Urteil des VG Minden vom 20.09.2002

VG Minden: verfügung, unverzüglich, verhinderung, entziehen, datum, zustellung, seminar, verordnung, versäumnis, kursleiter

Verwaltungsgericht Minden, 3 K 541/02
Datum:
20.09.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 541/02
Tenor:
Die Verfügung des Beklagten vom 08.10.2001 und der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E. vom 23.01.2002 werden
aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die
Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird
nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin war Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L auf Probe. Die
Probezeit lief ursprünglich am 15.09.2002 ab. Am 03.04.2001 befolgte die Klägerin nicht
das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage.
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Mit Verfügung vom 23.07.2001 ordnete der Beklagte die Teilnahme der Klägerin an
einem Aufbauseminar für Fahranfänger an. Unter dem 24.09.2001 forderte er die
Klägerin auf, innerhalb der nächsten 10 Tage eine schriftliche Anmeldebestätigung
vorzulegen. Eine Reaktion der Klägerin erfolgte zunächst nicht.
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Mit Verfügung vom 08.10.2001 entzog der Beklagte der Klägerin deren Fahrerlaubnis
der Klassen B, M und L.
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Am 12.10.2001 legte die Klägerin einen vom 05.10.2001 datierenden Vertrag über die
Teilnahme an einem Aufbauseminar vor.
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Am 26.10.2001 erhob sie Widerspruch.
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Am 03.12.2001 ging beim Beklagten die Mitteilung ein, dass die Klägerin zur vierten
Sitzung des Aufbauseminars nicht erschienen sei. Mit Schreiben vom gleichen Tage
forderte der Beklagte die Klägerin auf, bis spätestens zum 07.01.2002 eine neue
schriftliche Anmeldebestätigung vorzulegen und umgehend an dem geforderten Kurs
teilzunehmen. Auch hierauf reagierte die Klägerin nicht.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2002 wies die Bezirksregierung E. den
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Widerspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 21.02.2002 Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt: Sie
habe das Seminar nicht ohne Entschuldigung abgebrochen. Beim vierten Termin sei sie
nachweislich erkrankt gewesen. Sie habe den Beklagten persönlich aufgesucht und die
ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Ihre Bitte, nur den vierten Termin nachholen zu
dürfen, sei abgewiesen worden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Verfügung des Beklagten vom 08.10.2001 und den Widerspruchsbescheid der
Bezirksregierung E. vom 23.01.2002 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, dass auch im Falle einer auf Erkrankung beruhenden
Verhinderung nicht ein einzelner Termin, sondern nur das gesamte Seminar wiederholt
werden könne.
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Das Gericht hat die Klägerin und die zuständige Sachbearbeiterin des Beklagten in der
mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Beide haben übereinstimmend
bekundet, die Klägerin habe am 03.12.2001 vorgesprochen und ihre Verhinderung
durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im
Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs des Beklagten (1 Heft) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die Verfügung des Beklagten vom 08.10.2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
(deshalb) in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die genannte Ordnungsverfügung findet ihre Rechtsgrundlage - allein diese Vorschrift
kommt vorliegend in Betracht - nicht in § 2 a Abs. 3 des Straßenverkehrsgesetzes
(StVG), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
(StVRÄndG) vom 11.09.2002 (BGBl. I S. 3574). Danach ist die Fahrerlaubnis zu
entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis einer vollziehbaren Anordnung der
zuständigen Behörde nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in der festgesetzten Frist nicht
nachgekommen ist. Dass diese Vorsetzungen vorliegend gegeben sind, kann nicht
festgestellt werden.
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Zum einen liegt schon keine vollziehbare Anordnung i.S.d. § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
StVG vor. Es ist nämlich ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs nicht
ersichtlich, dass die Verfügung des Beklagten vom 23.07.2001 der Klägerin bekannt
gegeben worden ist. Eine Zustellung ist offensichtlich nicht erfolgt, jedenfalls gibt der
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Verwaltungsvorgang darüber keinen Aufschluss. Zwar hat die Klägerin in der
mündlichen Verhandlung geäußert, vor der Entziehungsverfügung vom 08.10.2001 (ein)
Schreiben des Beklagten bekommen zu haben. Dies erschließt sich im Übrigen auch
daraus, dass sie bereits am 05.10.2001 und mithin vor Zustellung der
Entziehungsverfügung einen Vertrag über die Teilnahme an einem Aufbauseminar
abgeschlossen hat. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass ihr gerade die Verfügung
vom 23.07.2001 bekannt gegeben worden ist. Bei dem fraglichen Schreiben, auf das die
Klägerin reagiert hat, kann es sich nämlich auch um die unter dem Datum des
24.09.2001 erfolgte Erinnerung gehandelt haben. Diese nachträglich allein noch
möglichen Feststellungen reichen nicht aus, um dem Gericht die Überzeugung einer
Bekanntgabe der Verfügung vom 23.07.2001 zu vermitteln. Da der Beklagte für diesen
Umstand die Beweislast trägt, fehlt es somit schon an einer vollziehbaren Anordnung.
Zum anderen kann auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin der Anordnung des
Beklagten in der festsetzten Frist nicht nachgekommen ist. In diesem Zusammenhang ist
nicht auf die unter dem 03.12.2001 erfolgte neuerliche Fristsetzung abzustellen. Auf
diese Aufforderung, die darauf hinauslief, dass die Klägerin noch einmal den gesamten
Nachschulungskurs absolvieren sollte, brauchte sich diese nämlich nicht einzulassen.
Sie hatte vielmehr gegenüber dem Beklagten einen Anspruch darauf, dass dieser es ihr
ermöglichte, lediglich den versäumten vierten Termin nachzuholen. Dies ergibt sich
Folgendem: Die Klägerin war am 28.11.2001 nachweislich arbeitsunfähig erkrankt. An
diesem Tag fand - wie die Fahrschule T. dem Einzelrichter fernmündlich mitgeteilt hat -
die vierte und letzte Sitzung des Aufbauseminars statt. Von der krankheitsbedingten
Nichtteilnahme an der vierten Sitzung hat die Klägerin die zuständige Sachbearbeiterin
des Beklagten sodann unverzüglich am 03.12.2001 in Kenntnis gesetzt. Dass es zu
diesem Zeitpunkt tatsächlich und rechtlich unmöglich war, der Klägerin in engem
zeitlichen Zusammenhang mit den bereits abgeleisteten Kursstunden die Möglichkeit
der Teilnahme an einer Sitzung eines anderen Kurses zu vermitteln, hat der Beklagte
nicht dargelegt. Dies folgt auch nicht notwendigerweise aus dem Wesen eines
Aufbauseminars. Dieses ist zwar als Einheit konzipiert. Von daher dürfte es
ausgeschlossen sein, noch nach Monaten isoliert eine Sitzung nachzuholen. Etwas
anderes ist es jedoch - und darum geht es vorliegend -, wenn die krankheitsbedingte
Nichtteilnahme unverzüglich mitgeteilt wird. Dann muss es zum einen möglich sein, an
einer Sitzung eines anderen Kurses teilzunehmen, weil der Kursinhalt weitgehend
vorgegeben und standardisiert ist. Zum anderen wird hierdurch auch der erforderliche
zeitliche Zusammenhang gewahrt. Der vom Beklagten
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- unter Hinweis auf Bouska, Fahrerlaubnisrecht, 2. Auflage 2000, § 37
Fahrerlaubnisverordnung, Anmerkung 2 -
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vertretenen gegenteiligen Auffassung vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Die
Ansicht, auch bei einer unverschuldeten Nichteilnahme an nur einer Sitzung müsse der
gesamte Kurs wiederholt werden, führt zu einer unverhältnismäßigen Belastung des
Betroffenen. Auch Bouska sieht diese Problematik, will ihr jedoch dadurch begegnen,
dass seiner Ansicht nach erwartet werden könne, der Seminarleiter werde entweder den
entsprechenden Teil der Seminargebühren erstatten oder bei Vereinbarung eines
neuen Kurses anrechnen. Diese äußerst "weiche" Erwartung wird jedoch den
widerstreitenden Interessen nicht gerecht. Es besteht (siehe oben) kein sachlicher
Grund, im Falle einer unverzüglich mitgeteilten Nichtteilnahme an einer Sitzung den
gesamten Kurs wiederholen zu müssen. Abweichendes folgt auch nicht aus § 37 Abs. 2
der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung zur
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Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher
Vorschriften (FeVÄndV) vom 07.08.2002 (BGBl. I S. 3267). Nach dieser Vorschrift ist die
Ausstellung einer Teilnahmebescheinigung vom Kursleiter u.a. dann zu verweigern,
wenn der Seminarteilnehmer nicht an allen Sitzungen des Kurses teilgenommen hat.
Dabei handelt es sich jedoch um eine bloße Selbstverständlichkeit. Es ist nicht so, dass
die krankheitsbedingte Versäumnis dazu führt, dass die (vollständige) Teilnahme an
einem Aufbauseminar gewissermaßen fingiert wird. Selbstverständlich muss die
versäumte Sitzung nachgeholt werden. Eine ganz andere Frage ist es aber, ob nur
diese oder aber der gesamte Kurs nachzuholen ist. Das Letztere ist mit den
vorstehenden Ausführungen zu verneinen.
Es bleibt somit festzuhalten, dass die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen
Anspruch darauf hatte, nur die versäumte Sitzung nachzuholen. Da der Beklagte dies
abgelehnt hat, war es ihm verwehrt, wegen der Nichtvorlage der
Teilnahmebescheinigung die Fahrerlaubnis zu entziehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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