Urteil des VG Minden vom 18.11.2010

VG Minden (antrag, kläger, berufliche erfahrung, eintritt, vorschrift, verwaltungsgericht, grund, begründung, erfüllung, aufgaben)

Verwaltungsgericht Minden, 4 K 1893/10
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 1893/10
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der am 21.11.1945 geborene Kläger steht als Oberregierungsrat im Dienst des
beklagten Landes. Er ist bei der Bezirksregierung E. tätig. Die Planstelle, auf der er
verwendet wird, ist seit dem 01.12.2009 dem höheren Dienst im Geschäftsbereich des
Innenministeriums, Abschnitt "Allgemeine innere Verwaltung", zugeordnet.
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Mit Schreiben vom 20.01.2010 beantragte der Kläger beim Beklagten sinngemäß,
seinen Ruhestand um drei Jahre über die für ihn gesetzlich geltende Altersgrenze
hinauszuschieben. Hierzu trug er vor, er verfüge über erhebliche berufliche Erfahrung
und spezielle Fachkenntnisse, die für die Abwicklung von Bodenordnungsverfahren von
großem Nutzen seien.
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Diesen Antrag lehnte der Beklagte nach Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten mit
Zustimmung der Personalvertretung durch Bescheid vom 30.06.2010 ab. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dem Begehren des Klägers ständen dienstliche Gründe
entgegen. Zur Sanierung des Landeshaushaltes hätten alle Bezirksregierungen bis
einschließlich zum Jahre 2015 in erheblichem Maße Stellen einzusparen. Für die
Erfüllung der Einsparungsverpflichtungen werde jede frei werdende Planstelle benötigt.
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Am 29.07.2010 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend, es sei fraglich, ob die
Bezirksregierung E. tatsächlich aufgrund ausgebrachter kw-Raten zu massiven
Stelleneinsparungen verpflichtet sei. Selbst wenn dies der Fall sei, wäre nicht ohne
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Weiteres anzunehmen, dass einem Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand
dienstliche Gründe entgegenständen. Denn ein Beamter habe grundsätzlich das Recht,
frei darüber zu entscheiden, ob er über die Regelaltersgrenze hinaus Dienst leisten
wolle. Der Dienstherr sei nur ausnahmsweise berechtigt, einen Antrag auf Verlängerung
der Lebensarbeitszeit abzulehnen: Die Bestimmung des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG sei
nämlich als Soll-Vorschrift des Inhalts zu verstehen, dass eine Weiterbeschäftigung des
Beamten auf dessen Antrag über die Regelaltersgrenze hinaus der Regelfall sei und
eine Weiterbeschäftigung nur abgelehnt werden dürfe, wenn ein atypischer Fall
gegeben sei. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Merkmal der
entgegenstehenden dienstlichen Gründe um einen gerichtlich voll überprüfbaren
unbestimmten Rechtsbegriff handele. Sollten alle Bezirksregierungen des beklagten
Landes sowie das Innenministerium gemäß einer - im Übrigen nicht ausnahmslos
eingehaltenen - Vereinbarung vom November 2009 alle Weiterbeschäftigungsanträge
ablehnen, solange noch kw-Vermerke zu erwirtschaften seien, würde der
gesetzgeberische Wille unterlaufen werden. Schließlich sei zu beachten, dass der
Beklagte nicht vorhabe, die von ihm - dem Kläger - besetzte Planstelle oder seinen
Tätigkeitsbereich nach seinem Eintritt in den Ruhestand wegfallen zu lassen. Falls die
Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG dem Dienstherrn Ermessen einräume, so sei die
ablehnende Entscheidung des Beklagten rechtswidrig, weil Ermessen nicht ausgeübt
worden sei.
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2010 zu verpflichten, den
Eintritt des Klägers in den Ruhestand um drei Jahre hinauszuschieben,
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hilfsweise,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2010 zu verpflichten, über
den Antrag, den Eintritt des Klägers in den Ruhestand um drei Jahre hinauszuschieben,
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, die sich aus dem Haushaltsplan des beklagten Landes für die
Bezirksregierungen ergebende Verpflichtung zur Realisierung von kw-Vermerken
betreffe alle Geschäftsbereiche sowie alle Laufbahngruppen und Fachrichtungen. Sie
müsse zeitgerecht erfüllt werden. Der Umfang der kw-Vermerke sei so groß, dass durch
Pensionierung oder Verrentung frei werdende Planstellen umfassend zum Stellenabbau
genutzt werden müssten. Angesichts der auf sie entfallenden hohen kw-Raten sei von
keiner Bezirksregierung des beklagten Landes bisher ein Antrag eines Beamten auf
Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand positiv beschieden worden. Die
Gleichstellungsbeauftragte habe der ablehnenden Entscheidung im Falle des Klägers
zugestimmt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber - auch in der Form des Hilfsantrages - unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 30.06.2010 ist rechtmäßig. Der Kläger kann weder
beanspruchen, dass sein Eintritt in den Ruhestand über die für ihn geltende gesetzliche
Altersgrenze hinausgeschoben wird, noch, dass über seinen entsprechenden Antrag
vom 20.01.2010 vom Beklagten erneut entschieden wird.
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An der formellen Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides des Beklagten
bestehen keine Bedenken: Die Gleichstellungsbeauftragte wurde beteiligt; die
Personalvertretung hat der Maßnahme zugestimmt.
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Der Bescheid des Beklagten vom 30.06.2010 ist auch materiell rechtmäßig.
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Gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG kann der Eintritt in den Ruhestand auf Antrag des
Beamten um bis zu drei Jahre, jedoch nicht über das siebzigste Lebensjahr hinaus,
hinausgeschoben werden, sofern dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Antrag
ist nach § 32 Abs. 1 Satz 2 LBG spätestens sechs Monate vor Eintritt in den Ruhestand
zu stellen. Diese Frist hat der Kläger mit seiner Antragstellung vom Januar 2010
eindeutig eingehalten.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG sind allerdings nicht
gegeben.
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Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Vorschrift gehört, dass einem
Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand dienstliche Gründe nicht
entgegenstehen. Als dienstliche Gründe im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG sind
solche zu verstehen, die die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben der Verwaltung
betreffen. Dabei ist der Begriff der entgegenstehenden dienstlichen Gründe nach
Ansicht der Kammer weit auszulegen; jedenfalls muss es sich nicht um Belange von
erheblichem Gewicht handeln. Das ergibt sich aus einem Vergleich des in § 32 Abs. 1
Satz 1 LBG gewählten mit den beispielsweise in §§ 66 Satz 1 und 65 Abs. 1 Satz 1 LBG
verwandten Begriffen ("zwingende" bzw. "dringende" dienstliche Belange).
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Hiernach ist ein entgegenstehender dienstlicher Grund anzunehmen, wenn es der
Einhaltung von Verpflichtungen oder der Erledigung von Aufgaben der Behörde, bei der
der Beamte tätig ist, abträglich wäre, falls der Beamte über die Regelaltersgrenze
hinaus im Dienst bliebe. Ist der Dienstherr auf Grund sachbezogener und
nachvollziehbarer Bewertung in schlüssiger Weise zu der Feststellung gelangt, dass
dies der Fall ist, so ist die Ablehnung eines Antrages gemäß § 32 Abs. 1 LBG rechtlich
nicht zu beanstanden. Eine weitergehende verwaltungsgerichtliche Kontrolle der
Entscheidung des Dienstherrn, einen Antrag im Sinne des § 32 Abs. 1 LBG abzulehnen,
ist im Hinblick auf die dem Dienstherrn auf Grund seines Organisationsermessens
zustehende Einschätzungsprärogative nach Auffassung der Kammer ausgeschlossen.
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Ist der Dienstherr gehalten, im Rahmen eines beabsichtigten Stellenabbaus kw-
Vermerke zu erfüllen, so kann dies zur Annahme entgegenstehender dienstlicher
Gründe gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG berechtigen.
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Ebenso Tadday/Rescher, Beamtenrecht NRW, Kommentar, § 32 Anm. 2. a).
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Der Beklagte hat die hier getroffene Entscheidung in seinem ablehnenden Bescheid
vom 30.06.2010, ergänzt durch Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom
18.11.2010, wie folgt begründet:
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Aufgrund haushaltsrechtlicher Vorgaben seien die Bezirksregierungen des Landes
verpflichtet, in den Jahren 2010 bis 2015 landesweit insgesamt 894 Stellen
einzusparen. Von diesen Stellen entfielen im Innenverhältnis 106 Stellen auf die
Bezirksregierung E. . Es sei zurzeit zu erwarten, dass in dem genannten Zeitraum bei
der Bezirksregierung E. durch Regelpensionierungen nur etwa 70,5 Stellen frei werden
würden. Die ausgebrachten kw-Vermerke beträfen alle Geschäftsbereiche der
Bezirksregierung E. , alle Laufbahngruppen und Fachrichtungen. Die
Bezirksregierungen hafteten gesamtschuldnerisch für die Erfüllung der kw-Vermerke.
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Diese Angaben stehen mit dem Inhalt der vom Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge weitgehend überein. Die Kammer hat keinen Zweifel, dass sie im
Wesentlichen den Tatsachen entsprechen.
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Hiernach ist davon auszugehen, dass der Beklagte voraussichtlich selbst dann nicht in
der Lage wäre, die in den Jahren 2010 bis 2015 bei der Bezirksregierung E. zu
erwirtschaftenden kw-Vermerke zeitgerecht zu erbringen, wenn alle Beamten bei
Erreichen der Regelaltersgrenze in den Ruhestand träten. Im Hinblick hierauf ist es für
die Kammer sehr wohl nachvollziehbar, dass der Beklagte gehalten ist, jede Möglichkeit
zur Realisierung von kw-Vermerken zu nutzen, die sich bei der Bezirksregierung E.
bietet. Hiermit wäre es unvereinbar, derzeit Anträgen von bei der Bezirksregierung E.
tätigen Beamten, die darauf gerichtet sind, den Eintritt in den Ruhestand
hinauszuschieben, stattzugeben.
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Nach alledem erscheint die Entscheidung des Beklagten, den Antrag des Klägers vom
20.01.2010 im Hinblick auf den bei der Bezirksregierung E. gebotenen Stellenabbau
wegen entgegenstehender dienstlicher Gründe im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG
abzulehnen, sachgerecht und plausibel. Dafür, dass die für die ablehnende
Entscheidung des Beklagten vom 30.06.2010 zur Begründung angegebenen
Erwägungen nur vorgeschoben sind und die getroffene Entscheidung in Wirklichkeit auf
völlig anderen Gründen beruht, ist insbesondere im Hinblick auf die bisherige Praxis
des Beklagten, ausnahmslos alle Anträge von Beamten der Bezirksregierung E. auf
Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand abzulehnen, nichts ersichtlich; auch aus
den Verwaltungsvorgängen des Beklagten ergibt sich insoweit kein Anhaltspunkt.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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