Urteil des VG Münster vom 27.07.2010

VG Münster (gebäude, brand, anordnung, vorschrift, stadt, ehemann, wochenendhaus, verwaltungsgericht, abstand, grundstück)

Verwaltungsgericht Münster, 2 K 297/09
Datum:
27.07.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 297/09
Tenor:
Soweit die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache
übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren
eingestellt.
Die mit ihrem in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2010
gestellten Sachantrag fortgeführte Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Kosten der Beigeladenen
sind nicht zu erstatten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin ist Miteigentümer des Flurstücks 000 der Flur 00 in der Gemarkung T. Das
1 370 m³ große Grundstück liegt im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplanes
"Erholungsgebiet G." - Detailplan 3 "Wochenendhausgebiet N." - der Stadt T. und ist in
acht Aufstellplätze aufgeteilt. Auf dem von der Klägerin genutzten, etwa 137 m² großen
Aufstellplatz (Nr. 000) steht seit langer Zeit - der genaue Aufstellzeitpunkt ist ungewiss -
ein Wohnmobilheim nebst mehreren seitlichen Anbauten. Die 8,59 m lange südliche
Außenwand des Wohnmobilheims hält zu dem auf dem benachbarten Aufstellplatz (Nr.
000) stehenden Wohnmobilheim auf einer Länge von - mindestens - 3,20 m einen
Abstand von 1,40 m ein.
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Am 11. Mai 2008 kam es in dem Wochenendhausgebiet zu einem Großbrand, der -
begünstigt durch starken Ostwind, Hitze und Trockenheit - sich auf insgesamt sieben
Aufstellplätze erstreckte. Der Feuerwehr gelang es mit massivem Wasser- und
Löschschaumeinsatz eine weitere Ausbreitung des Brandes zu verhindern. Insgesamt
80 Feuerwehrleute waren mit 20 Fahrzeugen im Einsatz, um die Flammen von
mehreren Seiten zu bekämpfen und die Löschwasserversorgung sicherzustellen.
Menschen kamen nicht zu Schaden; zwei Personen, die sich zum Schlafen begeben
hatten, konnten sich infolge der Aufmerksamkeit und des beherzten Eingreifens von
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Nachbarn noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Die auf den sieben betroffenen
Aufstellplätzen stehenden - vornehmlich in Holzbauweise ausgeführten -
Wochenendhäuser, Nebengebäude und Wohnwagen fielen dem Großbrand zum Opfer
oder wurden schwer beschädigt. Den eingetretenen Sachschaden schätzte die Polizei
auf mindestens 250 000 EUR.
Diesen Großbrand nahm der Beklagte zum Anlass, eine Brandschau innerhalb des
Wochenendhausgebietes durchzuführen und die auf den einzelnen Aufstellplätzen
festgestellten Brandlasten und -gefahren zu dokumentieren. Hierbei wurde festgestellt,
dass auf dem Aufstellplatz, auf dem der Brand entstanden war, mehr Gebäude
vorhanden waren, als ausweislich der vorliegenden Bauakte genehmigt waren. Der
Brand war mutmaßlich von Elektrogeräten ausgegangen, die in einem grenznahen
Abstellgebäude aufgestellt gewesen waren. Alle Gebäude auf der betroffenen Parzelle
waren abgebrannt. Auch Nachbargebäude waren abgebrannt oder erheblich beschädigt
worden.
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Durch Ordnungsverfügung vom 13. Januar 2009 gab der Beklagte der Klägerin auf,
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1. ihr Gebäude auf dem Aufstellplatz 000 stromlos zu schalten und ihm, dem Beklagten,
eine entsprechende Bescheinigung eines Elektrofachbetriebes oder einer
nachgewiesenen fachkundigen Person bis zum 20. Februar 2009 vorzulegen, sowie
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2. das in einem der Ordnungsverfügung beigefügten Lageplan gekennzeichnete
Gebäude auf dem Aufstellplatz 000 innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der
Bestandskraft der Ordnungsverfügung vollständig zu beseitigen.
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Die Klägerin hat gegen diese Ordnungsverfügung rechtzeitig Klage erhoben und wegen
der vom Beklagten angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung zu Nr. 1
vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz beantragt. Zur Beilegung dieses
Aussetzungsverfahrens hat sich die Klägerin durch gerichtlichen Vergleich (Beschluss
des Gerichts vom 18. März 2009) gegenüber dem Beklagten u.a. dazu verpflichtet, bis
zu einem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens 2 K 297/09 oder bis zu
einer in diesem Verfahren getroffenen einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits
das streitbetroffene Wochenendhaus weder selbst nutzen noch es anderen zur Nutzung
überlassen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2010 hat der Beklagte die Anordnung zu
Nr. 2 seiner Ordnungsverfügung vom 13. Januar 2009 aufgehoben. Insoweit haben die
Hauptbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Ihr verbliebenes Klagebegehren,
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. Januar 2009 aufzuheben, soweit sie
nicht durch die übereinstimmende Erledigungserklärung gegenstandslos geworden ist,
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begründet die Klägerin wie folgt: Das streitbetroffene Gebäude auf dem Aufstellplatz Nr.
000 sei seit etwa 30 Jahren vorhanden. Den Kernbestand des Gebäudes bilde ein
Wohnmobilheim, das aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt worden sei. Die
nördlichen Anbauten (Wohnraum, Abstell- und Hauswirtschaftsraum nebst überdachtem
Freisitz) seien später hinzugekommen. Der derzeitige Zustand des Gebäudes sei aber
bereits vorhanden gewesen, als sie, die Klägerin, und ihr Ehemann das Objekt im Jahr
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1997 als Mieter bezogen und sodann käuflich erworben hätten. Bauliche Erweiterungen
hätten sie, die Klägerin, und ihr Ehemann nicht vorgenommen; lediglich ein baufälliger
Teil sei ohne flächenmäßige Erweiterung wiederhergestellt worden. Anlässlich dieser
Reparaturmaßnahme habe ihr Ehemann beim Bauamt der Stadt T. vorgesprochen und
die Auskunft erhalten, ein Bauantrag sei hierfür nicht notwendig. Auch schon vor dem
Erwerb des Objektes habe ihr Ehemann beim Bauamt gefragt, ob genehmigungsmäßig
"etwas zu veranlassen" sei. Auch dies sei verneint worden. Von einer materiellen
Baurechtswidrigkeit, wie sie der Beklagte in seiner Ordnungsverfügung näher begründet
habe, könne deshalb keine Rede sein. Es sei unbestritten, dass das Objekt unverändert
seit Jahrzehnten bestehe. Bauordnungsrechtliche Maßnahmen habe es niemals
gegeben. Mit Rücksicht auf die jahrzehntelange Duldung dieses Objekts sei es
unverhältnismäßig, von der Klägerin die sofortige Stromlosschaltung des
Wochenendhauses zu verlangen.
Der Beklagte verteidigt seine Ordnungsverfügung - soweit sie noch streitig ist -, verweist
auf deren Begründung und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes
im übrigen wird auf den Inhalt der Streitakte, den Inhalt der beigezogenen Streitakten 2
K 2694/08, 2 L 682/08 und 2 L 65/09 sowie auf den Inhalt der vom Beklagten zum
vorliegenden und den übrigen Streitverfahren vorgelegten Verwaltungsakten (6
Aktenbände) ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen verbliebene Klagebegehren
ist zulässig, in der Sache selbst unbegründet und deshalb gemäß § 113 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) abzuweisen, weil die angefochtene
Ordnungsverfügung des Beklagten - soweit sie noch streitbetroffen ist - die Klägerin
nicht in ihren Rechten verletzt.
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Rechtsgrundlage für die Anordnung, das Gebäude auf dem Aufstellplatz Nr. 000
stromlos zu schalten, ist § 61 Abs. 1 der Landesbauordnung (BauO NRW). Nach Satz 1
dieser Vorschrift haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung und der Nutzung
baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und
die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Nach
Satz 2 dieser Vorschrift haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung dieser
Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Die Würdigung der von der Klägerin im Verwaltungsverfahren und vor Gericht
vorgetragenen Gründe und die Auswertung der vom Gericht beigezogenen
Verwaltungsakten ergeben, dass die streitige Anordnung zu Nr. 1 in der
Ordnungsverfügung vom 19. Januar 2009 den genannten gesetzlichen Anforderungen
entspricht und deshalb zu Recht ergangen ist:
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Der Standpunkt der Klägerin, ihr Wohnmobilheim nebst Anbauten auf dem Standplatz
Nr. 000 genieße formellen Bestandsschutz, ist unbegründet. Auf die Ausführungen in
dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
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NRW) vom 15. April 2009 - 10 B 186/09 -, den das Gericht dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Kenntnis übermittelt hat, wird zur Vermeidung
unnötiger Wiederholungen verwiesen. Ob der Bebauungsplan "Erholungsgebiet G." -
Detailplan 3 "Wochenendhausgebiet N." - der Stadt T., wie in der mündlichen
Verhandlung vom 27. Juli 2010 erörtert worden ist, ungültig ist, kann auf sich beruhen.
Dies anzunehmen würde an dieser Rechtslage nichts ändern. Denn die von der
Klägerin vorgetragene, jedoch aus Rechtsgründen auzuschließende Freistellung des
Gebäudes von der bauordnungsrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit - als
Wochenendhaus auf einem genehmigten Wochenendplatz - ist spätestens in dem
Zeitpunkt entfallen, als das Gebäude infolge seiner Umwandlung zu einem
Dauerwohnsitz seine Eigenschaft als Wochenendhaus verlor (vgl. Beschluss des OVG
NRW, a.a.O., S. 3 a.E.).
Der Beklagte hat auch - materiellrechtlich - zu Recht angenommen, dass der Abstand
von nur 1,40 m zwischen dem streitbetroffenen Gebäude und der nördlichen
Außenwand des Wohnmobilheims auf dem benachbarten Aufstellplatz (Nr. 000) und die
unzureichende Widerstandsfähigkeit der verwendeten Bauteile der benachbarten
Gebäude gegen Feuer und Brandüberschlag im Widerspruch zu den - auch dem
Brandschutz dienenden - Vorschriften der Landesbauordnung und der Camping- und
Wochenendplatzverordnung stehen.
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Der vom Beklagten angenommene Verstoß gegen § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW und
damit die im vorliegenden Fall zum sofortigen Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde
rechtfertigende konkrete Gefahr für Leib oder Leben von Menschen ist zweifelsfrei
gegeben. Gebäudeabschlusswände sind nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW nicht nur
bei "aneinandergereihten Gebäuden auf demselben Grundstück", sondern, wie im
Umkehrschluss aus dem Nebensatz der genannten Vorschrift folgt, auch dann
erforderlich, wenn ein Gebäude weniger als 2,50 m von einer Nachbargrenze oder - bei
Gebäuden auf demselben Grundstück, wie hier - weniger als 5 m von einem anderen
vorhandenen Gebäude entfernt ist. Auf die Ausführungen im Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 15. April
2009 (a.a.O., dort S. 4, 7. Zeile von unten) wird zur Vermeidung unnötiger
Wiederholungen verwiesen. Eine Unwirksamkeit des Bebauungsplanes
"Erholungsgebiet G." - Detailplan 3 "Wochenendhausgebiet N." würde auch an dieser
Rechtslage nichts ändern, weil der Klägerin für diesen Fall nicht einmal die
Erleichterungen des § 14 Abs. 2 Satz 2 CWVO zu Gute kämen.
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Die mit Datum vom 23. September 1998 erteilte Teilungsgenehmigung, die zur Bildung
des Flurstücks 000 geführt hat, konnte nicht zu einer Genehmigungsfähigkeit oder gar
einer Legalisierung der beschriebenen Verstöße gegen die gesetzlichen
Brandschutzanforderungen führen. Abgesehen davon, dass der zur
Teilungsgenehmigung gehörende zeichnerische Entwurf die auf dem neu zu bildenden
Flurstück 000 (Bereich XXXVII) aufstehenden Gebäude nicht zeigt und die
Genehmigung deshalb schon gegenständlich nicht auf Gebäude bezogen war, war sie
auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 der Landesbauordnung i.d.F. vom 7. März 1995
ergangen und beschränkte sich folglich in ihren Rechtswirkungen allein auf den in
dieser Vorschrift angeordneten Regelungsgehalt.
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An der formellen und materiellen Illegalität des in der Ordnungsverfügung vom 19.
Januar 2009 beanstandeten baulichen Zustandes gibt es nach allem keine Zweifel.
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Aus der Tatsache, dass der geringe Abstand zwischen den beiden Wochenendhäusern
seit Jahrzehnten besteht, von der Klägerin offenbar nicht herbeigeführt und bei
Brandschauen in der Vergangenheit unbeanstandet geblieben ist, folgt weder ein
materieller Bestandsschutz noch durfte die Klägerin dieses Verhalten der
Bauaufsichtsbehörde als eine - weiteres bauaufsichtliches Einschreiten hindernde -
Duldung des rechtswidrigen Zustandes werten. Auch aufgrund der in der Klageschrift
wiedergegebenen Auskünfte der - nicht für die Bauaufsicht zuständigen - beigeladenen
Stadt T. durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, von zukünftigen, den Brandschutz
sicherstellenden Aufforderungen der Bauaufsichtsbehörde verschont zu bleiben.
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Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes ist nicht übersetzt. Angesichts der
dargelegten und in der angefochtenen Ordnungsverfügung noch detailliert erläuterten
konkreten Gefahr für Leben und Gesundheit der Nutzungsberechtigten (auf den hier
betroffenen Aufstellplätzen) durfte der Beklagte zur Durchsetzung der angeordneten
Stromlosschaltung ein empfindliches Beugemittel androhen. Denn es gab Anlass zu der
Annahme, dass der Großbrand vom 11. Mai 2008 infolge eines Defektes an einem
Elektrogerät in einem Abstellgebäude ausgebrochen war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3, 161 Abs. 2 VwGO.
Hinsichtlich der Beseitigungsanordnung entspricht es billigem Ermessen und dem
Sach- und Streitstand vor Eintritt des erledigenden Ereignisses, die Kosten dem
Beklagten aufzuerlegen, weil er bei streitiger Fortführung voraussichtlich unterlegen
wäre. Der aus dem Streitwertbeschluss ablesbare Wertanteil, der auf die
Anfechtungsklage gegen die Anordnung zu Nr. 1 entfällt, rechtfertigt die Annahme eines
nur geringfügigen Unterliegens der Klägerin i.S.v. § 155 Absatz 1 Satz 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil diese
keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung des Urteils
beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.
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