abrechenbarkeit nach den Regeln des Erschließungsbeitragsrechts des BauGB hatte
das Gericht bereits in seinem Urteil vom 29. Mai 2008 - 3 K 249/07 - rechtskräftig
entschieden,
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vgl. insoweit auch OVG NRW, Beschluss vom 12. August 2008 - 15 A 1908/08-.
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Hinsichtlich der darin angesprochenen Voraussetzungen der Beitragspflicht dem
Grunde und der Höhe nach haben sich - wie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten
ausweisen und vom Vortrag der Beteiligten auch nicht in Frage gestellt wird - keine
Änderungen ergeben. Das Gericht nimmt auf die in den vorstehenden Entscheidungen
vermittelten Erkenntnisse Bezug.
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Der Rat der Stadt T. hat mit dem durch Beschluss vom 23. September 2009 beendeten
Verfahren jedoch keine genügende bauplanungsrechtliche Grundlage im Sinn des §
125 Abs. 2 BauGB geschaffen, um die Rechtmäßigkeit der Erschließung sowie des
(Teil-)Erschließungsbeitrags herbeizuführen. Gemäß § 125 Abs. 2 BauGB dürfen, sofern
ein Bebauungsplan nicht vorliegt, u. a. Anbaustraßen im Sinn des § 127 Abs. 2 Nr. 1
BauGB nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 - 7 BauGB bezeichneten
Anforderungen entsprechen. Danach sind alle von der Planung berührten öffentlichen
und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses
Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang als auch auf die Einbeziehung
aller im Einzelfall abwägungsrelevanten Umstände, schließlich auf das
Abwägungsergebnis. Dabei führt ein Mangel im Abwägungsvorgang allerdings
entsprechend § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB nur dann zur Rechtswidrigkeit der Herstellung
der Erschließungsanlage, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete
Möglichkeit besteht, dass die Planungsentscheidung ohne den Mangel im Ergebnis
anders ausgefallen wäre.
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Vgl. zu diesen Maßstäben der gerichtlichen Kontrolle: BVerwG, Urteil vom 26.
November 2003 - 9 C 2.03 -; OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2010 - 15 A 3230/07 -,
Urteil vom 8. Mai 2009 - 15 A 770/07-, Urteil vom 14. August 2008 - 7 D 120/07.NE -; zu
Ausprägungen im Einzelfall OVG NRW, Urteil vom 30. September 2008 - 10 D 35/06.NE
-; VG Ansbach, Urteil vom 23. Februar 2006 - AN 18 K 04.02806 -.
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Die hier strittige Abrechnung hat sich an den vorstehenden Maßgaben der §§ 125 Abs.
2, 1 Abs. 7 BauGB auszurichten. Denn anders als im Fall der Vorausleistung gilt die
Beitragspflicht auch im Fall des § 127 Abs. 3 BauGB der erstmaligen endgültigen
Herstellung. Der für die danach notwendige Abwägung zuständige Rat der Stadt T. hat
in seinem Beschluss vom 23. September 2009 zwar alle straßenplanerischen
Überlegungen eingestellt, die nach Lage der Dinge einzustellen waren. Dies ist nicht
nur dem Protokoll über die Sitzung des Rates Nr. 0000, sondern auch der zugehörigen
Beschlussvorlage 0000 nebst insoweit ersichtlich erschöpfendem Kartenmaterial zu
entnehmen. Die zu beurteilende Situation war in Bezug auf diesen Planungsansatz
vorgeprägt durch einen seit vielen Jahrzehnten vorhandenen Straßenzug und eine -
wenngleich vor einhundert Jahren noch nicht geschlossene, aber durch ihre Standorte
den Verlauf der Straße vorgebende - Bebauung, deren Erschließungsbedürfnis im
Wesentlichen aus einer Wohnnutzung abzuleiten war und ist. Zur Historie der Straße
wird im Einzelnen verwiesen auf das zwischen den Beteiligten ergangene Urteil vom
29. Mai 2008, a. a. O.. Die aktuell notwendige Straßenplanung musste sich deshalb
naturgemäß mit den vorgefundenen örtlichen Verhältnissen und deren Ordnung, der
Einfügung in das vorhandene Straßennetz und den weitläufigen Vorgaben durch
vorhandene qualifizierte Bauleitplanung befassen, ferner etwa mit den durch die
Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen, Ausgabe 2006 (RASt 06), angebotenen
Möglichkeiten der technischen Ausführung. Wie Umfang und thematisiertes
Konfliktmaterial gemäß Protokoll vom 23. September 2009 sowie Sitzungsvorlage
687/2009 ausweisen, ist dies ersichtlich geschehen und finden Beanstandungen
insoweit keinen Anhaltspunkt.
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Mit diesen straßen-, teils auch stadtplanerischen Ansätzen konnte der Rat der Stadt T.
dem Abwägungsgebot i. S. d. §§ 125 Abs. 2, 1 Abs. 7 BauGB jedoch nicht vollständig
genügen. Denn diesen Belangen hätten nunmehr die privaten Interessen zwecks
Abwägung gegenüber gestellt werden müssen. Hieran fehlt es. Zwar hat der Rat der
Stadt in seiner Sitzung vom 23. September 2009 eine entsprechende Notwendigkeit
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wohl im Ansatz gesehen. Denn in der Präambel, die allgemein den Erwägungen zu
allen betroffenen Straßenzügen vorangestellt war, heißt es:
Ferner sind auch bei der Planung von Straßen die Eigentumsverhältnisse als privater
Belang zu berücksichtigen. Hierbei ist insbesondere die evtl. Inanspruchnahme privater
Flächen für den Straßenbau zu prüfen und möglichst gering zu halten, um mögliche
Einschränkungen für die Anwohner zu vermeiden.
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Hierbei ist es jedoch geblieben. Bereits die thematischen Ansätze der weiteren
umfänglichen Erörterungen lenken von diesen Vorgaben ab. Deren Inhalte bezogen
sich nunmehr - unmittelbar folgend - auf die Schaffung funktionierender
Erschließungsanlagen sowie den Ausbau als unabdingbaren Bestandteil bei der
Schaffung von gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnissen. Weitere private Belange
wurden nicht formuliert, statt dessen das Ergebnis der entstandenen Straßenprofile.
Hinsichtlich der X.-------straße folgt kein weiteres Wort zu privaten Interessen oder
privaten Belangen. Das Gericht hat die entsprechenden Passagen in der mündlichen
Verhandlung zitiert, ebenfalls auf den letztgenannten Umstand aufmerksam gemacht. Es
ist auch die Annahme ausgeschlossen, dass solche privaten Interessen im Falle der X.--
-----straße nicht existierten und eine Abwägung infolge dessen ohnehin keine Änderung
der Entscheidung des Rates hätte bewirken können. Denn solche Interessen waren
sehr wohl vorhanden und verbalisierbar. Immerhin hatte der Beklagte den Anliegern der
X.-------straße bis zum Ende des Jahres 2005 faktisch eine weitgehende
Gestaltungshoheit über den Ausbau der Straße zugestanden. Aus welchem Grund die
Bürgerinitiative mit dieser Eigenregie der Anlieger letztlich keinen Erfolg gehabt hatte
und aus welchem Grund der Beklagte sodann nach den bereits aus den
Vorausleistungsverfahren, a. a. O., bekannten und auch in der mündlichen Verhandlung
zitierten letzten Gesprächen im Jahr 2005 sodann die Straßenplanung wiederum
vollständig in die eigene Hand genommen hatte, hätte zumindest der Erörterung des
Rates bedurft. Denn die bezeichneten Vorgänge spielten sich gerade in der Ebene der
Straßenplanung, insbesondere der Gestaltung der Breite und der Ausstattung der
Anlage ab. Dies musste nahezu zwingend zu einer Erörterung gerade zu dem
Ansatzpunkt führen, aus welchem Grund die Übernahme der Straßenprofile aus den
überplanten Bereichen der Anlage sich als Belang durchsetzen und das Ergebnis
sodann entscheidend prägen konnte. Die sich somit aufdrängenden
Abwägungsmaterialien waren indes - wie ebenfalls die mündliche Verhandlung
ergeben hat - zum Zeitpunkt der Ratssitzung nicht verfügbar. In gleicher Weise ist
zutage getreten, dass die sodann durchgeführte Straßenplanung die bis zum Jahr 2005
formulierten Anliegerinteressen keineswegs in einem Umfang aufgenommen hatte, dass
sich aus diesem Grund eine Abwägung erübrigen musste. Auf die nicht
auszuscheidende Möglichkeit von Alternativen in der Straßengestaltung bei eventueller
Verminderung der in Anspruch genommenen Straßenbreiten wird verwiesen auf das
Urteil vom heutigen Tag im Verfahren 3 K 1180/09; die dortigen Ausführungen zu
Planungsalternativen sowie zu einem Dissens zwischen Verwaltung und Anliegern
nach Übernahme der Planung in die Hand des Beklagten gelten für die X.-------straße im
besonderen Maße, weil dieser Straßenzug - ausweislich der dem Rat verdeutlichten
"Profile" - in der Breite sogar über die Maße der C1.------straße hinausgeht.
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Da die X.-------straße in dem der Abwägung nach §§ 125 Abs. 2, 1 Abs. 7 BauGB zu
unterwerfenden Teilbereich zum Zeitpunkt der Ratsentscheidung bereits vollständig im
Eigentum der Stadt stand, bedurfte es ansonsten einer Abwägung zur Überwindung
eines privaten Eigentums naturgemäß nicht. Auf die vom Beklagten in der mündlichen
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Verhandlung zur Verfügung gestellten zeichnerischen und tabellarischen Übersichten,
die allseits eingesehen wurden, wird im Einzelnen verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 und Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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