Urteil des VG Münster vom 22.06.2001

VG Münster: juristische person, ausgleichsabgabe, kleine und mittlere unternehmen, beschäftigungspflicht, beihilfe, befreiung, abgabepflicht, berufsfreiheit, handel, zusammenrechnung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Münster, 10 K 3683/98
22.06.2001
Verwaltungsgericht Münster
10. Kammer
Urteil
10 K 3683/98
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Klägerin darf die Vollstreckung durch Hinterlegung des oder
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, für das Jahr 1991
rückständige Beträge der Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz
(SchwbG) zu entrichten. Die Frisör L. GmbH D. betrieb unter anderem im Jahre 1991 im
gesamten Bundesgebiet Frisiersalons. Sie war die Vertragspartnerin der Arbeitsverträge
mit den in diesen Frisiersalons beschäftigten Arbeitnehmern. Die Klägerin ist ihre
Rechtsnachfolgerin. Der Beklagte teilte der Klägerin durch Bescheid vom 3. Juni 1993 mit,
dass die Frisör L. GmbH D. im Jahre 1991 weniger als 6 vom Hundert Schwerbehinderte
beschäftigt habe, und stellte einen rückständigen Betrag der Ausgleichsabgabe in Höhe
von 39.600,- DM fest. Die Klägerin, welche die von dem Beklagten bei der Ermittlung der
Ausgleichsabgabe vorgenommene Zusammenfassung der Arbeitsplätze der einzelnen
Friseurgeschäfte für unzulässig hält, erhob gegen den Feststellungsbescheid am 17. Juni
1993 Widerspruch. Der Widerspruchsausschuss des Beklagten wies den Widerspruch
durch am 1. Dezember 1998 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1998
zurück und führte unter anderem aus: Sowohl § 5 SchwbG über den Umfang der
Beschäftigungspflicht als auch § 11 SchwbG über die Pflicht zur Entrichtung einer
Ausgleichsabgabe bezögen sich auf den Arbeitgeber und nicht auf den Betrieb oder
einzelne Betriebsteile. Die Klägerin hat am 1. Dezember 1998 Klage erhoben. Sie macht
geltend: Die Zusammenfassung von mehreren Einzelbetrieben entspreche nicht § 5 Abs. 1
SchwbG und stünde mit höherrangigem Recht (Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1
GG, allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, allgemeiner Gleichheitssatz aus
Art. 3 Abs. 1 GG und gemeinschaftsrechtliches Beihilfeverbot) nicht im Einklang. Die
Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 5 Abs. 1 SchwbG sei betriebsbezogen,
nicht bezogen auf die juristische Person zu sehen. Die Zusammenrechnung der
Beschäftigten in den Einzelbetrieben belaste ​Filialisten" im Vergleich mit Einzelbetrieben
unverhältnismäßig und sei ungeeignet, den Gesetzeszweck zu erreichen, den Arbeitgeber
zur Einstellung von Schwerbehinderten anzuhalten. Die Herausnahme der Kleinbetriebe
aus der Beschäftigungspflicht und der Verpflichtung zur Entrichtung einer
Ausgleichsabgabe werde damit gerechtfertigt, dass Arbeitgeber mit einer kleineren
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Betriebsgröße in Anbetracht der geringen oder fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit für
Schwerbehinderte ausgenommen werden sollten. Diese Erwägung sei nicht geeignet,
Arbeitgeber mit mehreren Kleinbetrieben zur Beschäftigung anzuhalten. Die
Beschäftigungsmöglichkeit stelle gerade auf den Betrieb als technische und
organisatorische Einheit ab. Es sei kein Unterschied zu sehen, ob verschiedene Betriebe in
unterschiedliche juristische Personen aufgeteilt oder unter dem Dach einer juristischen
Person tätig seien. Die gegenteilige Argumentation, dass es notwendig sei, auf einen
juristischen (formalen) Arbeitgeberbegriff abzustellen, um es dem Arbeitgeber zu
verwehren, sich durch entsprechende Gestaltung der Einzelbetriebe seiner
Beschäftigungspflicht zu entziehen, sei nicht tragfähig. Die Struktur eines einzelnen
Betriebes, insbesondere seine Größe, sei durch wirtschaftliche, technische und
organisatorische Sachzwänge vorgegeben. Es wäre unklug, auf die Einstellung einer
zusätzlichen Kraft nur deshalb zu verzichten, weil dann die Zahlengrenze nach dem
SchwbG überschritten würde. Denn hierdurch entgingen einem Geschäftsmann Umsätze
und Gewinnaussichten. Auch im Arbeitsrecht gelte ein funktionaler Arbeitgeberbegriff, nach
dem jeweils ​der Betrieb" als Arbeitgeber anzusehen und unerheblich sei, ob dieser Betrieb
von mehreren Unternehmen gehalten werde. Daher könne umgekehrt die formale
Zusammenfassung mehrerer selbstständig geleiteter Einzelbetriebe unter einem Dach
nicht dazu führen, dass die Beschäftigungspflicht vom funktionalen Arbeitgeberbegriff
gelöst würde. Der vom Beklagten zu Grunde gelegte formale Arbeitgeberbegriff
beeinträchtige sie - die Klägerin - übermäßig in ihrem Recht auf freie Berufsausübung.
Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 128 des
Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der bis zum 30. Juni 1991 geltenden Fassung sei die
Entlastung von Kleinbetrieben verfassungsrechtlich geboten. § 5 SchwbG sei auch
mangels einer abgestuften Kleinbetriebsregelung verfassungswidrig, die nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 128 AFG allein dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspräche. Die Anknüpfung an den formalen
Arbeitgeberbegriff belaste sie - die Klägerin - unverhältnismäßig. Sie habe eben keine
zentrale Verwaltung, keinen zentralen Einkauf und kein zentrales Management, sondern
jede Filiale werde durch die örtliche Filialleiterin selbstständig geleitet. Die Bevorzugung
von Kleinarbeitgebern nach § 5 Abs. 1 SchwbG verletzte deshalb auch den Gleichheitssatz
und das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit. § 5 Abs. 1 SchwbG sei in der vom
Beklagten vorgenommenen Auslegung mit dem Beihilfeverbot des Art. 92 Abs. 1 des EG-
Vertrages unvereinbar. Es mache für die Behandlung als ​Beihilfen" im Sinne genannten
Regelung keinen Unterschied, ob einer Gruppe von Unternehmen Mittel zugewandt oder
ob einer anderen Gruppe von Unternehmen Abgaben auferlegt würden, weil es sich bei
einer finanzielle Begünstigung der einen Gruppe immer um eine finanzielle Belastung der
anderen Gruppe handele. Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 3. Juni
1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 1998 aufzuheben. Der
Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid. Die Beteiligten haben sich
mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakte des Verfahrens 10 K
3678/98) sowie auf den Schriftsatz der Klägerin vom 20. November 1998 aus den
Verfahren 10 K 2759/97 und 10 K 3354/98 ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Anfechtungsklage der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des
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Beklagten vom 3. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der angegriffene
Feststellungsbescheid genügt den rechtlichen Anforderungen der §§ 11 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 2 Sätze 1 bis 3, 5 Abs. 1 SchwbG - in der für das Kalenderjahr 1991 geltenden
Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421, 1550) und Änderung
durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 in Verbindung mit dem
Einigungsvertrags-gesetz vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885, 1039) - und ein
Verstoß gegen höherrrangiges Recht liegt nicht vor. Die Kammer hat bereits in ihrem Urteil
vom 26. Januar 2001 im Verfahren 10 K 2759/97 derselben Beteiligten zur Verpflichtung
der Klägerin zur Entrichtung der Ausgleichsabgabe für das Jahr 1995 Folgendes
ausgeführt: ​Wie bereits im Beschluss vom 19. August 1999 in dem Verfahren gleichen
Rubrums hinsichtlich der Ausgleichsabgabe für das Jahr 1997 (10 L 588/99) dargelegt,
liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Heranziehung der Klägerin zur
Ausgleichsabgabe vor. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG haben Arbeitgeber, solange sie
die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigen, für jeden unbesetzten
Pflichtplatz monatlich eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Dabei trifft die Pflicht zur
Beschäftigung Schwerbehinderter gemäss § 5 Abs. 1 SchwbG u.a. private Arbeitgeber, die
über mindestens 16 Arbeitsplätze im Sinne des § 7 Abs. 1 (SchwbG) verfügen; sie haben
auf wenigstens 6 vom Hundert der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen.
Die Klägerin ist private Arbeitgeberin i.S.d. § 5 Abs. 1 SchwbG. Bei der Bestimmung des
Begriffes des - privaten - Arbeitgebers ist auch im Rahmen des
Schwerbehindertengesetzes vom arbeitsrechtlichen Arbeitgeberbegriff auszugehen.
Danach ist - ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Unternehmensgestaltung oder
Rechtsform - Arbeitgeber, wer einen anderen in abhängiger, entgeltlicher Arbeit als
Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt oder dessen Dienste annimmt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989 - 5 C 64/84 -, Buchholz 436.61 § 4 SchwbG Nr. 1;
OVG NW, Urteil vom 30. Oktober 1985 - 10 A 2930/84 -; VG Münster, Urteil vom 13.
September 1984 - 5 K 1788/83 -; Wiegand, Kommentar zum SchwbG, § 5 Rn. 9; jeweils mit
weiteren Nachweisen. Damit ist die Klägerin Arbeitgeberin aller in ihren verschiedenen
Betrieben Beschäftigten, da sie nach ihren Angaben Vertragspartnerin von
Arbeitsverträgen in ihren Filialen ist. Sie verfügt auch - unstreitig - insgesamt über mehr als
16 Arbeitsplätze (i.S.d. § 7 SchwbG). Zwar sind in sämtlichen der von ihr betriebenen
Filialen jeweils weniger als 16 Arbeitnehmer beschäftigt. Entgegen der Auffassung der
Klägerin ist aber bei der Berechnung der Pflichtplätze nach § 5 Abs. 1 SchwbG bei
Arbeitgebern mit mehreren Betrieben nicht jeweils auf die Zahl der Arbeitsplätze in den
einzelnen Betrieben abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr allein, über wie viele
Arbeitsplätze der Arbeitgeber insgesamt verfügt. Das Schwerbehindertengesetz
unterscheidet deutlich zwischen den Begriffen des Arbeitgebers und des Betriebes. Dies
zeigt etwa die Bestimmung des § 13 Abs. 1 SchwbG, wonach die Arbeitgeber u.a.
gesondert für jeden Betrieb ein Verzeichnis der bei ihnen beschäftigten Schwerbehinderten
zu führen und den zuständigen Behörden vorzuzeigen haben. Schon dadurch, dass der
Begriff des Betriebes in § 5 SchwbG nicht übernommen ist, hier vielmehr allein der Begriff
des Arbeitgebers verwendet wird, wird deutlich, dass die Beschäftigungspflicht gemäss § 5
Abs. 1 SchwbG entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht betriebsbezogen ist.
Dies belegt vor allem auch der Vergleich zur früher geltenden Bestimmung über die
Verpflichtung zur Beschäftigung Schwerbeschädigter des § 3 Abs. 1 SchwbG 1961 (i.d.F.
vom 14. August 1961, BGBl. I S. 1233), wonach "von den Arbeitgebern ... die öffentlichen
und privaten Betriebe auf wenigstens 6 vom Hundert der Arbeitsplätze Schwerbeschädigte
beschäftigen" mussten: Während die Beschäftigungspflicht hiernach an den "Betrieb"
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anknüpfte, also die Zahl der Pflichtplätze für Schwerbeschädigte für jeden einzelnen
Betrieb eines Arbeitgebers gesondert zu berechnen war, stellt § 5 Abs. 1 SchwbG in der
heutigen Fassung allein auf den Begriff des "Arbeitgebers" ab. Daraus folgt, dass es für die
Frage nach der Beschäftigungspflicht nunmehr allein auf die Summe der Arbeitsplätze im
Direktionsbereich eines Arbeitgebers ankommt, unabhängig davon, ob die Arbeitsplätze
über mehrere Betriebe verteilt sind. Deshalb ist es entgegen der Auffassung der Klägerin
auch unerheblich, ob ein sog. Filialist seine verschiedenen Betriebe zentral verwaltet oder
die einzelnen Filialen jeweils selbstständig geleitet werden, ihnen also möglicherweise
jeweils "funktional" eine Arbeitgeberstellung zukommt. Nach dem oben Dargelegten gilt im
Rahmen des Schwerbehindertengesetzes gerade nicht ein "funktionaler"
Arbeitgeberbegriff. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber hier eindeutig für die
Zusammenrechnung sämtlicher Arbeitsplätze der Betriebe eines Arbeitgebers und damit für
den "formalen" Arbeitgeberbegriff entschieden. So war es das erklärte Ziel der Neufassung
des § 3 Abs. 1 SchwbG 1961, "die Beschäftigungspflicht nicht mehr den Betrieben und
Verwaltungen, sondern den Arbeitgebern" aufzuerlegen (BT-Drucks. 7/656, S. 27 zu Nr. 8
Buchst. b). Das Aufteilungs- oder Trennungsprinzip für die Pflichtplatzberechnung bei
mehreren Betrieben desselben Arbeitgebers ist somit nicht mehr geltendes Recht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989, a.a.O., mit weiteren Nachweisen; Großmann in
Gemeinschaftskommentar zum SchwbG, 2. Aufl., § 5 Rdnr. 60-65; Damit sind im Fall der
Klägerin die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG zur Entrichtung einer
Ausgleichsabgabe verpflichtet. Denn im hier maßgeblichen Kalenderjahr 1994 beschäftigte
sie keine Schwerbehinderten und erfüllte damit ihre nach dem Vorstehenden bestehende
Beschäftigungspflicht nicht.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Inanspruchnahme der Klägerin bestehen nicht.
Weder die gesetzliche Anknüpfung an den Arbeitgeberbegriff noch die
arbeitgeberbezogene Auslegung der Beschäftigungs- und Abgabepflicht der § 5 Abs. 1, 11
Abs. 1 Satz 1 SchwbG verstößt gegen höherrangiges Recht. Eine Verletzung von
Grundrechten oder ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht liegen nicht vor.
Soweit die Klägerin geltend macht, die Zusammenrechnung der Arbeitsplätze eines
Arbeitgebers mit mehreren Betrieben nach § 5 Abs. 1 SchwbG verstoße gegen Art. 12 Abs.
1, 3 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG, greift dies nicht durch.
Prüfungsmaßstab ist insoweit vor allem die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Klägerin,
die ihr auch als juristische Person zusteht (Art. 19 Abs. 3 GG). Die genannten gesetzlichen
Regelungen greifen zwar in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin ein; diese Eingriffe
sind jedoch gerechtfertigt (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG).
Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegen Regelungen wie die vorliegende
Beschäftigungs- und Abgabepflicht zwar außerhalb der eigentlichen Berufsausübung,
stellen aber wegen ihres inneren Zusammenhangs mit dem Beruf und ihrer Rückwirkungen
auf die Berufsausübung dennoch einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar.
BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u. a., BVerfGE 57, 139 (158).
Die arbeitgeberbezogene Anordnung der Beschäftigungs- und Abgabepflicht ist durch
vernünftige Gründe des Gemeinwohls unter Wahrung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt.
Sinn der Regelung ist zum einen die Verwaltungsvereinfachung, indem auf die sonst
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notwendige Einzelfallprüfung des Grades der organisatorischen Selbstständigkeit der
Filialen verzichtet wird. Zum anderen sollen Gestaltungen verhindert werden, durch die
Arbeitgeber sich - unter Beibehaltung der Vorteile, die eine einheitliche Führung der
Filialen unter dem Dach einer einzigen juristischen Person mit sich bringt - ihrer
Beschäftigungspflicht durch entsprechende organisatorische Gestaltung ihrer Filialen
entziehen. Beide Erwägungen stellen legitime Gemeinwohlzwecke dar. Dies gilt
insbesondere für den Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung im Hinblick darauf,
dass nach dem bis 1974 geltenden Rechtszustand der Verwaltungsaufwand beim Vollzug
des SchwbG als zu hoch empfunden wurde.
Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10. Mai 1973, BT-Drucks.
7/656, S. 20.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die getroffene Regelung auch geeignet, die
verfolgten Zwecke zu erreichen. Hinsichtlich der genannten Ziele, den
Verwaltungsaufwand zu reduzieren und Missbrauchsmöglichkeiten zu beschränken, liegt
dies auf der Hand. Die Eignung ist - anders als die Klägerin meint - auch hinsichtlich des
generell mit der Beschäftigungspflicht verfolgten Zieles der Eingliederung
Schwerbehinderter in das Arbeitsleben, ersatzweise der Ausgleichsfunktion der
Abgabepflicht, zu bejahen. An der Eignung einer gesetzlichen Regelung fehlt es nur dann,
wenn das eingesetzte Mittel objektiv oder schlechthin ungeeignet ist, den gewünschten
Erfolg zu fördern. Dabei genügt die abstrakte Möglichkeit der Zielerreichung; ob der
gewünschte Erfolg im Einzelfall tatsächlich eintritt, ist für die Frage der Eignung eines
Gesetzes ohne Belang.
BVerfG-Beschlüsse vom 4. Oktober 1983 - 1 BvR 1633/82 - u.a., BVerfGE 65, 116 (126),
vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 -, BVerfGE 67, 157 (175) und vom 1. Juli 1986 - 1 BvL
26/83 -, BVerfGE 73, 301 (317); BVerfG-Urteil vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 - u.a.,
BVerfGE 81, 156 (192).
Bereits die Auferlegung einer Beschäftigungspflicht als solche ist auch bei Filialbetrieben
zur Eingliederung Schwerbehinderter geeignet. Angesichts der vielfältigen
Erscheinungsformen von Schwerbehinderungen sind viele Schwerbehinderte durchaus in
der Lage, auch in Kleinbetrieben einen Arbeitsplatz auszufüllen.
So ausdrücklich Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 15. Januar
1974, BT-Drucks. 7/1515, S. 5.
In jedem Falle folgt die Eignung aber aus der ersatzweisen Auferlegung der
Ausgleichsabgabe. Diese hat sowohl eine Antriebsfunktion (Anreiz zur Erfüllung der
Beschäftigungspflicht, um die Zahlungspflicht zu vermeiden) als auch eine
Ausgleichsfunktion (finanzieller Beitrag derjenigen Arbeitgeber, die sich nicht an den
allgemeinen Lasten, die durch die unmittelbare Beschäftigung Schwerbehinderter
hervorgerufen werden, beteiligen).
Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10. Mai 1973, BT-Drucks.
7/656, S. 20; BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 - u.a., BVerfGE 57, 139 (167).
Nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Schwerbehindertenausgleichsabgabe behält die
Abgabe ihre Eignung hinsichtlich der Ausgleichsfunktion auch dann, wenn in einer
bestimmten Branche keine (weiteren) Schwerbehinderten beschäftigt werden können.
Denn die Abgabe wirkt auch dahin, dass gegenüber bereits beschäftigten
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Schwerbehinderten keine (zulässigen) Kündigungen ausgesprochen werden. Aber selbst
wenn keinerlei Antriebsfunktion mehr feststellbar wäre (etwa weil der Arbeitgeber - wie die
Klägerin - von vornherein keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigt), würde bereits
die reine Ausgleichsfunktion zur Bejahung der Eignung ausreichen. Denn die Abgabe wirkt
insoweit in einer dem Gleichheitssatz entsprechenden Weise auf Ausgleich der den
Arbeitgebern auferlegten Belastungen.
BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 - u.a., BVerfGE 57, 139 (168).
Die Zusammenrechnung ist auch erforderlich, um die mit ihr verfolgten Ziele zu erreichen.
Eine Regelung ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber kein anderes, gleich wirksames,
aber das betroffene Grundrecht weniger fühlbar einschränkendes Mittel hat wählen können.
BVerfG, Beschlüsse vom 16. März 1971 - 1 BvR 52/66 - u.a., BVerfGE 30, 292 (316) und
vom 1. Juli 1986 - 1 BvL 26/83 -, BVerfGE 73, 301 (319); BVerfG, Urteil vom 23. Januar
1990 - 1 BvL 44/86 - u.a., BVerfGE 81, 156 (192).
Ein solches Mittel ist hier nicht ersichtlich. Die von der Klägerin erstrebte Einzelfallprüfung
nach dem Grad der organisatorischen Selbstständigkeit der Filialen bzw. das Abstellen auf
den einzelnen Betrieb wären nicht ebenso geeignet, den erstrebten Vereinfachungseffekt
zu erreichen bzw. den befürchteten Umgehungsgestaltungen entgegenzuwirken. So würde
ein System der nach Einzelbetrieben getrennten Pflichtsatzberechnung es dem Arbeitgeber
gerade erlauben, sich durch entsprechende Gestaltung der von ihm dirigierten
Einzelbetriebe seiner Beschäftigungspflicht ganz oder teilweise zu entziehen.
BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989, a.a.O. Die demgegenüber vertretene Ansicht der Klägerin,
diese Erwägung sei nicht tragfähig, da die Struktur eines einzelnen Betriebes u.a. durch
wirtschaftliche Sachzwänge vorgegeben sei, sodass es unklug wäre, auf die Einstellung
einer zusätzlichen Kraft nur wegen des Überschreitens der Zahlengrenze des SchwbG zu
verzichten, überzeugt nicht. Die genannten Sachzwänge mögen vor allem für den
einzelnen Kleinarbeitgeber bestehen. Die Klägerin übersieht aber, dass Filialisten auf
Grund ihrer Struktur und Wirtschaftskraft vielfältige Möglichkeiten offen stehen, durch eine
entsprechende Organisation ihrer Filialen wirtschaftliche Sachzwänge zu relativieren. Im
Übrigen kommt das Zusammenrechnungsprinzip ihr gerade entgegen, indem sie die
Pflichtsatzquote zwar insgesamt, nicht aber in jedem einzelnen Filialbetrieb erfüllen muss
- vgl. LSG NRW, Urteil vom 21. März 1996 - L 9 Ar 200/94 -, S. 14 des Abdrucks - und
dadurch einen weiten Spielraum zur Organisation ihrer Filialen behält.
Auch bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Grad der Schwere des mit der
Ausgleichsabgabe verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Filialisten und dem
Gewicht der rechtfertigenden Gründe ist die Grenze der Zumutbarkeit für die Klägerin
gewahrt. Auszugehen ist dabei von einer erheblichen Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers zum einen generell in Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen,
zum anderen aber auch speziell bei der Festlegung der zu verfolgenden wirtschafts-,
arbeits- oder sozialpolitischen Ziele, die noch größer wird, wenn die getroffene Regelung -
wie vorliegend - keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter aufweist.
Zur Gestaltungsfreiheit vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. März 1974 - 1 BvL 27/72 -, BVerfGE
37, 1 (21), vom 19. März 1975 - 1 BvL 20/73 -, BVerfGE 39, 210 (225), vom 12. Oktober
1977 - 1 BvR 217/75 - u.a., BVerfGE 46, 120 (145), vom 25. Oktober 1977 - 1 BvR 173/75 -,
BVerfGE 46, 246 (257), vom 22. Mai 1979 - 1 BvL 9/75 -, BVerfGE 51, 193 (208), vom 15.
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Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 u.a., BVerfGE 77, 308 (332); Urteil vom 23. Januar 1990 - 1
BvL 44/86 - u.a., BVerfGE 81, 156 (189).
Die angeführten Gemeinwohlzwecke der Verwaltungsvereinfachung und der Verhinderung
von Umgehungsgestaltungen sind auch verfassungsrechtlich - gerade wenn es um
Abgaben geht, die in einem Massenverfahren erhoben werden - von einigem Gewicht.
Zum Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität z.B. BVerfG,
Beschlüsse vom 14. März 1967 - 1 BvR 334/61 -, BVerfGE 21, 209 (217), vom 11. Juli 1967
- 1 BvR 495/63 -, BVerfGE 22, 156 (161), vom 2. Oktober 1969 - 1 BvL 12/68 -, BVerfGE 27,
58 (67), vom 8. Oktober 1991 - 1 BvL 50/86 -, BVerfGE 84, 348 (359) und vom 10. April
1997 - 2 BvL 77/92 -, BVerfGE 96, 1 (6); zum Gesichtspunkt der Missbrauchsvermeidung z.
B. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Juli 1967 - 1 BvR 495/63 -, BVerfGE 22, 156 (161) und vom
3. Juli 1973 - 1 BvR 369/65 - u.a., BVerfGE 35, 326 (341)
Demgegenüber ist die finanzielle Belastung der Arbeitgeber durch die Ausgleichsabgabe
mit 2.400 DM jährlich je unbesetzten Pflichtplatz nicht unzumutbar hoch. Das BVerfG hat in
seiner Entscheidung zur Pflicht der Arbeitgeber, der Bundesanstalt für Arbeit das
Arbeitslosengeld bestimmter von ihnen entlassener älterer Arbeitnehmer zu erstatten (§
128 AFG 1981/1984; jetzt § 147a SGB III), von der Arbeitgeber mit nicht mehr als fünf
Arbeitnehmern gleichfalls ausgenommen waren (§ 128 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG 1984), die
Erstattungs- und Ausgleichspflicht für zumutbar angesehen,
Urteil vom 23. Januar 1990, a.a.O., obwohl diese für den Arbeitgeber ein Vielfaches der
finanziellen Belastung durch die Ausgleichsabgabe nach dem SchwbG bedeutete. Dass
der Eingriff durch die Ausgleichsabgabe nicht unzumutbar schwer wiegt, bestätigt auch das
Vorbringen der Klägerin, sie würde auf die Einstellung einer zusätzlichen Kraft in einem
Einzelbetrieb angesichts der ihr ansonsten entgehenden Umsätze und Ertragsaussichten
nicht deshalb verzichten, weil dadurch die Beschäftigungspflichtgrenze nach § 5 Abs. 1
SchwbG überschritten würde.
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt eine andere, für sie günstigere Beurteilung
auch nicht aus der - oben bereits zitierten - Entscheidung des BVerfG zu § 128 AFG 1984.
Zwar hat das BVerfG in dieser Entscheidung an einer Stelle den Begriff des ​Kleinbetriebs"
verwendet und ausgeführt, eine Entlastung von ​Kleinbetrieben" von der Erstattungspflicht
könne auch für die Zeit vor der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im Wege der
Auslegung der bereits vorhandenen allgemeinen Härteklausel verfassungsrechtlich
geboten sein.
BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990, a.a.O., (204).
Es bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei um eine
Stellungnahme des Gerichts zur Frage der arbeitgeber- oder betriebsbezogenen
Auslegung - die in keiner Weise Gegenstand der genannten Entscheidung war - handeln
sollte. Angesichts der Geläufigkeit des Begriffs ​Kleinbetriebsklausel" statt des an sich
korrekten Begriffs ​Kleinarbeitgeberklausel"
- vgl. Palandt/Putzo, BGB, 59. Aufl. 2000, § 622 Rdnr. 25, wo zunächst von einer
Kleinbetriebsklausel" gesprochen wird, obwohl in der anschließenden Kommentierung auf
den ​kleinen Arbeitgeber" abgestellt wird -
spricht vielmehr alles dafür, dass in der Entscheidung des BVerfG der ​Kleinarbeitgeber"
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gemeint ist.
Auch die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin ist nicht verletzt. Dabei kann offen
bleiben, ob das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG angesichts der vollständigen
Erfassung des vorliegenden Sachverhalts von der Berufsfreiheit nicht bereits durch diese
verdrängt ist. In jedem Fall wäre ein etwaiger Eingriff gerechtfertigt. Denn die allgemeine
Handlungsfreiheit stellt angesichts ihrer bereits im Verfassungstext enthaltenen Schranken
keine strengeren Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs als die Berufsfreiheit.
So auch BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 - u.a., BVerfGE 57, 139 (159).
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Die
Klägerin rügt der Sache nach eine Ungleichbehandlung zwischen ihr als Filialistin und den
Frisöreinzelbetrieben, mit denen sie in vieler Hinsicht vergleichbar sei, die aber nicht unter
die Beschäftigungs- und Abgabepflicht des SchwbG fallen.
Die neuere Rechtsprechung des BVerfG wendet bei der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 GG je
nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche
Prüfungsmaßstäbe an, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an
Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen können.
Vgl. dazu und zu den nachstehenden Unterscheidungen BVerfG, Beschluss vom 26.
Januar 1993 - 1 BvL 38/92 -, BVerfGE 88, 87 (96); grundlegend Beschluss vom 8. Juni
1993 - 1 BvL 20/85 -, BVerfGE 89, 15 (22); ferner Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1 BvL
20/87 - u.a., BVerfGE 91, 389 (401); Urteil vom 4. Juli 1995 - 1 BvF 2/86 - u.a., BVerfGE 92,
365 (407 f).
Dabei wird zunächst die Zulässigkeit von Differenzierungen von der Natur des jeweils in
Frage stehenden Sachbereichs abhängig gemacht (bereichsspezifische Anwendung des
Gleichheitssatzes). Wesentlich ist ferner die Unterscheidung zwischen der
Ungleichbehandlung von Personen(gruppen) einerseits (strengere Prüfung wegen der
fehlenden Ausweichmöglichkeit) und Sachverhalten andererseits. Je mehr sich die
personenbezogenen Merkmale an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten
Differenzierungsverbote annähern, desto strenger wird der Maßstab. Zudem hängt der
Maßstab von der Beeinflussbarkeit der personenbezogenen Unterscheidungsmerkmale ab.
Auch gleichzeitige Auswirkungen auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten
können zu einem strengeren Prüfungsmaßstab beim Gleichheitssatz führen. Der bei
sachbezogenen Differenzierungskriterien grundsätzlich weitere Spielraum des
Gesetzgebers wird wiederum enger, wenn die Ungleichbehandlung von Sachverhalten
mittelbar die Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt.
Auf die von der Klägerin gerügte Differenzierung zwischen ihr als Filialistin und den
Frisöreinzelbetrieben ist lediglich ein großzügiger Prüfungsmaßstab anzuwenden, der im
Ergebnis nicht über ein Willkürverbot hinausgeht. Denn im vorliegenden Fall liegt keine
personenbezogene, sondern allenfalls nur eine sachbezogene Ungleichbehandlung vor,
die auf die Organisationsform des Unternehmens abstellt. Zudem ist die Verwirklichung des
Differenzierungsmerkmals (Betreiben des Unternehmens als einheitliche juristische Person
mit unselbständigen Filialen oder Aufteilung in einen Konzern aus vielen kleinen rechtlich
selbstständigen Einheiten, die jeweils eine Filiale betreiben) durch die Klägerin
beeinflussbar. Denn es steht ihr frei, ihr Unternehmen - wie viele andere Filialisten auch -
dergestalt umzustrukturieren, dass die beschriebene Konzernstruktur aus zahlreichen
rechtlich selbstständigen juristischen Personen entsteht. In diesen Fällen lässt der
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Gleichheitssatz nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Gesetzgeber weit gehende
Freiheit, Lebenssachverhalte entsprechend dem Regelungszusammenhang verschieden
zu behandeln. Es ist dann grundsätzlich Sache der Betroffenen, sich auf diese Regelung
einzustellen und nachteiligen Auswirkungen durch eigenes Verhalten zu begegnen. Die
Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers wird in diesen Fällen lediglich durch das
Willkürverbot begrenzt; sie endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten
Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten
Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche
Differenzierung fehlt.
BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990, a.a.O., (206 f.), mit weiteren Nachweisen.
Bei einer Prüfung an dem sich so ergebenden großzügigen Maßstab erweisen sich die der
arbeitgeberbezogenen Betrachtung zu Grunde liegenden Gesichtspunkte als sachgerecht.
Das Abstellen auf den Arbeitgeber und nicht auf den einzelnen Betrieb dient - wie oben
bereits ausgeführt - der Verwaltungsvereinfachung und der Vermeidung von
Umgehungsgestaltungen. Beide Gesichtspunkte sind - wie ebenfalls bereits ausgeführt -
legitim und vermögen die - im Hinblick auf den recht geringen Betrag pro Arbeitsplatz nicht
besonders schwer wiegende - Ungleichbehandlung der Klägerin, die sie zudem durch
Änderung ihrer Organisationsform vermeiden könnte, zu rechtfertigen.
Die Befreiung der Arbeitgeber mit weniger als 16 Arbeitsplätzen von der Beschäftigungs-
und Abgabepflicht verstößt auch nicht gegen das Beihilfeverbot des im Streitjahr 1995 noch
maßgeblichen Art. 92 Abs. 1 EGV a.F. (seit 1. Mai 1999 ohne textliche Änderung Art. 87
Abs. 1 EGV in der Fassung des Vertrages von Amsterdam). Danach sind staatliche oder
aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung
bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu
verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel
zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
Letztlich kann es offen bleiben, ob die Befreiung der Arbeitgeber mit weniger als 16
Arbeitsplätzen von der Pflicht zur Zahlung der Ausgleichsabgabe - anders als die Befreiung
der Kleinbetriebe von den Vorschriften des KSchG
Vgl. dazu das auf den Vorlagebeschluss des ArbG Reutlingen vom 3. Mai 1991 - 4 (2) Ca
85/91 -, EuZW 1991, 608, ergangene Urteil des EuGH vom 30. November 1993 C-189/91
EuZW 1994, 91, der hier entscheidend auf das Fehlen der Gewährung aus staatlichen
Mitteln abstellte -
eine Beihilfe darstellt. Denn selbst wenn man in der Befreiung der Kleinbetriebe eine
Beihilfe sehen wollte, würde diese jedenfalls den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht
beeinträchtigen.
Eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten liegt vor, wenn das durch die
Beihilfe begünstigte Unternehmen infolge der durch die Beihilfe möglichen
Kosteneinsparungen auf dem Markt anderer Mitgliedstaaten seine Leistungen günstiger
anbieten kann als die dortigen Wettbewerber. Gleiches gilt, wenn das begünstigte
Unternehmen nur im Inland tätig ist, aber auf seinem Heimatmarkt mit Leistungserbringern
aus anderen Mitgliedstaaten konkurriert.
Vgl. Geiger, EGV, 2. Aufl., Art. 92 Rdnr. 16; Rawlinson in Lenz, EGV, 2. Aufl., Art 87 Rdnr.
13.
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An solchen Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel fehlt es, wenn Beihilfen an
kleine und mittlere Unternehmen, z.B. für Dienstleistungen von rein lokaler Bedeutung
gewährt werden, die Auswirkungen der Beihilfe also lokal begrenzt bleiben.
Vgl. Rawlinson in Lenz, a.a.O., Art 87 Rdnr. 14.
Ein kleiner Einzelbetrieb des Frisörhandwerks hat ausschließlich lokale Kundschaft. Der
Betrieb wird seinen Einflussbereich auch nicht auf das Gebiet anderer Mitgliedstaaten
erweitern und dort in Wettbewerb zu nicht subventionierten Frisören treten. Auch die
Möglichkeit, dass ausländische Frisöre im Inland zu dem Einzelfrisör in Konkurrenz treten
und dabei Einbußen infolge von dessen Befreiung von der Ausgleichsabgabe erleiden,
dürfte eher theoretischer Natur sein.
Letztlich kann aber auch die Frage, ob die Befreiung kleiner Betriebe von der
Ausgleichsabgabe zu einer - wenn auch nur noch theoretischen - Beeinträchtigung des
Handels zwischen Mitgliedstaaten führt, offen bleiben. Denn die EU-Kommission hat im
Hinblick auf die häufig nicht mit letzter Sicherheit durchführbare Feststellbarkeit oder
Verneinung von Bagatellauswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel alle
Beihilfen, die bezogen auf ein einzelnes Unternehmen den Betrag von 100.000 ECU
(heute wohl: Euro) innerhalb von drei Jahren nicht übersteigen, sowohl von dem Verbot des
Art. 92 Abs. 1 EGV als auch von der Notifizierungspflicht des Art. 93 Abs. 3 EGV freigestellt.
Vgl. zur Mitteilung der Kommission über ​de minimis"-Beihilfen vom 6. Juni 1996, ABl. 1996
C Nr. 68 S. 9: Rawlinson, in: Lenz, EGV, a.a.O., Art. 87 Rdnr. 14.
Wären die Einzelbetriebe mit weniger als 16 Arbeitsplätzen nicht von der
Beschäftigungspflicht freigestellt, so hätten sie nach der Berechnungsformel des § 5 Abs. 1
SchwbG und der Rundungsregel des § 8 Satz 2 SchwbG höchstens einen Pflichtplatz zu
besetzen (Arbeitgeber mit 8 bis 15 Arbeitsplätzen). Nach § 11 Abs. 2 SchwbG würde sich
eine Ausgleichsabgabe von höchstens 2.400 DM je Unternehmen und Jahr ergeben.
Innerhalb von drei Jahren ergibt sich ein Betrag, der weit unterhalb der Betragsgrenze in
der von der EU-Kommission veröffentlichten ​de-minimis"-Regel liegt. Bei der Ermittlung der
Bagatellgrenze ist entgegen der vom Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung geäußerten Auffassung allein auf das Maß der ​Begünstigung" des
betreffenden Kleinbetriebs abzustellen, nicht dagegen auf die Auswirkungen der Beihilfe
auf die wirtschaftliche Situation eines möglichen Konkurrenten. Denn nach der genannten
Regel kommt es erkennbar allein auf die Höhe der gewährten Beihilfe an."
Hieran hält die Kammer auch für das vorliegende Verfahren fest. Die Klägerin hat neue
Gesichtspunkte oder sonstige Einwände gegen die konkrete Berechnung der Höhe der
rückständigen Beträge (betreffend die ehemalige Frisör L. GmbH D. ) für das Jahr 1991
nicht vorgetragen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, 711 Satz 1
ZPO.