Urteil des VG Minden vom 18.11.2010

VG Minden (kläger, befristung, auflage, einsatz, betrieb, schutz der gesundheit, erforderlichkeit, verhältnis zu, verhandlung, belastung)

Verwaltungsgericht Minden, 2 K 2485/08
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2485/08
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen
worden ist und soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt
worden ist.
Die Auflagen in den Ziffern II.7.8 und 7.9 - soweit dort der halbstündige
Handwechsel aufgeführt ist - sowie die Befristung in Ziffer V im
Erlaubnisbescheid des Beklagten vom 17.07.2008 werden aufgehoben.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu zwei Drittel, der Beklagte
trägt die Kosten des Verfahrens zu einem Drittel.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger bietet Ponyreiten für Kinder auf Volksfesten an. Er besaß eine bis zum
28.02.2008 befristete Erlaubnis des Landrats des Landkreises W. vom 26.04.2007 zum
Betrieb dieses Ponyreitbetriebes. Diese Erlaubnis enthielt die Auflage, dass jedes Pony
außerhalb der Betriebszeiten dreimal wöchentlich für eine halbe Stunde sowohl auf der
linken als auch auf der rechten Hand innerhalb der Manege zu dressieren sei. Standort
des Winterquartiers ist nunmehr S. . Am 23.05.2008 beantragte der Kläger beim
Beklagten die Erteilung einer Erlaubnis nach § 11 des Tierschutzgesetzes. Mit Bescheid
vom 17.07.2008 erteilte der Beklagte dem Kläger die Erlaubnis, gewerbsmäßig einen
Reit- und Fahrbetrieb mit maximal fünfzehn Ponys zu unterhalten. Diese Erlaubnis
enthält u. a. folgenden Inhalt:
2
"II . Die Erlaubnis wird unter folgenden Auflagen und Bedingungen erteilt: (...)
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7. Anforderungen bzgl. der Gastspiele (...) 8. Nach jeweils 30 Minuten Einsatz ist bei
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allen Pferde / Ponys ein Handwechsel durchzuführen. Alternativ müssen die Pferde /
Ponys bei Einsatz auf nur einer Hand nach jeweils 1 Stunde im Zirkel für eine 1/2
Stunde in den/die Paddocks ge- bracht, abgesattelt, abgetrenst und mit Futter und
Wasser versorgt werden. Sie dürfen in dieser Zeit nicht angebunden werden. Diese
Alternative kann nur dann genutzt werden, wenn der/die Paddocks sich in unmittelbarer
Nähe des Zirkels befinden.
9. Die durchgehende Verweildauer pro Pferde / Ponys im Reitbetrieb (bei halb-
stündigem Handwechsel) darf max. 3 Stunden betragen. Danach müssen die Pferde /
Ponys für mind. 1 Stunde abgesattelt und abgetrenst und mit Futter und Wasser versorgt
werden. Sie dürfen in dieser Zeit nicht angebunden werden.
5
(...)
6
V. Befristung: Diese Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 c TierSchG wird befristet bis zum
30.07.2011 erteilt".
7
Der Bescheid wurde dem Kläger am 19.07.2008 zugestellt.
8
Am 18.08.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, das Stammquartier in S. sei
am 17.04.2008 durch Mitarbeiter des Beklagten kontrolliert worden. Es sei festgestellt
worden, dass sich sämtliche Pferde in einem guten Ernährungs- und Pflegezustand
befänden. Zudem seien die Unterbringungsmöglichkeiten für die Tiere sowohl im
Stammquartier als auch während der Gastspielreise für in Ordnung befunden worden. Er
verfüge über eine Reitbahn mit den Außenmaßen von 14 x 12 m und Innenmaßen
(Bahn, in der die Ponys gehen) von 10 x 8 m. Der Bescheid vom 17.07.2008 sei bereits
deshalb rechtswidrig, weil es an der erforderlichen Begründung fehle. Der Beklagte
habe nicht die Erforderlichkeit der zahlreichen Nebenbestimmungen begründet. Die
Anordnung unter Ziff. II.7.8, wonach nach jeweils 30 Minuten Einsatz bei allen
Pferden/Ponys ein Handwechsel durchzuführen sei, sei rechtswidrig. Zwar entspreche
diese Auflage auf den ersten Blick den Zirkusleitlinien, sie sei jedoch im vorliegenden
Fall nicht anwendbar. Die Tiere des Klägers seien zu einem Handwechsel nicht in der
Lage. Trotz ständigen Trainings sei es ihm bisher nicht gelungen, einen Handwechsel
der Tiere durchzuführen, ohne dass es zu einer Gefährdung der auf den Tieren
sitzenden Kindern kommen könne. Außerdem zweifle der Kläger daran, dass ein
Handwechsel bei dem Zuschnitt seiner Reitbahn für eine gleichmäßige Belastung der
Muskulatur der Tiere unabdinglich sei. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom
24.06.2010 komme Herr L. , Vorsitzender des Berufsverbandes der Tierlehrer e.V., zu
dem Ergebnis, dass ein Handwechsel der Pferde im Betrieb des Klägers zwar
wünschenswert, aus Tierschutzgesichtspunkten jedoch nicht zwingend erforderlich sei.
Dies begründe Herr L. damit, dass es sich bei der Reitbahn des Klägers um eine
rechteckige Anlage handele und nicht, wie in der Vergangenheit bei Karussellpferden
üblich, um eine kleine runde Kreisbahn. Da die Tiere außerhalb ihrer "Arbeitszeit"
ausreichend Gelegenheit für ausgleichende Bewegung hätten, komme es bei den
Tieren des Klägers nicht zu der in den Zirkusleitlinien in Bezug auf Karussellpferde
festgestellten Gefahr einer einseitigen Belastung des Bewegungsapparates. Die von der
Behörde vorgesehene Alternativlösung, wonach jedes Tier beim Einsatz auf nur einer
Hand nach jeweils einer Stunde im Zirkel für eine halbe Stunde in den/die Paddocks
gebracht, abgesattelt, abgetrenst und mit Futter und Wasser versorgt werden müsse, sei
für den Kläger nicht praktikabel. Der Kläger verfüge lediglich über zehn Tiere. Bei einem
einstündigen Wechsel mit einer jeweils halbstündigen Pause sei für ihn bei dieser
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geringen Anzahl der Tiere ein wirtschaftlicher Betrieb seiner Reitbahn nicht mehr
möglich. Auch die Anordnung unter Ziff. II.7.9 des Bescheides sei rechtswidrig. Diese
Auflage werde insbesondere deshalb angefochten, weil darin der halbstündige
Handwechsel angegeben sei. Die Befristung unter Ziff. V des Bescheides sei ebenfalls
rechtswidrig. Eine Befristung sei nur zulässig, wenn sie zum Schutz der Tiere
erforderlich sei. Die Erforderlichkeit sei vorliegend jedoch nicht gegeben. Da der
Bescheid keine Begründung enthalte, sei nicht ersichtlich, auf welche Art und Weise
durch die Befristung konkret dem Schutz der Tiere gedient werden solle. Im Hinblick auf
den Tierschutz sei es ebenso wirksam, die Erlaubnis unter dem Vorbehalt eines
Widerrufs zu stellen und den Kläger ggf. zu verpflichten, seinen Tierbestand einer
regelmäßigen Überprüfung im Stammquartier unterziehen zu lassen. Eine Befristung sei
zur Förderung des Zwecks nicht geeignet. Ob die Tiere im Einzelfall tatsächlich
artgerecht gehalten würden, sei weder Gegenstand der Erlaubnis noch könne dies
durch eine alle zwei Jahre stattfindende Neuerteilung einer Erlaubnis nach § 11
TierSchG überprüft werden. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz würden in erster
Linie durch regelmäßige Überprüfungen an den Gastspielorten durch das jeweils
zuständige Veterinäramt aufgedeckt und durch Anordnungen auf der Grundlage von §
16a TierSchG geahndet. Eine Befristung stelle zudem einen erheblichen
Wettbewerbsnachteil für den Kläger dar. Die Bewerbung um begehrte Plätze auf einer
Kirmes erfolge stets einige Jahre im Voraus. Sofern die für die Platzvergabe
zuständigen Behörden feststellten, dass der Bewerber lediglich über eine befristete
Erlaubnis verfüge, die bereits vor dem geplanten Gastspieltermin ihre Gültigkeit verliere,
bevorzuge sie regelmäßig solche Bewerber, die eine unbefristete Genehmigung
vorweisen könnten.
Der Kläger hat beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 17.7.2008 hinsichtlich der
Auflagen unter Nr. II in Ziff. 1 c, Ziff. 5 a, Ziff. 5 b, Ziff. 5 c, Ziff. 7.2, Ziff. 7.3, Ziff. 7.4, Ziff.
7.8, Ziff. 7.9, Ziff. 7.10, Ziff. 7.12, Ziff. 7.13, Nr. III und Nr. V aufzuheben.
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Im Erörterungstermin am 12.11.2009 hat der Kläger erklärt, die Auflagen unter Nr. II in
Ziff. 1 c, Ziff. 5 a, Ziff. 5 b, Ziff. 5 c, Ziff. 7.2 (konkludent), Ziff. 7.3, Ziff. 7.10, Ziff. 7.12 und
Ziff. 7.13 würden nicht mehr angefochten.
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In der mündlichen Verhandlung hat er erklärt, die Auflage unter Nr. II Ziff. 7.4 werde nicht
mehr angefochten. Hinsichtlich des Auflagenvorbehalts in Nr. III ist das Verfahren von
den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt worden.
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Der Kläger beantragt,
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die Ziffern II.7.8 und 7.9 - soweit dort der halbstündige Handwechsel aufgeführt ist -
sowie Ziffer V im Erlaubnisbescheid des Beklagten vom 17.07.2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, die wesentlichen Inhalte der dem Kläger erteilten und nunmehr
angefochtenen Erlaubnis seien u. a. mit dem Kläger und mit Herrn L. (Berufsverband der
Tierlehrer) abgesprochen gewesen bzw. teilweise extra auf Wunsch von Herrn L.
ergänzt worden. Die Auflage in Ziff. II.7.8 sei rechtmäßig. Der Handwechsel entspreche
der Zirkusleitlinie. Das stundenlange Laufen auf einer Hand sei artwidrig. Dies sei
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unstrittig. Soweit der Kläger vortrage, seine Tiere seien zu einem Handwechsel nicht in
der Lage, zeige dies gerade, dass sie nicht ausreichend trainiert worden seien.
Zwingende Gründe, warum die Tiere des Klägers nur auf einer Hand gingen, seien nicht
dargetan. Die Alternative - eine Stunde auf einer Hand und dann eine halbe Stunde
Pause - sei vorab von Herrn L. ausdrücklich angeregt und befürwortet worden. Zudem
verfüge der Kläger nach eigener Aussage nicht nur über zehn Tiere, sondern über
fünfzehn. Er reise auch nachgewiesenermaßen mit fünfzehn Tieren. Die gutachterliche
Stellungnahme des Vorsitzenden des Bundesverbandes der Tierlehrer e.V., Herrn L. ,
vom 26.06.2010 berücksichtige weder Erkenntnisse auf dem Gebiet der Reitausbildung
noch die möglichen physischen und psychischen Folgen von dauernder einseitiger
Belastung. Daraus resultierende Veränderungen am Bewegungsapparat (z.B.
Verspannungen der Muskulatur, Blockaden insbesondere an der Wirbelsäule,
Überdehnung von Bändern und morphologische Veränderungen an den Gelenken
insbesondere der inneren Gliedmaßen) könnten nur durch palpatorische,
röntgenologische und auch thermographische Untersuchungen korrekt festgestellt
werden. Ein Umtrainieren auch der älteren Pferde sei, wie es sich auch bei
Voltigierpferden gezeigt habe, möglich, bedürfe natürlich der notwendigen Sachkunde
und Zeit. Hierfür biete sich die jahrmarktfreie Zeit in den Wintermonaten an. Bei
regelmäßigem beidseitigem Training komme es weder zu Stress bei den Ponys noch zu
Problemen im Reitbetrieb. Auf der Internetseite des Berufsverbandes der Tierlehrer
werde explizit darauf hingewiesen, dass "die Einhaltung der Leitlinien zur Haltung und
Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben und ähnlichen Einrichtungen eine
Selbstverständlichkeit ist". Zu Ziff. V des Bescheides sei zu sagen, dass grundsätzlich
kein Anspruch auf die Erteilung einer unbefristeten Erlaubnis, sondern auch in diesem
Fall ein Anspruch auf fehlerfreier Ausübung des Ermessens bestehe. Der Kläger habe
versäumt, die für sein Gewerbe erforderliche Erlaubnis fristgerecht zu beantragen, zumal
ihm der Ablauf der früheren Erlaubnis bewusst gewesen sein müsse. Die erforderlichen
Meldungen nach der Viehverkehrsverordnung, die er schon seit Jahren hätte
durchführen müssen, habe er erst nach Aufforderung des Beklagten vorgenommen. Da
der Kläger bisher persönlich beim Beklagten nicht bekannt gewesen sei, er mit seinem
Ponyreitbetrieb (nach Kenntnis des Beklagten) nicht im Zuständigkeitsbereich des
Beklagten auftrete und es sich um ein Reisegewerbe mit häufig wechselnden
Standorten handele, könne u. a. durch die Befristung ein künftiger Kontakt mit dem
Kläger sichergestellt werden. Aus Sicht des Beklagten werde durch die Befristung
erreicht, dass den dann aktuellen geltenden tierschutzrechtlichen Anforderungen
entsprochen werden könne. Auch im Merkblatt Nr. 116 der Tierärztlichen Vereinigung
für Tierschutz e.V. sei u.a. von "entsprechender Befristung" die Rede. Bei einer
Erlaubniserteilung werde vom Beklagten eine Frist von fünf Jahren als angemessen
angesehen. Der Beklagte sei verwundert über die Beschwerde darüber, denn der
Kläger sei im Vorfeld darüber unterrichtet worden und habe damals keine Bedenken
gehabt.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung
der Sachverständigen Herrn Dr. B. G. und Herrn D. L. . Wegen des Inhalts und des
Ergebnisses wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 19.10.2010 und das
Protokoll der mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
19
Entscheidungsgründe:
20
Soweit die Klage sinngemäß durch die Aufgabe der weiteren Anfechtung einzelner
Nebenbestimmungen zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs.
3 Satz 1 VwGO einzustellen. Soweit das Verfahren von den Beteiligten
übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist es in entsprechender Anwendung des §
92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet.
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Die angefochtenen Auflagen und die Befristung in den Ziff. II.7.8, 7.9 und V im Bescheid
des Beklagten vom 17.07.2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen
Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es liegen schon die tatbestandlichen
Voraussetzungen der maßgeblichen Rechtsgrundlage nicht vor, weil die Auflagen und
die Befristung zum Schutz der Tiere im Betrieb des Klägers nicht erforderlich sind.
Zudem sind die Auflagen und die Befristung ermessensfehlerhaft verfügt worden.
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1. Die Auflage des Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz in Ziff. II.7.8 und II.7.9
des Bescheids des Beklagten vom 17.07.2008 ist rechtswidrig. Rechtsgrundlage für
diese Auflage ist § 11 Abs. 2a TierSchG. Danach kann die Erlaubnis, soweit es zum
Schutz der Tiere erforderlich ist, unter Befristungen, Bedingungen und Auflagen erteilt
werden.
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Die Auflage des Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz im Betrieb des Klägers ist
zum Schutz der Tiere nicht erforderlich. Als Auflagen zum Schutz der Tiere kommen
insbesondere solche zur Sicherstellung der Anforderungen des § 2 TierSchG in
Betracht.
25
Vgl. BayVGH, Beschluss vom 19.11.2009 - 9 ZB 07.2282 -, juris; Hirt/Maisack/Moritz,
Tierschutzgesetz, 2. Auflage 2007, § 11 TierSchG Rn. 22.
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Nach § 2 Nr. 2 TierSchG darf derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm
Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Anhaltspunkte,
welche Anforderungen in diesem Zusammenhang an die Pferdehaltung in
Ponyreitbetrieben zu stellen sind, können den "Leitlinien für die Haltung, Ausbildung
und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen", die von einer
vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
eingesetzten Sachverständigengruppe erarbeitet wurden (sog. Zirkusleitlinien),
entnommen werden. Darin ist auf Seite 21 ausgeführt: "Sogenannte Karussellpferde
(Ponyreiten für Kinder) müssen längstens nach einer halben Stunde die Hand
wechseln". Weitere Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Merkblatt Nr. 116 der
Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) mit dem Titel "Beurteilung von
Ponyreitbahnen unter Tierschutzgesichtspunkten" aus dem Jahr 2008: "Wie in den
‚Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder
ähnlichen Einrichtungen' (‚Zirkusleitlinien' Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft 2000) ausgeführt, müssen sog. Karussellpferde längstens
nach einer halben Stunde die Hand (Richtung) wechseln. Das Laufen ausschließlich
auf einer Hand ist als tierschutzwidrig abzulehnen. Die Tiere werden nur dann physisch
und psychisch ausgeglichen trainiert, wenn sie auf beiden Händen (rechts und links
herum) gehen können, bzw. müssen. Die Verpflichtung zum regelmäßigen
Handwechsel sollte daher als Nebenbestimmung in die Erlaubnis nach § 11
27
Tierschutzgesetz aufgenommen werden". Die Zirkusleitlinie und das Merkblatt Nr. 116
der TVT besitzen aber keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern stellen eine
Orientierungshilfe für den Vollzug des Tierschutzgesetzes dar.
Vgl. insofern zu den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter
Tierschutzgesichtspunkten, die ebenfalls von einer vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eingesetzten
Sachverständigengruppe erarbeitet wurden: OVG NRW, Urteil vom 25.09.1997 - 20 A
688/96 -, juris; Thür.OVG, Urteil vom 28.09.2000 - 3 KO 700/99 -, NVwZ-RR 2001, 507 ff.
28
Insbesondere die Erforderlichkeit der Umsetzung dieser Orientierungshilfe ist im
Einzelfall zu prüfen. An der Erforderlichkeit von Nebenbestimmungen zum Schutz der
Tiere fehlt es, wenn es für das angestrebte Ziel ein gleich wirksames, den Antragsteller
weniger belastendes Mittel gibt.
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Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 11 TierSchG Rn. 22.
30
Gemessen daran ist die Auflage des Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz im
Betrieb des Klägers zum Schutz der von ihm eingesetzten Pferde und Ponys nicht
erforderlich. Dabei ist schon zweifelhaft, ob es bei den Tieren durch den Einsatz im
Betrieb des Klägers (mit Blick auf den Zuschnitt seiner Reitbahn, dem Schritttempo, dem
Wechsel der Tiere, ihrer Einsatzzeit und den Pausen) überhaupt zu einer derart
einseitigen Belastung kommt, dass ihnen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder
Schäden zugefügt werden. Die Frage, ob es zur physischen und/oder psychischen
Gesundheit der Pferde/Ponys im Betrieb des Klägers der vom Beklagten verfügten
Auflage des Handwechsels nach dreißig Minuten bedarf, haben die in der mündlichen
Verhandlung vernommenen Sachverständigen unterschiedlich beantwortet. Der
Sachverständige Herr L. , der den Betrieb des Klägers und seine Tiere in Augenschein
genommen und an den sog. Zirkusleitlinien mitgearbeitet hat, verneint sie. Er hat
ausgeführt, dass das Gehen im Schritttempo in der rechteckigen Reitbahn des Klägers
die Tiere nicht einseitig belaste. Sie müssten sich nicht ständig "in die Kurve legen",
was eine einseitige Belastung des Bewegungsapparates zur Folge habe. Aufgrund des
Zuschnitts der Reitbahn des Klägers handele es sich für ihn nicht um Karussellpferde im
Sinne der sog. Zirkusleitlinien. Bei ihrer Ausarbeitung hätten sie damals Betriebe vor
Augen gehabt, in denen die Tiere in einem engen runden Zirkel liefen. In seiner
schriftlichen Stellungnahme vom 24.06.2010 hat er zudem erklärt, dass fünfzehn Tiere
zur Verfügung stünden, die Reitbahn in der Regel mit sechs bis acht Tieren bestückt sei
und die Tiere untereinander ständig gewechselt worden seien. Durch den Einsatz sei
bei keinem der Tiere eine Überbelastung erkennbar gewesen. Der Sachverständige
Herr Dr. G. , verantwortlicher Bearbeiter des Merkblatts Nr. 116 der TVT zum Thema
"Beurteilung von Ponyreitbahnen unter Tierschutzgesichtspunkten", sieht
demgegenüber die Notwendigkeit eines Handwechsels. Dabei ist es aus seiner Sicht
egal, ob die Tiere auf einer Kreis- oder einer Ovalbahn eingesetzt werden. Ein Pony
behalte seine Schiefe auch in der Geraden. Aus seiner Sicht sei es erforderlich, dieser
Schiefstellung durch geeignete Trainingsmethoden entgegen zu wirken. Dass mit Blick
darauf aber im Betrieb des Klägers ein Handwechsel nach dreißig Minuten Einsatz zum
Schutz der Tiere notwendig ist, ohne dass eine andere gleich geeignete, aber den
Kläger weniger belastende Maßnahme in Betracht käme, ergibt sich letztlich weder aus
den Ausführungen der Sachverständigen noch aus den sog. Zirkusleitlinien und dem
Merkblatt Nr. 116 der TVT. Dabei spricht in diesem Einzelfall auch der
Gesundheitszustand der Tiere, der trotz des bisher vom Kläger nicht praktizierten
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Handwechsels vom Beklagten nicht beanstandet wurde, gegen die Erforderlichkeit des
nunmehr durchzuführenden Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz, der den
Tieren nach dem Vortrag des Klägers und den Erklärungen der Sachverständigen nicht
im laufenden Betrieb und nur mit großem Zeitaufwand und nachhaltigen Bemühungen
beigebracht werden kann. Hat sich das Fehlen des Handwechsels alle dreißig Minuten
beim Einsatz der Tiere bisher auf ihre Gesundheit nicht erkennbar negativ ausgewirkt,
ist nicht ersichtlich, dass er zukünftig zum Schutz der Tiere in dieser Form notwendig ist.
Es erscheint mit Blick darauf nicht zwingend, dass Maßnahmen für ein physisch und
psychisch ausgeglichenes Training der Tiere im laufenden Betrieb alle dreißig Minuten
zu erfolgen haben. Insofern sind mildere, gleich geeignete Mittel denkbar, die weniger
gravierend in den Betrieb des Klägers eingreifen, indem der Ausgleich beispielsweise
außerhalb des Einsatzes in der Reitbahn des Klägers vorgenommen wird.
Überdies ist die Auflage des Handwechsels nach jeweils dreißig Minuten Einsatz, die
der Kläger nach dem Bescheid des Beklagten vom 17.07.2008 unmittelbar, d.h. ohne
Einräumung einer Übergangsfrist zu befolgen hat, unverhältnismäßig und damit
ermessensfehlerhaft. Die Unverhältnismäßigkeit folgt schon aus der dargelegten
fehlenden Erforderlichkeit. Darüber hinaus ist das Fehlen einer Übergangsfrist
unangemessen. Bei § 11 Abs. 2a TierSchG handelt es sich um eine Ermessen
einräumende Vorschrift. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem
Ermessen zu handeln, prüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der
Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts
rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder
von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht ist. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
wonach eine Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, führt zu
einem Ermessensfehler.
32
Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 114 Rn. 159.
33
An der Angemessenheit fehlt es, wenn der dem Antragsteller zugefügte Schaden
schwerer wiegt als der angestrebte Nutzen für die Tiere.
34
Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 11 TierSchG Rn. 22.
35
So liegt es hier. Die Auflage führt für den Kläger zu einem Nachteil, der zu dem
erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Zwar ist der mit der Auflage verfolgte
Schutz der Gesundheit der Tiere ein gewichtiges Ziel. Dies kommt auch in der
Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zum Ausdruck. Dabei ist in diesem Fall aber mit
Blick darauf, dass der Gesundheitszustand der Tiere des Klägers vom Beklagten nicht
beanstandet wird und die Pferde vom Sachverständigen L. als physisch und psychisch
gesund sowie gut gepflegt bezeichnet werden, zu berücksichtigen, dass die Tiere des
Klägers beim Einsatz in seinem Betrieb - soweit ersichtlich - keine festgestellten
gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfahren. Eine deutliche und zwingend
unmittelbar herbeizuführende Verbesserung ihrer Gesundheit geht mit der Umsetzung
der vom Beklagten verfügten Auflage des Handwechsels vor diesem Hintergrund nicht
einher. Demgegenüber bedeutet die unmittelbare Umsetzung der Auflage des
Handwechsels nach dreißig Minuten für den Kläger, dass er seinen Betrieb (zunächst)
schließen müsste, weil es unmöglich ist, der Auflage ab sofort nachzukommen. Nach
seinem Vortrag und nach der übereinstimmenden Auffassung der in der mündlichen
Verhandlung vernommenen Sachverständigen bedarf es mindestens etlicher Monate
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konsequenten Trainings, um den Tieren den Handwechsel beizubringen. Der
Sachverständige Herr L. hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es u.U.
möglich sei, auch die alten Tiere umzutrainieren. Dazu bedürfe es aber wohl eines
halben Jahres und mehr an Training. Soweit der Beklagte insofern der Ansicht ist, der
Kläger könne die Winterpause für das Training des Handwechsels nutzen, hat dies in
der Erlaubnis vom 17.07.2008 - abgesehen von der Frage, ob dieser Zeitraum genügt -
keine Berücksichtigung gefunden. Das - auch nur vorübergehende - Einstellen seines
Ponyreitbetriebs hat für den Kläger eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße zur Folge.
Mit Blick auf diese Auswirkungen auf die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie auf den
grundrechtlich geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG)
und angesichts des auch vom Beklagten nicht beanstandeten Zustands der Ponys, der
eine Umsetzung der Auflage des Handwechsels nach dreißig Minuten Einsatz nicht
dringlich erscheinen lässt, steht die ohne eine angemessene Übergangsfrist
vorgesehene Auflage - auch unter Berücksichtigung der bereits in der vom Kreis W.
erteilten Erlaubnis vom 26.04.2007 vorgesehenen, den Handwechsel betreffenden
Auflage - außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck.
Zudem erweist es sich auch als Ermessensdefizit, dass der Beklagte wesentliche
Gesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens außer acht gelassen hat. Die
Umstände des konkreten Einzelfalls wie den Zustand der Tiere des Klägers und die
tatsächlichen Auswirkungen ihres Einsatzes auf seiner Reitbahn auf ihre Gesundheit,
die im Einzelnen vom Beklagten nicht festgestellt wurden, hat er nicht in seine
Ermessenserwägungen eingestellt.
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2. Die als Alternative zum Handwechsel vorgesehene Auflage ("Alternativ müssen die
Pferde / Ponys bei Einsatz auf nur einer Hand nach jeweils einer Stunde im Zirkel für
eine halbe Stunde in den/die Paddocks gebracht, abgesattelt, abgetrenst und mit Futter
und Wasser versorgt werden. Sie dürfen in dieser Zeit nicht angebunden werden. Diese
Alternative kann nur dann genutzt werden, wenn der/die Paddocks sich in unmittelbarer
Nähe des Zirkels befinden.") ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten. Auch sie entspricht nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Soweit
hinsichtlich des Einsatzes der Tiere im Betrieb des Klägers ein Ausgleich in Form des
Handwechsels vorzunehmen ist, ist die Alternative schon nicht geeignet. Sie ist nach
der vom Beklagten unwidersprochenen Aussage des Sachverständigen Dr. G. nicht
ausreichend.
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3. Auch die in Nr. V des Bescheids des Beklagten vom 17.07.2008 verfügte Befristung
ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die
Befristung ist ebenfalls § 11 Abs. 2a TierSchG. Die Befristung setzt damit ebenfalls
voraus, dass sie zum Schutz der Tiere erforderlich ist. Die Erforderlichkeit einer Frist von
nur drei Jahren (bis zum 30.07.2011) zum Schutz der Tiere ist jedoch nicht ersichtlich.
Aus der insofern vom Beklagten angeführten Begründung, es könne durch die
Befristung ein künftiger Kontakt zum Kläger sichergestellt werden, der die für sein
Gewerbe erforderliche Erlaubnis nicht fristgerecht beantragt und die Meldungen nach
der Viehverkehrsverordnung versäumt habe sowie außerdem nicht persönlich bekannt
gewesen sei und mit seinem Ponyreitbetrieb - soweit bisher bekannt - nicht im
Zuständigkeitsbereich des Beklagten auftrete, ergibt sich die Erforderlichkeit der
Befristung zum Schutz der Tiere nicht. Vielmehr dient sie danach der Kontrolle des
Klägers. Auch die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Erklärung, die
Befristung stelle sicher, dass den dann aktuell geltenden tierschutzrechtlichen
Anforderungen entsprochen werden könne, kann in dieser Pauschalität die
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Erforderlichkeit der Befristung nicht begründen. Völlig offen bleibt bei dieser
Begründung, weshalb der Beklagte innerhalb des kurzen Zeitraums von drei Jahren von
einer derartigen Änderung der tierschutzrechtlichen Anforderungen ausgeht, dass diese
die kurze Befristung der Erlaubnis erforderlich macht.
Die Befristung in Nr. V des Bescheids des Beklagten vom 17.07.2008 ist vor diesem
Hintergrund auch unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft erfolgt. Die
Unverhältnismäßigkeit ergibt sich daraus, dass selbst zur Kontrolle des Klägers eine
derart kurze Frist von drei Jahren nicht erforderlich ist. Dem Beklagten stehen insofern
andere, mildere Mittel zur Verfügung wie etwa die in § 16 TierSchG vorgesehenen
Maßnahmen der Überwachung oder ein Widerrufsvorbehalt für den Fall des Verstoßes
gegen die tierschutzrechtlichen Vorgaben. Die Begründung des Beklagten, er halte eine
Frist von fünf Jahren für angemessen, steht im Übrigen im Widerspruch zu der
tatsächlich verfügten Dauer der Befristung von drei Jahren und lässt aus diesem Grund
auf einen Ermessensfehler schließen. Wegen sachfremder Erwägungen
ermessensfehlerhaft ist es zudem, wenn mit der Befristung allein die Kontrolle des
Klägers sichergestellt werden soll, obwohl der Zweck der Befristung nach § 11 Abs. 2a
TierSchG der des Schutzes der Tiere ist.
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Da der Klage mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in vollem
Umfang stattgegeben wird, ist über den hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers
nicht zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO. Zu Lasten
des Beklagten folgt sie aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie - hinsichtlich des
übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der Klage - aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands billigem
Ermessen, dass der Beklagte auch insofern die Kosten des Verfahrens trägt, weil er im
Hinblick auf den angefochtenen Auflagenvorbehalt voraussichtlich unterlegen wäre. Der
Auflagenvorbehalt war rechtswidrig, weil er nicht erkennen ließ, welche spätere
Belastung auf den Kläger zukommen könnte, die Gründe und Zielsetzungen nicht
dargelegt waren, unter denen eine spätere Belastung danach in Betracht kam, und er
letztlich wohl nur dazu diente, dem Beklagten künftig allgemein freie Hand zu lassen.
42
Vgl. zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Auflagenvorbehalts: Hennecke, in:
Knack, VwVfG, 8. Auflage 2004, § 36 Rn. 45; Tiedemann, in: Bader/Ronellenfitsch,
VwVfG, 2010, § 36 Rn. 71 - jeweils mit weiteren Nachweisen.
43
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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