Urteil des VG Münster vom 14.08.2002

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Verwaltungsgericht Münster, 9 K 3370/00
Datum:
14.08.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 3370/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des
beizutreibenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger ist Eigentümer des in H., G, gelegenen Grundstücks, X -Straße. Dieses
wurde 1986 mit einem Einfamilienhaus bebaut. In der dem Bauantrag beigefügten
Entwässerungsbeschreibung vom 14. Mai 1986 heißt es: „Das anfallende Regenwasser
wird in Rohren ? 10 cm gesondert abgeleitet und dem Kanal für Oberflächenwasser
zugeführt", was auch der zeichnerischen Darstellung im Entwässerungsplan vom
gleichen Tage entspricht. Die eingereichten Unterlagen waren Gegenstand der
Genehmigung des Anschlusses des klägerischen Grundstückes an die Kanalisation
vom 6. Juni 1986. Zu diesem Zeitpunkt befand sich in unmittelbarer Nähe des
klägerischen Grundstücks im Straßenraum ein betriebsbereiter Regen- und
Schmutzwasserkanal im Trennsystem.
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Mit Schreiben vom 9. Dezember 1999 beantragte der Kläger beim Beklagten die
Erlaubnis das Niederschlagswasser auf seinem Grundstück zu verrieseln und die
Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang an die öffentlichen
Regenwasserkanalisation. Er beabsichtigte das auf seinem Grundstück anfallende
Niederschlagswasser mittels Flächenversickerung zu beseitigen. Die zuständige
Wasserbehörde habe ihm mitgeteilt, dass die geplante Vorgehensweise nicht unter
einem Erlaubnisvorbehalt stehe, sofern nachteilige Auswirkungen auf
Nachbargrundstücke nicht einträten. Seit November 1999 führt der Kläger diese Form
der Versickerung durch.
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Mit Schreiben vom 10. Februar 2000 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass die
Versickerung des Regenwassers auf dem Grundstück des Klägers nicht genehmigt
werden könne, da eine Versickerung in diesem Gebiet der Stadt Greven wegen hoher
Grundwasserstände und lehmiger Bodenverhältnisse nicht möglich sei. Wenn
überhaupt könne in diesem Bereich eine Flächenversickerung in Form einer Mulde
erstellt werden. In diesem Zusammenhang wurde der Kläger aufgefordert weitere
Unterlagen über eine solche Versickerungsanlage einzureichen.
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In der Satzung der Stadt Greven über die Entwässerung der Grundstücke und den
Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage - Entwässerungssatzung - der Stadt
Greven vom 17. August 1999 ist in § 11 eine Regelung betreffend Befreiung vom
Anschluss- und Benutzungszwang für Niederschlagswasser getroffen. So heißt es dort
u. a.
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„(2) Beabsichtigt der Grundeigentümer Niederschlagswasser auf seinem Grundstück
ganz oder teilweise zu versickern oder zu verrieseln so hat er unter Anwendung der
allgemein anerkannten Regeln der Technik (ATV Arbeitsblatt A 138 „Bau und
Bemessung von Anlagen zur dezentralen Versickerung von nicht schädlich
verunreinigtem Niederschlagswasser") einen entsprechenden Antrag auf amtlichem
Vordruck zu stellen.
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(3) In Gebieten mit hohen Grundwasserständen und/oder nur bedingt durchlässigen
Bodenverhältnissen ist regelmäßig ein geeigneter Nachwies über die
Versickerungsfähigkeit unter Angabe des höchsten Grundwasserstandes und der
Durchlässigkeit des Untergrundes zu führen.
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(4) Die Eignung bestehender Anlagen ist nach Aufforderung durch die Stadt Greven
entsprechend nachzuweisen."
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Mit Schreiben vom 23. Mai und 27. Juli 2000 forderte der Kläger den Beklagten auf
einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erlassen. Daraufhin forderte der Beklagte den
Kläger erneut auf die Bemessung der Versickerungsanlage mitzuteilen und ein
Bodengutachten einzureichen.
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Daraufhin hat der Kläger am 28. Oktober 2000 die vorliegende Klage erhoben und
begehrt die Verpflichtung des Beklagten den Kläger vom Anschluss- und
Benutzungszwang hinsichtlich des auf seinem Grundstück anfallenden
Niederschlagswassers zu befreien. Dazu trägt er vor, auf seinem Grundstück seien
Sandboden und niedriges Grundwasser vorherrschend. Er meint nicht er, sondern der
Beklagte sei verpflichtet zu beweisen, dass die Bodenverhältnisse auf dem Grundstück
anders seien, als von ihm behauptet. Soweit in § 11 Abs. 3 der Entwässerungssatzung
der Stadt Greven etwas anderes geregelt sei, sei diese Regelung nichtig, da sie ihm
einen Rechtsschutz aus wirtschaftlichen Gründen verwehre. Im Übrigen liege keine
Beeinträchtigung von Nachbargrundstücken durch die von ihm vorgenommene einfache
Flächenversickerung des Niederschlagswassers vor. Wie sich aus der Erklärung seines
Nachbarn, Herrn F, ergebe, habe die Regenwasserversickerung keinerlei negative
Auswirkungen auf dessen Grundstück. Dazu überreichte der Kläger ein Schreiben
seines Nachbarn vom 16. August 2000.
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Der Kläger beantragt
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den Beklagten zu verpflichten dem Kläger für sein Grundstück G, eine Befreiung vom
Anschluss- und Benutzungszwang für die einfache Flächenversickerung des
Niederschlagswassers zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt er vor, auf dem Grundstück des Klägers sei ein hoher
Grundwasserstand gegeben und es handele sich um lehmige Bodenverhältnisse. Der
Durchlässigkeitswert der gesättigten Zone betrage kf = 10 - 6 oder schlechter. Diese
Auffassung beruhe auf den allgemeinen Erfahrungen des Bau- und
Entsorgungsbetriebes der Stadt Greven für dieses Gebiet. Er ist der Ansicht, der Kläger
sei verpflichtet eine andere Bodenbeschaffenheit zu beweisen. Diesen Nachwies habe
der Kläger bislang nicht geführt. Es sei auch nicht sachgerecht diese Obliegenheit durch
eine Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren zu ersetzen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den
Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO einverstanden
erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten
Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat
keinen Anspruch darauf, dass sein Grundstück hinsichtlich des anfallenden
Niederschlagswassers vom Anschluss- und Benutzungszwang befreit wird.
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Ein solcher Befreiungsanspruch ist bereits nach § 53 Abs. 1 S. 1 des Wassergesetzes
für das Land Nordrhein-Westfalen - LWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.
Juni 1995 (GV NRW S. 926) ausgeschlossen. Danach sind die Gemeinden zur
Abwasserbeseitigung verpflichtet, soweit nicht nach den folgenden Vorschriften andere
zur Abwasserbeseitigung verpflichtet sind oder ein verbindlich erklärter
Abwasserbeseitigungsplan andere zur Abwasserbeseitigung verpflichtete Träger
ausweist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Da im
Bereich des klägerischen Grundstücks eine betriebsbereite Abwasseranlage besteht, ist
die Stadt Greven auf Grund der §§ 51, 51 a und 53 LWG NRW verpflichtet das
Abwasser, das nach der Begriffsbestimmung des § 51 Abs. 1 S. 1 LWG NRW auch das
von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen
abfließende und gesammelte Wasser (Niederschlagswasser) umfasst, zu beseitigen.
Diese Abwasserbeseitigungspflicht ist weder durch einen Abwasserplan noch nach
anderen Vorschriften des Landeswassergesetzes übertragen worden. Ebenso wenig
können diese landesrechtlichen Vorschriften durch die Gemeinden mittels einer
Satzung aufgehoben oder abgeändert werden.
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Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 1996 - 22 A 4244/95 -, NWVBl. 1996,
434 ff. und OVG Schleswig, Urteil vom 23. August 1993 - 2 L 37/92 -, NVwZ-RR 1994,
686 f.
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Mit einer Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang würde die Gemeinde gegen
ihre eigene Verpflichtung verstoßen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 51 a Abs. 2 S. 1 LWG, wonach der
Nutzungsberechtigte des Grundstücks das Niederschlagswasser zu beseitigen hat,
dass auf dem Grundstück anfällt und versickert, verrieselt oder ortsnah in eine Gewässer
eingeleitet werden kann. Eine solche Verpflichtung zur Beseitigung des
Niederschlagswassers obliegt dem Kläger im vorliegenden Fall jedoch nicht, da diese
Vorschrift wegen der Bezugnahme auf Abs. 1 der Vorschrift § 51 a LWG NRW nur für
Grundstücke gilt, die nach dem 1. Januar 1996 erstmals bebaut, befestigt oder an die
öffentliche Kanalisation angeschlossen wurden. Das klägerische Grundstück ist jedoch
bereits 1986 erstmals bebaut und sodann an die öffentliche Kanalisation angeschlossen
worden. Zudem gelten die Vorschriften zur gesetzlichen Übertragung der
Abwasserbeseitigungspflicht auf den Nutzungsberechtigten des Grundstücks nach § 51
a Abs. 4 Satz 1 LWG auch dann nicht, wenn Niederschlagswasser - wie hier - im
Trennsystem einer bereits vorhandenen Kanalisation abgeleitet wurde und weiterhin
werden kann. So ist der Einschub des Abs. 4 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
damit begründet worden, der neue Absatz. 4 stelle klar, dass diese Verpflichtung
generell dann nicht bestehe, wenn eine Trenn-Kanalisation vorhanden sei, also das
Niederschlagswasser ohne Vermischung mit Schmutzwasser abgeleitet werden könne
(vgl. Landtagsdrucksache 11/8440, S. 230). Zudem wurde in der Begründung des
Gesetzentwurfes (LtDrs. 11/7653 S. 188) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die
Beseitigung des Niederschlagswassers im Wege der Trennkanalisation der Zielsetzung
(des Gesetzes) entspricht.
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Eine Freistellung des klägerischen Grundstücks vom Anschlusszwang kommt
schließlich nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen in Betracht. Dies wäre nur dann
der Fall, wenn das Anschlussverlangen enteignend wirkte oder auch unter
Berücksichtigung der von der Satzung und dem Gesetzgeber des
Landeswassergesetzes vorgegebenen Zwecke gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstößt.
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Vgl. OVG NW, Beschluss vom 12. Februar 1996 - 22 A 4244/95 - a. a. O.
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Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch
sonst ersichtlich. Der Anschluss- und Benutzungszwang gilt auch für bereits bebaute
Grundstücke und stellt insoweit grundsätzlich keine entschädigungspflichtige
Enteignung, sondern eine im Rahmen der Sozialbindung liegende und damit nach Art.
14 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes zulässige Inhaltsbestimmung des
Eigentums dar. Nur dann, wenn die Durchsetzung des Anschluss- und
Benutzungszwang für den Betroffenen unter Berücksichtigung des Gemeinwohls eine
unzumutbare Härte bedeuten würde, ist dem durch die Zulassung einer Ausnahme
Rechnung zu tragen. Im vorliegenden Fall liegt jedoch keine solche unzumutbare Härte
vor.
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Dies gilt auch soweit der Kläger tatsächlich in länger andauernden Trockenperioden
Frischwasser zur Bewässerung seines Grundstücks benötigen und ihm dadurch Kosten
entstehen würden. Solche Kosten sind im Hinblick auf die widerstreitenden öffentlichen
Interessen grundsätzlich hinnehmbar.
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Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 1997 - 22 A 7228/95 - hinsichtlich der Höhe
der zumutbaren Anschlusskosten.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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