Urteil des VG Münster vom 16.09.2010

VG Münster (höhe, kläger, grundstück, abstand, mast, verwaltungsgericht, aufschüttung, errichtung, wohnhaus, vergünstigung)

Verwaltungsgericht Münster, 2 K 1106/09
Datum:
16.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 1106/09
Tenor:
Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 24.
April 2009 für die Errichtung eines Stahlgittermastes für eine
Basisstation für das U.-Mobilfunknetz mit einer Höhe von 30 m + 6,50 m
Aufsatzmast auf dem Grundstück Gemarkung F., Flur 00, Flurstück 00,
T., wird aufgehoben.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens
jeweils zu 1/2.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beitreibbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstückes Gemarkung F., Flur 00, Flurstück 00 mit
der postalischen Bezeichnung T. Nr. 00 in H. Er wendet sich gegen eine der
Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine Mobilfunkbasisstation mit Sendemast
auf dem östlich benachbarten Flurstück 00 der Flur 00. Das Grundstück des Klägers ist
mit einem Wohnhaus bebaut und befindet sich ebenso wie das Vorhabengrundstück
außerhalb des Geltungsbereiches eines Bebauungsplanes im sogenannten
Außenbereich i.S.d. § 35 BauGB.
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Unter dem 23. Juni 2008 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Erteilung einer
Baugenehmigung zur Errichtung eines Stahlgittermastes, der am Boden eine
quadratische Grundfläche von rund 1 m x 1 m aufweist. Ab einer Höhe von ca. 30 m soll
ein Aufsatzrohr von 6,50 m aufgesetzt werden, an dem u.a. UMTS- und GSM-Antennen
angebracht werden sollen. Diese Antennenanlage hat eine seitliche Ausbreitung von
ca. 2,20 m. Der dem Nachbargrundstück des Klägers zugewandte westliche
Außenträger des Stahlgittermastes weist einen Abstand von ca. 10,50 m zur
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Flurstücksgrenze auf. Der Abstand der Basisstation zum Wohnhaus des Klägers beträgt
ca. 70 m. Dem Bauantrag war seitens der Beigeladenen eine Darstellung der
funktionstechnischen Notwendigkeit für den Ortsteil F.-S. und ein landespflegerischer
Begleitplan beigefügt.
Unter dem 14. Juli 2008 erteilte die Bundesnetzagentur eine Standortbescheinigung für
das beabsichtigte Vorhaben der Beigeladenen.
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Mit Bauschein vom 24. April 2009 erteilte der Beklagte der Beigeladenen auf ihren
Antrag die erbetene Baugenehmigung. Er legte dabei seine Abstandflächenberechnung
zugrunde, nach der der Stahlgittermast auf Grund seiner Ausrichtung in Richtung des
Grundstückes des Klägers die erforderliche Abstandfläche von 14,60 m einhielt.
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Am 9. Juni 2009 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Er macht geltend:
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Er habe von der Baugenehmigung erst durch fortschreitende Bauarbeiten auf dem
Nachbargrundstück Ende Mai 2009 Kenntnis erlangt. Die Baugenehmigung verletze
den Kläger in seinen Rechten, da von dem Bauvorhaben schädliche
Umwelteinwirkungen ausgingen und das Orts- und Landschaftsbild verunstalteten.
Ferner sei das Vorhaben in einem zu geringen Abstand zur Grundstücksgrenze des
Klägers errichtet worden.
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Der Kläger beantragt,
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die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 24. April 2009 für
die Errichtung eines Stahlgittermastes für eine Basisstation für das U.-Mobilfunknetz mit
einer Höhe von 30 m + 6,50 m Aufsatzmast auf dem Grundstück Gemarkung F., Flur 00,
Flurstück 00, T., aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verteidigt die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und macht geltend, dass im
Hinblick auf § 6 Abs. 6 BauO NRW die erforderliche Abstandfläche des Vorhabens zu
dem Grundstück des Klägers eingehalten sei.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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die Klage abzuweisen.
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Eine nochmalige Einmessung des streitgegenständlichen Funkmastes habe ergeben,
dass die Abstandfläche des Funkmastes auch unter Berücksichtigung der Höhe der
Aufschüttung, auf dem der Mast errichtet worden sei, die Grundstücksgrenze nicht
überragen würde. Die Beigeladene gehe mit der herrschenden Ansicht davon aus, dass
der eckige Funkmast keine runden, sondern eckige Abstandflächen auslöse. Die
Beigeladene werde eine korrigierte Planung mit eingearbeitetem Höhenplan, die die
Aufschüttung berücksichtige, bei dem Beklagten als Nachtrag zur Baugenehmigung
einreichen. Das gesamte Vorhaben habe inklusive der Höhe der Aufschüttung eine
Höhe von insgesamt 34,91 m. Die Abstandflächen von 0,4 h würden somit 13,96 m
betragen und lägen auf dem Baugrundstück. Die Beigeladene halte daher eine
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Baulastvereinbarung mit den Nachbarn, auch mit dem Kläger, für nicht erforderlich.
Am 17. März 2010 hat der Berichterstatter die Örtlichkeiten in richterlichen Augenschein
genommen und die Beteiligten darauf hingewiesen, dass jedenfalls mit Blick auf das
aufgesetzte Rohr, das über den Stahlgittermastabschluss hinausrage, ein
Abstandflächenverstoß gegeben sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakte sowie auf die von den Beteiligten überreichten Verwaltungsvorgänge,
Fotos und Karten ergänzend verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage hat Erfolg.
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Die gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die
angefochtene Baugenehmigung des Beklagten vom 24. April 2009 ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen subjektiven Nachbarrechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung ist allein die Baugenehmigung des
Beklagten vom 24. April 2009, da ein veränderter Streitgegenstand, der durch eine
Nachtragsbaugenehmigung eintreten könnte, bislang nicht in das Verfahren eingeführt
worden ist.
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Eine Verletzung subjektiver Nachbarrechte des Klägers ergibt sich bereits daraus, dass
das Vorhaben der Beigeladenen gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 6 der
Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) verstößt.
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Zwar handelt es sich bei dem Vorhaben der Beigeladenen, wie sie es mit ihrem
Bauantrag zur Genehmigung gestellt hat, nicht um ein Gebäude, für das in § 6 Abs. 1
BauO NRW bestimmt ist, dass Abstandflächen vor den Außenwänden von Gebäuden
freizuhalten sind, jedoch gilt diese Bestimmung gemäß § 6 Abs. 10 BauO NRW
entsprechend für den streitgegenständlichen 30 Meter hohen Stahlgittermast mit dem
6.50 Meter hohen Antennenaufsatz entsprechend. Im Hinblick auf die eingehenden
Darlegungen des Gerichts in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf die
obergerichtliche Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW),
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vgl. Beschlüsse vom 5. November 2007 - 7 B 1339/07 - und vom 23. Juli 2008, - 10 A
2957/07 -,
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erübrigen sich vertiefte Ausführungen dazu, dass von dem Vorhaben der Beigeladenen
wegen der optisch bedrängenden Wirkung im Hinblick auf den von § 6 BauO NRW
besonders geschützten Belang des Sozialabstandes Wirkungen wie von Gebäuden
i.S.d. § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW ausgehen.
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Das Vorhaben der Beigeladenen hält die erforderliche Tiefe der Abstandfläche
gegenüber dem Grundstück des Klägers, die gemäß § 6 Abs. 2 BauO NRW auf dem
Vorhabengrundstück liegen müsste, nicht ein. Denn das Vorhaben weist - nach den mit
Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen - mit dem westlichen Außenträger des
Stahlgittermastes lediglich einen Abstand von ca. 10,50 Meter zur Grundstücksgrenze
des Klägers auf. Diese Abstandsfläche wäre jedoch nur ausreichend, wenn die
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Beigeladene die Vergünstigung des § 6 Abs. 6 BauO NRW für das Vorhaben in seiner
gesamten Höhe dergestalt in Anspruch nehmen könnte, dass die Abstandfläche (nur)
vor der westlichen Außenfront des Stahlgittergerüstes maßgeblich wäre. Denn nur durch
die Ausrichtung dieser Front des Gerüstes wird die errechnete Abstandfläche von 14,60
Metern (36,50 m x 0,4 H) zur westlichen Grundstücksgrenze eingehalten. Es erscheint
jedoch bereits zweifelhaft, ob diese westliche Außenfront des Stahlgittergerüstes
entsprechend wie eine Außenwand eines Gebäudes anzusehen ist, da das
Stahlgittergerüst anders als eine Gebäudeaußenwand den innenliegenden Mast nicht
gegen die Außenluft abschließt.
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 17. November 2009, - 7 B 1350/09 -.
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Darüber hinaus ist eine entsprechende Anwendung auch nach Sinn und Zweck des
"Abstandflächenrechts" nicht angezeigt. Denn nach der Vorstellung des
Landesgesetzgebers in § 6 BauO NRW soll es auf die Einhaltung der Abstandfläche vor
Außenwänden und nicht auf Abstände von baulichen Anlagen ankommen, so dass nicht
die Eckpunkte sondern typischerweise nur die Außenwände von Gebäuden u.a. wegen
der darin befindlichen Tür- und Fensteröffnungen nachbarrechtsrelevante
Beeinträchtigungen hervorrufen können. Eine für eine entsprechende Anwendung
vergleichbare Konstellation ist bei dem hier zu betrachtenden Stahlgittergerüst, das
ungeachtet von Außenfronten zu allen Seiten in gleicher Weise seine optischen
Auswirkungen in nachbarrechtsrelevanter Weise entfaltet, nicht erkennbar.
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Aber selbst wenn zu Gunsten der Beigeladenen ihr Vorhaben mit der westlichen
Außenfront des Stahlgittergerüsts für die Bestimmung der erforderlichen Abstandfläche
zu betrachten wäre, könnte diese "Vergünstigung" nicht auch für das 6,50 Meter hohe
Aufsatzrohr mit den daran befestigten Antennen in Anspruch genommen werden, da es
insoweit an einer äußerlich sichtbaren Außenfront fehlt, die einer Gebäudeaußenwand
gleichgesetzt werden könnte. Denn das mit der streitgegenständlichen
Baugenehmigung genehmigte Stahlgittergerüst endet nach 30 Metern, während auf den
innenliegenden Mast das 6,50 Meter hohe Aufsatzrohr samt Antennen aufgesetzt
werden soll. Eine abstandflächenrechtliche Privilegierung für dieses Aufsatzrohr ist in §
6 BauO NRW - insbesondere in Abs. 7 - nicht vorgesehen, so dass gemäß § 65 Abs. 4
BauO NRW ungeachtet einer Genehmigungsfreiheit nach § 65 Abs. 1 Nr. 18 BauO
NRW die erforderlichen Abstandflächen einzuhalten sind.
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Da dieses Aufsatzrohr mit den daran befestigten Antennen nicht isoliert, sondern als
Einheit mit dem Stahlgittergerüst betrachtet,
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so zu Recht OVG NRW, Beschluss vom 29 September 2009, - 10 A 331/08 - S. 5 des
amtlichen Abdrucks,
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jedenfalls nicht die erforderliche Abstandfläche von 14,60 Metern zum Grundstück des
Klägers einhält, bedarf es keiner weitergehenden Auseinandersetzung mit der
(spannenden) Frage, ob das Vorhaben der Beigeladenen eine kreisrunde
Abstandfläche, nur für das Aufsatzrohr oder auch für den gesamten innenliegenden
Mast und auch für das Stahlgittergerüst auslöst.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 3, 162 Abs. 3 VwGO; der Ausspruch
über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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