Urteil des VG Münster vom 08.07.2010

VG Münster (bundesamt für migration, deutschland, bundesrepublik deutschland, öffentliche sicherheit, einreise, kosovo, illegale einreise, ausweisung, lebensgemeinschaft, geringfügigkeit)

Verwaltungsgericht Münster, 8 K 1600/08
Datum:
08.07.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 1600/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in
entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
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Die 1990 geborene Klägerin ist Roma aus dem Kosovo. Sie reiste im Januar 2008 als
17-Jährige ohne Visum und Reisepass mit Hilfe eines Schleusers nach Deutschland
ein, um zu ihrer Internet-Bekanntschaft, dem ebenfalls kosovarischen
Staatsangehörigen J. C. , zu gelangen. Herr C. lebt in Borken und ist im Besitz einer bis
Ende 2011 verlängerten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i. V. m. § 104 a
AufenthG. Noch im Januar 2008 wurde die Klägerin von Herrn C. schwanger. Bei ihrer
Befragung vom 12. 3. 2008 durch den Beklagten gab sie an, sie wolle nicht in den
Kosovo zurückkehren, sondern Herrn C. heiraten und hierbleiben. Mit Bescheid vom 9.
6. 2008 wies der Beklagte die Klägerin daraufhin aus der Bundesrepublik Deutschland
aus und drohte ihr die Abschiebung in den Kosovo an. Er führte zur Begründung aus,
die Ausweisung geschehe aus generalpräventiven Gründen. Die Klägerin habe mit der
illegalen Einreise eine vorsätzliche Straftat begangen. Ihre Motivation, aus Liebe zu
ihrer Internet-Bekanntschaft nach Deutschland zu reisen, könne diese Straftat nicht
rechtfertigen; es liege auch kein nur geringfügiger Rechtsverstoß vor. Bei seiner
Ermessensausübung habe er berücksichtigt, dass die Klägerin sich auf keine
schutzwürdigen Bindungen in Deutschland berufen könne, da sie mit Herrn C. die
Lebensgemeinschaft im Kosovo führen könne.
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Hiergegen hat die Klägerin am 8. 7. 2008 Klage erhoben. Sie macht geltend, ihr sei die
Strafbarkeit ihres Verhaltens nicht bewusst gewesen. Die Ausweisung sei
unverhältnismäßig, da der Beklagte nicht genügend berücksichtigt habe, dass sie aus
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Sehnsucht nach ihrem Partner ins Bundesgebiet eingereist sei, inzwischen mit Herrn C.
, der einen sicheren Aufenthalt in Deutschland verfüge, verlobt sei, der weitere
Aufenthalt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht beeinträchtige und die
strafrechtliche Schuld bei unerlaubter Einreise gering sei. Sie sei erst 17 Jahre alt und
blind vor Liebe gewesen.
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. 6. 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
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Am 28. 8. 2008 ist das Kind E. N. geboren worden. Herr C. hat die Vaterschaft
anerkannt; er und die Klägerin üben gemeinsam das Sorgerecht aus. Für E. ist ein
Asylantrag gestellt worden, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit
Bescheid vom 3. 5. 2010 abgelehnt hat. Die Ablehnung ist bestandskräftig geworden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 9. 6. 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die mit Bescheid vom 9. 6. 2008 vom Beklagten verfügte Ermessensausweisung aus
generalpräventiven Gründen ist rechtmäßig. Der Tatbestand des § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr.
2 1. Fall AufenthG ist erfüllt. Danach kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften
begangen hat. Der Verstoß der Klägerin gegen die Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG war zwar vereinzelt, aber nicht geringfügig, da nach ständiger
Rechtsprechung ein vorsätzlicher Rechtsverstoß grundsätzlich nicht geringfügig sein
kann.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. 11. 2004 - 1 C 23.03 -, juris, Rdn. 22.
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Vorsatz kann bei der illegalen Einreise der Klägerin nicht verneint werden; dass sie
glaubte, die Einreise mit Hilfe eines Schleusers sei die rechtmäßige Form der Einreise,
ist völlig unglaubhaft.
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Ein Fall, bei dem ausnahmsweise ein vorsätzlicher Rechtsverstoß dennoch geringfügig
ist,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 24. 9. 1996 - 1 C 9.94 -, juris, Rdn. 21,
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liegt hier bei einer illegalen Einreise, gleich aus welchen Motiven, nicht vor. Dass die
Klägerin blind vor Liebe war, mag zwar bei der Strafzumessung in einem möglichen
Strafverfahren Berücksichtigung finden, hat aber keinen Einfluss auf die
ausländerrechtlich zu beurteilende Geringfügigkeit des Rechtsverstoßes. Ebenso
unerheblich ist dafür, dass die Klägerin als 17-Jährige eingereist ist. Ferner ist nicht von
Belang, ob aufgrund der Strafanzeige des Beklagten noch ein Strafverfahren gegen die
Klägerin anhängig ist oder dieses möglicherweise wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO)
eingestellt wurde oder werden wird. Der Begriff der Geringfügigkeit hat im
Ausländerrecht nicht denselben Inhalt wie im Strafverfahrensrecht. Ausländerrechtlich
kann die Geringfügigkeit eines bestimmten Verhaltens durchaus zu verneinen sein,
wenn sie strafverfahrensrechtlich noch zu bejahen ist, denn ausländerrechtliche
Sanktionen sind, da sie kein oder doch ein deutlich schwächeres Unwerturteil über die
betreffende Person enthalten, an weniger strenge Voraussetzungen geknüpft als eine
Bestrafung.
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Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 6. 3. 2002 - 3 Bf 205/01 -, juris, Rdn. 2.
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Die Ausweisung ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Beklagte sie allein auf
generalpräventive Gründe gestützt hat. Eine in dieser Weise motivierte Ausweisung ist
bei einer den konkreten Einzelfall berücksichtigenden Ermessensausübung
grundsätzlich zulässig.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. 8. 2007 - 2 BvR 535/06 - juris, Rdn. 23; BVerwG, Urteil
vom 31. 8. 2004 - 1 C 25.03 -, juris, Rdn. 17.
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Es dient der Beachtung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen, wenn den unerlaubt
eingereisten Ausländern durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis vor Augen
geführt wird, dass ihr Verhalten ihnen Nachteile bringt und dass sie insbesondere bis
auf weiteres von der Möglichkeit einer erneuten - legalen - Einreise ausgeschlossen
sind.
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Die Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat er
die bei einer allein aus generalpräventiven Gründen verfügten Ausweisung erforderliche
umfassende Würdigung der Umstände der Straftat sowie der persönlichen Verhältnisse,
d. h. der privaten Bindungen und Interessen der Klägerin,
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vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Beschluss vom 10. 8. 2007 - 2 BvR 535/06 - juris,
Rdn. 24,
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in rechtlich nicht zu beanstandender Weise vorgenommen. Die von der Klägerin
angeführten Aspekte sind in die Ermessensentscheidung eingeflossen. Damit greift
auch ihr Einwand, die Ausweisung sei wegen Nichtberücksichtigung der besonderen
Tatumstände und ihrer persönlichen Verhältnisse unverhältnismäßig, nicht durch. Das
Motiv für die illegale Einreise der Klägerin (Reise zur Internet-Bekanntschaft) kann den
Verstoß gegen die Einreisevorschriften nicht relativieren. Es bleibt bei einer Vorsatztat,
da die Klägerin sich bewusst über die Einreisevorschriften hinweggesetzt hat.
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Die Klägerin verfügt in Deutschland über keine wirtschaftlichen Bindungen. Sie arbeitet
nicht, sondern wird finanziell von der Familie ihres Lebensgefährten, Herrn C. ,
unterstützt. Ihre persönlichen Bindungen sind nicht an den zwingenden Verbleib in der
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Bundesrepublik geknüpft. Ihre einzigen sozialen Bindungen in Deutschland sind Herr C.
, mit dem sie bisher noch nicht verheiratet, sondern nach eigenen Angaben nur verlobt
ist, und ihr gemeinsamer Sohn E. , der am 28. 8. 2008 geboren wurde. Beide besitzen
nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Herr C. lebt in Deutschland mit einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 104 a AufenthG, die der
Beklagte inzwischen bis zum 31. 12. 2011 verlängert hat. Dieses Aufenthaltsrecht
hindert ihn jedoch nicht, freiwillig mit der Klägerin und dem gemeinsamen Kind in den
Kosovo zurückzukehren, um die familiäre Lebensgemeinschaft dort fortzuführen. Es ist
auch heute noch weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass ihm aufgrund
bestehender intensiver Bindungen an Deutschland ein freiwilliges Verlassen des
Bundesgebiets zusammen mit der Klägerin und dem gemeinsamen Sohn unzumutbar
wäre. Bindungen wegen eines Arbeitsplatzes bestehen nicht. Nach den Angaben des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat Herr C. bisher nur seine Ausbildung beendet,
wird aber nicht vom Betrieb übernommen. Für eine Verwurzelung von Herrn C. in
Deutschland ist weiter nichts Substantiiertes vorgetragen worden. Herr C. hat sich
zudem jahrelang nur geduldet und damit unrechtmäßig in Deutschland aufgehalten.
Sollte er bei der Eingliederung im Kosovo Hilfe benötigen, kann die Klägerin ihn
unterstützen, da sie fast ihr gesamtes Leben im Kosovo verbracht hat.
Die Ausweisung der Klägerin gefährdet auch nicht die familiäre Lebensgemeinschaft mit
dem gemeinsamen Sohn E. . Dieser kann ebenfalls freiwillig mit der Klägerin und Herrn
C. ausreisen. Er ist nach inzwischen bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrags
durch Bescheid vom 3. 5. 2010 ebenso wie die Klägerin vollziehbar ausreisepflichtig
und wird derzeit geduldet. Der Beklagte hat zudem ohne Rechtsfehler mit Schreiben
vom 18. 5. 2010 festgestellt, dass E. keinen Anspruch auf die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis hat. Da die Klägerin selbst Asylgründe verneint und keinen
Asylantrag gestellt hat, spricht nichts gegen die (freiwillige) Führung der familiären
Lebensgemeinschaft im Kosovo.
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Die Abschiebungsandrohung rechtfertigt sich aus § 59 AufenthG und ist rechtlich nicht
zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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