Urteil des VG Münster vom 19.03.2010

VG Münster (kläger, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, umweltverträglichkeitsprüfung, bundesrepublik deutschland, genehmigung, uvp, genehmigungsverfahren, richtlinie, vorprüfung, wohnhaus)

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 2231/08
Datum:
19.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2231/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit geleistet hat.
T a t b e s t a n d :
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Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte
immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur wesentlichen Änderung von 7
Windenergieanlagen (WEA).
2
Die Kläger sind Eigentümer der im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gelegenen
landwirtschaftlichen Hofstelle B. 8 in T. -B1. . Das Grundstück der Kläger ist u.a. mit
einem Wohnhaus und einem Altenteilerhaus gebaut. Es liegt nördlich des im
Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Münsterland dargestellten
Windeignungsbereich WAF 11 und der im Flächennutzungsplan der Stadt T.
ausgewiesenen Windvorrangzone.
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In den Jahren 2003 und 2004 erteilte der Landrat des Kreises X. verschiedenen
Bauherren Baugenehmigungen für die Errichtung von WEA im Windeignungsbereich
WAF 11. Gegen die Baugenehmigung für eine der WEA erhoben die Kläger Klage vor
dem erkennenden Gericht (10 K 671/06), die sie unter dem 8. November 2007
zurücknahmen.
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Unter den 21. Dezember 2005 beantragte die Beigeladene die Erteilung
immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen für die Errichtung und den Betrieb von 7
WEA des Typs Enercon E-70 E 4 mit einer Nennleistung von 2.000 kW an den
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Standorten, für die bereits zuvor Baugenehmigungen für vergleichbar dimensionierte
Anlagen erteilt worden waren.
Im Rahmen einer Vorprüfung (vgl. § 3 c UVPG) gelangte die Beklagte im Anschluss an
die entsprechende Prüfung der Baugenehmigungsbehörde aus dem Jahr 2003 zu der
Auffassung, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich sei. Diese
Entscheidung wurde am 26. Juni 2006 bekannt gemacht.
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Unter dem 5. Juli 2996 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur wesentlichen Änderung von 7 WEA.
Danach sollen die Anlagen 1 bis 3 eine Gesamthöhe von 133,70 m sowie die Anlagen 4
bis 7 eine Gesamthöhe von 120,50 m aufweisen. Die dem alten Wohnhaus der Kläger
nächstgelegene Anlage soll in einem Abstand von etwa 830 m errichtet werden. Mit
Änderungsbescheid vom 27. September 2006 berichtigte die Beklagte redaktionelle
Fehler des Bescheid vom 5. Juli 2006.
7
Am 14. August 2006 erhoben die Kläger gegen die immissionsschutzrechtliche
Genehmigung Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9.
September 2008 als unbegründet zurückwies.
8
Mit Beschluss vom 19. Januar 2007 lehnte das Gericht einen Antrag der Kläger auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs ab (10 L 891/06).
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Am 9. Oktober 2008 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung
tragen sie vor: Ihre Rechte seien im Genehmigungsverfahren in keiner Form
ausreichend berücksichtigt worden. Es werde insbesondere gerügt, dass für die
Errichtung des gesamten Windparks auf die Prüfung der Umweltverträglichkeit
verzichtet worden sei. Selbst die Erhöhung der Anlagen, die Änderung der Nabenhöhe
und des Rotordurchmessers sowie die Erhöhung der Leistung hätten nicht dazu geführt,
dass für den gesamten Windpark, der mittlerweile aus 20 WEA bestehe, eine
Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sei. Desweiteren monierten sie eine
Belastung durch Lärm und Schattenschlag. Die Hofstelle der Kläger sei weder im
Rahmen des schalltechnischen Gutachtens als Immissionspunkt erfasst worden noch im
Rahmen des Schattenwurfgutachtens ausreichend berücksichtigt worden.
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Die Kläger beantragen,
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den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 5. Juli
2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 9. September
2008 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen. Sie trägt vor: Die angefochtene Genehmigung verletze die
Kläger nicht in ihren Rechten. Dem Verfahren vorausgegangen seien bereits in den
Jahren 2002 und 2003 baurechtliche Genehmigungsverfahren. Sämtliche WEA, die im
vorliegenden Verfahren geändert werden sollten, seien bestandskräftig baurechtlich
genehmigt. In diesen Baugenehmigungsverfahren seien standortbezogene
Vorprüfungen des Einzelfalls durch den Kreis X. durchgeführt worden. Die im Jahr 2006
genehmigten Änderungen seien in Bezug auf die Umweltauswirkungen geringfügig. Der
neu genehmigte Anlagentyp stelle die technische Optimierung des zuvor
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baugenehmigten Anlagentyps dar. Verändert seien die Nennleistung, die Nabenhöhe
und der Rotordurchmesser. Die Gesamthöhe bleibe fast gleich (Unterschied 0,5 m bei
einer Gesamthöhe von 120 m). Bei der überschlägigen Prüfung nach § 3 c Satz 1 UVPG
habe sich daher ergeben, dass die beantragte Änderung keine erheblichen
Umweltauswirkungen hervorrufen könne. Diese Einschätzung werde auch von den
beteiligten Fachbehörden geteilt. Die Durchführung eines förmlichen
Genehmigungsverfahrens sei daher nicht erforderlich gewesen. Selbst wenn diese
Einschätzung nicht korrekt wäre, so ergäbe sich daraus jedoch kein Recht, das die
Kläger geltend machen könnten. Das Abwehrrecht eines Nachbarn sei nur gegeben,
wenn eine materiell-rechtliche Rechtsverletzung des Nachbarn vorliege. Die
Umweltverträglichkeitsprüfung sei ein unselbständiger Teil des
verwaltungsbehördlichen Verfahrens, sie reichere dieses nicht um materiell-rechtliche
Vorgaben an. Die Kläger würden nicht unzumutbar durch Schattenwurf beeinträchtigt.
Im Genehmigungsverfahren sei eine Schattenwurfprognose erstellt worden. Das
Wohnhaus der Kläger werde danach von Schattenwurf betroffen. Allerdings bleibe
dieser unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze von 30 Minuten pro Tag.
Die Beigeladene beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor: Die Notwendigkeit zur Vergabe von Immissionspunkten
für das Anwesen der Kläger in den Schall- und Schattenprognosen habe nicht
bestanden.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten folgende Erklärung
abgegeben:
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"Die in Ziffer IV 3.7 des Genehmigungsbescheides vom 5. Juli 2006 angeordnete
Minimierung des Schattenwurfs gegen Null gilt auch für das Wohnhaus der Kläger des
Verfahrens 10 K 2231/08 einschließlich der zugehörigen Altenteilerstelle. Wir sichern
hiermit zu, die genauen Koordinaten der genannten Gebäude zu ermitteln; damit können
die Abschaltautomatiken der in Rede stehenden Windenergieanlagen programmiert
werden."
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Die Beigeladene hat sich mit der Ergänzung des Genehmigungsbescheides
einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Kläger werden durch den
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 5. Juli 2006 in
der Fassung des Änderungsbescheides vom 27. September 2006, des Teilverzichts der
Beigeladenen vom 26. Juni 2007 sowie der Ergänzung vom heutigen Tage und durch
den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 3. Februar 2009 nicht rechtswidrig in
ihren Rechten verletzt im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur wesentlichen
Änderung von 7 WEA in der Windfarm T. verstößt zu Lasten der Kläger weder gegen
Verfahrensvorschriften noch gegen materiell-rechtliche Vorschriften.
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Die Genehmigung leidet nicht an einem Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, die auch
dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt sind, und deshalb zu einem
Aufhebungsanspruch der Kläger führen können. Die Kläger können keine Rechte
daraus herleiten, dass die Beklagte im Genehmigungsverfahren von der Durchführung
einer Umweltverträglichkeitsprüfung und demzufolge von der Durchführung eines
förmlichen Genehmigungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 4 Abs. 1 Satz 3
BImSchG Nr. 1.6 des Anhangs zur 4. BImSchV, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c der 4.
BImSchV, § 10 BImSchG) abgesehen hat. Die Beklagte hat im
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren eine gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1
UVPG i.V.m. Nr. 1.6 der Anlage 1 erforderliche allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls
durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gelangt, keine Umweltverträglichkeitsprüfung
durchführen zu müssen, da das Vorhaben nach ihrer Einschätzung auf Grund
überschlägiger Prüfung unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 aufgeführten
Kriterien keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben könne, die nach §
12 UVPG zu berücksichtigen wären. Ob sich die Beklagte mit dieser Entscheidung
innerhalb des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums gehalten hat, bedarf keiner
Entscheidung, denn auf eine etwaige Verletzung der Vorschriften über die
Umweltverträglichkeitsprüfung können sich die Kläger nicht berufen.
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Eine Verletzung in eigenen Rechten durch die Nichtdurchführung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung ergibt sich für die Kläger weder aus den Bestimmungen
des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) noch aus Art. 10 a der UVP-Richtline
(Richtlinie 85/337/EWG, geändert durch die Richtlinie 2003/35/EG).
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Nach § 4 Abs. 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit
eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden, wenn u.a. eine
nach den Bestimmungen des UVPG erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt
worden und nicht nachgeholt worden ist. Diese Voraussetzungen für eine Aufhebung
der Genehmigung liegen nicht vor. Die Beklagte hat eine allgemeine Vorprüfung des
Einzelfalls gemäß § 3 c UVPG vorgenommen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die
Vorprüfung insgesamt überzeugend ist,
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vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 7 K 4058/08 -.
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Auch aus Art. 10 a der UVP-Richtlinie lässt sich kein genereller drittschützender
Charakter der UVP-Vorschriften ableiten. Die Vorschrift räumt den Mitgliedstaaten zwei
Alternativen ein, um Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem
Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher
Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle zu verschaffen.
Danach ist Zugangsvoraussetzung zu einem Überprüfungsverfahren ein ausreichendes
Interesse oder alternativ eine Rechtsverletzung. Nach Art. 10 a Abs. 4 Satz 1 der UVP-
Richtlinie bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen
Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, was als ausreichendes
Interesse und als Rechtsverletzung gilt. Danach haben die Mitgliedstaaten zwei
Möglichkeiten bei der Umsetzung dieser Richtlinie: Sie können den
Individualrechtsschutz davon abhängig machen, dass ein ausreichendes Interesse des
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Rechtsschutzsuchenden besteht. Sie können aber auch dem in Deutschland
herkömmlichen Modell des Individualrechtsschutzes folgen. Für die Bundesrepublik
Deutschland folgt daher aus Art. 10 a der UVP-Richtlinie nicht die Notwendigkeit, ihr
herkömmliches Rechtsschutzsystem zu ändern, das den Zugang zum Gericht von der
Geltendmachung der Verletzung eigener materieller Rechte abhängig macht,
vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Oktober 2008 - 1 A 11330/07 -, DVBl. 2009,
390; VG Arnsberg, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 7 K 4058/08 -.
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Können sich die Kläger somit auf eine etwaige Nichteinhaltung der Vorschriften über die
Umweltverträglichkeitsprüfung nicht berufen, gilt das gleiche hinsichtlich der
Vorschriften über ein förmliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung.
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Die Kläger werden durch die angefochtene Genehmigung auch nicht in ihren subjektiv-
öffentlichen Rechten verletzt.
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Der Betrieb der genehmigten WEA führt für die Kläger nicht zu schädlichen
Umwelteinwirkungen durch unzumutbare Lärmimmissionen. Eine insoweit allenfalls
näher in Betracht zu ziehende Überschreitung des maßgeblichen
Nachtimmissionsrichtwertes von 45 dB(A) kann sowohl für das alte Wohnhaus der
Kläger als auch für das Altenteilerhaus aufgrund der in den Schallprognosen
enthaltenen Pläne, die die Schallausbreitung weitergeben, ausgeschlossen werden.
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Die Kläger haben auch keine Beeinträchtigung durch von den Anlagen verursachten
Schattenwurf zu befürchten. Durch die Ergänzung des Genehmigungsbescheides vom
heutigen Tage ist sichergestellt, dass die Anlagen hinsichtlich der Wohngebäude der
Kläger mit Abschaltautomatiken versehen werden, mit der der Schattenwurf gegen Null
reduziert wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 159, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §
167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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