Urteil des VG Münster vom 06.11.2002

VG Münster: aufschiebende wirkung, privates interesse, öffentliches interesse, ruhe, verfügung, vollziehung, gewalt, erlass, ermessensfehler, hotel

Verwaltungsgericht Münster, 1 L 1685/02
Datum:
06.11.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 1685/02
Tenor:
1. Frau N. M., in F., wird beigeladen.
2. Der Antrag wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
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I. Die Beiladung der Frau M. folgt aus § 65 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende, sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung eines noch einzulegenden Widerspruchs gegen die
Anordnung des Antragsgegners vom 03. November 2002 in der Fassung des
Bescheides vom 05. November 2002 anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Mit Blick darauf, dass die angegriffene Verfügung als unaufschiebbare Anordnung bzw.
Maßnahme der Polizei einzuordnen ist, kann die gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO
entfallene aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs dann nach § 80 Abs. 5 VwGO
vom Verwaltungsgericht angeordnet werden, wenn der angegriffene Verwaltungsakt
offensichtlich rechtswidrig ist und demnach ein öffentliches Interesse an seiner
sofortigen Vollziehung nicht bestehen kann oder wenn - bei noch offener Rechtslage -
das private Interesse des Betroffenen daran, von der (weiteren) Vollziehung vorerst
verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Hiervon
ausgehend kann dem Begehren des Antragstellers nicht entsprochen werden, weil die
angegriffene Verfügung beim derzeitigen Kenntnisstand des Gerichts offensichtlich
rechtmäßig ist und deshalb ein das öffentliche Interesse am Sofortvollzug
überwiegendes privates Interesse nicht besteht.
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Gem. § 34 a Abs. 1 S. 1 Polizeigesetz NRW (PolG NW) in der am 01. Januar 2002 in
Kraft getretenen Fassung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 18. Dezember 2001 (GV.
NRW. S. 870) kann die Polizei eine Person zur Abwehr einer von ihr ausgehenden
gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer
Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbaren
Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen.
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Zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar
2002 - 5 B 278/02 -.
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Die Voraussetzungen dieser gesetzlichen Ermächtigung liegen vor. Der Antragsteller
hat am 03. November 2002 seine Lebensgefährtin, die Beigeladene, mehrfach mit der
geballten Faust in ihr Gesicht geschlagen, gewürgt und die am Boden Liegende
getreten. Die Beigeladene klagte über Schmerzen im Gesichts- und Bauchbereich. Die
Polizeibeamten stellten eine deutliche Schwellung der gesamten linken Gesichtshälfte
fest. Dies ergibt sich aus den Feststellungen der Polizei, die in der Strafanzeige Nr. 123
vom 03. November 2002 niedergelegt sind. Die entgegenstehende Bekundung der
Beigeladenen gegenüber der Polizei vom 04. November 2002 ist zur Überzeugung des
Gerichts unglaubwürdig. Der Angabe der Beigeladenen, sie sei von dem Antragsteller
nie geschlagen worden, widersprechen schon die Feststellungen der Polizei zu der
deutlichen Schwellung der gesamten linken Gesichtshälfte und zu den Schmerzen im
Gesichts- und Bauchbereich. Die Angabe der Beigeladenen, der Antragsteller habe sie
nur „geschubst", ist offensichtlich verharmlosend und unzutreffend.
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Ermessensfehler des Antragsgegners beim Erlass seiner Anordnung sind nicht
ersichtlich. Insbesondere sind die Anordnungen des Antragsgegners nicht deswegen
unverhältnismäßig, weil die durch die Gewalthandlungen betroffene Beigeladene mit
ihrer Erklärung vom 04. November 2002 beantragt hat, das Rückkehrverbot aufzuheben,
und angeben hat, sich mit dem Antragsteller wieder vertragen zu haben. Die auf die
befristete Dauer angelegte Wohnungsverweisung soll es den Opfern häuslicher Gewalt
ermöglichen, sich in Ruhe und insbesondere ohne weitere Gewalttätigkeiten oder
Bedrohungen Klarheit über ihre persönliche Lebenssituation und das weitere Vorgehen
zu verschaffen sowie ferner zu überlegen, die Unterstützung welcher Behörden oder
sonstiger Hilfsorganisationen in Anspruch genommen werden soll. Gerade in
sogenannten stabilen Gewaltbeziehungen ist daher ein auf eine vorzeitige Aufhebung
der getroffenen Maßnahmen gerichteter Wille der gefährdeten Person unbeachtlich.
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Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs zu § 34 a PolG NW, Landtagsdrucksache
13/1525, Seiten 17 und 18.
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Angesichts der danach zu Grunde zu legenden objektiven Gefährdungslage, wie sie
durch die notwendig gewordenen Einsätze der Polizei (03:45 Uhr und 06:05 Uhr) belegt
werden, kommt es bei der rechtlichen Bewertung durch die Kammer auf die subjektive
Einschätzung der Beigeladenen nicht an. Frau M. wird in der vorgesehen Frist
Gelegenheit haben, entsprechend der Wertung des Gesetzgebers in Ruhe und ohne
Einflussnahme des Antragstellers ihre Lebenssituation zu überdenken und
gegebenenfalls Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.
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Die vom Antragsteller angeführten Gründe, die seine vorübergehende Unterkunft bei
seiner Mutter ausschließen sollen, führen zu keiner anderen Entscheidung. Das Gericht
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kann schon nicht feststellen, dass der Antragsteller keine andere Unterkunft erhalten
kann. Insoweit kommt in Betracht, dass der Antragsteller sich an Freunde, Bekannte
oder andere Verwandte wenden kann. Sollten solche Personen nicht bestehen oder
sollten diese Personen den Antragsteller - selbst gegen ein Entgelt - nicht
vorübergehend aufnehmen wollen, ist eine vorübergehende Unterkunft in einer Pension
oder in einem Hotel nicht ausgeschlossen und unter Mitberücksichtigung des
Vorverhaltens des Antragstellers auch zumutbar. Entgegenstehende Angaben hat der
Antragsteller sowohl gegenüber dem Antragsgegner als auch auf der
Rechtsantragsstelle des Gerichts nicht gemacht. Im Übrigen dürften die vom
Antragsteller angeführten Gründe im Verhältnis zu der objektiven Gefährdungslage nicht
derart überwiegen, dass die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes dem Sinn und
Zweck des Gesetzes widersprächen und zu einer Unverhältnismäßigkeit der
Anordnungen des Antragsgegners führen könnten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG. Angesichts der Vorläufigkeit des
Rechtsschutzverfahrens legt das Gericht die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts
zu Grunde.
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