Urteil des VG Münster vom 19.02.2010

VG Münster (kläger, abfallentsorgung, geeignete stelle, grundstück, verhältnis zwischen, öffentlich, stadt, gefährdung, verbringen, satzung)

Verwaltungsgericht Münster, 7 K 963/06
Datum:
19.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 963/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern
wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn
nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zur Entrichtung von
Abfallbeseitigungsgebühren für das Jahr 2006.
2
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Q. -L. -Straße in U. . Dieses Grundstück
befindet sich am Ende einer Sackgasse, die für Müllfahrzeuge über keine
Wendemöglichkeit verfügt. Die Sackgasse ist nach den Plänen des Vermessungs- und
Katasteramtes (Bl. 28 der zugehörigen Sache 7 K 1581/06) je nach Messungsort
zwischen 5 und 6 m breit und in ihrem ca. 105 m langen Verlauf ungerade und
verwinkelt. Für die Abfallentsorgung benutzen die Kläger unter anderem ein 60-Liter-
Restmüllgefäß, das alle 14 Tage durch ein vom Beklagten beauftragtes
Abfallentsorgungsunternehmen geleert wird.
3
Mit einem gemeinsamen Schreiben vom 30. August 2005 baten der Beklagte und das
private Abfallunternehmen die Kläger darum, ihre Mülltonnen ab September 2005 aus
der Sackgasse heraus an einen zentralen Sammelpunkt an der X. -H. -Straße zu
verbringen. Dies sei geboten, da die mehr als 10 m langen und entsprechend breiten
Abfallentsorgungsfahrzeuge in der Sackgasse nicht wenden und daher eine erhebliche
Strecke rückwärts fahren müssten. Zwar seien die Fahrzeuge mit einer Kamera
ausgestattet, dennoch gebe es viele "tote Winkel", so dass die Rückwärtsfahrt eine
erhebliche Gefährdung darstelle. Die für die Abfallentsorgung zuständige
Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen habe eindringlich auf die Einhaltung einer
4
bestehenden Richtlinie hingewiesen, die das Zurücksetzen von Entsorgungsfahrzeugen
fast ausnahmslos verbiete. Daher habe man jede Sackgasse im Stadtgebiet untersucht,
ob es aufgrund der Straßenlänge und der Beschaffenheit der Einmündungsbereiche für
die Anlieger zumutbar sei, ihre Abfallgefäße zur Leerung an eine besser geeignete
Stelle zu verbringen.
Nach den Plänen des Vermessungs- und Katasteramtes beträgt die Entfernung von der
Grenze des klägerischen Grundstücks bis zum Sammelpunkt auf der X. -H. -Straße
knapp 110 m.
5
Unter dem 26. Januar 2006 erließ der Beklagte einen Grundbesitzabgabenbescheid, in
dem er die Kläger unter anderem aufforderte, für das Jahr 2006 Gebühren für die
Müllbeseitigung eines 60-Liter-Restmüllgefäßes in Höhe von 83,84 EUR zu entrichten.
6
Die Kläger erhoben mit Schreiben vom 13. Februar 2006 Widerspruch gegen diesen
Bescheid und beriefen sich in ihrer Begründung darauf, man habe es versäumt, sie beim
Grundstückskauf über bestehende Einschränkungen im Umfeld der Bebauung und über
die Existenz einer Unfallverhütungsvorschrift zu informieren. Im Übrigen habe es in den
letzten 5 Jahren nie Probleme mit der Müllabfuhr gegeben, die Straße sei ohne weiteres
durch das Müllfahrzeug befahrbar, was jedenfalls durch entsprechende Einweisungen
des Beifahrers ohne Probleme gelingen könne. Es sei für sie weiterhin nicht zumutbar,
die Mülltonnen an den Sammelort zu verbringen, da sie gesundheitliche und körperliche
Beschwerden hätten. Der Beklagte habe seine Pflicht zur Müllbeseitigung nicht erfüllt.
Stattdessen werde ihnen eine Tätigkeit aufgebürdet, die von ihrer Überlassungspflicht
nicht mehr gedeckt sei. Die Kläger erklärten die Aufrechnung mit einem öffentlich-
rechtlichen Erstattungsanspruch. Ein solcher stehe ihnen in Höhe von 136,00 EUR
gegen den Beklagten zu, da sie die Mülltonnen in der Zeit vom 14. September bis zum
21. Dezember 2005 an den Sammelpunkt verbracht hätten, wodurch der Beklagte
Aufwendungen erspart habe, die durch den vom Abfallentsorgungsunternehmen
angebotenen Vorholservice - mit 4,00 EUR pro Leerung - angefallen wären. Diese
Aufwendungen seien auch für das Jahr 2006 zu tätigen.
7
Unter dem 2. Mai 2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die besondere Lage
des klägerischen Grundstücks rechtfertige es, die Abfallbehälter dem
Entsorgungsfahrzeug bis zur nächsten Zufahrtsmöglichkeit entgegenzubringen. Es
bestehe kein Rechtsanspruch der Kläger auf Abholung des Abfalls unmittelbar vor ihrem
Grundstück. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Abfallentsorgung in
den Jahren zuvor anders durchgeführt worden sei. Bestehende gesetzliche und damit
auch satzungsrechtliche Bestimmungen seien zu beachten.
8
Die Kläger haben am 6. Juni 2006 Klage erhoben und beantragen,
9
den Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 2006, soweit sie zu Gebühren für die
Abfallbeseitigung in Höhe von 83,84 EUR herangezogen worden sind, und den
Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2006 aufzuheben.
10
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im
Widerspruchsverfahren,
11
die Klage abzuweisen.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Verwaltungsvorgänge, die Gerichtsakte und die Niederschrift der mündlichen
Verhandlung verwiesen.
13
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
14
Die Klage hat keinen Erfolg.
15
Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und
verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16
Rechtsgrundlage für den Heranziehungsbescheid für Müllbeseitigungsgebühren ist § 21
der Satzung über die Abfallentsorgung in der Stadt U. in der Fassung vom 12.
Dezember 2002 i.V.m. §§ 1, 2 I, 3 Abs. 1, Abs. 2 a) der Gebührensatzung über die
Abfallentsorgung der Stadt U. in der Fassung vom 15. Dezember 2005. Danach beträgt
die jährliche Abfallentsorgungsgebühr für einen 60-l-Restmüllbehälter 83,84 EUR.
17
Diesen Betrag kann der Beklagte von den Klägern für die Müllentsorgung verlangen. Er
hat seine Leistungsverpflichtung nach den gesetzlichen Vorgaben erfüllt und zwar auch
dann, wenn er - wie hier - die Kläger zur Mithilfe bei der Abfallentsorgung in Anspruch
nimmt.
18
Eine solche Verpflichtung zur Mithilfe ergibt sich aus § 12 der Satzung über die
Abfallentsorgung der Stadt U. . Danach hat der jeweilige Grundstückseigentümer "die
erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Entleerung der Abfallbehälter bzw. die
Abfuhr der Abfallsäcke ohne Schwierigkeiten und Zeitverlust zu sichern. (...) Wenn das
Sammelfahrzeug nicht am Grundstück vorbeifahren kann, müssen die Abfallbehälter
und Abfallsäcke diesem bis zur nächsten Zufahrtsmöglichkeit entgegengebracht
werden. Die Stadt kann den Aufstellort der Abfallbehälter bestimmen. Nach der Leerung
sind die Abfallbehälter unverzüglich wieder von der Straße zu entfernen."
19
Diese Satzungsbestimmungen sind mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie finden ihre
landesrechtliche Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des
Abfallgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesabfallgesetz - LAbfG - ).
Danach regeln die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger durch Satzung u.a., in
welcher Weise, an welchem Ort und zu welcher Zeit ihnen die Abfälle zu überlassen
sind. Die Satzungsbestimmungen stehen insbesondere nicht im Widerspruch zu der in
den §§ 13 und 15 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) geregelten
Pflichtenteilung - Überlassungspflicht des Abfallerzeugers auf der einen Seite und
Verwertungs- und Beseitigungspflicht des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auf
der anderen Seite - . Aus der gesetzlichen Aufgabenverteilung folgt, dass den
Erzeugern oder Besitzern überlassungspflichtiger Abfälle aus privaten Haushaltungen
keine Tätigkeiten abverlangt werden dürfen, die ihrem Wesen nach zu den vom
öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger vorzunehmenden Entsorgungshandlungen zu
rechnen sind, insbesondere darf dem überlassungspflichtigen Abfallbesitzer keine
generelle Bringpflicht auferlegt werden. Mit der einschlägigen Satzungsbestimmung
wird jedoch nicht ein generelles Bringsystem eingeführt, sondern lediglich im Rahmen
des bestehenden Holsystems eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen, den
Überlassungspflichtigen in Einzelfällen aufgrund örtlicher Besonderheiten eine
individuelle Bringpflicht aufzuerlegen. Derartige Regelungen sind Ausdruck einer
angemessenen Lastenverteilung zwischen den Erzeugern und Besitzern der Abfälle
20
einerseits und den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern andererseits. Verursacht
die besondere Lage eines Grundstücks einen zusätzlichen Aufwand für die Abholung
der dort anfallenden Abfälle, so ist dies grundsätzlich der Sphäre der
überlassungspflichtigen Erzeuger oder Besitzer zuzurechnen. Demgemäß darf der
öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger von diesen eine stärkere Mitwirkung als sonst
üblich verlangen. Für die dem Überlassungspflichtigen zumutbare Mitwirkung ist auf die
konkrete örtliche Situation unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit abzustellen.
BVerwG, Urteil vom 25. August 1999 - 7 C 27.98 -, juris.
21
Örtliche Besonderheiten sind die dem unmittelbaren Anfahren der Grundstücke
entgegenstehenden tatsächlichen und/oder rechtlichen Hindernisse. Tatsächliche
Hindernisse können vorliegen, weil z.B. die lichte Breite der Straße nicht ausreicht, um
sie mit einem ca. 3 m breiten Entsorgungsfahrzeug zu durchfahren. Rechtliche
Hindernisse können dem Befahren einer Erschließungsanlage in Form
straßenverkehrsrechtlicher oder auch arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen
entgegenstehen.
22
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 12 Satz 3 der Satzung über die
Abfallentsorgung in der Stadt U. sind erfüllt. Das Entsorgungsfahrzeug kann das
Grundstück der Kläger nicht anfahren. Der Anfahrt stehen tatsächliche und rechtliche
Hindernisse entgegen. Ein Wenden in dem kleinen Wendehammer der Q. -L. -Straße ist
für ein Müllfahrzeug nicht möglich. Nach den Empfehlungen für Erschließungsanlagen
(EAE 85/95) sollte der Mindestdurchmesser eines Wendekreises bei 22 m
einschließlich der Überhänge liegen.
23
Vgl. Newsletter Arbeitssicherheit & Arbeitsmedizin, www.diemer-ing.de/newsletter/2007-
03/Unfallverhuetungs- vorschrift_Muellbeseitigung.html.
24
Der Wendehammer in der Q. -L. -Straße ist jedoch nur zwischen 8 und 10 m breit. Das
Wenden eines gut 10 m langen Entsorgungsfahrzeuges ist damit nicht möglich.
25
Dem deshalb notwendigen Rückwärtsfahren der Entsorgungsfahrzeuge stehen
straßenverkehrsrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen entgegen. So ist
ein Rückwärtsfahren mit einem Entsorgungsfahrzeug gemäß § 9 Abs. 5 Halbsatz 1 der
Straßenverkehrsordnung - StVO - nur zulässig, wenn die Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer, aber auch sonstiger anderer Dritter (wie spielende Kinder oder aus
den Grundstücken heraustretende Personen) ausgeschlossen ist. Auch der Einsatz
eines nach § 9 Abs. 5 Halbsatz 2 StVO erforderlichenfalls nötigen Einweisers schließt
nicht aus, dass der mit dem Entsorgungsfahrzeug rückwärts fahrende Müllwerker nicht
die erforderliche "äußerste Sorgfalt" zu erbringen vermag, wenn die tatsächlichen
örtlichen Verhältnisse an und um eine Erschließungsanlage dem entgegenstehen.
Diese strengen Anforderungen folgen aus den Grundregeln des § 1 Abs. 1 und 2 StVO,
wonach der Verkehrsteilnehmer eine ständige Vorsicht walten lassen muss, und zwar
auch bezüglich des ruhenden Verkehrs und der nicht am Straßenverkehr beteiligten
Personen. Dabei liegt eine (konkrete) Gefährdung im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO bereits
in der Nichtbeachtung der in der jeweiligen Verkehrslage gebotenen Sorgfalt und der
damit anstehenden (wahrscheinlichen) Gefahr eines Schadenseintritts.
26
Bay VGH, Urteil vom 11. März 2005, - 20 B 04.2741 -, juris; VG Münster, Urteil vom 4.
27
Februar 2009 - 7 K 1621/08 -.
Legt man dies den in der Q. -L. -Straße vorzufindenden tatsächlichen örtlichen
Verhältnissen zu Grunde, verstößt ein sich stets wiederholendes rückwärtiges Einfahren
in diese Straße mit einem Entsorgungsfahrzeug der gegebenen Größe gegen das Gebot
der ständigen Vorsicht und Rücksichtnahme und gegen das Verbot der Gefährdung
anderer. Die zum klägerischen Grundstück führende Straße hat eine Fahrbahnbreite
von gut 5 Metern; das eingesetzte Entsorgungsfahrzeug hat eine Breite von knapp 3
Metern. Fährt das Entsorgungsfahrzeug auf einer Strecke von mehr als 40 m in einem
Zuge mit beidseitig verfügbarem Manövrierraum von nur einem Meter rückwärts, muss
stets damit gerechnet werden, dass es zu einer Gefährdung von aus angrenzenden
Grundstücken plötzlich heraustretenden Personen (insbesondere Kindern) kommt und
dies auch beim Einsatz eines Einweisers, der naturgemäß nicht die gesamte durch das
Rückwärtsfahren des Entsorgungsfahrzeuges gefährdete Umgebung überblicken kann.
Dies wird durch den ungeraden, verwinkelten Straßenverlauf und den Umstand, dass
die Straße über keinen Gehwegbereich verfügt, zusätzlich erschwert und kann auch
nicht durch die an den Fahrzeugen angebrachte Kamera ausgeglichen werden, da es
rund um das Fahrzeug viele tote Winkel gibt.
28
Darüber hinaus stellt § 16 Nr. 1 der berufsgenossenschaftlichen
Unfallverhütungsvorschrift (BGV C 27) ein rechtliches Hindernis für ein Rückwärtsfahren
von Entsorgungsfahrzeugen in die Q. -L. -Straße dar. Nach § 16 Nr. 1 der
Unfallverhütungsvorschrift darf Müll nur abgeholt werden, wenn die Zufahrt zu
Müllbehälterstandplätzen so angelegt ist, dass ein Rückwärtsfahren nicht erforderlich ist.
Dies ist nach dem soeben Ausgeführten aber gerade der Fall.
29
§ 12 Satz 3 der Abfallentsorgungssatzung der Stadt U. enthält keine gegen den
allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßende Anordnung. Der Beklagte
war nicht verpflichtet, in der Satzung für bestimmte Einzelfälle Ausnahmen von der
Mitwirkungspflicht zu regeln.
30
Die jetzige Regelung dient in Anlehnung an die obigen Ausführungen der Effektivität der
Gefahrenabwehr. Diese Zielsetzung ist ein legitimer Zweck, der durch die Verlagerung
des Entsorgungsortes auf die X. -H. -Straße erreicht wird. Die Satzungsregelung des
Beklagten ist auch angemessen und führt nicht zu einer unsachgemäßen
Lastenverteilung.
31
Das Verbringen von Abfällen über beliebig weite Entfernungen zu einem zentralen
Sammelplatz darf nicht die Grenze des Einsammelns und Beförderns als
Entsorgungshandlung des Beklagten überschreiten. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Eine Wegstrecke von 110 m ist für die Kläger vielmehr ungeachtet etwaiger
gesundheitlicher Einschränkungen hinnehmbar. Dabei ist der Begriff der "Zumutbarkeit"
rein objektiv zu verstehen. Es ist stets die konkrete örtliche Situation, insbesondere die
Erschließungssituation des betreffenden Grundstücks in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
entscheidend.
32
BVerwG, Urteil vom 25. August 1999, - 7 C 27/98 -, juris.
33
Ein strenger Richtwert, wonach eine Wegstrecke von mehr als 100 m die Zumutbarkeit
ausschließt, wäre nicht sachgerecht, um entsprechende Rückschlüsse ziehen zu
34
können.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1995, - 7 NB 1/95 -, juris; BVerwG, Urteil vom 25.
August 1999, - 7 C 27/98 -, juris.
35
Die Pflicht zur Mitwirkung bei der Abfallentsorgung ergibt sich hier aus der dargestellten
besonderen Lage des Grundstücks und der Ausgestaltung der Straße. Alter und
Gesundheitszustand der Kläger können demgegenüber schon deshalb zu keinem
anderen Ergebnis führen, weil sonst in einer Vielzahl von vergleichbaren Fällen (z.B.
Personen mit Behinderungen, die nicht einmal kurze Wegstrecken zu Fuß zurücklegen
können) der Abfall unmittelbar an der Haustür entsorgt werden müsste, was einen nicht
mehr zumutbaren Aufwand für den Beklagten bzw. das Müllfuhrunternehmen mit sich
brächte. Vielmehr muss der Betroffene im Falle körperlicher Gebrechen Vorsorge dafür
treffen, dass sein Müllgefäß bis zur Straße verbracht wird. Dabei kann er entweder
nachbarschaftliche Hilfe in Anspruch nehmen oder aber den vom Abfallunternehmen
angebotenen (kostenpflichtigen) Vorholservice nutzen. Zudem ist zu berücksichtigen,
dass der Beklagte zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit den Klägern angeboten hat,
den Standort für die Abfallgefäße etwa 35 Meter in die Q. -L. -Straße hinein zu verlegen,
so dass die Kläger das Restmüllgefäß nur noch 85 Meter weit ziehen müssten. Dieses
Angebot, das der Beklagte nach wie vor aufrecht erhält, ist von den Klägern jedoch nicht
angenommen worden.
36
Ein gegenteiliger Standpunkt lässt sich auch nicht aus dem Urteil der erkennenden
Kammer vom 4. Februar 2009 - 7 K 1621/08 - entnehmen. Zum einen kam es dort auf
die Frage, ob die subjektive Betroffenheit des Einzelnen wegen körperlicher
Beeinträchtigungen für die Zumutbarkeit eine Rolle spielen kann, nicht an. Zum anderen
geht die Entscheidung nicht davon aus, eine körperliche Beeinträchtigung des Klägers -
ihr Vorliegen unterstellt - führe zwangsläufig zu einer anderen Bewertung der
Zumutbarkeit.
37
Auch wenn es hierauf nicht entscheidend ankommt, weist die Kammer darauf hin, dass
der Eigentümer eines Grundstücks auch in anderen Fällen die sich aus der Lage seines
Grundstücks ergebenden zusätzlichen Verpflichtungen zu erfüllen hat. So trifft
beispielsweise den Eigentümer eines Grundstücks die Verkehrssicherungspflicht,
öffentliche Gehwege um sein Grundstück von Schnee und Eis zu befreien und dadurch
eine Gefährdung Dritter auszuschließen. Diese gesetzliche Verpflichtung, die dem
Eigentümer durch die Gemeinde übertragen worden ist, besteht aber unabhängig
davon, ob der jeweilige Eigentümer nach Alter und Gesundheitszustand dazu noch in
der Lage ist oder nicht. Kann er die Räumungsarbeiten selbst nicht (mehr) vornehmen,
muss er sich notfalls an einen kostenpflichtigen Räum- und Streudienst wenden, ohne
die dafür anfallenden Kosten erstattet zu bekommen.
38
Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Müllbehälter in den
letzten Jahren immer von ihrem Grundstück abgeholt worden sind. Ein diesbezüglicher
Vertrauenstatbestand, der den Beklagten verpflichten könnte, diese Praxis weiter
fortzusetzen, ist nicht entstanden. Vielmehr steht es dem Beklagten frei, jederzeit seine
Praxis zu ändern, wenn dies wie hier im Rahmen des geltenden Rechts geschieht. Eine
Bindung des Beklagten an seine bisherige Praxis ergibt sich auch nicht aus dem
jetzigen Ausbauzustand der Q. -L. -Straße. Kauft ein Bauwilliger ein Grundstück an
einer verkehrsberuhigten Straße und damit an Erschließungsanlagen, die mit
Müllfahrzeugen nicht bzw. nur erschwert angefahren werden können, hat er den bei ihm
39
anfallenden Müll an eine von einem Abfallentsorgungsfahrzeug anfahrbare
Sammelstelle zu verbringen. In diesem Fall können Anlieger nicht fordern, dass
angesichts der erschwerten Entsorgungssituation der Beklagte als Träger der
Müllversorgung einspringt und sie von jeglichem Verbringen der Abfälle freistellt.
OVG NRW, Urteil vom 3. Juni 2002 - 7 a D 75/99 -, NVwZ-RR 2003, 97,98.
40
Die Kläger können die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht durch die
von ihnen erklärte Aufrechnung mit einem - angeblich - bestehenden öffentlich-
rechtlichen Erstattungsanspruch herbeiführen. Dem stehen folgende Gesichtspunkte
entgegen:
41
Die Aufrechnung mit einem wie hier rein zivilrechtlichen Erstattungsanspruch wird im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren allgemein nur dann für zulässig erachtet, wenn der
Anspruch, mit dem aufgerechnet wird, "unbestritten" ist.
42
OVG NRW, Urteil vom 22. August 1979 - III A 233/77 -, juris.
43
Dies ist nicht der Fall.
44
Im Übrigen führt die Aufrechnungserklärung gemäß § 389 BGB (analog) nur zu einem
Erlöschen sich gegenüberstehender Forderungen, nicht aber zur Rechtswidrigkeit eines
Verwaltungsakts. Überdies setzt eine wirksame Aufrechnung nach § 387 BGB (analog)
voraus, dass sich zwei Personen einander gleichartige Leistungen schulden. Der
Beklagte ist den Klägern gegenüber aber gerade nicht zur Erbringung eines
Vorholdienstes verpflichtet. Dieser Service wird auf freiwilliger privater Basis allein
durch das Abfallentsorgungsunternehmen angeboten, hat aber auf das Verhältnis
zwischen Kläger und Beklagtem, das rein öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist, keine
Auswirkung. Es gibt somit keine mit den Müllbeseitigungsgebühren korrespondierende
geldwerte Verpflichtung des Beklagten gegenüber den Klägern.
45
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
46
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
47
48