Urteil des VG Münster vom 27.03.2001

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Verwaltungsgericht Münster, 5 K 3116/98
Datum:
27.03.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 K 3116/98
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der an die Hilfeempfänger E und ihre beiden
minderjährigen Söhne U und T in der Zeit vom 1. August 1996 bis zum 2. Dezember
1997 gewährten Hilfeleistungen.
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Zum 1. August 1996 verzogen die Hilfeempfänger aus dem örtlichen
Zuständigkeitsbereich des Beklagten in den der Klägerin. Die Klägerin gewährte ihnen
seit diesem Zeitpunkt zunächst laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.
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In der Folgezeit vermittelte die Klägerin der Hilfeempfängerin eine vollschichtige
Tätigkeit bei der Stadt Osnabrück als Mitarbeiterin im Projekt "S". Die Hilfeempfängerin
nahm die Tätigkeit zum 7. Oktober 1996 auf. Der Arbeitsvertrag war auf ein Jahr
befristet.
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Mit Schreiben vom 9. Oktober 1997 bat die Klägerin die Gemeinde Lotte um Erstattung
der in der Zeit vom 1. August 1996 bis zum 31. Juli 1997 für die Hilfeempfänger
entstandenen Aufwendungen der Sozialhilfe. Die Klägerin rechnete dabei für die Zeit
vom 7. Oktober bis zum 31. Juli 1997 die Arbeitgeberkosten des mit der
Hilfeempfängerin geschlossenen Arbeitsvertrages ab. Insgesamt machte sie
Aufwendungen in Höhe von 44.456,41 DM geltend.
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Der Beklagte, an den die Gemeinde Lotte den Antrag weitergeleitet hatte, lehnte die
Erstattung der von der Klägerin in Rechnung gestellten Aufwendungen ab. Zur
Begründung führte er im wesentlichen aus: Die Vorgehensweise der Klägerin verstoße
gegen den Interessenwahrungsgrundsatz, der in § 111 BSHG zum Ausdruck komme.
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Aus dieser Vorschrift folge die Überlegung, dass der kostenerstattungsberechtigte
Sozialhilfeträger alles tun müsse, um den erstattungsfähigen Aufwand möglichst gering
zu halten. Die Klägerin habe der Hilfeempfängerin eine Arbeit nach § 19 BSHG
vermittelt, ohne abzuwarten, ob die Hilfeempfängerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
vermittelt werden konnte. Es sei nicht einmal ansatzweise erkennbar, welche
Ermessenserwägungen die Klägerin vor der Durchführung dieser Maßnahme getätigt
habe. Vielmehr vermittle der Gang des Verfahrens den Eindruck, als sei der
Hilfeempfängerin die Maßnahme nach § 19 BSHG schon vor ihrem Umzug in den
Zuständigkeitsbereich der Klägerin angeboten worden, und als sei diese Maßnahme
dann gerade mit Blick auf die Kostenerstattungspflicht nach § 107 BSHG sofort
umgesetzt worden. Schließlich seien die Kosten, die er nunmehr erstatten solle,
unverhältnismäßig hoch. Denn sie lägen um das 4fache höher als der Bedarf der
Hilfeempfänger an laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Außerdem sei zu
berücksichtigen, dass schon das Einkommen aus einer Halbtagsstelle gereicht hätte,
um den Lebensunterhalt der Hilfeempfänger sicherzustellen. Eine Ganztagsstelle biete
im übrigen kaum Anreize, die Arbeitsbemühungen auf dem freien Arbeitsmarkt
fortzusetzen.
Die Klägerin hat am 15. Oktober 1998 Klage erhoben, mit der sie die Erstattung ihrer im
in der Zeit vom 1. August 1996 bis zum 2. Dezember 1997 an die Hilfeempfänger
gewährten Leistungen nebst Zinsen begehrt. Zur Begründung führt sie im wesentlichen
aus, ihr Kostenerstattungsanspruch ergebe sich aus § 107 BSHG. Der Beklagte könne
sich nicht auf eine Verletzung der Vorschrift des § 111 BSHG berufen. Es komme
nämlich nicht darauf an, ob der Beklagte die Hilfeleistung nach Ermessen bewilligt
hätte. Vielmehr sei auf ihre Ermessenspraxis abzustellen. Die Hilfeempfängerin sei seit
längerem arbeitslos gewesen. Ihr sei lediglich die Hilfe zuteil geworden, die allen
geeigneten Personen in ihrem Zuständigkeitsbereich zuteil werde. Die für die Hilfe
aufgewendeten Kosten seien unter Berücksichtigung der Höhe des an die
Hilfeempfängerin ausgezahlten Nettogehalts auch nicht unverhältnismäßig. Der geltend
gemachte Zinsanspruch stehe ihr nach allgemeinen Grundsätzen aus
Verzugsgesichtspunkten zu.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, 53.762,54 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Januar 1998
zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung vertieft er seine vorgerichtliche Korrespondenz. Ergänzend führt er aus,
die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Verzinsung. Denn das BSHG enthalte im
hier maßgeblichen 9. Abschnitt keine Verzinsungsregelung; die Verzinsungsregelung
des § 108 Abs. 2 SGB X, auf die mangels einer spezielleren Rechtsnorm
zurückzugreifen sei, finde auf Erstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern keine
Anwendung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (3 Hefte) Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
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Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt ausschließlich § 107
Abs. 1 BSHG in Betracht. Diese Vorschrift regelt die Kostenerstattung zwischen
Sozialhilfeträgern, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen
Aufenthalts an einen anderen Ort verzieht. In diesem Fall ist der Träger der Sozialhilfe
des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger
der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im
Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats
nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf.
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Die Regelung des § 107 Abs. 1 BSHG ist hier einschlägig. Denn die o.g.
Hilfeempfänger hielten sich bis zum 31. Juli 1996 im örtlichen Zuständigkeitsbereich
des Beklagten auf, zogen anschließend in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin und
bedurften dort von Anfang an der Hilfeleistung. Ein Kostenerstattungsanspruch der
Klägerin lässt sich aus dieser Vorschrift jedoch nur insoweit herleiten, als die von ihr
geleistete Hilfe in ihrem Zuständigkeitsbereich "erforderlich" wurde (vgl. Wortlaut des §
107 Abs. 1 BSHG) bzw. "soweit die Hilfe diesem Gesetz entspricht" (so: § 111 Abs. 1
Satz 1 BSHG). Beide Vorschriften machen die Frage der Kostenerstattungspflicht
eindeutig von der Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung abhängig.
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Die der Hilfeempfängerin E gewährte Hilfe zur Arbeit war nicht rechtmäßig. Als
Rechtsgrundlage für diese Hilfeleistung kommt allein § 19 BSHG in Betracht. Gem. § 19
Abs. 1 BSHG sollen für Hilfesuchende, insbesondere für junge Menschen, die keine
Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden (Satz 1). Zur Schaffung
und Erhaltung von Arbeitsgelegenheiten können auch Kosten übernommen werden
(Satz 2). Die Arbeitsgelegenheiten sollen in der Regel von vorübergehender Dauer und
für eine bessere Eingliederung des Hilfesuchenden in das Arbeitsleben geeignet sein
(Satz 3). Wird für den Hilfesuchenden Gelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher
Arbeit geschaffen, so kann ihm gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz BSHG entweder das
übliche Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen
Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt werden. Diese Voraussetzungen sind
hier nicht erfüllt.
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§ 19 Abs. 1 BSHG ist so zu verstehen, dass er allgemeine Regelungen betreffend die
Schaffung von Arbeitsgelegenheiten enthält, während Abs. 2 sich mit der
gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeit als spezieller Form der Arbeitsgelegenheiten
im Sinne des Abs. 1 beschäftigt.
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Vgl. Mergler/Zink, Kommentar zum BSHG, § 19, Anm. 4; Schellhorn/Jirasek/Seipp,
Kommentar zum BSHG, 15. Aufl., § 19, Rnr. 7.
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Die Klägerin stützt die Hilfegewährung auf die Vorschrift des § 19 Abs. 2 BSHG. Die
Kammer lässt offen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 BSHG,
insbesondere das Merkmal der Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit der der
Hilfeempfängerin vermittelten Arbeitstätigkeit erfüllt waren. Ferner kann die Kammer
offenlassen, ob die der Hilfeempfängerin vermittelte Arbeitstätigkeit für eine bessere
Eingliederung in das Arbeitsleben geeignet war.
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Jedenfalls aber gehörte die Hilfeempfängerin nicht zu dem Personenkreis, an den sich
das Hilfeangebot des § 19 BSHG richtet. Denn Arbeitsgelegenheiten sollen für
Hilfesuchende geschaffen werden, die "keine Arbeit finden können" (§ 19 Abs. 1 Satz 1
BSHG). Der vom Gericht zu beurteilende Sachverhalt bietet keine hinreichende
Grundlage für die Annahme, dass die Hilfeempfängerin "keine Arbeit finden konnte". Die
Hilfeempfängerin mag zwar als Alleinerziehende mit zwei minderjährigen Kindern -
abstrakt betrachtet - zu einem Personenkreis gehören, der auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt schwieriger zu vermitteln ist, als von familiären Bindungen freie Personen.
Dies reicht jedoch für sich gesehen nicht aus, den jeweiligen Hilfesuchenden dem
Personenkreis des § 19 Abs. 1 Satz 1 BSHG zuzuordnen. Vielmehr setzt § 19 Abs. 1
Satz 1 BSHG schon seinem Wortlaut nach ("finden können") voraus, dass die Personen,
denen nach dieser Vorschrift Hilfe zur Arbeit gewährt werden soll, zuvor vergeblich nach
einer Arbeit "gesucht" haben, sich also erfolglos um eine Arbeitsstelle bemüht haben
müssen. Unter Zugrundelegung des gesamten Akteninhalts, insbesondere der von der
Klägerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge betreffend die Hilfeleistungen an die
Hilfeempfänger, lässt sich derartiges in dem hier zu beurteilenden Fall nicht feststellen.
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Es spricht bereits viel dafür, dass es für die Beantwortung der Frage nach den dem
Einsetzen der Hilfe zur Arbeit vorhergehenden Arbeitsbemühungen im Falle eines
Umzuges in eine andere Gemeinde grundsätzlich auf die Arbeitsbemühungen am
neuen Wohnort ankommt. Denn die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind in
aller Regel ortsabhängig, d.h. sie richten sich nach den örtlichen Gegebenheiten, die
man im Einzugsbereich der jeweiligen Gemeinde vorfindet. Davon, dass die
Hilfeempfängerin an ihrem neuen Wohnort (trotz ausreichender Bemühungen) keine
Arbeit finden konnte, kann aber schon angesichts dessen, dass ihr die Arbeitsstelle
bereits vor Ablauf von zwei Monaten nach ihrem Zuzug vermittelt wurde, nicht die Rede
sein.
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Selbst wenn man aber in Anbetracht dessen, dass der ehemalige Wohnort der
Hilfeempfängerin bereits im Einzugsbereich ihres jetzigen Wohnorts lag, auf die
Arbeitsbemühungen auch an jenem Wohnort abstellen würde, führt dies zu keinem
anderen Ergebnis. Zwar forderte die Gemeinde Lotte die Hilfeempfängerin im
September 1995 auf, sich um Arbeit zu bemühen und entsprechende Nachweise
vorzulegen. Auch war die Hilfeempfängerin seit jenem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet.
Dieser Sachverhalt lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass die
Hilfeempfängerin sich seither auch vergeblich um Arbeit bemüht hatte. Derartige
Arbeitsbemühungen sind insbesondere nicht in den Verwaltungsvorgängen betreffend
die Gewährung von Hilfeleistungen an die Hilfeempfänger dokumentiert. Vielmehr
spricht im Gegenteil einiges dafür, dass die Hilfeempfängerin vor ihrem Umzug in den
Zuständigkeitsbereich der Klägerin keine, jedenfalls aber keine hinreichenden,
Bemühungen um eine Arbeitsstelle unternommen hatte. Denn bei der Beantragung der
laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt am 1. Juli 1996 kreuzte die Hilfeempfängerin im
Ergänzungsbogen > Statistische Angaben bei der Frage nach dem Erwerbsstatus an,
sie sei nicht erwerbstätig wegen häuslicher Bindung (Kindererziehung o.ä.). Von dem
Ankreuzen der ebenfalls möglichen Alternative, sie sei arbeitslos, ohne einen
Leistungsanspruch nach dem AFG zu haben, machte die Hilfeempfängerin dagegen
keinen Gebrauch.
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Unter Zugrundelegung des gesamten Akteninhalts lässt sich nach allem nicht
feststellen, dass die Hilfeempfängerin bereits seit längerem arbeitssuchend war, mithin
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dem Personenkreis des § 19 Abs. 1 Satz 1 BSHG zugehörte.
Im übrigen erweist sich die gewährte Hilfe zur Arbeit auch deshalb als rechtswidrig, weil
die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass und wie sie das ihr nach § 19
Abs. 1 und 2 BSHG eingeräumte Ermessen ausgeübt hat. Grundsätzlich ist in diesem
Zusammenhang die Vorschrift des § 111 Abs. 1 Satz 2 BSHG zu beachten. Danach
gelten (bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Hilfeleistung) die Grundsätze für die
Gewährung der Sozialhilfe, die am Aufenthaltsort des Hilfeempfängers zur Zeit der
Hilfegewährung bestehen. Nach dieser Vorschrift kommt es also auch bei der Ausübung
des Ermessens auf die Verwaltungspraxis des hilfegewährenden Trägers an.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2000, 5 B 39/00.
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Hier lässt sich auch unter Berücksichtigung der in der Klageschrift näher dargestellten
Ermessenspraxis der Klägerin nicht feststellen, dass die Klägerin das ihr eingeräumte
Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, als sie der Hilfeempfängerin die hier in Rede
stehende Arbeit vermittelte.
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Gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 BSHG kann dem Hilfesuchenden, für den die Gelegenheit zu
gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit geschaffen wird, entweder das übliche
Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen
Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt werden. Der dem Gericht unterbreitete
Sachverhalt lässt nicht erkennen, dass die Klägerin vor ihrer Entscheidung, der
Hilfeempfängerin das für die Arbeitsgelegenheit übliche Arbeitsentgelt zu gewähren,
auch nur über die Möglichkeit nachgedacht hätte, der Hilfeempfängerin stattdessen
weiterhin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer
Mehraufwandsentschädigung zu gewähren. Vielmehr vermittelt der gesamte Ablauf des
Verfahrens, so wie er dem Gericht gegenüber dokumentiert wurde, den Eindruck, als
habe sich die Klägerin bei ihrer Entscheidung, der Hilfeempfängerin eine entgeltliche
Arbeitsgelegenheit zu vermitteln, von sachfremden Argumenten leiten lassen.
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Die Klägerin erklärte hierzu, sie gewähre Hilfeleistungen nach der 2. Alternative nur
vorübergehend und in Ausnahmefällen, wenn zweifelhaft sei, ob ein Hilfeempfänger für
das Projekt Arbeit statt Sozialhilfe geeignet sei. Solche Zweifel hätten im Falle der
Hilfeempfängerin nicht bestanden. Allerdings ist weder dem Klagevorbringen noch dem
Akteninhalt zu entnehmen, wie die Klägerin bereits einen Monat nach dem Zuzug der
Hilfeempfänger nach Osnabrück und noch bevor die Hilfeempfängerin ihre
Arbeitsbereitschaft durch die Vorlage von Nachweisen über ihre Arbeitsbemühungen
dokumentieren konnte, die Arbeitsbereitschaft bzw. die Eignung der Hilfeempfängerin
für das Projekt Arbeit statt Sozialhilfe beurteilen konnte.
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Auch die im übrigen für die Vergabe entgeltlicher Arbeitsgelegenheiten im Sinne des §
19 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative BSHG dargestellte Ermessenspraxis der Klägerin lässt
sich im hier zu beurteilenden Fall nicht nachvollziehen. Die Klägerin beruft sich in ihrer
Klageschrift darauf, dass sie in ihrem Bereich arbeitsfähige und arbeitswillige
Hilfeempfänger weit vor Ablauf einer fünfjährigen Arbeitslosigkeit der städtischen
Arbeitsberatung zuführe und, soweit möglich, nach § 19 BSHG in Arbeit vermittle.
Neuzugezogene seien anteilsgerecht mit ca. 5 % repräsentiert. Bei der Darstellung
dieser Ermessenspraxis ging das Rechtsamt der Klägerin offensichtlich noch davon
aus, dass die Hilfeempfängerin seit Januar bzw. September 1991 arbeitslos gewesen
sei. Tatsächlich war die Hilfeempfängerin aber erst seit September 1995 arbeitslos
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gemeldet. Die Klägerin hat aber an keiner Stelle behauptet, dass sie Hilfeempfängern
bereits vor Ablauf von einem Jahr vergeblicher Arbeitsuche eine entgeltliche
vollschichtige Arbeitstätigkeit anbietet. In diesem Zusammenhang ist ein
verwaltungsinternes Schreiben vom 21. August 1996 von Bedeutung: Darin bat das
Sozialamt der Klägerin die städtische Arbeitsberatung, für die Hilfeempfängerin eine
Beschäftigung "vorrangig" nach § 19 BSHG zu prüfen ("ab 8/97"). Es ist kaum
nachvollziehbar, dass das Sozialamt um eine "vorrangige" Überprüfung bittet, wobei die
Beschäftigung ab August 1997 (also ein Jahr später) stattfinden soll, wenn es der Praxis
der Klägerin entspricht, Hilfeempfänger grundsätzlich schon vor Ablauf eines Jahres der
städtischen Arbeitsberatung zwecks Vermittlung einer entgeltlichen Arbeitsgelegenheit
zuzuführen. Hinzu kommt, dass das Sozialamt der Klägerin damals offenbar nicht
einmal wusste, seit wann die Hilfeempfängerin arbeitslos war. In der entsprechenden
Rubrik finden sich die Buchstaben "n.b." (nicht bekannt). Angesichts dessen bezweifelt
das Gericht, dass die in der Klageschrift dargestellten Entscheidungsgrundlagen der
langfristigen Arbeitslosigkeit des jeweiligen Hilfeempfängers und dem vergeblichen
Bemühen um eine Arbeitsstelle überhaupt Einfluss auf die Entscheidung der Klägerin
hatten, der Hilfeempfängerin eine entgeltliche Arbeitsstelle anzubieten.
Dagegen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sowohl der Kostenerstattungsanspruch nach
§ 107 BSHG als auch die Aussicht, dass die Hilfeempfängerin nach Ablauf des
befristeten Arbeitsvertrages wegen ihres dann bestehenden Anspruchs auf Gewährung
von Arbeitslosengeld vorläufig weiterhin sozialhilfeunabhängig bleibt, ausschlaggebend
für die Bewilligung der hier gewährten "Hilfe zur Arbeit" war. So findet sich im "Antrag"
der städtischen Arbeitsberatung vom 23. September 1996, die schließlich auch
durchgeführte Maßnahme verwaltungsintern zu genehmigen, der handschriftliche
Hinweis auf die Kostenerstattungspflicht des Beklagten nach § 107 BSHG. Das Gericht
versteht diesen Hinweis dahingehend, dass er die Entscheidung, der Hilfeempfängerin
die in Rede stehende Arbeitsstelle zu bewilligen, beeinflussen sollte; zumindest war
dieser Hinweis geeignet, diese Entscheidung zu beeinflussen. Die Frage der
Kostenerstattungspflicht eines anderen Sozialhilfeträgers darf aber auf die Bewilligung
von Hilfeleistungen nach dem BSHG keinen Einfluss haben, weil - soweit
kostenträchtige Hilfemaßnahmen aus diesem Grunde bewilligt werden - darin ein
Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) liegen würde. Das
Gericht will der Klägerin damit nicht unterstellen, sie habe der Hilfeempfängerin
ausschließlich wegen der Kostenerstattungspflicht des Beklagten eine entgeltliche
Arbeitsstelle vermittelt. Angesichts des Hinweises auf die Vorschrift des § 107 BSHG
lässt sich allerdings auch nicht ausschließen, dass die Kostenerstattungspflicht des
Beklagten Einfluss auf die hier in Rede stehende Entscheidung der Klägerin haben
sollte bzw. hatte.
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Im übrigen hat das Gericht bei der Überprüfung der Entscheidung der Klägerin die vom
Sozialamt der Klägerin selbst in einem verwaltungsinternen Schreiben vom 11. Januar
1999 angegebenen Gründe für die Bewilligung der Hilfemaßnahme berücksichtigt. In
diesem Schreiben erklärte das Sozialamt, Ziel eines solchen Arbeitsvertrages sei es,
die Hilfeempfängerin für die Zukunft unabhängig von Sozialhilfe zu machen. Dies sei
hier gelungen, denn nach Ablauf der Maßnahme habe die Hilfeempfängerin ihren
Lebensunterhalt aus Arbeitslosengeld und anderen staatlichen Mitteln außerhalb der
Sozialhilfe sicherstellen können. Ohne das Angebot der BSHG-Stelle wäre die
Hilfeempfängerin nach wie vor sozialhilfebedürftig. Wörtlich heißt es dann: "Somit wurde
mit Vermittlung des Vertrages der beabsichtigte Zweck erreicht." Zum einen verkennt die
Klägerin in diesem Schreiben, dass es Ziel des § 19 BSHG ist, den Hilfesuchenden zu
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befähigen, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu finanzieren, und nicht durch
Arbeitslosengeld. Zum anderen macht dieses Schreiben deutlich, dass es der Klägerin
beim Angebot der Maßnahme nach § 19 BSHG vorwiegend darum ging, die
Hilfesuchende aus dem Sozialhilfebezug zu entlassen, nicht darum, ihre
Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt bzw. ihre Chancen auf eine Eingliederung in
das Arbeitsleben zu erhöhen. Dies ist aber erklärtes Ziel der Hilfemaßnahmen nach §
19 BSHG, wie in es in Abs. 1 Satz 3 deutlich zum Ausdruck kommt.
Lässt sich nach allem nicht feststellen, dass die Hilfeempfängerin zum Personenkreis
des § 19 Abs. 1 Satz 1 BSHG gehörte und dass die Klägerin ihr Ermessen unter
Berücksichtigung ihrer eigenen Verwaltungspraxis und zwecks Verwirklichung der
gesetzlichen Ziele des § 19 BSHG ausgeübt hat, geht dies zu Lasten der Klägerin.
Denn diese trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen.
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Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der für die Zeit bis
November 1996 (4.087,32 DM) und im Dezember 1997 (244 DM) rechtmäßig gewährten
Hilfe zum Lebensunterhalt. Denn der Erstattung dieser Kosten steht die Vorschrift des §
111 Abs. 2 BSHG entgegen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO, 167 Abs. 1 VwGO.
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