Urteil des VG Minden vom 18.11.2010

VG Minden (auflage, kläger, betrieb, einsatz, schutz der gesundheit, verhandlung, verhältnis zu, ermessen, gesundheit, umsetzung)

Verwaltungsgericht Minden, 2 K 697/09
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 697/09
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen
worden ist.
Die Auflagen in den Ziffern 3.6.11 und 3.6.12 - soweit darin noch (in der
in der mündlichen Verhandlung geänderten Fassung) der halbstündige
Handwechsel aufgeführt ist - im Erlaubnisbescheid des Beklagten vom
03.03.2009 werden aufgehoben.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu zwei Drittel, der Beklagte
trägt die Kosten des Verfahrens zu einem Drittel.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger bietet seit vielen Jahren Ponyreiten für Kinder auf Volksfesten an. Die
tierschutzrechtlichen Erlaubnisse dafür waren ihm befristet erteilt worden. Am
19.01.2009 beantragte er erneut eine Erlaubnis nach dem Tierschutzgesetz beim
Beklagten. Am 03.03.2009 erteilte der Beklagte die Erlaubnis nach § 11 des
Tierschutzgesetzes, gewerbsmäßig einen Reit- oder Fahrbetrieb zu unterhalten und
Pferde zur Schau zu stellen. Der Bescheid enthält u.a. folgende Auflagen:
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"3.6.11 Im Reitbetrieb ist alle 30 Minuten ein Handwechsel vorzunehmen. Es ist daher
darauf hinzuwirken, dass die Pferde / Ponys auf beiden Händen ausgebildet und
gearbeitet und, soweit möglich, im Reitbetrieb eingesetzt werden können.
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3.6.12 Die Pferde dürfen höchstens 4 Stunden täglich und höchstens 6 Tage pro Woche
im Reitbetrieb eingesetzt werden. Der Einsatz muss gleichmäßig auf beide Hände
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(Bewegungsrichtungen) verteilt werden".
Am 13.03.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, seine fünfzehn Ponys im
Alter zwischen zwei und zwanzig Jahren würden nicht während des gesamten Jahres,
sondern nur während der Gastspiele auf Volksfesten eingesetzt. Während der etwa
dreimonatigen Winterpause fände kein Einsatz statt. Auch zwischen den einzelnen
Gastspielen gebe es zum Teil mehrwöchige Pausen. In dieser Zeit seien die Tiere
überwiegend auf einer Wiese untergebracht. Er habe eine 12 m x 13 m messende
Reitfläche, auf der die Tiere frei, ohne aneinander angebunden zu sein und in der Regel
auch ohne Einsatz der Peitsche ihre Runden liefen. Es liefen auch Tiere ohne Reiter in
der Runde mit, wenn das Geschäft bei einem Durchgang nicht voll ausgelastet sei. Die
Tiere erhielten im Reitbetrieb regelmäßig Pausen, während derer sie Gelegenheit zur
Wasser- und Futteraufnahme hätten. Nach dem Einsatz im Reitbetrieb würden sie
ausgetauscht und - wo möglich - auf Weiden oder andere Auslaufflächen verbracht. Alle
Tiere befänden sich in einem hervorragenden Pflege- und Futterzustand. Tierärztliche
Untersuchungsberichte des Fachtierarztes für Pferde Dr. T. vom 20.02.2010
bescheinigten dem Kläger: "Zum Zeitpunkt der Untersuchung bestehen aus
internistischer und orthopädischer Sicht keinerlei medizinische Bedenken, das Pferd im
Schaustellerbetrieb / Reitgeschäft in der besichtigten Ovalbahn einzusetzen." Die
untersuchten Tiere seien unterschiedlich lange im Bestand, eines bereits seit 22 Jahren.
Ein regelmäßiger Handwechsel im Reitbetrieb erfolge zur Zeit nicht. Zwar trainiere der
Kläger seine Tiere darauf, an der anderen Hand zu laufen. Dies gestalte sich jedoch
gerade bei den älteren Tieren, von denen der Kläger mehrere halte, sehr schwierig. Es
habe sich in der Vergangenheit im Betrieb des Klägers gezeigt, dass die Tiere sich zu
einem regelmäßigen Handwechsel trotz entsprechenden Trainings an der Longe nicht
bewegen ließen. Vielmehr führe der regelmäßige Handwechsel zu einer Neigung der
Tiere, aus der Reihe auszubrechen und umzudrehen, was zu körperlichen Gefahren für
die reitenden Kinder und Jugendlichen führen könne. Konkrete Beanstandungen
hinsichtlich der Tierhaltung und Behandlung der Tiere habe es im Betrieb des Klägers
nie gegeben. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Auflagen seien
ermessensfehlerhaft. Die Auflage 3.6.11 stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die
Berufsfreiheit des Klägers dar. Sie sei ermessensfehlerhaft ergangen. Zwar treffe es zu,
dass in den Leitlinien für Zirkusbetriebe die Vorgabe enthalten sei, dass sogenannte
Karussellpferde spätestens nach einer halben Stunde die Hand wechseln müssten.
Diese Vorgabe sei zweifellos aus Tierschutzgründen sinnvoll, könne jedoch nur dann
als zwingende Leitlinie gesehen werden, wenn die entsprechenden Tiere bereits als
Jungtiere für den häufigen Handwechsel ausgebildet worden seien. Auch sei weiter zu
berücksichtigen, dass hier wohl eher die klassischen Karussellpferde gemeint seien, bei
denen durch Zusammenbinden und durch enge seitliche Absperrungen des Laufwegs
zusätzliche Einschränkungen bestünden. Diese Voraussetzungen seien im Betrieb des
Klägers nicht gegeben. Er habe insgesamt sechs über zehn Jahre alte Tiere in seinem
Betrieb. Sollte er verpflichtet werden, ab sofort auf einen halbstündigen Handwechsel
umzustellen, sei zu erwarten, dass er sich von mindestens diesen sechs älteren Tieren
trennen müsste. Dies würden einen schweren Eingriff in sein Betriebsvermögen
bedeuten. Vertretbar wäre es dagegen höchstens gewesen, dem Kläger aufzugeben,
darauf hinzuwirken, dass neu angeschaffte Ponys auf beiden Händen ausgebildet
werden und dass bei den bereits im Betrieb befindlichen Tieren auf eine solche
Ausbildung hingewirkt werde, soweit dies noch möglich sei. Eine zwingende Anordnung
verbiete sich auch wegen der damit verbundenen Gefahren für die Reitgäste. Er schlage
vor, den Handwechsel nicht innerhalb der Manege, sondern nach Ablauf der
Manegezeiten außerhalb zu praktizieren. Herr L. , Vorsitzender des Berufsverbands der
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Tierlehrer e.V., komme in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 24.06.2010 zum
Handwechsel im Betrieb des Klägers zu dem Ergebnis, dass dieser zwar
wünschenswert aber nicht zwingend notwendig sei. Dies begründe er damit, dass es
sich bei der Reitbahn des Klägers um eine rechteckige Anlage handele und nicht, wie in
der Vergangenheit bei Karussellpferden üblich, um eine kleine runde Kreisbahn. Da die
Tiere außerhalb der "Arbeitszeit" ausreichend Gelegenheit für ausgleichende
Bewegung hätten, komme es bei den Tieren des Klägers nicht zu der in den
Zirkusleitlinien in Bezug auf Karussellpferde festgestellten Gefahr einer einseitigen
Belastung des Bewegungsapparates. Auch hinsichtlich der Auflage 3.6.12 liege -
insbesondere soweit sie den halbstündigen Handwechsel vorsehe - ein
Ermessensfehler vor.
Der Kläger hat beantragt, den Erlaubnisbescheid des Beklagten vom 03.03.2009
hinsichtlich der Auflagen in den Ziff. 3.4, 3.6.6, 3.6.9, 3.6.11 und 3.6.12 aufzuheben. Im
Erörterungstermin am 12.11.2009 hat der Kläger erklärt, dass die Auflagen in den Ziff.
3.4 und 3.6.9 nicht mehr angefochten würden. Nach der Erörterung in der mündlichen
Verhandlung hat er die Auflage 3.6.6 nicht mehr angefochten. Mit der Auflage 3.6.12 hat
er sich mit Ausnahme des halbstündigen Handwechsels nach ihrer Änderung durch den
Beklagten einverstanden erklärt.
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Der Kläger beantragt,
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die Ziffern 3.6.11 und 3.6.12 - soweit darin noch (in der in der mündlichen Verhandlung
geänderten Fassung) der halbstündige Handwechsel aufgeführt ist - im
Erlaubnisbescheid des Beklagten vom 03.03.2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Ansicht, die angefochtenen Auflagen seien notwendig, geeignet und
angemessen. Die Auflagen seien unabdingbar für einen tierschutzgerechten und
dementsprechend tierschutzrechtlich rechtmäßigen Betrieb erforderlich und notwendiger
wesentlicher Bestandteil der erteilten Erlaubnis. Aus der Begründung des Bescheids
ergebe sich, dass das Ermessen erkannt und ausgeübt worden sei. Im Hinblick auf § 3
Satz 1 Nr. 6 des Tierschutzgesetzes sei das Ermessen stark eingeschränkt gewesen. Zu
den Auflagen 3.6.11 und 3.6.12 erklärt der Beklagte, dass diese aus
tierschutzrechtlichen Erwägungen erforderlich seien. Die Begrenzung der monotonen
Bewegung in erzwungener Hals- und Kopfhaltung über etliche Stunden und mehrere
Tage hintereinander gewährleiste, dass ein Abstumpfen unterbleibe und Schäden
vermieden würden. Dies sähen die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. in ihrem
Merkblatt Nr. 116 zur tierschutzrechtlichen Beurteilung von Ponyreitbahnen als auch die
Zirkusleitlinien ausdrücklich vor. In den Zirkusleitlinien werde unter Punkt 5 der Begriff
Zirkuspferde im Sinne der Zirkusleitlinien näher beschrieben mit dem Zusatz
"Ponyreiten für Kinder". Soweit der Kläger darauf verweise, insbesondere bei älteren
Tieren sei ein Handwechsel derzeit nicht möglich, stehe es in seinem Verantwortungs-
und Einflussbereich, diese Tiere entweder zunächst bei Gastspielen nicht zum Einsatz
kommen oder durch Hilfspersonen führen zu lassen. Allein die Tatsache, dass die
Auflage mit einem höheren Aufwand verbunden sei und ggf. eine Umstrukturierung der
Betriebsabläufe mit sich ziehe, könne nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Auflage
führen. Bei einem Reitbetrieb ohne Handwechsel seien nicht nur Störungen des
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Wohlbefindens der Tiere zu befürchten, sondern es sei auf Dauer auch von einer
Schädigung von Gelenken und Knochen durch die einseitige Belastung und Bewegung
auszugehen. Hieran ändere sich nichts, wenn vorliegend sachverständig festgestellt
werde, dass bei einzelnen Tieren des Klägers eine Schädigung (noch) nicht bestünde.
Auch bei einer Oval- statt bei einer Kreisbahn werde fortwährend die innere Seite
verstärkt belastet. Wenn die Kurvenrichtung immer die gleiche sei, führe dies zu einer
einseitigen Belastung und erhöhter Beanspruchung. Es sei bekannt, dass in Berlin der
Handwechsel bei einigen Reitbahnen bereits erfolgreich durchgesetzt worden sei.
Schwierigkeiten beim Umtrainieren sprächen für ein nicht artgerechtes Abstumpfen der
Tiere. Bei einem behutsamen, sachkundigen Training und ausreichender Gewöhnung
sollten auch ältere Pferde an einen Handwechsel zu gewöhnen sein.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung
der Sachverständigen Herrn Dr. B. G. und Herrn D. L. . Wegen des Inhalts und des
Ergebnisses wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 19.10.2010 und das
Protokoll der mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Soweit die Klage sinngemäß durch die Aufgabe der weiteren Anfechtung einzelner
Nebenbestimmungen zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs.
3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet.
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Die angefochtenen Auflagen des Handwechsels nach dreißig Minuten in den Ziff. 3.6.11
und 3.6.12 im Bescheid des Beklagten vom 03.03.2009 sind rechtswidrig und verletzen
den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es liegen schon die
tatbestandlichen Voraussetzungen der maßgeblichen Rechtsgrundlage nicht vor, weil
die Auflagen zum Schutz der Tiere im Betrieb des Klägers nicht erforderlich sind. Zudem
sind die Auflagen ermessensfehlerhaft verfügt worden.
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Rechtsgrundlage für diese Auflage ist § 11 Abs. 2a TierSchG. Danach kann die
Erlaubnis, soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist, unter Befristungen,
Bedingungen und Auflagen erteilt werden.
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Die Auflage des Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz im Betrieb des Klägers ist
zum Schutz der Tiere nicht erforderlich. Als Auflagen zum Schutz der Tiere kommen
insbesondere solche zur Sicherstellung der Anforderungen des § 2 TierSchG in
Betracht.
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Vgl. BayVGH, Beschluss vom 19.11.2009 - 9 ZB 07.2282 -, juris; Hirt/Maisack/Moritz,
Tierschutzgesetz, 2. Auflage 2007, § 11 TierSchG Rn. 22.
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Nach § 2 Nr. 2 TierSchG darf derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm
Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Anhaltspunkte,
welche Anforderungen in diesem Zusammenhang an die Pferdehaltung in
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Ponyreitbetrieben zu stellen sind, können den "Leitlinien für die Haltung, Ausbildung
und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen", die von einer
vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
eingesetzten Sachverständigengruppe erarbeitet wurden (sog. Zirkusleitlinien),
entnommen werden. Darin ist auf Seite 21 ausgeführt: "Sogenannte Karussellpferde
(Ponyreiten für Kinder) müssen längstens nach einer halben Stunde die Hand
wechseln". Weitere Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Merkblatt Nr. 116 der
Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) mit dem Titel "Beurteilung von
Ponyreitbahnen unter Tierschutzgesichtspunkten" aus dem Jahr 2008: "Wie in den
‚Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder
ähnlichen Einrichtungen' (‚Zirkusleitlinien' Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft 2000) ausgeführt, müssen sog. Karussellpferde längstens
nach einer halben Stunde die Hand (Richtung) wechseln. Das Laufen ausschließlich
auf einer Hand ist als tierschutzwidrig abzulehnen. Die Tiere werden nur dann physisch
und psychisch ausgeglichen trainiert, wenn sie auf beiden Händen (rechts und links
herum) gehen können, bzw. müssen. Die Verpflichtung zum regelmäßigen
Handwechsel sollte daher als Nebenbestimmung in die Erlaubnis nach § 11
Tierschutzgesetz aufgenommen werden". Die Zirkusleitlinie und das Merkblatt Nr. 116
der TVT besitzen aber keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern stellen eine
Orientierungshilfe für den Vollzug des Tierschutzgesetzes dar.
Vgl. insofern zu den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter
Tierschutzgesichtspunkten, die ebenfalls von einer vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eingesetzten
Sachverständigengruppe erarbeitet wurden: OVG NRW, Urteil vom 25.09.1997 - 20 A
688/96 -, juris; Thür.OVG, Urteil vom 28.09.2000 - 3 KO 700/99 -, NVwZ-RR 2001, 507 ff.
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Insbesondere die Erforderlichkeit der Umsetzung dieser Orientierungshilfe ist im
Einzelfall zu prüfen. An der Erforderlichkeit von Nebenbestimmungen zum Schutz der
Tiere fehlt es, wenn es für das angestrebte Ziel ein gleich wirksames, den Antragsteller
weniger belastendes Mittel gibt.
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Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 11 TierSchG Rn. 22.
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Gemessen daran ist die Auflage des Handwechsels alle dreißig Minuten im Reitbetrieb
des Klägers zum Schutz der von ihm eingesetzten Pferde und Ponys nicht erforderlich.
Dabei ist schon zweifelhaft, ob es bei den Tieren durch den Einsatz im Betrieb des
Klägers (mit Blick auf den Zuschnitt seiner Reitbahn, dem Schritttempo, dem Wechsel
der Tiere, ihrer Einsatzzeit und den Pausen) überhaupt zu einer derart einseitigen
Belastung kommt, dass ihnen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden
zugefügt werden. Die Frage, ob es zur physischen und/oder psychischen Gesundheit
der Pferde/Ponys bei ihrem Einsatz im Betrieb des Klägers der vom Beklagten verfügten
Auflage des Handwechsels alle dreißig Minuten bedarf, haben die in der mündlichen
Verhandlung vernommenen Sachverständigen unterschiedlich beantwortet. Der
Sachverständige Herr L. , der den Betrieb des Klägers und seine Tiere in Augenschein
genommen und an den sog. Zirkusleitlinien mitgearbeitet hat, verneint sie. Er hat
ausgeführt, dass das Gehen im Schritttempo in der rechteckigen Reitbahn des Klägers
die Tiere nicht einseitig belaste. Sie müssten sich nicht ständig "in die Kurve legen",
was eine einseitige Belastung des Bewegungsapparates zur Folge habe. Aufgrund des
Zuschnitts der Reitbahn des Klägers handele es sich für ihn nicht um Karussellpferde im
Sinne der sog. Zirkusleitlinien. Bei ihrer Ausarbeitung hätten sie damals Betriebe vor
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Augen gehabt, in denen die Tiere in einem engen runden Zirkel liefen. In seiner
schriftlichen Stellungnahme vom 24.06.2010 hat er zudem erklärt, dass fünfzehn Tiere
zur Verfügung stünden, die Reitbahn in der Regel mit sechs bis acht Tieren bestückt sei
und die Tiere untereinander ständig gewechselt worden seien. Durch den Einsatz sei
bei keinem der Tiere eine Überbelastung erkennbar gewesen. Der Sachverständige
Herr Dr. G. , verantwortlicher Bearbeiter des Merkblatts Nr. 116 der Tierärztlichen
Vereinigung für Tierschutz e.V. zum Thema "Beurteilung von Ponyreitbahnen unter
Tierschutzgesichtspunkten", sieht demgegenüber die Notwendigkeit eines
Handwechsels. Dabei ist es aus seiner Sicht egal, ob die Tiere auf einer Kreis- oder
einer Ovalbahn eingesetzt werden. Ein Pony behalte seine Schiefe auch in der
Geraden. Aus seiner Sicht sei es erforderlich, dieser Schiefstellung durch geeignete
Trainingsmethoden entgegen zu wirken. Dass mit Blick darauf aber im Betrieb des
Klägers ein Handwechsel nach dreißig Minuten Einsatz zum Schutz der Tiere
notwendig ist, ohne dass eine andere gleich geeignete, aber den Kläger weniger
belastende Maßnahme in Betracht käme, ergibt sich letztlich weder aus den
Ausführungen der Sachverständigen noch aus den sog. Zirkusleitlinien und dem
Merkblatt Nr. 116 der TVT. Dabei spricht in diesem Einzelfall auch der
Gesundheitszustand der Tiere, der trotz des bisher vom Kläger nicht praktizierten
Handwechsels weder vom Beklagten noch von dem vom Kläger beauftragten
Fachtierarzt für Pferde Dr. T. beanstandet wurde, gegen die Erforderlichkeit des
nunmehr durchzuführenden Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz, der den
Tieren nach dem Vortrag des Klägers und den Erklärungen der Sachverständigen nicht
im laufenden Betrieb und nur mit großem Zeitaufwand und nachhaltigen Bemühungen
beigebracht werden kann. Nicht einmal das bereits seit 22 Jahren im Bestand des
Klägers befindliche Pony wies bei den vom Fachtierarzt für Pferde vorgenommenen
Untersuchungen Auffälligkeiten auf. Er bescheinigte allen von ihm untersuchten Tieren
des Klägers, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung aus internistischer und
orthopädischer Sicht keinerlei medizinische Bedenken bestünden, das Pferd im
Schaustellerbetrieb/Reitgeschäft in der besichtigten Ovalbahn einzusetzen. Hat sich das
Fehlen des Handwechsels alle dreißig Minuten beim Einsatz der Tiere bisher auf ihre
Gesundheit nicht erkennbar negativ ausgewirkt, ist nicht ersichtlich, dass er zukünftig
zum Schutz der Tiere in dieser Form notwendig ist. Es erscheint mit Blick darauf nicht
zwingend, dass Maßnahmen für ein physisch und psychisch ausgeglichenes Training
der Tiere im laufenden Betrieb alle dreißig Minuten zu erfolgen haben. Insofern sind
mildere, gleich geeignete Mittel denkbar, die weniger gravierend in den Betrieb des
Klägers eingreifen, indem der Ausgleich beispielsweise außerhalb des Einsatzes in der
Reitbahn des Klägers vorgenommen wird.
Überdies ist die Auflage des Handwechsels im Reitbetrieb alle dreißig Minuten, die der
Kläger nach dem Bescheid des Beklagten vom 03.03.2009 unmittelbar, d.h. ohne
Einräumung einer Übergangsfrist zu befolgen hat, unverhältnismäßig und damit
ermessensfehlerhaft. Die Unverhältnismäßigkeit folgt schon aus der dargelegten
fehlenden Erforderlichkeit. Darüber hinaus ist das Fehlen einer Übergangsfrist
unangemessen. Bei § 11 Abs. 2a TierSchG handelt es sich um eine Ermessen
einräumende Vorschrift. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem
Ermessen zu handeln, prüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der
Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts
rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder
von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht ist. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
wonach eine Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, führt zu
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einem Ermessensfehler.
Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 114 Rn. 159.
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An der Angemessenheit fehlt es, wenn der dem Antragsteller zugefügte Schaden
schwerer wiegt als der angestrebte Nutzen für die Tiere.
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Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 11 TierSchG Rn. 22.
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So liegt es hier. Die Auflage führt für den Kläger zu einem Nachteil, der zu dem
erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Zwar ist der mit der Auflage verfolgte
Schutz der Gesundheit der Tiere ein gewichtiges Ziel. Dies kommt auch in der
Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zum Ausdruck. Dabei ist in diesem Fall aber mit
Blick darauf, dass der Gesundheitszustand der Tiere des Klägers vom Beklagten sowie
hinsichtlich der untersuchten Tiere vom Fachtierarzt für Pferde Dr. T. nicht beanstandet
wird und die Pferde vom Sachverständigen L. als physisch und psychisch gesund sowie
gut gepflegt bezeichnet werden, zu berücksichtigen, dass die Tiere des Klägers beim
Einsatz in seinem Betrieb - soweit ersichtlich - keine festgestellten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen erfahren. Eine deutliche und zwingend unmittelbar
herbeizuführende Verbesserung ihrer Gesundheit geht mit der Umsetzung der vom
Beklagten verfügten Auflage des Handwechsels vor diesem Hintergrund nicht einher.
Demgegenüber bedeutet die unmittelbare Umsetzung der Auflage des Handwechsels
nach dreißig Minuten für den Kläger, dass er seinen Betrieb (zunächst) schließen
müsste, weil es unmöglich ist, der Auflage ab sofort nachzukommen. Nach seinem
Vortrag und nach der übereinstimmenden Auffassung der in der mündlichen
Verhandlung vernommenen Sachverständigen bedarf es mindestens etlicher Monate
konsequenten Trainings, um den Tieren den Handwechsel beizubringen. Der
Sachverständige Herr L. hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es u.U.
möglich sei, auch die alten Tiere umzutrainieren. Dazu bedürfe es aber wohl eines
halben Jahres und mehr an Training. Ob damit der Zeitraum der Winterpause für das
Training genügt, ist fraglich. In der Auflage im Bescheid des Beklagten ist aber
überhaupt kein Übergangszeitraum vorgesehen, durch den das Erfordernis des
zeitaufwendigen Trainings angemessen berücksichtigt würde. Das mit der sofortigen
Umsetzung der Auflage demzufolge einhergehende - auch nur vorübergehende -
Einstellen seines Ponyreitbetriebs hat für den Kläger eine erhebliche wirtschaftliche
Einbuße zur Folge. Mit Blick auf diese Auswirkungen auf die Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
sowie auf den grundrechtlich geschützten eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) und angesichts des auch vom Beklagten nicht
beanstandeten Zustands der Ponys, der eine Umsetzung der Auflage des
Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz nicht dringlich erscheinen lässt, steht die
ohne eine angemessene Übergangsfrist vorgesehene Auflage außer Verhältnis zu dem
mit ihr verfolgten Zweck.
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Zudem erweist es sich auch als Ermessensdefizit, dass der Beklagte wesentliche
Gesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens außer acht gelassen hat. Die
Umstände des konkreten Einzelfalls wie den Zustand der Tiere des Klägers und die
tatsächlichen Auswirkungen ihres Einsatzes auf seiner Reitbahn auf ihre Gesundheit,
die im Einzelnen vom Beklagten nicht festgestellt wurden, hat er nicht in seine
Ermessenserwägungen eingestellt. Eine vom Beklagten angenommene
Ermessenseinschränkung wegen § 3 Nr. 6 TierSchG, wonach es verboten ist, ein Tier
u.a. zu einer Schaustellung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit
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Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind, ist insbesondere vor
diesem Hintergrund nicht zu erkennen.
Da der Klage mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in vollem
Umfang stattgegeben wird, ist über den hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers
nicht zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO. Zu Lasten
des Beklagten folgt sie aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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