Urteil des VG Minden vom 17.12.2010

VG Minden (örtliche zuständigkeit, zuständigkeit, träger, ort, aufnahme, besondere zuständigkeit, ratio legis, planwidrige unvollständigkeit, vorschrift, sozialhilfe)

Verwaltungsgericht Minden, 6 K 2167/10
Datum:
17.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 2167/10
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,-- Euro
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die im Jahr 1927 geborene Frau F1. N. wohnte ursprünglich in C. . Am 1.7.2004 zog
Frau N. um nach X2. im Kreis H1. , wo sie fortan in einer ambulanten betreuten
Wohngruppe lebte. Hierfür erhielt sie seit April 2007 von der Klägerin
Sozialhilfeleistungen in Form ambulanter Pflege/Eingliederungshilfe. Seit dem 1.3.2008
wohnt Frau N. im W. Seniorenzentrum in C. , einer vollstationären
Dauerpflegeeinrichtung.
2
Am 14.2.2008 stellte Frau N. bei der Klägerin einen Antrag auf Übernahme ungedeckter
Heimpflegekosten. Mit Bescheid vom 4.3.2008 lehnte die Klägerin die Gewährung von
Leistungen nach dem SGB XII ab mit der Begründung, gemäß § 98 Abs. 2 SGB XII sei
nicht sie, sondern der Beklagte örtlich zuständig. Einen daraufhin beim Beklagten
gestellten Antrag lehnte dieser mit Bescheid vom 11.3.2008 ab, weil nicht er, sondern
die Klägerin örtlich zuständig sei. Denn deren ursprüngliche Zuständigkeit gemäß § 98
Abs. 5 SGB XII bestehe nach dem Umzug von Frau N. in die stationäre Einrichtung fort.
Zugleich ersuchte der Beklagte die Klägerin, die ungedeckten Heimpflegekosten für
Frau N. als zuerst angegangener Träger gemäß § 43 Abs. 1 SGB I vorläufig zu
übernehmen. Daraufhin lehnte die Klägerin mit Bescheid vom 8.4.2008 die Gewährung
von Leistungen nach dem SGB XII erneut ab, diesmal mit der Begründung, Frau N.
verfüge über ausreichendes einzusetzendes Vermögen. Den dagegen gerichteten
Widerspruch von Frau N. wies die Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29.12.2008
zurück.
3
Am 11. bzw. 14.4.2008 beantragten Frau N. sowie die Pflegeeinrichtung bei der
Klägerin Pflegewohngeld. Mit zwei Bescheiden vom 18.4.2008, gerichtet an Frau N. und
die Pflegeeinrichtung, bewilligte die Klägerin Pflegewohngeld für den Heimplatz von
Frau N. für die Zeit vom 1.3.2008 bis zum 28.2.2009 in Höhe von monatlich 619,66 Euro.
4
Unter dem 21.4.2008 ersuchte die Klägerin den Beklagten um Kostenerstattung wegen
der von ihr erbrachten Pflegewohngeldzahlungen. Mit Schreiben vom 15.5.2008
erkannte der Beklagte einen Erstattungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach an,
"sofern die Zuständigkeit des Kreises H1. für derartige Fallgestaltungen gerichtlich
festgestellt wird."
5
Am 25.10.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertritt die Auffassung, ihr stehe ein
Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zu, weil dieser als Träger der Sozialhilfe am
Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts von Frau N. vor deren Aufnahme in die
Pflegeeinrichtung gemäß § 12 Abs. 2 PfG NRW i.V.m. § 6 PflFEinrVO i.V.m. § 98 Abs. 2
SGB XII für die Pflegewohngeldgewährung örtlich zuständig sei. Frau N. habe mit ihrem
Umzug in die betreute Wohngruppe in X2. dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet
und bis zur Heimaufnahme beibehalten. Sie, die Klägerin, sei auch nicht gemäß § 98
Abs. 5 SGB XII örtlich zuständig. Die Vorschrift regele allein die Zuständigkeit für
Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten und sei deshalb ab
dem Wechsel in eine stationäre Einrichtung nicht mehr anwendbar.
6
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 1.3.
bis 31.12.2008 Pflegewohngeld in Höhe von 6.196,60 Euro zu erstatten.
7
Der Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Er meint, die Klägerin sei für die Leistungsgewährung zuständig. Gemäß § 12 Abs. 2
Satz 1 PfG NRW werde Pflegewohngeld vom zuständigen örtlichen Träger der
Sozialhilfe gewährt. Damit werde auf § 98 SGB XII Bezug genommen. Die dort in Absatz
2 für stationäre Leistungen vorgesehene Zuständigkeitsregelung müsse vor dem
Hintergrund von § 98 Abs. 5 SGB XII - der wie Absatz 2 dem Schutz der
Einrichtungsorte diene - dahin ausgelegt werden, dass die besondere Zuständigkeit
nach § 98 Abs. 5 SGB XII auch dann erhalten bleibe, wenn ein Wechsel von einer
ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit in eine stationäre Einrichtung erfolge. Im
vorliegenden Fall komme als Besonderheit hinzu, dass das der Heimaufnahme
vorangegangene ambulante betreute Wohnen von Frau N. einer stationären Pflege
faktisch weitgehend gleichgekommen sei. An der danach begründeten Zuständigkeit
der Klägerin vermöge auch § 6 Abs. 1 Satz 3 PflFEinrVO nichts zu ändern. Denn die
dieser Vorschrift zu Grunde liegende Verordnungsermächtigung des § 12 Abs. 7 Satz 1
PfG NRW ermächtige nicht zu einer Abweichung von der im Gesetz getroffenen
Regelung der Zuständigkeit.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
13
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr
erbrachten Pflegewohngeldleistungen.
14
Dahingestellt bleiben kann, ob als Anspruchsgrundlage § 102 Abs. 1 SGB X
einschlägig ist, weil die Klägerin die Pflegewohngeldleistungen gemäß § 43 Abs. 1
SGB I vorläufig als zuerst angegangener Leistungsträger erbracht hat, oder ob, weil die
Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 SGB I nicht erfüllt sind, § 105 Abs. 1 SGB X
heranzuziehen ist. Denn nicht der Beklagte, sondern die Klägerin ist für die
Pflegewohngeldgewährung für den Heimplatz von Frau N. zuständig. Deshalb ist der
Beklagte der Klägerin weder i.S.v. § 102 Abs. 1 SGB X als "der zur Leistung
verpflichtete Leistungsträger" noch i.S.v. § 105 Abs. 1 SGB X als "der zuständige ...
Leistungsträger" erstattungspflichtig.
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Vgl. zur Bedeutungsgleichheit dieser gesetzlichen Formulierungen BSG, Urteil vom
27.4.1989 - 9/9a RV 44/87 -, SozR 3100 § 11 Nr. 18 = Juris, Rn. 12.
16
Die Zuständigkeit der Klägerin folgt aus § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur
Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes (Landespflegegesetz Nordrhein-
Westfalen - PfG NRW -) vom 19.3.1996 (GV. NRW S. 137), zuletzt geändert durch Art.
17 des Ersten Teils des Gesetzes vom 3.5.2005 (GV. NRW S. 498).
17
Nach dieser Vorschrift richtet sich der Anspruch vollstationärer
Dauerpflegeeinrichtungen auf Gewährung von Pflegewohngeld - soweit hier von
Interesse - gegen den zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe.
18
Als kreisfreie Stadt ist die Klägerin gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII örtlicher Träger der
Sozialhilfe und damit sachlich zuständig.
19
Für die örtliche Zuständigkeit verweist § 12 Abs. 2 Satz 1 PfG NRW mit der
Bezugnahme auf den "zuständigen" örtlichen Sozialhilfeträger auf die
sozialhilferechtliche Zuständigkeitsregelung des § 98 SGB XII und speziell - da es sich
um eine stationäre Leistung handelt - auf dessen Absatz 2.
20
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.5.2004 - 16 B 547/04 -, FEVS 55, 517 = Juris, Rn. 3
(zu § 97 BSHG, der Vorgängerregelung von § 98 SGB XII).
21
Nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist für die stationäre Leistung der Sozialhilfeträger
örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen
Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei
Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Wegen der in § 12 Abs. 2 und 3 PfG
NRW zum Ausdruck kommenden "Bewohnerorientierung" der
Pflegewohngeldgewährung kommt es dabei auf die Aufenthaltsverhältnisse des
jeweiligen Heimbewohners an, nicht etwa auf den Sitz der Pflegeeinrichtung als dem
unmittelbaren Leistungsempfänger (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 PfG NRW).
22
Vgl. OVG NRW, a.a.O.
23
Danach wäre hier der Beklagte örtlich zuständig. Denn im Zeitpunkt der Aufnahme von
Frau N. in die Pflegeeinrichtung am 1.3.2008 hatte diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt
24
in X2. und damit im Kreisgebiet des Beklagten, wo sie seit dem 1.7.2004 in einer
betreuten Wohngruppe lebte.
Dass gleichwohl die Klägerin örtlich zuständig ist, folgt aus § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII
i.V.m. einer analogen Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII. Denn bis zur
Aufnahme von Frau N. in die Pflegeeinrichtung bestand eine örtliche Zuständigkeit der
Klägerin gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII im Rahmen ambulanten betreuten
Wohnens. Diese Zuständigkeit bleibt nach dem Übertritt von Frau N. in die
Pflegeeinrichtung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII erhalten.
25
Frau N. erhielt seit April 2007 bis zu ihrer Aufnahme in die Pflegeeinrichtungen von der
Klägerin Sozialhilfeleistungen in Form ambulanter Pflege bzw. Eingliederungshilfe. Die
örtliche Zuständigkeit der Klägerin hierfür ergab sich aus § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII.
Danach ist für Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem
Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII in Formen ambulanter betreuter
Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor dem
Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre.
26
Die Vorschrift war sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar.
27
Dass Frau N. in X2. in einer ambulanten betreuten Wohnform gelebt hat, ist zwischen
den Beteiligten unstreitig und unterliegt keinen Zweifeln.
28
Den zeitlichen Anwendungsbereich von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII regelt Satz 2 der
Vorschrift, wonach vor Inkrafttreten des SGB XII begründete Zuständigkeiten von der
besonderen Zuständigkeitsregelung des Satzes 1 unberührt bleiben. Diese findet also
nur Anwendung auf Neufälle ab Inkrafttreten des SGB XII am 1.1.2005.
29
Vgl. BT-Drs. 15/4751, S. 48. Zum Inkrafttreten des SGB XII vgl. Art. 70 Abs. 1 des
Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003, BGBl. I S.
3022.
30
Ein derartiger Neufall liegt hier vor, weil Frau N. erst im April 2007 einen Antrag auf
Sozialhilfeleistungen gestellt hat. Ohne Bedeutung ist es, dass sie bereits seit Juli 2004,
also schon vor Inkrafttreten des SGB XII, nach X2. verzogen war und dass deshalb,
hätte sie bereits zu diesem Zeitpunkt Sozialhilfe beantragt, gemäß dem damals noch
geltenden § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG der Beklagte als der Sozialhilfeträger am Ort des
tatsächlichen Aufenthalts des Hilfeempfängers zuständig gewesen wäre. Denn bei einer
solchen "abstrakten", noch nicht durch tatsächlichen Sozialhilfebezug oder -antrag
konkretisierten Zuständigkeit handelt es sich nicht i.S.v. § 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII um
eine bereits "begründete Zuständigkeit". Dieser Begriff ist "konkret" zu interpretieren,
d.h. es werden nur solche (Alt-)Fälle vom Anwendungsbereich des Satzes 1
ausgenommen, in denen bei Inkrafttreten des SGB XII bereits Leistungen gewährt
wurden oder zumindest ein entsprechender Antrag gestellt war.
31
Zwar lässt der Gesetzeswortlaut beide Interpretationen zu und systemtische
Erwägungen sprechen sogar eher für eine - jedenfalls auch - "abstrakte" Deutung. Denn
in Satz 1 von § 98 Abs. 5 SGB XII werden tatsächliche und potentielle
Leistungsgewährung gleichgestellt ("zuletzt zuständig war oder gewesen wäre").
Entscheidend für eine - ausschließlich - "konkrete" Interpretation des Begriffs der
"begründeten Zuständigkeit" sprechen jedoch entstehungsgeschichtliche und
32
teleologische Gründe. Denn Satz 2 wurde auf Wunsch der Länder mit dem Ziel der
Verwaltungsvereinfachung eingeführt.
Vgl. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
des Deutschen Bundestages zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur
Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht, BT-Drs. 15/4751, S. 48.
33
Eine Verwaltungsvereinfachung durch Nichtanwendung der neuen
Zuständigkeitsregelung des Satzes 1 kann nur in solchen Fällen bewirkt werden, in
denen bereits über einen Leistungsantrag entschieden oder ein Sozialhilfeträger damit
zumindest schon befasst war. Für neue Leistungsanträge ist es hingegen unter dem
Gesichtspunkt der Verwaltungseffizienz gleichgültig, welcher Sozialhilfeträger darüber
entscheidet. Eine doppelte Befassung zweier Träger mit ein und demselben Fall, die
Satz 2 verhindern soll, droht hier nicht. Insoweit besteht dann aber kein Grund, die in
Satz 1 zum Zwecke des Schutzes der Sozialhilfeträger am Ort betreuter
Wohnmöglichkeiten vorgenommene Gleichstellung von tatsächlicher und potentieller
Leistungsgewährung auf den - einem anderen Zweck, nämlich der
Verwaltungsvereinfachung dienenden - Satz 2 des § 98 Abs. 5 SGB XII zu übertragen.
34
Die bislang gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII für die ambulante Leistungsgewährung
begründete örtliche Zuständigkeit der Klägerin besteht nach dem Übertritt von Frau N. in
die Pflegeeinrichtung für die jetzt zu erbringenden stationären Leistungen fort. Das folgt
aus einer analogen Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII.
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Die Funktion von § 98 SGB XII reicht über die formale Bestimmung der örtlichen
Zuständigkeit hinaus. Geregelt wird zugleich - wie der zu entscheidende Fall
anschaulich belegt - die Kostenträgerschaft.
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Vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 98 Rn. 3.
37
Insoweit dient die besondere Zuständigkeitsregelung für die Leistungsgewährung in
Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten in § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII dem
Schutz der Sozialhilfeträger am Ort derartiger Wohnmöglichkeiten vor
überproportionalen Kostenbelastungen durch Leistungen an "Zuzügler". Die gleiche
Funktion erfüllt § 98 Abs. 2 SGB XII in Fällen stationärer Leistungen.
38
Vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 7.6.2007 - S 3 B 106/07 und S 3 B 60/07 -, FEVS 55,
517 = Juris, Rn. 26; SG Lüneburg, Urteil vom 2.7.2009 - S 22 SO 90/08 -, ZfF 2010, 253
= Juris, Rn. 26; zu § 97 Abs. 2 BSHG auch BT-Drs. 12/4401, S. 84.
39
In den zuletzt genannten Fällen gewährleistet § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII diesen Schutz
auch dann, wenn der Leistungsberechtigte aus einer Einrichtung in eine andere oder
von dort in weitere Einrichtungen übertritt. Hier werden auch die Träger innerhalb der
"Einrichtungskette" geschützt, indem das Gesetz den Sozialhilfeträger für zuständig
erklärt, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im
Zeitpunkt der Aufnahme in die erste Einrichtung oder in den zwei Monaten davor hatte.
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Für Fälle der Leistungsgewährung in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten
i.S.v. § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII sieht das Gesetz eine vergleichbare ausdrückliche
Regelung nicht vor. Beim Übertritt des Leistungsberechtigten von einer ambulanten
betreuten Wohnmöglichkeit in eine andere oder von dort in eine weitere könnte der
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Schutz der Sozialhilfeträger innerhalb einer derartigen Kette ambulanter betreuter
Wohnmöglichkeiten freilich bereits unmittelbar durch § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII
sichergestellt sein. Denn im Gegensatz zu § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, der auf den
Zeitpunkt der Aufnahme in "die", also in eine bestimmte einzelne Einrichtung abstellt,
knüpft § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII an den Eintritt "in diese Wohnform" und damit
möglicherweise an den Eintritt in das ambulante betreute Wohnen als solches an,
unabhängig davon, in welchen - gegebenenfalls wechselnden - konkreten
Wohnmöglichkeiten es stattfindet. Die ursprüngliche "Eintrittszuständigkeit" bliebe stets
erhalten, ohne dass es insoweit einer analogen Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2
SGB XII bedürfte. Gleichwohl dürfte diese Vorschrift auch in derartigen Kettenfällen
insoweit von Bedeutung sein - sei es im Zuge einer systematisch-teleologischen
Interpretation von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII, sei es aufgrund einer analogen
Heranziehung -, als es um die Frage geht, ob im Hinblick auf zeitliche Lücken zwischen
den Aufenthalten in einzelnen ambulanten betreuten Wohnmöglichkeiten ein neuer
Eintritt in diese Wohnform vorliegt, der einen Wechsel der Zuständigkeit nach § 98 Abs.
5 Satz 1 SGB XII zur Folge hat. Hier mag eine Orientierung an den Kriterien
gerechtfertigt sein, die in der Rechtsprechung zum "Übertritt" zwischen einzelnen
Einrichtungen i.S.v. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII entwickelt wurden.
Vgl. in diesem Sinne OVG Bremen, Beschluss vom 7.6.2007 - S 3 B 106 07 und S 3 B
60/07 -, a.a.O. (Juris, Rn. 24 ff.).
42
Keine Regelung im Gesetz, weder ausdrücklich noch implizit, hat jedenfalls der hier
vorliegende Fall des Übertritts des Leistungsberechtigten von einer ambulanten
betreuten Wohnmöglichkeit in eine stationäre Einrichtung gefunden. In Anbetracht von
Entstehungsgeschichte und ratio legis des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII und einer dem
(ausdrücklich) geregelten Fall des "inter-stationären" Übertritts vergleichbaren
Interessenlage erscheint dies als eine Regelungslücke, d.h. eine planwidrige
Unvollständigkeit des Gesetzes, die mittels einer analogen Anwendung von § 98 Abs. 2
Satz 2 SGB XII zu schließen ist.
43
Mit der besonderen Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII hat der
Gesetzgeber im Zuge der Eingliederung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
im Jahre 2005 auf die Etablierung neuer Wohnformen reagiert. Im zuvor geltenden
BSHG war in § 97 Abs. 2 lediglich eine besondere Zuständigkeitsregelung für die Hilfe
in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung vorgesehen. Von
dieser Regelung, die im Wesentlichen inhaltsgleich in § 98 Abs. 2 SGB XII übernommen
wurde,
44
vgl. BT-Drs. 15/1514, S. 67 (zu § 93 der Entwurfsfassung des SGB XII),
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waren nur stationäre Leistungen erfasst.
46
Vgl. VGH BaWü, Urteil vom 23.1.1989 - 6 S 1401/87 -, FEVS 38, 293 = Juris, Rn. 21;
Krahmer, in: LPK-SGB XII, 8. Auflage 2007, § 13 Rn. 4; Schoch, in: LPK-BSHG, 5.
Auflage 1998, § 97 Rn. 58.
47
Für die neuen Erscheinungsformen ambulanten betreuten Wohnens blieb es danach bei
der allgemeinen Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort des tatsächlichen
Aufenthalts des Hilfeempfängers gemäß § 97 Abs. 1 BSHG und - vorbehaltlich eines auf
maximal zwei Jahre begrenzten Kostenerstattungsanspruchs im Falle des Zuzugs (§
48
107 BSHG) - der damit verbundenen Kostenlast. Mit der neuen Regelung des § 98 Abs.
5 Satz 1 SGB XII hat der Gesetzgeber den Schutz der Träger am Ort einer Einrichtung,
den §§ 97 Abs. 2 BSHG, 98 Abs. 2 SGB XII bezweckten bzw. bezwecken, auf die Träger
am Ort ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten ausgedehnt. Auch sie sollen von
überproportionalen Kosten durch die Leistungsgewährung an "Zuzügler" verschont
bleiben. Dass dabei der Fall des Übertritts von einer ambulanten betreuten Wohnform in
eine stationäre Unterbringung ungeregelt geblieben ist, erscheint in Anbetracht des
vorgenannten gesetzgeberischen Ziels als Regelungslücke, weil ohne eine
diesbezügliche Regelung die Träger am Ort ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten in
derartigen Konstellationen letztlich doch wieder mit überproportionalen
Sozialhilfekosten durch den Zuzug Auswärtiger belastet würden. Denn zunächst, d.h.
solange der zugezogene Leistungsberechtigte in einer ambulanten betreuten
Wohnmöglichkeit untergebracht ist, bliebe der Träger am Ort dieser Wohnmöglichkeit
zwar von den Sozialhilfekosten verschont. Zieht die Person dann aber in eine stationäre
Einrichtung um, wäre der Träger gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII leistungspflichtig.
Mit dem Eintritt in das ambulante betreute Wohnen hatte der zugezogene
Leistungsberechtigte dort nämlich auch einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt
begründet. Im Ergebnis würde sich der Umstand, dass im Zuständigkeitsbereich eines
Trägers ambulante betreute Wohnmöglichkeiten angeboten werden, für diesen Träger -
der gesetzgeberischen Zielsetzung zuwiderlaufend - kostensteigernd auswirken.
Die beschriebene Regelungslücke kann durch eine analoge Anwendung von § 98 Abs.
2 Satz 2 SGB XII geschlossen werden. In ihrem direkten Anwendungsbereich
gewährleistet die Vorschrift den Schutz der Sozialhilfeträger innerhalb von
"Einrichtungsketten", indem sie die ursprüngliche, für die Leistungsgewährung in der
ersten Einrichtung maßgebliche "Eintrittszuständigkeit" fortbestehen lässt. Diese
gesetzliche Aussage lässt sich auf den Fall einer "gemischten Kette" aus ambulantem
betreutem Wohnen und stationärer Unterbringung übertragen. Denn beide Situationen,
geregelter und nicht geregelter Sachverhalt, weisen eine vergleichbare Interessenlage
im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit der Sozialhilfeträger am Ort der jeweiligen Wohn-
bzw. Unterbringungsform auf. Nach der gesetzlichen Wertung erscheint der Träger am
Ort einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit im Falle des Übertritts eines
zugezogenen Leistungsberechtigten in eine stationäre Einrichtung sogar in besonderer
Weise schutzwürdig: Wenn er schon nicht mit den im Rahmen des ambulanten
betreuten Wohnens anfallenden Sozialhilfekosten belastet werden soll, gilt dies erst
recht für die - regelmäßig höheren - Kosten einer anschließenden stationären
Unterbringung.
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Danach findet § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII vorliegend analoge Anwendung mit der
Folge, dass die ursprünglich gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII bestehende örtliche
Zuständigkeit der Klägerin auch nach dem Umzug von Frau N. in die stationäre
Pflegeeinrichtung erhalten bleibt und die Klägerin deshalb gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1
PfG NRW auch für die Pflegewohngeldgewährung zuständig ist.
50
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 6 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung über die
Förderung der Investitionen von Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen sowie
über den bewohnerorientierten Aufwendungszuschuss vollstationärer
Dauerpflegeeinrichtungen (Pflegewohngeld) - Pflegeeinrichtungsförderverordnung
(PflFEinrVO) - vom 15.10.2003 (GV. NRW S. 613), zuletzt geändert durch Art. 38 des
Zweiten Teils des Gesetzes vom 3.5.2005 (GV. NRW S. 498). Danach ist zwar der -
örtliche, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 PflFEinrVO - Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in
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dessen Bereich der Heimbewohner bzw. die Heimbewohnerin seinen/ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in ein Heim hat oder in den zwei
Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Das wäre vorliegend der Beklagte. Das
widerspricht indes der geschilderten gesetzlichen Regelung des SGB XII, nach der die
Klägerin zuständig ist. § 6 Abs. 1 Satz 3 PflFEinrVO ist insoweit nichtig, weil er von der
Rechtsverordnungsermächtigung des § 12 Abs. 7 Satz 1 PfG NRW nicht mehr gedeckt
ist. § 12 Abs. 7 Satz 1 PfG NRW ermächtigt nicht dazu, die Zuständigkeit und die damit
verbundene Kostenverantwortung abweichend von § 12 Abs. 2 Satz 1 PfG NRW zu
regeln.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.5.2004 - 16 B 547/04 -, FEVS 55, 517 = Juris, Rn. 21
(zum gleichlautenden § 12 Abs. 6 Satz 1 PfG NRW a.F.)
52
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Frage, ob ein
gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII für die Leistungsgewährung in Formen ambulanter
betreuter Wohnmöglichkeiten örtlich zuständiger Sozialhilfeträger nach einem Übertritt
des Leistungsberechtigten in eine stationäre Einrichtung für eine dann erfolgende
Gewährung stationärer Leistungen zuständig bleibt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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