Urteil des VG Münster vom 04.02.2003

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Verwaltungsgericht Münster, 5 K 1906/99
Datum:
04.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1906/99
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
1
Der 0 geborene Kläger beantragte am 26. August 1998 bei dem Funktionsvorgänger
des Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Begründung, dass er nach dem
Abschluss seines Studiums noch keine Arbeit gefunden habe und deshalb über kein
Einkommen verfüge. Der Kläger bewohnte seit dem 1. Juli 1998 eine etwa 78 bis 79 qm
große Dachgeschosswohnung. Diese Wohnung bestand aus einem Wohnzimmer,
einem Elternschlafzimmer, einem Kinderzimmer sowie Küche, Bad und Flur. In der
Wohnung lebte außerdem Frau H. Nach den Angaben des Klägers hatten beide Mieter
mit dem Vermieter eigene Mietverträge geschlossen.
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Der Funktionsvorgänger des Beklagten bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 1.
September 1998 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 15 b BSHG als
Darlehen. Bei der Berechnung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt wurde
Einkommen in Höhe von 200 DM berücksichtigt, weil der Kläger angegeben hatte, ein
ihm von seinen Eltern zur Verfügung gestelltes Kraftfahrzeug für die Arbeitsuche zu
nutzen.
3
Mit Schreiben vom 30. September 1998 erließ der Funktionsvorgänger des Beklagten
gegenüber den Eltern des Klägers eine Rechtswahrungsanzeige gemäß § 91 Abs. 3
BSHG und forderte sie zugleich gemäß § 116 BSHG auf, Auskunft über ihre
Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben, um etwaige Unterhaltsansprüche
des Klägers klären zu können.
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Die Eltern des Klägers teilten dem Funktionsvorgänger des Beklagten mit Schreiben
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vom 14. Oktober 1998 mit, dass sie gegenüber ihrem volljährigen Sohn nach dessen
abgeschlossener Berufsausbildung nicht mehr unterhaltspflichtig seien.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 1998 setzte der Funktionsvorgänger des Beklagten die
Eltern des Klägers davon in Kenntnis, dass sie zum Kreis der so genannten nicht
gesteigert unterhaltspflichtigen Personen gehörten; eine Prüfung, ob und
gegebenenfalls in welchem Umfang sie zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen in der
Lage seien, werde in ihrem Fall nicht durchgeführt, weil die Sozialhilfe an ihren Sohn
lediglich als Darlehen gewährt werde.
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Nachdem der Kläger dem Sozialamt mitgeteilt hatte, dass er zum 1. Dezember 1998
eine Erwerbstätigkeit aufnehmen werde, wurde die Hilfe zum Lebensunterhalt mit
Wirkung vom 1. Dezember 1998 eingestellt. Der Bescheid vom 31. März 1999 auf
Rückzahlung des Darlehens wurde vom Beklagten auf den Widerspruch des Klägers
mit Schreiben vom 7. Oktober 1999 aufgehoben.
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Der Kläger beantragte am 7. April 1999 erneut Hilfe zum Lebensunterhalt mit der
Begründung, dass er wieder arbeitslos geworden sei, weil er seinen befristeten
Aushilfsjob habe aufgeben müssen.
8
Auf Grund der Tatsache, dass die Wohnung von dem Kläger und von Frau H bewohnt
wurde, entschied das Sozialamt, einen unangemeldeten Hausbesuch durchzuführen,
um zu klären, ob zwischen dem Kläger und Frau H eine eheähnliche
Lebensgemeinschaft bestehe. Am 26. April 1999 führten der Leiter des Sozialamtes und
ein weiterer Bediensteter einen Hausbesuch bei dem Kläger durch. Der Kläger
verweigerte den Bediensteten des Sozialamtes den Zutritt zu seiner Wohnung mit der
Begründung, dass das Sozialamt Hausbesuche grundsätzlich vorher anzukündigen
habe und diese erst nach Terminsabsprache durchführen dürfe.
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Der Funktionsvorgänger des Beklagten lehnte den Antrag des Klägers vom 7. April
1999 auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt durch Bescheid vom 11. Mai 1999
mit der Begründung ab, dass der Kläger über vorrangig einzusetzendes Vermögen
verfüge.
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Der Kläger beantragte am 14. Mai 1999 erneut Hilfe zum Lebensunterhalt und trug vor,
dass er kein Einkommen habe, weil er weiterhin arbeitslos sei, und dass er inzwischen
sein Sparvermögen bis auf einen Betrag von unter 2.500 DM verbraucht habe.
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Der Leiter des Sozialamtes und ein weiterer Bediensteter versuchten vergeblich, am 20.
Mai 1999 und am 1. Juni 1999 die Wohnung des Klägers zu besichtigen.
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Mit Schreiben vom 11. Juni 1999 teilte der Funktionsvorgänger des Beklagten dem
Kläger mit, dass er mehrere Versuche unternommen habe, die Wohnung in
Augenschein zu nehmen, um klären zu können, ob der Kläger mit Frau H in
eheähnlicher Gemeinschaft lebe; die von ihm, dem Kläger, vorgetragene Begründung
für die Verweigerung des Hausbesuches, dass jeder Hausbesuch mindestens zwei
Tage vorher schriftlich angekündigt werden müsse, könne er nicht nachvollziehen; er
gehe deshalb davon aus, dass eine eheähnliche Gemeinschaft vorliege. Hieran
anknüpfend forderte der Funktionsvorgänger des Beklagten den Kläger auf, Auskunft
über das Vermögen von Frau H zu geben.
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Mit Schreiben vom 12. Juni 1999 teilte der Kläger dem Sozialamt mit, dass eine
eheähnliche Gemeinschaft mit Frau H nicht vorliege; es fehle schon an einer Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft, weil er selbst die zwei kleineren Zimmer und Frau H das
größere Zimmer allein nutze; lediglich Küche, Toilette, Dusche und Flur würden von
beiden Mietparteien genutzt. Darüber hinaus legte der Kläger im Einzelnen dar, dass er
einen unangemeldeten Hausbesuch für unzulässig halte. Zugleich legte der Kläger die
gegenüber dem Arbeitsamt abgegebenen Erklärungen zur Feststellung einer
eheähnlichen Gemeinschaft vor.
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Der Funktionsvorgänger des Beklagten lehnte den Antrag des Klägers vom 14. Mai
1999 auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt durch Bescheid vom 22. Juni 1999
mit der Begründung ab, dass sich die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht habe klären
lassen, weil dieser sich geweigert habe, seine Lebensverhältnisse durch einen
unangemeldeten Hausbesuch ermitteln zu lassen.
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Der Kläger legte mit Schreiben vom 25. Juni 1999 Widerspruch ein und teilte zugleich
mit, dass er seinen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Mai, Juni und
Juli 1999 aufrecht erhalte, weil er für ein inzwischen eingegangenes Arbeitsverhältnis
erst gegen Mitte Juli 1999 die erste Lohnzahlung erwarte.
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Die Landrätin des Kreises Steinfurt wies diesen Widerspruch durch
Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1999 im Wesentlichen mit der Begründung zurück,
dass sich die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht habe klären lassen, weil dieser sich
aus sozialhilferechtlich nicht anzuerkennenden Gründen geweigert habe, durch
Bedienstete des Sozialamtes einen unangemeldeten Hausbesuch durchführen zu
lassen.
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Der Kläger hat am 18. August 1999 Klage erhoben. Er trägt vor:
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Zwischen ihm und Frau H bestehe keine eheähnliche Gemeinschaft; dies ergebe sich
aus seinen Angaben über die Nutzung der Wohnung und aus seinen und den
Erklärungen von Frau H gegenüber dem Arbeitsamt, dass zwischen ihnen beiden keine
Lebensgemeinschaft bestehe; es sei ihm nicht zuzumuten, einen unangemeldeten
Hausbesuch von Bediensteten des Sozialamtes hinzunehmen, denn er habe kein
Vertrauen, dass der Leiter des Sozialamtes sich an die Gesetze halte; dies ergebe sich
für ihn daraus, dass er zu Unrecht seine Eltern für unterhaltspflichtig gehalten habe,
dass er zu Unrecht Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen und nicht als Zuschuss
bewilligt habe und dass er zu Unrecht bei der Bewilligung von Hilfe zum
Lebensunterhalt Einkommen in Höhe von 200 DM wegen der Nutzung des ihm, dem
Kläger, von seinen Eltern zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeuges berücksichtigt habe;
hinzu komme, dass er, der Kläger, zu Unrecht während der darlehensweisen
Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt zum Job- Club des Kreises habe gehen
sollen, obwohl er eine akademische Ausbildung abgeschlossen habe; ein
unangemeldeter Hausbesuch sei für ihn unzumutbar gewesen, weil er sich durch das
bisherige Verhalten des Leiters des Sozialamtes gedemütigt gefühlt habe.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Gemeindedirektors der Gemeinde
Lotte vom 22. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landrätin des
Kreises Steinfurt vom 22. Juli 1999 zu verpflichten, ihm für die Monate Mai, Juni und Juli
21
1999 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf den Inhalt
der Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
24
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
25
Die zulässige Verpflichtungsklage des Klägers ist unbegründet. Der Bescheid des
Gemeindedirektors der Gemeinde Lotte vom 22. Juni 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises Steinfurt vom 22. Juli 1999 ist
rechtmäßig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt für die Monate Mai, Juni und Juli 1999.
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Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes
(BSHG) dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht
ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem seinem Einkommen und
Vermögen, beschaffen kann. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten sind das
Einkommen und das Vermögen beider Ehegatten gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1
BSHG zu berücksichtigen. Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen
gemäß § 122 Satz 1 BSHG hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfanges der
Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. Dies bedeutet, dass die
Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BSHG bei Vorliegen einer eheähnlichen
Gemeinschaft zwischen dem Kläger und der weiteren Mieterin der Wohnung
anzuwenden ist.
27
Es steht nicht fest, ob die Voraussetzungen der vorgenannten Bestimmungen vorliegen,
denn es hat sich in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen
Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises
Steinfurt vom 22. Juli 1999 nicht ermitteln lassen, ob der Kläger hilfebedürftig war, d.h.
ob er in den Monaten Mai, Juni und Juli 1999 kein ausreichendes eigenes bzw. ihm
zurechenbares Einkommen und Vermögen zur Verfügung hatte, um seinen
notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen. Es geht zu Lasten des Klägers, dass sich
seine Hilfebedürftigkeit in dem einer gerichtlichen Überprüfung zugänglichen Zeitraum
nicht feststellen ließ, mit der Folge, dass der Beklagte nicht verpflichtet war, dem Kläger
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
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§ 20 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - (SGB X) sieht vor, dass die Behörde den Sachverhalt von Amts
wegen ermittelt. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und
an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Zu den nach § 20 Abs. 1
SGB X zulässigen Maßnahmen behördlicher Sachaufklärung gehört danach auch die
Feststellung der Wohn- und Wirtschaftsverhältnisse (Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW -, Urteil vom 15. Juni 1987 - 8 A 1698/85 -), und
zu diesem Zweck gegebenenfalls die Besichtigung der Wohnung eines Hilfesuchenden
(OVG NRW, Beschlüsse vom 27. November 1987 - 8 B 2497/97 -, vom 22. Februar 1989
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- 8 B 3716/88 -, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und
Sozialgerichte - FEVS - 39, 430 und Beschluss vom 6. Dezember 2002 - 16 B 1921/02 -
mit weiteren Nachweisen).
Die Augenscheinseinnahme durch Hausbesuch kann unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalles ein taugliches Mittel sein, um den geltend gemachten
sozialhilferechtlichen Bedarf festzustellen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X und
Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 30. Juli 1991 - 5 ER 657/91 -
sowie OVG NRW, Beschluss vom 6. Dezember 2002 - 16 B 1921/02 -).
30
Zwar ist der Hilfesuchende nicht verpflichtet, der Behörde die Besichtigung seiner
Wohnung zu gestatten. Weigert er sich, der Besichtigung zuzustimmen, liegt darin auch
keine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch -
Allgemeiner Teil - (SGB). Eine solche Verletzung scheidet schon deshalb aus, weil die
Duldung einer Wohnungsbesichtigung unter den in den vorgenannten Bestimmungen
beschriebenen Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten nicht aufgeführt ist (vgl.
OVG NRW, Beschlüsse vom 27. November 1987 - 8 B 2497/87 -, vom 22. Februar 1989
- 8 B 3716/88 -, a.a.O. und vom 6. Dezember 2002 - 16 B 1921/02 -).
31
Daraus folgt jedoch nicht, dass die Verweigerung des Zutritts zur Wohnung für die
Bewilligung von Sozialhilfe folgenlos bleibt. Die Verletzung von Mitwirkungspflichten
nach den §§ 60 ff. SGB stellt nur einen von mehreren Gründen dar, die einer
Leistungsgewährung entgegenstehen können. Ein anderer Grund ist der, dass das
Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen bzw. das Nichtvorliegen anspruchshindernder
Tatsachen nicht festgestellt werden kann. Letzteres kommt insbesondere in Betracht,
wenn - wie hier - Anhaltspunkte für eigenes oder nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG
zurechenbares Einkommen und Vermögen vorliegen, eine zuverlässige Klärung dieser
Frage nur durch Besichtigung der Wohnung möglich ist, der Hilfesuchende eine solche
jedoch ohne sozialhilferechtlich anzuerkennende Gründe, etwa solche, die gemäß § 65
Abs. 1 SGB auch einer Mitwirkungspflicht entgegenstehen würden, verweigert (OVG
NRW, Beschluss vom 6. Dezember 2002 - 16 B 1921/02 -).
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Auf dieser Grundlage ist das Interesse des Sozialamtes des Beklagten, bei dem Kläger
im streitgegenständlichen Zeitraum einen unangemeldeten Hausbesuch durchzuführen,
höher zu bewerten als das Interesse des Klägers, lediglich einen einvernehmlich
vereinbarten Hausbesuch zu dulden.
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Der Beklagte hatte im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse daran, die Wohnung
des Klägers unangemeldet zu besichtigen. Dieses berechtigte Interesse beruhte darauf,
dass der vorliegende Sachverhalt Anlass gab zu klären, ob zwischen dem Kläger und
der weiteren Mieterin der Wohnung eine eheähnliche Gemeinschaft vorlag und insoweit
für die Bewilligung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der weiteren Mieterin zu prüfen waren.
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Eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 122 Satz 1 BSHG liegt vor, wenn diese
Gemeinschaft als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und
einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus geht und sich
im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft durch innere Bindungen
auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen
(BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 - 5 C 16.93 -, Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE - 98, 195 = FEVS 46, 96 im Anschluss an das
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Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. November 1992 - 1 BvL - 8/87 -,
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 87, 234). Das Sozialamt
muss darlegen, belegen und gegebenenfalls beweisen, dass eine eheähnliche
Gemeinschaft in diesem Sinne vorliegt (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss
vom 27. März 1992 - 9 TG 1112/89 -, FEVS 44, 109 und OVG NRW, Beschluss vom 11.
Mai 1994 - 8 B 963/94 -; W.Schellhorn/H.Schellhorn, BSHG, Kommentar zum
Bundessozialhilfegesetz, 16. Auflage 2002, § 122 Rdz. 6 a).
Mit Rücksicht auf diese Rechtsprechung waren für das Sozialamt des Beklagten im
streitgegenständlichen Zeitraum hinreichende Anhaltspunkte vorhanden, um durch
einen unangemeldeten Hausbesuch zu ermitteln, ob im Sinne der vorgenannten
Rechtsprechung eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und der
weiteren Mieterin der Wohnung gegeben war. Die Größe der Wohnung, der Zuschnitt
der Räume und ihre Nutzungsmöglichkeiten waren geeignet, eine eheähnliche
Lebensgemeinschaft darin zu führen. Beide Mieter lebten nach ihren eigenen Angaben
seit Juli 1998 in dieser Wohnung. Der Klingelknopf wies die Namen beider Mieter auf.
Gegenüber dem Arbeitsamt hatten sowohl der Kläger als auch die weitere Mieterin
anlässlich der Bewilligung von Arbeitslosengeld am 13. Juni 1999 erklärt, dass ein
gemeinsamer Haushalt geführt werde. Der Kläger hatte selbst dem Sozialamt mitgeteilt,
dass die Küche, das Badezimmer und die Toilette von beiden Mietern genutzt würden.
Bei dieser Sachlage musste sich für das Sozialamt des Beklagten die Besichtigung der
Wohnung aufdrängen, um zu klären, ob die nach den Angaben der Beteiligten unstreitig
vorliegende Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft auch als eheähnliche
Lebensgemeinschaft anzusehen war. Es reichte entgegen der Ansicht des Klägers nicht
aus, sich mit seinen und den Erklärungen der Mitmieterin zu begnügen, dass zwar eine
Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bestehe, jedoch keine inneren Bindungen
vorhanden seien, die die rechtliche Würdigung des Vorliegens einer nicht ehelichen
Lebensgemeinschaft zulassen würden.
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Es war entgegen der Ansicht des Klägers auch ein berechtigtes Anliegen des
Sozialamtes des Beklagten, die Besichtigung der Wohnung unangemeldet
durchzuführen, um eine von den subjektiven Ansichten des Klägers und seiner
Mitbewohnerin losgelöste objektive Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu
ermöglichen. Der Beklagte verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass
bei einer vorher vereinbarten Besichtigung der Wohnung die Klärung des für die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Sachverhaltes nicht möglich,
jedenfalls erheblich erschwert worden wäre.
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Die von dem Kläger angeführten Gründe, lediglich einen vorher angemeldeten
Hausbesuch hinnehmen zu müssen, können nach sozialhilferechtlichen Maßstäben
nicht anerkannt werden, weil die Voraussetzungen des § 65 SGB in entsprechender
Anwendung nicht erfüllt sind.
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Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB bestehen gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1
SGB nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in
Anspruch genommenen Sozialleistung steht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht
erfüllt. Die unangemeldete Besichtigung der Wohnung hat für den Kläger den Vorteil,
dass er laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, wenn die Wohnungsbesichtigung
entsprechend seinen eigenen Angaben ergeben sollte, dass keine eheähnliche
Lebensgemeinschaft besteht. Der Nachteil einer unangemeldeten Besichtigung der
Wohnung besteht lediglich darin, dass er einmalig ein kurzzeitiges Betreten der
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Wohnung durch Bedienstete des Sozialamtes hinnehmen muss. Dieser Nachteil, falls
überhaupt so zu bezeichnen, fällt gegenüber dem vorbeschriebenen Vorteil eines
unangemeldeten Hausbesuches nicht ins Gewicht. Entgegen der Ansicht des Klägers
wird das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) nicht verletzt, wenn das Sozialamt in Ausübung des
Amtsermittlungsgrundsatzes des § 20 SGB X seine Wohnung besichtigt, denn diese
Ermittlungen halten sich im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse.
§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB regelt darüber hinaus, dass Mitwirkungspflichten nicht bestehen,
soweit ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet
werden kann. Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die vom Kläger
angeführten Gründe sind nicht als wichtige Gründe im Sinne der vorgenannten
Bestimmung anzusehen.
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Der Kläger hält eine Besichtigung durch Bedienstete des Sozialamtes nicht für
zumutbar, weil der Amtsleiter des Sozialamtes seiner Meinung nach zu Unrecht eine
Unterhaltspflicht seiner Eltern bejaht habe. Diese rechtliche Würdigung trifft nicht zu.
Vielmehr hat sich das Sozialamt des Beklagten rechtmäßig verhalten, als es den Eltern
des Klägers als möglichen Unterhaltspflichtigen gemäß § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG eine
Rechtswahrungsanzeige geschickt und sie zugleich gemäß § 116 BSHG aufgefordert
hat, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben. Diese
Entscheidungen dienten dazu, den Nachrang der Sozialhilfe zu sichern. Es bestanden
für das Sozialamt des Beklagten keine Anhaltspunkte dafür, diese allgemein üblichen
Maßnahmen zu Sicherung des vorgenannten Grundsatzes nicht zu ergreifen. Hinzu
kommt, dass das Sozialamt den Eltern des Klägers mit Schreiben vom 30. Oktober 1998
mitgeteilt hat, dass sie zum Kreis der so genannten nicht gesteigert unterhaltspflichtigen
Personen gehören und dass eine Zahlung von Unterhaltsbeiträgen nicht in Betracht
komme, weil dem Kläger lediglich Sozialhilfe als Darlehen bewilligt worden ist. Insoweit
ist eine Beschwer des Klägers im Zeitpunkt des beabsichtigten unangemeldeten
Hausbesuches ohnehin nicht ersichtlich.
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Der Kläger rügt des Weiteren zu Unrecht, dass der Amtsleiter des Sozialamtes ihm
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss und nicht als Darlehen habe
bewilligen müssen. Vielmehr war die Entscheidung, dem Kläger Hilfe zum
Lebensunterhalt als Darlehen zu gewähren, gemäß § 15 b BSHG rechtmäßig. Nach
dieser Vorschrift können Geldleistungen als Darlehen gewährt werden, wenn laufende
Leistungen zum Lebensunterhalt voraussichtlich nur für kurze Dauer zu gewähren sind.
Der Kläger hatte seinen Antrag auf Bewilligung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt
vom 26. August 1998 mit „Sucharbeitslosigkeit nach abgeschlossenem Studium"
begründet. Auf Grund dieser eigenen Angaben des Klägers durfte das Sozialamt davon
ausgehen, dass es nur für kurze Dauer erforderlich war, dem Kläger Sozialhilfe zu
gewähren. Dementsprechend stand dem Sozialamt des Beklagten die Befugnis zu,
Geldleistungen als Darlehen zu gewähren. Hinzu kommt, dass auch in diesem
Zusammenhang eine Beschwer des Klägers nicht ersichtlich ist, weil der Bescheid über
die Rückforderung der darlehensweise bewilligten Leistungen wieder aufgehoben
worden ist.
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Die Ansicht des Klägers, der Amtsleiter des Sozialamtes habe zu Unrecht veranlasst,
dass er, der Kläger, sich bei dem Job-Club des Kreises habe melden müssen, obwohl
ihm doch laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, wenn auch nur als Darlehen, bewilligt
worden sei, ist unzutreffend. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang, dass es
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rechtlich zulässig ist, neben der Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt durch
Zahlung von Geldleistungen gemäß §§ 18, 19 BSHG Hilfe zur Arbeit zu gewähren,
indem dem Hilfesuchenden ermöglicht wird, sich auf eine künftige Erwerbstätigkeit
vorzubereiten. Zu diesen Möglichkeiten gehörte es auch, an dem Job-Club des Kreises
teilzunehmen. Die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt durch Zahlung von
Geldleistungen schließt diese Art von Hilfe zum Lebensunterhalt nicht von vornherein
aus. Sie stellt vielmehr eine sinnvolle Ergänzung dar, gegen deren Rechtmäßigkeit
keine Bedenken bestanden haben. Das Vorbringen des Klägers, seine Teilnahme am
Job-Club habe ihm wegen seiner akademischen Ausbildung nichts nutzen können,
widerspricht den Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, weil eine Arbeit oder
Arbeitsgelegenheit gemäß § 18 Abs. 3 Satz 5 BSHG nicht allein deshalb unzumutbar
ist, weil sie im Hinblick auf die Ausbildung des Hilfeempfängers als geringerwertig
anzusehen ist.
Schließlich rügt der Kläger zu Unrecht, dass der Beklagte bei der Bewilligung der
darlehensweise Hilfe zum Lebensunterhalt einen Betrag von 200 DM als Einkommen
berücksichtigt habe auf Grund der von ihm angegebenen Nutzung des seinen Eltern
gehörenden Kraftfahrzeuges. Zwar mag die Entscheidung des Sozialamtes des
Beklagten, Einkommen in Höhe von 200 DM anzurechnen, rechtswidrig gewesen sein,
weil dafür eine Rechtsgrundlage im Bundessozialhilfegesetz nicht vorhanden sein
dürfte. Durch diese Entscheidung war der Kläger allerdings nicht beschwert. Es ist
allgemein anerkannt, dass die Nutzung eines Kraftfahrzeuges durch einen
Sozialhilfeempfänger Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit hervorruft, die der
Hilfeempfänger durch eigene nachvollziehbare Angaben entkräften muss. Wenn ihm
dies nicht gelingt, ist sein Antrag auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt
abzulehnen (vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 20. Februar 1998 - 8 A 5181/95 -, FEVS
49, 37). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung wäre der Beklagte nach Aktenlage
verpflichtet gewesen, den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Hilfe zum
Lebensunterhalt mit der Begründung abzulehnen, dass wegen der von ihm selbst
angegebenen Nutzung des Kraftfahrzeuges von ihm nicht entkräftete Zweifel an seiner
Hilfebedürftigkeit bestanden haben. Der Beklagte hat diese Entscheidung nicht
getroffen, sondern hat sich damit zufrieden gegeben, von der dem Kläger bewilligten
Hilfe zum Lebensunterhalt einen Betrag von 200 DM abzuziehen. Verglichen mit der
rechtlich gebotenen Ablehnung des Antrages auf Hilfe zum Lebensunterhalt wurde der
Kläger durch die lediglich vorgenommene Anrechnung von 200 DM nicht in seinen
Rechten beeinträchtigt.
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Insgesamt lag auch aus den vom Kläger geschilderten Sachverhalten kein wichtiger
Grund vor, der es geboten hätte, an Stelle eines unangemeldeten einen zuvor
vereinbarten Besichtigungstermin durchzuführen.
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Gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB bestehen die Mitwirkungspflichten nicht, soweit der
Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand die erforderlichen Kenntnisse
selbst beschaffen kann. Auch diese Voraussetzungen liegen entgegen der Ansicht des
Klägers nicht vor. Aus den vorgenannten Gründen war es zur Klärung des Vorliegens
bzw. Nichtvorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft notwendig, einen
unangemeldeten Hausbesuch durchzuführen. Der Beklagte musste sich nicht mit den
Erklärungen des Klägers und seiner Mitbewohnerin zufrieden geben.
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Auf das wiederholte Vorbringen des Klägers, er habe sich durch das Verhalten des
Leiters des Sozialamtes gedemütigt gefühlt, kommt es nicht an, denn das Gefühl des
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Adressaten einer Verwaltungsentscheidung, gedemütigt zu werden, führt nicht zur
Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung. Maßgebend ist allein die objektive Rechtslage.
Es lag objektiv kein sozialhilferechtlich anerkennenswerter Grund vor, den
unangemeldeten Hausbesuch abzulehnen. Die damit verbundene Folge, dass es dem
Beklagten nicht möglich war, den Sachverhalt festzustellen, der vorliegen muss, um
Hilfe zu bewilligen, geht zu Lasten des Klägers.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO, die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167
Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.
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