Urteil des VG Münster vom 30.06.2010

VG Münster (antragsteller, tochter, grundschule, realschule, ergebnis, beurteilung, verwaltungsgericht, schule, eignung, bewertung)

Verwaltungsgericht Münster, 1 L 163/10
Datum:
30.06.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 163/10
Schlagworte:
Prognoseunterricht einstweilige Anordnung Grundschulempfehlung
Normen:
SchulG NRW § 11 Abs. 4 AO-GS § 8
Leitsätze:
Kein Anspruch nach negativem Prognoseunterricht auf Zulassung zur
weiterführenden Schule
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der Antrag der Antragsteller,
2
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Tochter
Natalie Birol, geb. am 23. November 1999, zu dem Besuch der Realschule zuzulassen,
3
hat in der Sache keinen Erfolg.
4
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese
Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile
abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.
V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Wenn - wie hier - der Erlass einer die Hauptsache
vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung begehrt wird, ist es neben einem mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehenden Anordnungsanspruch erforderlich, dass die
gerichtliche Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings
notwendig ist, weil dem Antragsteller sonst schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in
der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
5
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 1997 11 VR 3.97 , juris, Rn. 13; OVG NRW,
6
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 1997 11 VR 3.97 , juris, Rn. 13; OVG NRW,
Beschlüsse vom 22. Juni 2006 - 8 B 561/06 –, vom 25. Oktober 2006 8 E 1200/06 –
und vom 27. Juni 2007 – 8 B 920/07 -, juris, Rn. 11.
6
Die Antragsteller haben schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, dass ihre
Tochter Natalie nach Abschluss der Klasse 4 an der Grundschule zum Besuch einer
Realschule im Schuljahr 2010/2011 (vorläufig) zuzulassen ist. Dass der Antragsgegner
aufgrund des Ergebnisses des Prognoseunterrichts für die Tochter der Antragsteller zumindest
eine eingeschränkte Eignung für die Realschule hätte feststellen müssen, lässt sich ebenso
wenig erkennen. Die Tochter Natalie erfüllt nicht die Voraussetzungen für den Übergang von
der Grundschule zur Realschule nach § 11 Abs. 4 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-
Westfalen (SchulG NRW) vom 15. Februar 2005 (GV.NRW. S. 102) zuletzt geändert durch
Gesetz vom 21. April 2009 (GV.NRW. S. 224) i.V.m. § 8 Abs. 6 bis 8 der Verordnung über den
Bildungsgang in der Grundschule (Ausbildungsordnung Grundschule – AO-GS) vom 23. März
2005, zuletzt geändert durch Verordnung vom 5. November 2008 (SGV.NRW 223).
7
Diese Regelungen über den Prognoseunterricht verstoßen entgegen der Auffassung der
Antragsteller nicht gegen die Verfassung. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW) hat bereits mehrfach entschieden, dass die Vorschriften über den
Prognoseunterricht weder gegen die vom Erziehungsrecht der Eltern aus Art 6 Abs. 2 Satz 1
GG, Art. 8 Abs. 1 Satz Landesverfassung NRW umfasste Schulformwahlfreiheit verstoßen noch
dass sie eine unverhältnismäßige Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechts darstellen,
weil sie die Wahlfreiheit zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Bildungsgängen
nicht mehr als notwendig begrenzen.
8
Vgl. dazu OVG NRW, Beschl. v. 2. August 2007 – 19 B 1058/07 -, Beschl. v. 2. Oktober
2007 – 19 B 1207/07 -, Beschl. v. 30. März 2010 – 19 A 2076/09 -; ferner VG Köln, Urt.
v. 15. Oktober 2008 – 10 K 4216/08 -, juris.
9
Die Vorschriften genügen auch dem Gesetzesvorbehalt im Sinne der Wesentlichkeitstheorie.
10
Vgl. dazu OVG NRW, Beschl. v. 2. Oktober 2007 – 1207/07-, in NRWE unter:
http://lv.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2007/19_B_1207_07beschluss20071002.html
11
Ob es neben dem Prognoseunterricht möglicherweise noch andere mildere Mittel gibt, um die
Eignung einer Schülerin oder eines Schülers für die weiterführende Schule zu überprüfen, kann
offenbleiben. Hierdurch wird jedenfalls die Verfassungswidrigkeit der vorstehenden Regelung
nicht begründet. Der Landesgesetzgeber hat insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum, wie
er die Zulassung zur gewählten Schulform im Rahmen der gesetzgeberischen
Gestaltungsfreiheit von der individuellen Eignung der Schülerin oder des Schülers und der
pädagogischen Prognose im konkreten Einzelfall abhängig machen will, was bei der
gerichtlichen Prüfung zu respektieren ist. Dass der Gesetzgeber sich vor diesem Hintergrund für
die Variante des Prognoseunterrichts entschieden hat, ist verfassungsmäßig nicht zu
beanstanden.
12
Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 2. Oktober 2007 – 19 B 1207/07 -, NWVBl 2008, 185 ff. =
NVwZ-RR 2008, 539 ff.
13
Der Prognoseunterricht unterliegt auch keinem Verfahrensfehler. Er hat entgegen der Ansicht
der Antragsteller nicht nur an einem Tag stattgefunden. Die Einladung der Tochter der
Antragsteller erfolgte über drei Tage, nämlich am 19., 20., und 21. April 2010. Ausweislich der
Unterlagen in dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners hat an diesen Tagen der
Prognoseunterricht stattgefunden, an dem die Tochter der Antragsteller ausweislich des
14
Schülerbogens auch immer anwesend war. Aus dem Bescheid des Antragsgegners vom 27.
April 2010 ergibt sich ebenfalls, dass die Tochter der Antragsteller an allen drei Tagen an den
Unterrichtsstunden teilgenommen hat. Soweit in der ersten Zeile des Bescheids des
Antragsgegners unterhalb der Anrede für den Prognoseunterricht nur das Datum "21.04.2010"
genannt wird, bezieht sich dieser Tag nicht auf die Dauer, sondern auf das an dem Tag
gefundene Ergebnis des Prognoseunterrichts.
Sofern die Antragsteller die Bewertung und Begründung des Ergebnisses des
Prognoseunterrichts in Frage stellen, ergibt sich hieraus ebenfalls kein Anordnungsanspruch.
Die Antragsteller müssen als Eltern substantiierte Einwände gegen die Beurteilung der
offensichtlichen Nichteignung vorbringen. Abgesehen davon, dass es vorliegend an solchen
substantiierten Einwänden bezüglich der Bewertung durch die Prüfungskommission fehlt,
begründen diese auch nur einen Anspruch auf Überdenken der Beurteilung durch die
Personen, die die Beurteilung vorgenommen haben.
15
Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 2. August 2007 – 19 B 1058/07 -.
16
Im Falle durchgreifender Bewertungsrügen, die nur dann erheblich sind, wenn sie einen
Einfluss auf das Ergebnis des Prognoseunterrichts haben können,
17
vgl. OVG NRW, Beschl. v. 4. September 2008 – 19 B 1293/08 -,
18
besteht zudem nur ein Anspruch auf Wiederholung des Prognoseunterrichts oder auf
Neubewertung der im Unterricht erbrachten Leistungen, nicht aber auf vorläufige Zulassung zu
einer nicht empfohlenen weiterführenden Schule.
19
An substantiierten Rügen von Bewertungsfehlern, die zudem Einfluss auf das
Unterrichtsergebnis gehabt haben könnten, fehlt es vorliegend. Maßgeblich ist allein die
Entscheidung der Kommission am Ende des Prognoseunterrichts, die eine Beurteilung der
Schulformeignung allein auf der Grundlage des Leistungsstandes und der Fähigkeiten des
Kindes im Zeitpunkt des Prognoseunterrichts trifft.
20
Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 30. März 2010 – 19 A 2076/09 -, Beschl. v. 14. August 2009
– 19 1064/09 -, Beschl. v. 2. Oktober 2007 – 19 B 1207/07 -, a.a.O.
21
Die Antragsteller setzen jedoch ihre subjektiven Bewertungen unter Hinweis auf die Schulnoten
ihrer Tochter im Halbjahreszeugnis der 4. Klasse den Bewertungen der Prüfungskommission
entgegen. Hieraus ergeben sich jedoch keine substantiierten und dezidierten Anhaltspunkte für
eine fehlerhafte Bewertung der Kommission. Auch der Hinweis, dass äußere Umstände des
Prognoseunterrichts dazu führen können, dass falsche Prognosen nicht ausgeschlossen
werden könnten, ist zu pauschal und vage, um die von der Unterrichtskommission
vorgenommene Eignungseinschätzung in Zweifel zu ziehen oder Rückschlüsse auf das für die
Tochter der Antragsteller gefundene Ergebnis abzuleiten.
22
Der geltend gemachte (vorläufige) Anspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass eine
Realschule bereits eine Anmeldebestätigung für die Tochter der Antragsteller herausgegeben
hat. Nach § 8 Abs. 6 AO-GS steht die Anmeldung an einer Schulform, für die die Schülerin nach
der Empfehlung der Grundschule nicht und auch nicht mit Einschränkungen geeignet ist, unter
dem Vorbehalt des Ergebnisses des dreitägigen Prognoseunterrichts. Da dieser vorliegend für
die Tochter der Antragsteller mit negativem Ergebnis für den Besuch der als ungeeignet
festgestellten Schulform ausgegangen ist, ist die Bestätigung der Anmeldung hinfällig.
23
Ebenso wenig ergibt sich ein Anordnungsanspruch aus dem geltend gemachten Einwand, dass
die Grundschulempfehlung rechtswidrig und aufzuheben sei. Etwaige Fehler der
Grundschulempfehlung können die Antragsteller nur in einem dagegen gerichteten
Rechtsbehelfsverfahren überprüfen lassen, soweit die Grundschulempfehlung noch angreifbar
und nicht schon bestandskräftig ist. In einem Rechtsstreit gegen die
Nichtzulassungsentscheidung des Antragsgegners sind solche Fehler oder darauf zielende
Einwände nicht unmittelbar erheblich. Denn sie beeinflussen aus sich heraus die
Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nicht, weil die Grundschulempfehlung und die
Schulamtsentscheidung auf unterschiedlichen Tatsachengrundlagen beruhen und zudem von
unterschiedlichen Stellen getroffen werden.
24
Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24. August 2008 – 19 B 689/07 - NVwZ-RR 2008, 109 (110). 25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
26
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 und 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das
Gericht bemisst die sich aus dem Antrag der Antragsteller ergebende Bedeutung der Sache
wegen des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit der Hälfte des
im Hauptsacheverfahren anzunehmenden Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG.
27