Urteil des VG Münster vom 14.03.2008

VG Münster (errichtung, betrieb, wild, jagd, verwaltungsgericht, lasten, zuschauer, entzug, sicherheit, gabe)

Verwaltungsgericht Münster, 10 K 382/07
Datum:
14.03.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 382/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
beitreibbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur
Errichtung eines Schutzzaunes auf einem Modellflugplatz.
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Die Klägerin ist Inhaberin des Jagdausübungsrechts des 323 Hektar großen
Jagdbezirks M., den sie für jagdrechtliche Zwecke verpachtet hat. Auf dem innerhalb
des Jagdbezirks gelegenen Grundstück Gemarkung C. Flur 00 Flurstück 0 in E.-M.
betreibt der Beigeladene einen Modellflugplatz, für den der Beklagte unter dem 14. März
2005 eine Baugenehmigung erteilt hat. Ausweislich der von dem Beigeladenen im
damaligen Baugenehmigungsverfahren eingereichten Betriebsbeschreibung sollten auf
dem Gelände Flugmodelle bis 5 kg betrieben werden. Die Baugenehmigung ist
bestandskräftig geworden, nachdem die Klägerin gegen sie nicht im Klagewege
vorgegangen war.
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Mit Bescheid vom 30. Dezember 2005 erteilte die Bezirksregierung Münster dem
Beigeladenen die luftverkehrsrechtliche Erlaubnis zum Betrieb von Flugmodellen mit
und ohne Verbrennungsmotoren mit einem Gesamtgewicht über 5 kg bis zu 25 kg auf
dem Gelände des Modellflugplatzes. Die Erlaubnis war u. a. mit folgender Auflage
versehen:
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7. Aufenthaltsplätze für Zuschauer sind durch einen mindestens 2,50 m hohen
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Schutzzaun (Maschendraht, Fangnetz oder in der Wirksamkeit ähnliche Vorrichtungen)
gegen das Modellfluggelände zu sichern. Zuschauer ist jede Person, die sich im
Flugsektor aufhält und nicht selbst zur Zeit ein Flugmodel führt. Der Schutzzaun sowie
die Zuschauerräume dürfen nicht überflogen werden.
Die gegen die luftverkehrsrechtliche Erlaubnis erhobene Klage der Klägerin wies das
Gericht mit Urteil vom 7. März 2008 (10 K 2095/06) ab.
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Mit der in diesem Verfahren streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 7. Juli 2006
genehmigte der Beklagte dem Beigeladenen die Errichtung eines 30 m langen
Schutzzaunes auf dem Modellflugplatz. Der Zaun soll das Gelände nicht umschließen,
sondern den für den Aufenthalt von Zuschauern vorgesehenen Bereich von dem Start-
und Landebereich des Modellflugplatzes trennen.
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Gegen diese Baugenehmigung erhob die Klägerin nach erfolglosem Vorverfahren
Klage, die sie im wesentlichen wie folgt begründete: Die Baugenehmigung sei
rechtswidrig. Die Zulässigkeit des Vorhabens könne nicht auf § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB
gestützt werden. Die Klägerin werde durch die angefochtene Genehmigung auch in
ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt. Es werde das ihr zustehende und
grundgesetzlich über Art. 14 GG geschützte Jagdausübungsrecht verletzt, weil durch
den aufgrund der Baugenehmigung erst möglichen Betrieb des Modellflugplatzes zum
einen das Wild vergrämt werde und zum anderen der Jagdbezirk nur zu einem deutlich
geringeren Pachtpreis verwertet werden könne. Durch den Betrieb des
Modellflugplatzes werde zum einen die Jagdausübung im engeren Sinne, d. h. das
Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild beeinträchtigt, indem u. a.
während des Flugbetriebs die Jagd im näheren, räumlichen Umfeld des
Modellflugplatzes aufgrund der mit dem Flugbetrieb verbundenen Immissionen
(Modellfluglärm, Zu- und Abgangsverkehr, lautes Rufen von Zuschauern etc.) und aus
Gründen der Sicherheit nicht durchgeführt werden könne. Diese Beeinträchtigung sei
auch erheblich, da der Modellflugbetrieb entsprechend den bestehenden Erlaubnissen
nahezu durchgängig an allen Tagen der Woche stattfinden könne und der räumliche
Bereich des Modellflugplatzes eine besondere Bedeutung für die Jagdausübung
innerhalb des Reviers der Klägerin habe. Das Flugplatzgelände befinde sich nämlich
unmittelbar neben einem der besten und wichtigsten Wildeinstandsgebiete mit
ausgedehnten Hecken und Gehölzstreifen sowie einem Wildacker. Das
Jagdausübungsrecht werde darüber hinaus durch die mit dem Modellflugbetrieb
einhergehenden fortlaufenden, tatsächlichen Störungen des Wildes, die nicht im
unmittelbaren Zusammenhang mit der Jagdausübung stünden, beeinträchtigt.
Insbesondere durch die von den Flugmodellen beim Niederwild auslösten
Schlüsselreize sei es bereits zu nachhaltigen Wildabwanderungen gekommen, und
zwar nicht nur auf den unmittelbar angrenzenden Grundstücken, sondern in einem
Umfeld von mehreren hundert Metern um das Flugplatzgelände. Hinzu komme, dass
durch den errichteten Schutzzaun erhebliche Einschränkungen bei der Durchführung
von Treibjagden bestünden.
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Die Klägerin beantragt,
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die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 7. Juli 2006
betreffend die Errichtung eines Schutzzaunes und den Widerspruchsbescheid des
Landrates des Kreises Coesfeld vom 7. Februar 2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen
Baugenehmigung. Die Baugenehmigung verletze die Klägerin zumindest nicht ihren
verfassungsrechtlich geschützten Rechten. Sie verstoße nicht gegen
nachbarschützende Vorschriften. Von dem Schutzzaun gingen für die Klägerin keine
unzumutbaren Belästigungen aus.
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Der Beigeladene beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt die Auffassung, die Baugenehmigung für den Schutzzaun sei rechtmäßig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage hat keinen Erfolg. Die Klägerin wird durch die angefochtene
Baugenehmigung des Beklagten vom 7. Juli 2006 und den Widerspruchsbescheid des
Landrates des Kreises Coesfeld vom 7. Februar 2007 nicht rechtswidrig in ihren
Rechten verletzt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Im vorliegenden Drittanfechtungsverfahren hat das Gericht nicht zu prüfen, ob die
angefochtene Baugenehmigung in jeder Hinsicht dem öffentlichen Baurecht entspricht.
Ein Abwehranspruch der Klägerin besteht nur dann, wenn das fragliche Vorhaben
gerade gegen solche Vorschriften verstößt, die für sie eine schützende Wirkung
entfalten. Dies ist nicht der Fall.
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Die Baugenehmigung verstößt insbesondere nicht zu Lasten der Klägerin gegen sie
schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Die bauplanungsrechtliche
Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 35 BauGB, da das Baugrundstück
erkennbar im Außenbereich liegt. Es kommt nicht darauf an, ob das Bauvorhaben
rechtsfehlerfrei im Außenbereich zugelassen werden konnte, denn § 35 BauGB ist keine
schlechthin drittschützende Vorschrift. Ein Abwehranspruch gegen
Außenbereichsvorhaben erwächst einen Dritten unter bauplanungsrechtlichen
Gesichtspunkten vielmehr nur dann, wenn die Baumaßnahme zu seinen Lasten gegen
das in § 35 Abs. 3 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot verstößt.
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Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich
gewährleisten. Die dabei vorzunehmende Abwägung hat sich daran zu orientieren, was
dem Rücksichnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach
Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des
Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden.
Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind,
umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu
nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde
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Belange zu schonen,
vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175.
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Nach dieser Maßgabe erweist sich das Vorhaben der Beigeladenen der Klägerin
gegenüber nicht als rücksichtslos. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann
die Klägerin nicht mit einer Beeinträchtigung des ihr zustehenden Jagdausübungsrechts
im dem Jagdbezirk M. begründen. Das Jagdausübungsrecht ist die ausschließliche
Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht
unterliegen, zu hegen, ihnen nachzustellen, sie zu fangen oder zu erlegen und sie sich
anzueignen (vgl. § 1 Abs. 1 und 4 BJagdG). Es handelt sich um ein vermögenswertes
privates Recht, das als konkrete subjektive Rechtsposition, die der Jagdgenossenschaft
als öffentlich-rechtlicher Körperschaft selbst zusteht, den Schutz des Art. 14 GG genießt.
Dieses Recht kann in zweierlei Weise beeinträchtigt werden. Zum einen durch die
Beanspruchung von Teilflächen des gemeinschaftlichen Jagdbezirks, wodurch der
Jagdgenossenschaft die Jagdnutzung auf den betreffenden Flächen entzogen wird.
Zum anderen aber auch durch tatsächliche Einwirkungen auf die Jagdausübung, wenn
diese dadurch etwa erschwert wird oder, z. B. durch die Abwanderung von Wild,
entwertet wird,
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vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 3. Dezember 2004 - 6K 3130/04 -, zitiert nach JURIS.
25
Das Jagdausübungsrecht der Klägerin wird durch den mit der streitgegenständlichen
Baugenehmigung vom 7. Juli 2006 zugelassenen Schutzzaun weder durch einen
Entzug von Jagdflächen noch durch tatsächliche Einwirkungen auf die Jagd
beeinträchtigt. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es im vorliegenden
Verfahren nur auf die Beeinträchtigungen an, die mit dem genehmigten Vorhaben
selbst, also mit dem Schutzzaun, verbunden sind. Beeinträchtigungen durch den
Flugbetrieb, etwa durch Geräuschimmissionen, sind in diesem Verfahren nicht zu
berücksichtigen, da der Betrieb von Flugmodellen nicht Reglungsgegenstand der
streitgegenständlichen Baugenehmigung ist. Vielmehr ist der Flugbetrieb durch die
bestandskräftige Baugenehmigung des Beklagten vom 14. März 2005 sowie durch die
luftverkehrsrechtliche Erlaubnis der Bezirksregierung Münster vom 30. Dezember 2005,
die Gegenstand des vor dem erkennenden Gericht geführten Klageverfahrens 10 K
2095/06 war, zugelassen worden, so dass die Klägerin ihre Abwehrrechte gegen die mit
dem Flugbetrieb verbundenen Beeinträchtigungen in diesen Verfahren geltend machen
musste.
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Ein Entzug von Jagdflächen ist mit der Errichtung des Schutzzaunes nicht verbunden.
Durch die Verwirklichung des Bauvorhabens wird das Baugrundstück nicht zu einem
befriedeten Bezirk, in dem die Jagd nicht stattfinden darf (vgl. § 6 BJagdG i. V. m. § 4
LJG NRW).
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Auch die mit dem Schutzzaun verbundenen tatsächlichen Einwirkungen auf den
Jagdbetrieb sind derart gering, dass eine Verletzung des Jagdausübungsrechts
ausscheidet. Nicht jede tatsächliche Beeinträchtigung der Jagd verletzt bereits das
Jagdausübungsrecht. Der Jagdausübungsberechtigte hat weder Anspruch auf einen
bestimmten Wildbestand noch auf einen gänzlich störungsfreien Jagdgenuss.
Insbesondere muss er das Betreten des Waldes durch Spaziergänger ebenso dulden
wie Störungen, die von der bestimmungsgemäßen sonstigen Nutzung der im Jagdbezirk
gelegenen Grundstücke ausgehen,
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vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2003 - III ZR 380/02 -, NJWRR 2004, 100.
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Durch die Errichtung des Schutzzaunes wird Wild nicht aus dem Jagdbezirk der
Klägerin vergrämt. Das Vorhaben führt allenfalls zu einer geringfügigen
Beeinträchtigung von Treibjagden. Diese minimale Einschränkung, die nur einen ganz
geringen Teil des 323 Hektar großen Jagdbezirks betrifft, hat die Klägerin hinzunehmen.
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Ein Verstoß gegen drittschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts zum Nachteil
der Klägerin liegt ebenfalls nicht vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §
167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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