Urteil des VG Münster vom 24.01.2007

VG Münster: innere medizin, festsetzung der gerichtsgebühr, ärztliche behandlung, erfüllung, ausstellung, befund, patient, berufsausübung, haftpflichtversicherung, unterliegen

Verwaltungsgericht Münster, 14 K 877/06.T
Datum:
24.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer Berufsgericht
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 K 877/06.T
Tenor:
I. Auf den Antrag der Antragstellerin vom 11. Mai 2006 wird gegen die
Beschuldigte das berufsgerichtliche Verfahren eröffnet.
Der Beschuldigten wird als Berufsvergehen zur Last gelegt, gegen die
Berufspflichten verstoßen zu haben,
- ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihr im Zusammenhang
mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen,
- Gutachten und Zeugnisse, zu deren Ausstellung eine Verpflichtung
besteht oder deren Ausstellung übernommen wurde, innerhalb einer
angemessenen Frist abzugeben,
- auf Anfragen der Ärztekammer, welche diese zur Erfüllung ihrer
gesetzlichen Aufgaben bei der Berufsaufsicht an den Arzt richtet, in
angemessener Frist zu antworten, indem die Beschuldigte
a) nach Abschluss der unfallbedingten Behandlung des bei einem
Verkehrsunfall am 00. November 2004 verletzten Patienten T. N. einen
Bericht über den Befund und die Behandlung nicht ausstellte, obwohl
sie von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners mehrfach um
Übersendung gebeten sowie von der den Patienten vertretenden
Rechtanwältin T1. mit Schreiben vom 5. Juli 2005, 10. Juni 2005 und 24.
Mai 2005 darauf hingewiesen wurde, dass Herr N. den Befund- und
Behandlungsbericht wegen der Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen benötige,
b) die mit Schreiben der Antragstellerin vom 22. Juli 2005 erbetene
Stellungnahme trotz Erinnerungen vom 25. August 2005 sowie 21.
September 2005 nicht beantwortete und letztlich auch die Schreiben des
Vizepräsidenten der Antragstellerin vom 2. November 2005 und des
Präsidenten vom 12. Dezember 2005 unbeantwortet ließ,
Verstoß gegen § 29 Abs. 1 des Heilberufsgesetzes vom 9. Mai 2000
(HeilBerG), §§ 2 Abs. 2 und Abs. 6, 25 der Berufsordnung der
Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15. November 2003 (BO).
Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird abgesehen und die
Hauptverhandlung angeordnet.
II. Der Beschuldigten wird wegen Berufsvergehens eine Geldbuße von
1.000 Euro auferlegt.
Die Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Gebühr wird auf 100 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die am 00.00.0000 geborene Beschuldigte legte am 00.00.0000 das medizinische
Staatsexamen ab. In den Jahren 1982 bis 1992 war sie mit einer
Berufsausübungserlaubnis nach § 10 BÄO tätig. Die Approbation als Ärztin erhielt sie
mit Wirkung vom 00.00.1993. Seit dem 00.00.1994 ist sie im Besitz der Anerkennung als
Fachärztin für Innere Medizin. Sie besitzt die Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren seit
dem 00.00.1995 und ist berechtigt, die Qualifikation ,,Verkehrsmedizinische
Begutachtung" zu führen. Sie erhielt im Jahre 1994 darüber hinaus die Genehmigung
zum Führen der Bezeichnung „Praktische Ärztin".
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Die Beschuldigte ist seit dem 00.00.1995 als Fachärztin für Innere Medizin in D.
niedergelassen.
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Die Beschuldigte ist berufrechtlich vorbelastet: Durch Beschluss vom 2. November 2005
- 14 K 1502/05.T - erteilte das Berufsgericht der Beschuldigten einen Verweis, weil sie
ein vom Straßenverkehrsamt in einer Fahrerlaubnisangelegenheit in Auftrag gegebenes
verkehrsmedizinisches Gutachten trotz mehrfacher Aufforderung nicht, jedenfalls nicht
rechtzeitig, in brauchbarer Weise erteilt und diesbezügliche Aufforderungen der
Ärztekammer zur Stellungnahme nicht befolgt hatte.
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Am 11. Mai 2006 hat die Antragstellerin die Eröffnung des berufsgerichtlichen
Verfahrens gegen die Beschuldigte beantragt. Diesem Antrag hat das Berufsgericht in
Nr. I. der Beschlussformel entsprochen.
6
II.
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Das Berufsgericht geht nach Auswertung der vorliegenden Akten von folgendem
Sachverhalt aus:
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Der Patient T. N. erlitt am 2. November 2004 einen Unfall, an den sich eine ärztliche
Behandlung bei der Beschuldigten anschloss. Die Haftpflichtversicherung des
Unfallgegners, die M. Versicherung in Münster, bemühte sich im Folgenden zur
Regulierung der Unfallfolgen um eine schriftliche Stellungnahme der Beschuldigten.
Ausweislich des Schreibens der den Patienten N. vertretenden Rechtsanwältin, Frau
T1. , vom 20. Juli 2005 erhielt die M. Versicherung trotz viermaliger schriftlicher
Aufforderung den der Beschuldigten zugesandten Vordruck nicht ausgefüllt zurück,
obwohl die Beschuldigte dem Patienten auf Nachfrage mündlich mitgeteilt hatte, dass
sie den Vordruck am 20. April 2005 an die M. Versicherung versandt habe.
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Unter Hinweis darauf, dass die Übersendung des ergänzenden Arztberichts zu weiteren
Regulierung der Schadensersatzansprüche bzw. des Schmerzensgeldes durch die
gegnerische Versicherung für den Patienten dringend erforderlich sei, wurde die
Beschuldigte durch Schreiben der Rechtsanwältin T1. vom 5. Juli 2005 unter
Fristsetzung zur Übersendung des Arztberichts aufgefordert. Trotz weiterer anwaltlicher
Erinnerungen mit Schreiben vom 10. Juni 2005 und 24. Mai 2005 reagierte die
Beschuldigte nicht. Daraufhin wandte sich der anwaltlich vertretene Patient mit
Schreiben vom 20. Juli 2005 unter Schilderung des vorstehenden Sachverhalts an die
Antragstellerin. Die Beschuldigte wurde mit Schreiben der Antragstellerin vom 22. Juli
2005 um Stellungnahme gebeten. Sie wurde mit Schreiben vom 25. August 2005 und
21. September 2005 an die Stellungnahme erinnert. Nachdem die Erinnerungen
ergebnislos blieben, wurde die Beschuldigte mit Schreiben des Vizepräsidenten vom 2.
November 2005 zur kurzfristigen Stellungnahme aufgefordert. Eine Reaktion auf die
Aufforderung erfolgte nicht. Daraufhin wurde die Beschuldigte durch Schreiben des
Präsidenten der Antragstellerin vom 12. Dezember 2005 - zugestellt per
Einschreiben/Rückschein am 15. Dezember 2005 - unter letztmaliger Fristsetzung von
zwei Wochen zur Stellungnahme aufgefordert. Der Beschuldigten wurde angekündigt,
dass sie bei Ergebnislosigkeit der Aufforderung damit rechnen muss, dass der Vorstand
der Antragstellerin über einen Antrag auf Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens
entscheiden wird. Auch hierauf erfolgte keine Reaktion. Zuletzt teilte Frau
Rechtsanwältin T1. der Antragstellerin mit Schreiben vom 21. Oktober 2005 mit, dass
der Versicherung weiterhin kein Arztbericht übersandt worden ist.
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Die Beschuldigte hat sich zu dem Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen
Verfahrens nicht geäußert.
11
III.
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Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts ergibt, dass die Beschuldigte ein
Berufsvergehen begangen hat.
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Nach § 59 Abs. 1 HeilBerG unterliegen Kammerangehörige, die ihre Berufspflichten
verletzen, der Berufsgerichtsbarkeit. Die Berufspflichten der Kammerangehörigen
ergeben sich aus §§ 29, 30 HeilBerG sowie aus den Bestimmungen der einschlägigen
Berufsordnung, die im Rahmen des § 29 HeilBerG weitere Vorschriften über
Berufspflichten enthalten kann (§ 32 HeilBerG). Gemäß § 29 Abs. 1 HeilBerG und § 2
Abs. 2 BO sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben
und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegenbrachten Vertrauen zu
entsprechen. Zur gewissenhaften Berufsausübung gehört es, die für die
Berufsausübung geltenden Vorschriften zu beachten.
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Nach § 25 BO hat der Arzt Gutachten oder Zeugnisse, zu deren Ausstellung eine
Verpflichtung besteht oder deren Ausstellung übernommen wurde, innerhalb
angemessener Frist abzugeben. Gegen diese Bestimmung hat die Beschuldigte
schuldhaft verstoßen, indem sie den ihren Patienten N. betreffenden Befund- und
Behandlungsbericht, welchen dieser für eine Versicherungsangelegenheit benötigte,
trotz mehrfacher Aufforderung nicht erteilt hat. Die Pflicht zur Erteilung des Befund- und
Behandlungsberichts ergab sich hier aus dem Behandlungsvertrag, der für den Arzt
nicht nur die Pflicht zur Untersuchung und Behandlung des Patienten enthält, sondern
auch die Pflicht, diesen über Befunde und Prognosen zu unterrichten. Zur Erfüllung
dieses Anspruchs reicht es zwar üblicherweise aus, dass der behandelnde Arzt dem
Patienten die Diagnose mündlich erläutert. Im Einzelfall kann es aber auch zu den
vertraglich geschuldeten Pflichten eines Arztes gehören, dem Patienten bzw. einer von
diesem ermächtigten Versicherung die Befundergebnisse schriftlich zugänglich zu
machen.
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Vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Juni 2005 - 6t 595/04.T - (m.w.Nachw.).
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Ein solcher Fall lag hier vor, denn der Patient N. benötigte den schriftlichen
Befundbericht für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die ihm als
Unfallgeschädigtem zustanden. Der Beschuldigte hätte daher diesem berechtigten
Anliegen ihres Patienten entsprechen müssen.
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Die Beschuldigte hat ferner nachhaltig gegen die in § 2 Abs. 6 BO normierte
Verpflichtung verstoßen, auf Anfragen der Ärztekammer, welche diese in Erfüllung ihrer
gesetzlichen Aufgaben bei der Berufsaufsicht an die Beschuldigte gerichtet hat, in
angemessener Frist zu antworten. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG gehört es zu den
Aufgaben der Ärztekammer, die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen
zu überwachen. Die Beschuldigte mag berechtigt gewesen sein, eine Äußerung zur
Sache zu verweigern und sich auf eine entsprechende Mitteilung gegenüber der
Antragstellerin zu beschränken. Einen Grund, die Anfragen der Ärztekammer einfach zu
ignorieren, gab es jedenfalls nicht.
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IV. Bei der Auswahl der zu treffenden Maßnahme war zu Gunsten der Beschuldigten zu
berücksichtigen, dass sie Vorschriften verletzt hat, die nicht den Kernbereich ihres
Pflichtenkreises als Ärztin betreffen. Sie hat jedoch durch ihr passives Verhalten
berechtigte Belange eines Patienten missachtet, ohne dass hierfür irgendein tragfähiger
Grund erkennbar ist. Sie hat zudem die wiederholten Aufforderungen der Ärztekammer
nachhaltig ignoriert und dadurch ihren Unwillen offenbart, die Ärztekammer bei der ihr
gesetzlich aufgegebenen Tätigkeit zu unterstützen. Weiterhin fällt ins Gewicht, dass die
Beschuldigte bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist, wobei erschwerend
hinzukommt, dass sich die Beschuldigte auch unter dem Eindruck eines laufenden
berufsgerichtlichen Verfahrens und der Verhängung eines Verweises nicht veranlasst
gesehen hat, den hier in Rede stehenden Pflichten nachzukommen. Unter Abwägung
aller Gesichtspunkte hält das Berufsgericht den Ausspruch einer spürbaren Geldbuße
für angemessen, um die Beschuldigte zur Erfüllung ihrer Berufspflichten anzuhalten.
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Die Kostenentscheidung und die Festsetzung der Gerichtsgebühr beruhen auf § 107
HeilBerG.
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