Urteil des VG Münster vom 23.04.2010

VG Münster (wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, stand der technik, umgebung, standort, wirkung, anlage, bundesverwaltungsgericht, genehmigung, errichtung, gemeinde)

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 2567/08
Datum:
23.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2567/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die übrigen Beteiligten
zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte
immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Beklagten zur Errichtung und zum
Betrieb einer Anlage zum Halten von Masthähnchen.
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Unter dem 10. Mai 2007 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung
einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb
einer Anlage zum Halten von Mastgeflügel auf dem im bauplanungsrechtlichen
Außenbereich gelegenen Grundstück Gemarkung C. Flur Flurstück in C1. . Geplant ist
die Errichtung eines zwangsbelüfteten Hähnchenmaststalls mit 39.900 Mastplätzen in
Bodenhaltung. Die Entlüftung ist über einen 10 m hohen Schornstein geplant, der am
südlichen Ende des Baukörpers errichtet werden soll. Zum nächstgelegenen Wohnhaus
soll der Hähnchenmaststall eine Entfernung von etwa 160 m einhalten.
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Unter dem 17. September 2007 versagte die Klägerin zu dem Vorhaben das
gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB. Sie begründete dies wie folgt:
Der Hähnchenmaststall solle als privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB
errichtet werden. Es handele sich somit um eine bauliche Anlage, welche wegen ihrer
besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die
Umgebung bzw. wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich
ausgeführt werden solle. Im Flächennutzungsplan sei eine landwirtschaftliche Nutzung
für diesen Bereich vorgesehen, es sei kein Landschaftsschutzgebiet oder
Erholungsgebiet ausgewiesen und die Erschließung sei gesichert. Trotzdem werde der
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gewählte Standort als so problematisch angesehen, dass das Einvernehmen nicht erteilt
werden könne. Der Standort liege in unmittelbarer Nähe zur Siedlung B. , welche in
ihrem Mittelpunkt eine denkmalgeschützte Kapelle mit mehreren älteren Hofstellen
aufweise. Zwar handele es sich hierbei nicht um einen im Zusammenhang bebauten
Ortsteil im Sinne des § 34 BauGB, doch bilde die Bebauung mit Kapelle, Gaststätte und
Festplatz den Mittelpunkt eines dörflichen Lebens in der Bauernschaft. Der Bereich sei
auch aus Sicht des landschaftsbezogenen Tourismus und der Naherholung von großer
Bedeutung. Zusätzlich befinde sich ein unbeteiligtes Wohnhaus in nicht einmal 150 m
Entfernung. Auch wenn diese verschiedenen Belange nicht in einer bauleitplanerischen
Schutzausweisung festgelegt seien, widerspreche die Zulassung eines Vorhabens nach
§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB den dort formulierten Voraussetzungen. Ein Vorhaben,
welches wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung ausschließlich im
Außenbereich ausgeführt werden könne, sollte auch an einem Ort platziert werden, an
dem diese Auswirkung nicht ähnlich negative Effekte wie im städtischen Innenbereich
hätte. Bei den Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB gehe es ja gerade um einen
Auffangtatbestand für Vorhaben, die auf einen Außenbereichsstandort angewiesen
seien, weil sie im Innenbereich mit den städtebaulichen Grundsätzen nicht vereinbar
wären. Die Voraussetzung der Privilegierung, dass die Durchführung des Vorhabens im
Außenbereich gerade durch die besondere Eigenart des Vorhabens erforderlich werde,
schränke auch die Wahl des Standorts im Außenbereich ein. Kriterien könnten dabei
nicht nur die Immissionsbelastungen für Anwohner und der Biotopschutz sein, sondern
auch die Wahrung von Kulturgütern der Allgemeinheit im Sinne einer einmaligen
bäuerlichen Dorfstruktur. Sie, die Klägerin, könne zwar keinen Planbereich für
gewerbliche Tierhaltung zur Verfügung stellen; somit komme nur der Außenbereich für
das Vorhaben in Frage. Es fehle jedoch an einer besonderen Beziehung zum
gewählten Standort. Zwar könne das Vorhaben grundsätzlich nach § 35 Abs. 1 Nr. 4
BauGB zugelassen werden. Diese gesetzliche Privilegierung führe jedoch nicht
automatisch dazu, dass an jeder Stelle des Außenbereichs ein solches Vorhaben
zuzulassen sei. Insbesondere bei dem hier beantragten gewerblichen Stall für eine
Massentierhaltung ohne betrieblichen Bezug zum gewählten Standort sei dem Schutz
des Außenbereichs der Vorrang einzuräumen, da Belange wie der Schutz des Orts- und
Landschaftsbildes entgegenstünden. Die örtliche Besonderheit, wie hier die Eigenart
der Bauernschaft B. , führe dazu, dass der Standort nicht geeignet sei.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit: Nach § 2 Nr. 4
Abs. 1 des Ersten Gesetzes zum Bürokratieabbau vom 13. März 2007
(Bürokratieabbaugesetz I) sei sie gehalten, zu überprüfen, ob die Versagung des
Einvernehmens rechtswidrig und das Einvernehmen zu ersetzen sei. Das gemeindliche
Einvernehmen könne rechtmäßig grundsätzlich nur aus den in § 36 BauGB
abschließend aufgeführten städtebaulichen Gründen versagt werden. Es bestehe
Einigkeit, dass das Vorhaben nach den Vorgaben des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zu
beurteilen sei. Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente seien intensiv geprüft
worden. Diese Prüfung habe ergeben, dass die von ihr vorgetragenen Gründe ganz
überwiegend nicht im Rahmen der Entscheidung nach § 36 BauGB zu prüfen seien,
sondern im Zulassungsverfahren durch die immissionsschutzrechtliche
Genehmigungsbehörde bzw. die zuständige Bauaufsichtsbehörde. Die Versagung des
gemeindlichen Einvernehmens sei somit rechtswidrig. Aus rein planungsrechtlicher
Sicht sei das Einvernehmen zwingend zu erteilen. Es sei daher beabsichtigt, das
Einvernehmen nach § 2 Nr. 4 Abs. 1 Bürokratieabbaugesetz I zu ersetzen.
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Unter dem 13. Oktober 2008 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die beantragte
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immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Mit der Genehmigung ersetzte die Beklagte
das gemeindliche Einvernehmen und begründete dies wie folgt: Das Vorhaben sei
privilegiert im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Eine andere Ansiedlungsmöglichkeit
als im Außenbereich sei nicht gegeben. Die Klägerin habe selbst ausgeführt, dass im
Stadtgebiet planungsrechtlich keine Gebiete für die Ansiedlung von
Tierintensivhaltungsbetrieben ausgewiesen seien und auch seitens der Stadt davon
ausgegangen werde, dass das Vorhaben auf einen Außenbereichsstandort angewiesen
sei. Da durch den Betrieb der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen oder
sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die
Allgemeinheit und die Nachbarschaft herbeigeführt würden, sei das gemeindliche
Einvernehmen zu ersetzen.
Am 2. Dezember 2008 hat die Klägerin Klage erhoben.
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Auf Antrag des Beigeladenen ordnete die Beklagte unter dem 30. Januar 2009 die
sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 13. Oktober
2008 an. Einen Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
ihrer Klage gegen den Genehmigungsbescheid lehnte das erkennende Gericht mit
Beschluss vom 14. April 2009 ab (10 L 44/09). Die dagegen erhobene Beschwerde der
Klägerin wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit
Beschluss vom 2. Juni 2009 zurück (8 B 572/09 -, BauR 2009, 1565).
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Die Klägerin macht geltend: Das gemeindliche Einvernehmen habe nicht ersetzt werden
dürfen, weil es im Ergebnis rechtmäßig verweigert worden sei. Denn das Vorhaben sei
bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35
Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtige. Auf die bauplanungsrechtliche
Beurteilung gewerblicher Tierhaltungsbetriebe im Außenbereich wende die
Genehmigungspraxis seit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni
1983 (- 4 B 201/82 -) die Privilegierungsvorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB an. Die
tatsächliche Entwicklung der letzten Jahre in Nordwestdeutschland, insbesondere im
Emsland und nun auch im Münsterland, zwinge dazu, die genannte Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts zu überdenken. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB knüpfe nicht an
eine bestimmte Funktion des Vorhabens oder an einen bestimmten Gegenstand an, was
die Zulassungsmöglichkeit derartiger Vorhaben naturgemäß begrenze. Vielmehr hebe
die Nr. 4 allein darauf ab, ob die Verwirklichung des Vorhabens im Außenbereich
geboten sei. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei geprägt durch
das Bemühen, die Anwendbarkeit dieses Privilegierungstatbestands zu begrenzen.
Danach seien nur vergleichsweise wenige und nur vereinzelt auftretende Vorhaben
dem Privilegierungstatbestand zuzuordnen. Für die Zulassung von
Massenphänomenen tauge deshalb die Nr. 4 nicht. Die Zulassung einer Vielzahl
gleichartiger emittierender Vorhaben im Außenbereich könne deshalb nicht über den
Auffangtatbestand der Nr. 4 erreicht werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich
in seinem Beschluss vom 27. Juni 1983 auf die apodiktische Feststellung beschränkt,
es liege auf der Hand, dass ein Geflügelstall mit 180.000 Mastplätzen wegen seiner
nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden solle.
Zugleich und dieses Ergebnis stützend habe es die gewerbliche Massentierhaltung als
eine der landwirtschaftlichen Produktion ähnliche wirtschaftliche Betätigung
eingeordnet. Schon der letzte Ansatz vermöge nicht zu überzeugen, weil der
Gesetzgeber ausdrücklich nur landwirtschaftliche Betriebe über die Nr. 1 privilegiert
habe. Würde man gewerbliche Tätigkeiten, die vornehmlich von Landwirten in Zeiten
des Strukturwandels in der Landwirtschaft im Außenbereich vorgenommen würden,
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über den Auffangtatbestand der Nr. 4 privilegieren, würde das klare und eindeutige
Abgrenzungsmerkmal der landwirtschaftlichen Betriebe in Nr. 1 unterlaufen und
aufgeweicht. In vergleichbaren Fällen sei die Rechtsprechung deutlich zurückhaltender
verfahren. So entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass die landwirtschaftlichen
Lohnunternehmen weder nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB noch nach § 35 Abs. 1 Nr. 4
BauGB privilegiert seien. Der Bau von gewerblichen Anlagen der Massentierhaltung
möge 1983 noch quantitativ überschaubar gewesen sein und für die einzelne Gemeinde
tatsächlich singulären Charakter gehabt haben, so dass vor diesem Hintergrund die
Anwendung des Privilegierungstatbestandes gerechtfertigt gewesen sei. Die
Genehmigungspraxis sei heute indes eine ganz andere. Allein im Stadtgebiet der
Klägerin seien fünf Hähnchenmastanlagen mit jeweils 39.900 Plätzen genehmigt
worden. Ferner gebe es im Stadtgebiet an zwei Standorten insgesamt sechs
Legehennenställe mit insgesamt 249.000 Plätzen.
Die Klägerin beantragt,
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den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 13.
Oktober 2008 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor: Es müsse weiterhin davon ausgegangen werden, dass
Tierhaltung auch im gewerblichen Ausmaß wegen der nachteiligen Wirkung auf die
Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden solle, wenn die Gemeinde im
Innenbereich keine anderweitige Möglichkeit schaffe. Der Gesetzgeber habe bis heute
gewerbliche Tierhaltungsanlagen nicht in bestimmte Baugebiete verwiesen, da diese
Anlagen in ihren Auswirkungen weiterhin nicht allgemein wie Gewerbe- und
Industrieanlagen beherrschbar seien, sondern in dieser Hinsicht eher als der
landwirtschaftlichen Tierhaltung ähnlich angesehen werden müssten. Die Klägerin
könne durch Schaffung eines Bauleitplanes oder durch Ausweisung von
Konzentrationszonen im Rahmen des Flächennutzungsplanes die Errichtung von
gewerblichen Tierhaltungsanlagen steuern.
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Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor: Das Vorhaben sei privilegiert nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Das
Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Beschluss vom 27. Juni 1983 in aller
Deutlichkeit ausgeführt, dass Anlagen für die Tierhaltung Vorhaben sein könnten, die
wegen ihrer nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt
werden sollten. Bereits seinerzeit habe das Bundesverwaltungsgericht sich mit der
Frage beschäftigt, ob bei Vorhaben der gewerblichen Massentierhaltung ein
Planungsbedürfnis als öffentlicher Belang anzuerkennen sei. Das
Bundesverwaltungsgericht habe die Frage für nicht klärungsbedürftig gehalten, da sie
nach der Rechtsprechung des Senats zur rechtlichen Begründung der Privilegierung
bestimmter Vorhaben im Außenbereich und zur Eigenart des Planungsbedürfnisses als
eines öffentlichen Belangs zu verneinen sei. Zur Begründung habe das
Bundesverwaltungsgericht darauf verwiesen, dass privilegierte Vorhaben nämlich vom
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Gesetzgeber planartig dem Außenbereich zugewiesen seien. Das schließe es aus,
einem privilegierten Vorhaben als solchem ein Planungsbedürfnis als öffentlichen
Belang entgegenzuhalten. Die Klägerin habe selbst in ihrem Schreiben vom 17.
September 2007 darauf verwiesen, dass das geplante Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr.
4 BauGB privilegiert sei und wegen seiner besonderen Auswirkung auf die Umgebung
sowie wegen seiner besonderen Zweckbestimmung im Außenbereich ausgeführt
werden solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des vorliegenden Klage- und des erwähnten
Eilverfahrens und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch den
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 13. Oktober
2008 nicht rechtswidrig in ihren Rechten verletzt im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO.
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Die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den
Betrieb einer Anlage zum Halten von 39.900 Masthähnchen verstößt nicht zu Lasten
des Klägerin gegen sie schützende Vorschriften. Die Klägerin wird in ihrer
Planungshoheit nicht dadurch verletzt, dass die Beklagte mit dem angefochtenen
Genehmigungsbescheid das Einvernehmen nach § 36 BauGB ersetzt hat, denn die
Ersetzung des Einvernehmens ist rechtmäßig erfolgt.
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Die Beklagte war für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zuständig. Zur
Begründung verweist das Gericht auf seine Ausführungen im Beschluss vom 14. April
2009 im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutz 10 L 44/09 sowie auf den
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Juni
2009 im darauf folgenden Beschwerdeverfahren 8 B 572/09. Im Übrigen ist es fraglich,
ob die Klägerin einen Aufhebungsanspruch überhaupt auf einen Verstoß gegen die
Zuständigkeitsvorschriften stützen könnte. Die Ersetzung des Einvernehmens steht nicht
im Ermessen der zuständigen Behörde, sondern hat gem. § 2 Nr. 4 a Abs. 1
Bürokratieabbaugesetz I zu erfolgen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen
vorliegen. Deshalb dürfte eine Gemeinde durch das Tätigwerden einer unzuständigen
Behörde für sich genommen nicht in ihren Rechten verletzt sein.
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Die Ersetzung des Einvernehmens ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin hätte ihr
Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur aus den sich aus den §§ 31, 33,
34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagen dürfen. Derartige Gründe liegen nicht
vor.
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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen richtet sich
nach § 35 BauGB, da das Baugrundstück im Außenbereich liegt. Bei der geplanten
Hähnchenmastanlage handelt es sich um ein im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4
BauGB privilegiertes Vorhaben, nämlich um ein Vorhaben, das wegen seiner
nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll.
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Ob ein Vorhaben nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, hängt davon ab, ob es
nicht auch im Innenbereich ausgeführt werden kann. Dies aber entscheidet sich nicht
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nach der Beschaffenheit von Innenbereichen im Allgemeinen, sondern nach der
Beschaffenheit des Innenbereichs der jeweiligen Gemeinde,
BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1976 - 4 C 62.74 -, DVBl. 1977, 196, Beschluss vom 27. Juni
1983 - 4 B 201/82 -, BRS 40 Nr. 74.
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Demnach kann das Vorhaben nur im Außenbereich ausgeführt werden, denn auf dem
Gemeindegebiet der Klägerin befindet sich nach ihren eigenen Angaben kein
Innenbereich, in dem ein Vorhaben der Massentierhaltung verwirklicht werden könnte.
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Die Anlage ist auch wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung auf einen
Standort im Außenbereich angewiesen. Die von der Beigeladenen geplante Haltung
von 39.900 Masthähnchen ist mit erheblichen Geruchsimmissionen verbunden, die auch
nach Auffassung der Klägerin einer Ansiedlung im Innenbereich entgegen stehen.
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Schließlich handelt es sich um eine Anlage, die auch im Außenbereich ausgeführt
werden soll.
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Das Tatbestandsmerkmal "ausgeführt werden soll" setzt nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Wertung voraus, ob das
Vorhaben in einer Weise billigenswert ist, die es rechtfertigt, es bevorzugt im
Außenbereich zuzulassen. Diese Einschränkung ergibt sich aus der tatbestandlichen
Weite der Vorschrift, die durch erhöhte Anforderungen an die im Gesetz umschriebenen
Privilegierungsvoraussetzungen auszugleichen ist, da sich nur so das gesetzgeberische
Ziel erreichen lässt, den Außenbereich in der ihm vornehmlich zukommenden Funktion,
der Land- und Fortwirtschaft sowie der Erholung für die Allgemeinheit zur Verfügung zu
stehen, vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu schützen,
30
BVerwG, Beschluss vom 2. März 2005 - 7 B 16/05 -, NuR 2005, 729.
31
Grundsätzlich will die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB Vorhaben der dort näher
bezeichneten Art privilegieren, die singulären Charakter haben, jedenfalls nicht in einer
größeren Zahl zu erwarten sind, und für die deshalb nicht planerisch vorausschauend
geeignete Standorte ausgewählt werden müssen, sondern eine Beurteilung des
Einzelfalls am Maßstab öffentlicher Belange den Erfordernissen einer geordneten
städtebaulichen Entwicklung genügt. Als Privilegierungstatbestand ist § 35 Abs. 1 Nr. 4
BauGB kein geeignetes Instrument, im Außenbereich Bauwünsche zu steuern, die
"Vorbildwirkung" für weitere gleichartige Bauwünsche haben,
32
BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1994 - 4 C 20/93 -, BauR 1994, 730.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht und der Obergerichte können
Anlagen der Intensivtierhaltung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert sein,
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BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1983, a.a.O; OVG NRW, im Eilverfahren gleichen
Rubrums ergangener Beschluss vom 2. Juni 2009 - 8 B 572/09 - a.a.O., OVG Sachsen
Anhalt, Urteil vom 6. Februar 2004 - 2 L 5/00 -; OVG Niedersachsen, Urteil vom 7.
Oktober 2005 - 1 KN 297/04 -, BRS 69 Nr. 118, Beschluss vom 6. November 2007 - 12
ME 309/07 -.
35
Die Voraussetzungen des "Sollens" im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB erfüllen
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Anlagen, die der Massentierhaltung dienen, regelmäßig deshalb, weil es sich insoweit
um eine der landwirtschaftlichen Produktion immerhin ähnliche wirtschaftliche
Betätigung handelt. Ein Vorhaben der Massentierhaltung unterscheidet sich von
anderen wirtschaftlichen Betätigungen gerade dadurch, dass es auch bei Einhaltung der
nach dem Stand der Technik möglichen Begrenzung seiner nachteiligen Wirkungen auf
die Umgebung kaum in Einklang mit städtebaulichen Grundsätzen in
zusammenhängend bebauten Ortslagen oder in einem der nach der
Baunutzungsverordnung geplanten allgemeinen Baugebiete unterzubringen ist; es kann
insbesondere nicht mit anderen gewerblichen oder industriellen Vorhaben verglichen
werden, die der Gesetzgeber gerade nicht in den Außenbereich, sondern in Gewerbe-
und Industriegebiete des beplanten oder unbeplanten Innenbereichs verwiesen hat,
BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1983, a.a.O.
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Hiervon ausgehend ergibt die vorzunehmende Wertung, dass die von dem
Beigeladenen geplante Hähnchenmastanlage bevorzugt im Außenbereich zugelassen
werden soll. Zwar haben Anlagen der Massentierhaltung nicht nur singulären Charakter,
da sie in einigen Gemeinden - auch im Stadtgebiet der Klägerin - gehäuft anzutreffen
sind. Die Nähe zur landwirtschaftlichen Produktion führt aber dazu, diese Anlagen als
außenbereichstypisch und daher privilegiert einzustufen. Dieser Wertung steht nicht
entgegen, dass andere landwirtschaftsähnliche Unternehmen, wie etwa
landwirtschaftliche Lohnunternehmen, nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts weder nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB noch nach 35 Abs. 1
Nr. 4 BauGB im Außenbereich privilegiert sind. Landwirtschaftliche Lohnunternehmen
können auch im Innenbereich untergebracht werden, erfüllen also nicht die
Voraussetzung, auf einen Standort im Außenbereich angewiesen zu sein.
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Die Privilegierung von Anlagen der Massentierhandlung muss nicht zu einer
unangemessenen und nicht erwünschten Inanspruchnahme des Außenbereichs führen.
Der Gefahr einer ausufernden Bebauung des Außenbereichs mit
Intensivtierhaltungsanlagen kann durch die Ausweisung einer Konzentrationszone für
derartige Anlagen gem. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB begegnet werden.
39
Das somit nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierte Vorhaben ist zulässig, da
öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die ausreichende Erschließung gesichert
ist.
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Der Flächennutzungsplan der Klägerin, der den geplanten Standort des Vorhabens als
"Fläche für die Landwirtschaft" darstellt, steht dem Vorhaben nicht entgegen. Eine
konkrete Standortbezogenheit der Darstellung "Fläche für die Landwirtschaft" ist
regelmäßig nur für bestimmte Außenbereichsflächen in Betracht zu ziehen, für die
besondere Verhältnisse gerade in Bezug auf deren landwirtschaftliche Nutzung
vorliegen. Fehlt es an besonderen Umständen, die für sämtliche im
Flächennutzungsplan für die Landwirtschaft dargestellten Flächen eine positive
planerische Aussage begründen können, so kommt der Darstellung nicht das Gewicht
zu, im gesamten oder nahezu gesamten Außenbereich einer Gemeinde andere gemäß
§ 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Vorhaben außerhalb der Landwirtschaft zu verdrängen,
41
vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989 - 4 C 28.86 -, BRS 50 Nr. 98. Eine
standortbezogene Aussage des Flächennutzungsplans zugunsten einer
landwirtschaftlichen Nutzung mit verdrängender Wirkung für andere privilegierte
42
Vorhaben ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Durch das Vorhaben des Beigeladenen wird ferner das Orts- und Landschaftsbild nicht
verunstaltet. Die von der Klägerin als schützenswert angesehene - ebenfalls im
Außenbereich gelegene - Siedlung B. mit einer denkmalgeschützten Kapelle und
mehreren älteren Hofstellen liegt von dem geplanten Standort des Vorhabens etwa 400
m und damit so weit entfernt, dass eine Beeinträchtigung des Dorfbildes
ausgeschlossen ist.
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Von der genehmigten Hähnchenmastanlage gehen auch keine schädlichen
Umwelteinwirkungen für die Bewohner in der Umgebung aus. Die Bewohner des
nächstgelegenen Wohnhauses müssen weder mit unzumutbaren Geruchsimmissionen
noch mit schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von Staubimmissionen oder
Bioaerosolen rechnen,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 8 B 1015/09 -, RdL 2010, 1124, im
von den Bewohnern des nächstgelegenen Wohnhauses eingeleiteten Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes (das Hauptsacheverfahren 10 K 36/09 wurde von den
dortigen Klägern nicht fortgeführt).
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Durch den Verzicht des Beigeladene auf An- und Abfahrten zur Nachtzeit kann auch
eine Überschreitung des für die Nachtzeit maßgeblichen Lärmimmissionsrichtwertes der
TA Lärm sicher ausgeschlossen werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §
167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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