Urteil des VG Münster vom 11.07.2002

VG Münster: entschädigung, verfassungskonforme auslegung, einkünfte, haushalt, verdienstausfall, rente, beitrag, familie, unterhalt, gemeindeordnung

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 2687/00
Datum:
11.07.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2687/00
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten zu 1. vom 03. April 2000 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2000 werden aufgehoben.
Die Beklagte zu 2. wird verurteilt, an den Kläger 5.128,26 EUR nebst 4
% Zinsen seit dem 20. August 2000 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Entschädigung nach § 45 Abs. 2 Satz 2
Nr. 3 Gemeindeordnung NRW für die Zeit von 1998 bis 2000.
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Der Kläger war als Mitglied des Rates der Beklagten zu 2. und als ehrenamtlicher
Bürgermeister der Beklagten zu 2. in der Zeit von Januar 1998 bis zum 20. Juni 2000 (u.
a.) mit einem Zeitaufwand von 501 ½ Stunden tätig. Ein finanzieller Nachteil entstand
dem Kläger nicht durch den mandatsbedingten Zeitaufwand.
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Der Kläger erzielt seit 1993 Versorgungsbezüge aus einem Dienstverhältnis als
Berufssoldat. Er führte den Familienhaushalt, dem damals neben ihm seine berufstätige
Ehefrau und die drei gemeinsamen Söhne angehörten. Einer sonstigen (Erwerbs-
)Tätigkeit ging der Kläger in dem streitigen Zeitraum nicht nach.
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Im Dezember 1999 beantragte der Kläger wegen seiner Tätigkeit als Ratsmitglied und
Bürgermeister die Gewährung einer sog. "Hausfrauenentschädigung". Mit Bescheid
vom 03. April 2000 lehnte der Beklagte zu 1. den Antrag ab. Den dagegen erhobenen
Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zu 1. mit Widerspruchsbescheid vom 31.
Juli 2000 zurück.
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Der Kläger hat am 30. August 2000 Klage erhoben.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten zu 1. vom 3. April 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte zu 2. zu
verpflichten, ihm 5.128,26 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 30. August 2000 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tragen vor,
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der Gewährung der Entschädigung stehe der Ausschlusstatbestand des § 45 Abs. 2
Satz 1, 2. Halbsatz GO NRW entgegen. Diese Regelung sei auch im vorliegenden Fall
anzuwenden. Die Entschädigung nach § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GO NRW sei ein Unterfall
der Verdienstausfallentschädigung nach Satz 1 der Vorschrift sei. Die Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts NRW vom 26. September 1996 - 15 A 2733/93 - stehe nicht
entgegen, weil sie zu § 30 GO NRW a. F. ergangen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der begehrten
Geldleistung nach § 45 Abs. 2 GO NRW nebst Zinsen. Die der Zahlung
entgegenstehenden ablehnenden Bescheide des Beklagten zu 1. sind deshalb
rechtswidrig und aufzuheben.
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Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 GO NRW liegen vor. Der
Kläger führte einen Haushalt mit mehr als zwei Personen. Er war von seinem Haushalt
mandatsbedingt 501 ½ Stunden abwesend. Er war in der Zeit von Januar 1998 bis zum
20. Juni 2000 n i c h t e r w e r b s t ä t i g . Die in dem streitigen Zeitraum gezahlten
Versorgungsbezüge begründen - ebenso wie Einkünfte aus Unterhaltsleistungen eines
Ehepartners oder Verwandten, aus einer Rente oder einer Kapitalanlage - keinen
Anhaltspunkt, aus dem auf eine gleichzeitige Erwerbstätigkeit geschlossen werden
kann. Mit der 1993 erfolgten Versetzung des Klägers in den Ruhestand endete die
damalige hauptberufliche Tätigkeit des Klägers als Soldat. Eine Verknüpfung der
zwischen 1998 und 2000 erzielten Einkünfte mit einer während dieser Zeit ausgeübten
beruflichen Tätigkeit zum Erwerb dieser Einkünfte ist damit in keiner Weise ersichtlich.
Dass der Kläger im streitigen Zeitraum nicht erwerbstätig war, wird von den Beklagte
auch nicht bestritten.
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War der Kläger in dem streitigen Zeitraum nicht erwerbstätig, steht einem Anspruch des
Klägers nicht der Ausschlusstatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz GO NRW
entgegen. Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes liegen dann jedenfalls
nicht vor. Der von der Regelung des § 45 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz GO NRW erfasste
Anspruch auf E r s a t z eines V e r d i e n s t a u s f a l l s wird von dem Kläger nicht
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geltend gemacht. Ein Verdienstausfall ist nicht mandatsbedingt entstanden, wenn der
Kläger nicht erwerbstätig war.
Auf die in § 45 Abs. 2 Satz 2 GO NRW geregelten Fälle ist Satz 1 der Vorschrift
jedenfalls für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht anwendbar.
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Die der Rechtsauffassung der Beklagten zur (Nicht-)Anwendbarkeit der
Ausschlussklausel des § 45 Abs. 2 Satz 1 GO NRW vorausgesetzte Tatsachenlage
besteht schon nicht. Die Beklagten machen geltend, dass d e r wesentliche Beitrag des
Klägers zum Unterhalt seiner Familie in der finanziellen Sicherung des
Familieneinkommens durch die Versorgungsbezüge bestehe. Dies trifft nicht zu. Wenn
die Beklagten darlegen, bei "Personen, die eine Pension oder Rente für eine
Vollerwerbstätigkeit erhalten, dürfte der wesentliche Beitrag ... die finanzielle Sicherung
des Familieneinkommens sein", beschreiben sie nicht den hier vorliegenden
Sachverhalt. Die Ehefrau des Klägers war mit voller Arbeitskraft berufstätig. Nach den
von den Beklagten nicht bestrittenen Klagevorbringen trug der Kläger sowohl mit seinen
Versorgungsbezügen als auch mit der Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu dem
Familienunterhalt bei. Die Arbeitsleistung des Klägers war damit nicht untergeordnet.
Die verschiedenen Unterhaltsleistungen des Klägers dürften bei einer wirtschaftlichen
Betrachtungsweise zumindest gleichwertig sein (vgl. z. B. zur entsprechenden
Bewertung von Haushaltsführung und Kinderbetreuung einerseits und Erwerbstätigkeit
und Geldunterhalt andererseits im Verhältnis von zwei Ehepartnern zueinander BGH,
Urteil vom 13. Juni 2001 - XII ZR 343/99 -, BGHZ 148 S. 105 = NJW 2001 S. 2254),
wenn nicht sogar auf der Grundlage anderer Kriterien die Führung eines Haushalts mit
fünf Personen, von denen drei Personen als Sorgeberechtigte zu betreuen sind, höher
zu bewerten ist als der finanzielle Beitrag des Klägers, wenn ebenfalls seine Ehefrau
erheblich zu dem finanziellen Unterhalt beitrug.
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Dass auf die in § 45 Abs. 2 Satz 2 GO NRW geregelten Fälle Satz 1 der Vorschrift nicht
anwendbar ist, ergibt sich nach der Rechtsauffassung des Gerichts aber auch durch
Auslegung der gesetzlichen Vorschriften.
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Der Satz 2 der Vorschrift betrifft schon nach seinem Wortlaut nicht einen E r s a t z des
Verdienstausfalls, sondern eine E n t s c h ä d i g u n g . Der Wortlaut der Vorschriften
spricht damit schon gegen die Rechtsauffassung der Beklagten, dass mit Satz 2 ein
Unterfall des Ersatzes von Verdienstausfall geregelt sei.
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Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift besteht der Anspruch auf Entschädigung auch
"darüber hinaus" und damit gerade unabhängig von den Voraussetzungen des § 45
Abs. 2 Satz 1 GO NRW. Selbst wenn die von Satz 2 der Vorschrift erfaßten Fälle
dogmatisch als "Unterfall" von Satz 1 aufzufassen wären, hätte der Gesetzgeber mit
seiner Wortwahl damit deutlich gemacht, dass für diese "Unterfälle" eine
Spezialregelung gelten soll, die nach üblichen Gesetzeskonkurrenzregeln die
Anwendbarkeit einer entgegenstehenden generellen Gesetzesregel ausschließen. Das
gesetzliche Tatbestandsmerkmal "darüber hinaus" bezieht sich eindeutig auf die
Regelungen des Satzes 1 der Norm, so dass die Voraussetzungen des Satzes 1
unbeachtlich sind, wenn - alternativ - die Voraussetzungen des Satzes 2 der Vorschrift
vorliegen.
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Das Tatbestandsmerkmal setzt nicht voraus, dass - neben der Entschädigung - ein auch
nur geringer Betrag als Ersatz von Verdienstausfall zu zahlen ist. Entgegen den
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Darlegungen der Beklagten aus der Klageerwiderung vom 06. Oktober 2000 soll n i c h t
nur eine " h ö h e r e " Erstattung, sondern in den Fällen der Nichterwerbstätigkeit auch
bei nicht bestehendem Ersatzanspruch ein höherer Betrag als 0,00 EUR gezahlt
werden. Wenn der Entschädigungsanspruch gleichzeitig das Bestehen eines
Erstattungsanspruchs in noch so geringer Höhe voraussetzen würde, wäre der vom
Gesetzgeber mit § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 GO NRW vorgesehene Fall einer
Entschädigung für einen Mandatsträger, der überhaupt nicht erwerbstätig ist,
widersinnig. In diesen Fällen besteht offensichtlich kein Erstattungsanspruch, so dass
der gesetzlich geregelte Fall einer sog. "Hausfrauenentschädigung" auf der Grundlage
der Rechtsauffassung der Beklagten bei nicht erwerbstätigen Mandatsträgern in jedem
Fall nicht zum Zuge kommen würde.
Eine andere Wertung ist auch nach der vom Gesetzgeber vorausgesetzten
Interessenlage nicht möglich, weil die von § 45 Abs. 2 Satz 2 GO NRW erfaßten
Situationen im Regelfall gerade für die Fälle geschaffen wurden, in denen kein
mandatsbedingter Verdienstausfall entsteht. Insoweit nimmt das Gericht zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug auf die Gründe des den Beteiligten bekannten Urteils des
Oberverwaltungsgerichts NRW vom 26. September 1996 - 15 A 2733/93 -.
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Aus der Gesetzeshistorie sind dem Gericht keine Anhaltspunkte ersichtlich, die für die
von den Beklagten vertretenen Rechtsauffassung sprechen könnten (vgl. dazu z. B. LT-
Drucksache 11/4983. S. 12 der Begründung zu § 30 b des Entwurfs).
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Die von den Beklagten angeführte Kommentierung in Rehn/Cronauge/von Lennep,
Gemeindeordnung NRW, Anmerkung II. 2 zu § 45 führt nach Auffassung des Gerichts zu
keinem anderen Ergebnis. Die dort am Schluß der Anmerkung angeführte Auffassung,
dass der b l o ß e Übergang in den Ruhestand keinen Anspruch auf Zahlung der sog.
"Hausfrauenentschädigung" begründe, ist sicher zutreffend. Ein solcher Fall liegt hier
jedoch nicht vor. Der Kläger ist nicht bloß in den Ruhestand getreten. Nach den
unbestrittenen Darlegungen des Klägers trug er in seiner Familie durch ganztätige
Arbeitsleistungen zum Familienunterhalt bei. Der Zweck der Vorschrift bietet nach
Auffassung des Gerichts keinen Anhaltspunkt, in Bezug auf eine einen Haushalt
führenden Person wegen eines Einkommens- "surrogats" den Regelungsbereich der
Norm teleologisch zu reduzieren.
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Eine solche teleologische Reduktion dürfte auch wegen der Pflicht zur
Gleichbehandlung nicht möglich sein. Eine verfassungskonforme Auslegung der
Vorschrift erfordert nach Auffassung des Gerichts auf der Basis der einfachrechtlichen
Vorgaben gerade die Zahlungspflicht. Die Zahlung der Entschädigung nach § 45 Abs. 2
S. 2 Nr. 3 GO NRW für Mandatsträger, die einen Haushalt von mindestens zwei
Personen führen, knüpft nach der gesetzgeberischen (Regelfall-)Wertung nicht an einen
finanziellen Nachteil an. In dem vom Gesetzgeber umschriebenen Regelfall einer sog.
"Hausfrauenentschädigung" besteht infolge der nicht vorliegenden Erwerbstätigkeit kein
mandatsbedingter finanzieller Nachteil. Wie die unterschiedliche Wortwahl von
Erstattung einerseits und Entschädigung andererseits und die
Tatbestandsvoraussetzungen der sog. "Hausfrauenentschädigung" zeigen, beinhaltet
die Entschädigung in der Sache keinen Aufwendungsersatz im engeren Sinn. Dem
Gericht ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum einem Haushaltsführenden, der für
Haushalt und Mandat den gleichen Arbeitsaufwand aufwenden muss, keine
Entschädigung gezahlt werden soll, weil er zwar anderweitige Einkünfte erzielt, aber
ebenso wie der angenommene Regelfall keinen finanziellen Nachteil erleidet. Ein
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solcher Grund ist auch nicht dargelegt. Bei der Bewertung der als gleich oder ungleich
zu behandelnden Sachverhalte ist als sachlicher Grund für eine Differenzierung nicht
ein solcher zu berücksichtigen, der eine andere gesetzgeberische Wertung rechtfertigen
k ö n n t e . Ein für eine rechtliche Wertung maßgeblicher sachlicher Grund kann nur ein
solcher sein, der sich aus der gesetzgeberischen oder verfassungsrechtlichen Wertung
ergibt. Stellt der Gesetzgeber an keiner Stelle auf ein "Surrogat" ab, kann ein solches
dann auch nicht eine teleologische Reduktion einer Vorschrift begründen.
Dass ein solcher sachlicher Grund für die hier zu entscheidende Konstellation nicht
besteht, gilt im Übrigen erst Recht, wenn sonstige Einkünfte, die nicht durch einen
konkreten Aufwand von Arbeitszeit begründet sind, in den Blick genommen werden.
Warum einem haushaltsführenden Mandatsträger, der eine Rente oder
Versorgungsbezüge erhält, keine Entschädigung gezahlt werden soll, wenn gleichzeitig
einem Mandatsträger, der regelmäßige finanzielle Einkünfte z. B. aus einem
Unterhaltsanspruch oder aus Kapitalvermögen erzielt, die Entschädigung gezahlt
werden müsste, bleibt dem Gericht unerfindlich.
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Damit ergibt sich bei dem geltend gemachten mandatsbedingten Zeitaufwand des
Klägers von 501 ½ Stunden und den in den Hauptsatzungen der Beklagten zu 2. für den
damaligen Zeitraum festgelegten Stundensatz von 20 DM eine Forderung des Klägers
in Höhe von 10.030 DM, aus der der ausgeurteilte Betrag in Höhe von 5.128,26 EUR
folgt.
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Zinsen kann der Kläger von der Beklagten zu 2. in entsprechender Anwendung von §
291 i. V. m. § 288 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. und n. F. jedenfalls in der geltend gemachten
Höhe von 4 % beanspruchen. Die Hauptforderung ist mit Eingang der Klageschrift bei
Gericht rechtshängig geworden (§§ 90, 81 Abs. 1 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO wegen einer Zulassung der Berufung
sind dem Gericht nicht ersichtlich.
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