Urteil des VG Minden vom 25.06.2002

VG Minden: grundstück, erneuerbare energien, versorgung, härte, befreiung, verordnung, ausweisung, elektrizität, landschaft, billigkeit

Verwaltungsgericht Minden, 1 K 1350/01
Datum:
25.06.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1350/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten
der Beigeladenen zu 1. und 2. sind nicht erstattungsfähig.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Eigentümer des mit drei Windenergieanlagen bebauten Grundstücks
Gemarkung T. Flur 1 Flurstück 97 im Gemeindegebiet der Beigeladenen zu 2. Die
Fläche zwischen den Windenergieanlagen ist teilweise mit Tannen bepflanzt. Im
Übrigen befindet sich dort eine Rasenfläche. Dieses Grundstück liegt in einem durch
Verordnung des Regierungspräsidenten Detmold zum Schutze von Landschaftsteilen
im Gebiet der Naturparkbereiche des Eggegebirges und Teutoburger Waldes vom
27.11.1972 festgesetzten Landschaftsschutzgebiet. Der Flächennutzungsplan der
Beigeladenen zu 2. stellt die Fläche als Vorranggebiet "Windenergienutzung" und
landwirtschaftliche Nutzfläche dar.
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Unter dem 02.10.2000 beantragte der Kläger beim Beklagten die Erteilung eines
Vorbescheides zur Errichtung einer Freifeld-Photovoltaik-Anlage (PVA) mit einer
Leistung von 100 kW auf dem genannten Grundstück.
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Mit Bescheid vom 28.11.2000 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit der
Begründung ab, das im Außenbereich geplante Vorhaben beeinträchtige öffentliche
Belange. Es widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans der
Beigeladenen zu 2. und beeinträchtige Belange des Naturschutzes und der
Landschaftspflege. Nach der einschlägigen Landschaftsschutzverordnung sei die
Errichtung baulicher Anlagen im Landschaftsschutzgebiet grundsätzlich unzulässig.
Das Landschaftsbild werde auf Grund des weit einsehbaren Geländes, der weiten
Sichtbarkeit des Spiegeleffektes und der Blendwirkung der Module wesentlich
beeinträchtigt.
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Zur Begründung seines am 15.12.2000 erhobenen Widerspruchs führte der Kläger an,
bei der geplanten PVA handele es sich um ein nach § 35 Abs. 1 Ziffer 3 BauGB im
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Außenbereich privilegiert zulässiges Vorhaben, weil sie der öffentlichen Versorgung mit
Elektrizität diene und im Sinne dieser Vorschrift ortsgebunden sei. Aber auch wenn man
von einem sonstigen Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB ausginge, sei dieses
zulässig. Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen zu 2. stehe dem nicht entgegen,
weil die dort vorgesehene Windenergienutzung durch die PVA nicht beeinträchtigt
werde und für die zugleich ausgewiesene landwirtschaftliche Nutzung kein konkreter
Planungswille gegeben sei. Den Belangen des Naturschutzes und der
Landschaftspflege könne durch Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen werden.
Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes sei gering, weil die PVA nicht sehr hoch
errichtet werde und das in Rede stehende Grundstück auf Grund der vorhandenen
Bepflanzung kaum einsehbar sei. Eine Blendwirkung sei wegen der Verwendung
moderner, reflexionsarmer Module kaum noch möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2001 wies die Beigeladene zu 1. den
Widerspruch zurück. Die Errichtung der geplanten PVA sei nach § 35 Abs. 2 BauGB
unzulässig. Eine Privilegierung gemäß § 35 Abs. 1 Ziffer 3 BauGB liege nicht vor, weil
es an der erforderlichen Ortsgebundenheit fehle. Das Vorhaben sei nicht auf die
Inanspruchnahme des Außenbereichs angewiesen. Öffentliche Belange würden zum
einen beeinträchtigt, weil das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans
widerspreche. Zum anderen würden die Belange des Naturschutzes und der
Landschaftspflege beeinträchtigt, weil die Errichtung baulicher Anlagen nach der
Landschaftsschutzverordnung im Landschaftsschutzgebiet grundsätzlich unzulässig sei
und eine Befreiung nach § 69 LG NRW nicht in Betracht komme. Neben Spiegeleffekt
oder Blendwirkung sei eine Verschattung großer Bodenflächen durch die großflächigen
Kollektoren und damit eine Beeinträchtigung der Bodenfruchtbarkeit zu besorgen.
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Am 31.05.2001 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertieft sein Vorbringen aus dem
Widerspruchsverfahren dahin gehend, dass sein Vorhaben auch nach den Ziffern 4 und
6 des § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässig sei. Ferner sei der Eingriff in Natur und
Landschaft durch geeignete Maßnahmen auszugleichen. Der biologische Wert des
Grundstücks sei ohnehin äußerst gering.
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Er beantragt sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 28.11.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Beigeladenen zu 1. vom 04.05.2000 zu verpflichten, dem
Kläger den unter dem 02.10.2000 beantragen Bauvorbescheid zur Errichtung einer
Freifeld-Photovoltaikanlage zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt Klageabweisung. Die Beigeladenen zu 1. und 2. stellen keinen
Antrag.
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Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit anlässlich eines Erörterungstermins in
Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom
08.05.2002 verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entschieden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der angefochtene Ablehnungsbescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten
Bauvorbescheides zur Errichtung einer PVA, weil dem Vorhaben Vorschriften des
öffentlichen Rechts entgegen stehen, §§ 71 Abs. 2, 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW.
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Die Errichtung der geplanten PVA ist auf dem dafür vorgesehenen, unstreitig im
Außenbereich gelegenen Grundstück gemäß § 35 BauGB bauplanungsrechtlich
unzulässig.
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Maßstab für diese Beurteilung ist § 35 Abs. 2 BauGB, weil das Vorhaben keinen der
Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB erfüllt.
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Zwar kann der Betrieb einer PVA der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität dienen,
wenn der erzeugte Strom in das öffentliche Versorgungsnetz eingespeist wird. Die
Zulässigkeit von Energieversorgungsanlagen im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 3
BauGB setzt darüber hinaus aber einen spezifischen Standortbezug voraus. Die Anlage
muss auf die Inanspruchnahme des Außenbereichs derart angewiesen sein, dass das
Vorhaben insgesamt damit steht oder fällt. Es reicht nicht aus, wenn sich der Standort
aus Gründen der Rentabilität anbietet oder aufdrängt. Bei Anlagen der öffentlichen
Versorgung ist dies vor allem insoweit gegeben, als sie leitungsgebunden sind, weil
eine umfassende Versorgung ohne Berührung des Außenbereichs nicht möglich ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.06.1994 - 4 C 20/93 -; BRS 56 Nr. 72.
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An einem solchen spezifischen Standortbezug fehlt es der geplanten PVA. Es ist nicht
ersichtlich, dass derartige Anlagen ihrer Art nach auf die Inanspruchnahme von
Außenbereichsflächen angewiesen wären. Unverschattete Flächen gibt es auch in den
Innenbereichen von Städten und Gemeinden. PVA verfügen grundsätzlich nicht über ein
Störpotential, das geeignet wäre, ihre Zulassung im Innenbereich weit gehend zu
verhindern.
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Der geplanten PVA kommt auch nicht die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB
zugute, welche Vorhaben erfasst, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die
Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen ihrer
besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Die
Errichtung von PVA soll nicht im Außenbereich ausgeführt werden, weil ein derartiges
Vorhaben grundsätzlich an vielen Stellen im Außenbereich realisierbar ist und wegen
seiner Vorbildwirkung zu einer nicht nur vereinzelten Bebauung führen kann. Es fehlt an
dem für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB erforderlichen singulären
Charakter des Vorhabens.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.06.1994 - 4 C 20/93 -, a.a.O.
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Der Vortrag des Klägers, die Nutzung der Solarenergie sei derzeit noch so teuer, dass
sie nur in wenigen Einzelfällen kostendeckend zu betreiben sei, begründet einen
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singulären Charakter nicht. Insbesondere die Umgebung des in Rede stehenden
Grundstücks des Klägers ist durch eine Vielzahl von Windenergieanlagen geprägt,
welche wegen der vorhandenen Trafo-Stationen eine zusätzliche Grundstücksnutzung
durch den Betrieb von PVA lukrativ machen.
Eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB, wonach Vorhaben, die der
Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dienen, der
Privilegierung unterliegen, scheidet angesichts des eindeutigen Wortlauts dieser
gesetzlichen Regelung aus. Wenn sich, wie der Kläger vorbringt, die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen erst nach Einführung dieser Vorschrift durch Gesetz vom
30.07.1996 dahin gehend entwickelt haben, dass die Erzeugung von Solarstrom in
größerem Umfang zur Einspeisung in das öffentliche Versorgungsnetz rentabel
betrieben werden kann, bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, ob er durch Ausweitung
der Privilegierungsvorschriften den Außenbereich für diese Nutzungsform leichter
zugänglich machen möchte. Eine derartige Entscheidung ist aber bislang - auch im
Zusammenhang mit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - unterblieben.
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Gemäß § 35 Abs. 2 BauGB sind Errichtung und Betrieb der geplanten PVA auf dem
dafür vorgesehenen Grundstück unzulässig, weil dadurch öffentliche Belange
beeinträchtigt werden.
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Das Vorhaben widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans der
Beigeladenen zu 2., wonach das in Rede stehende Grundstück zugleich als
Vorranggebiet "Windenergienutzung" und als landwirtschaftliche Nutzfläche
ausgewieen ist, § 35 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 BauGB. Entgegen der Auffassung des
Klägers ist dieser Darstellung ein konkreter planerischer Wille des Ortsgesetzgebers zu
entnehmen. Hinsichtlich der Ausweisung des Vorranggebietes liegt der planerische
Wille auf der Hand. Mit der kumulativen Ausweisung als landwirtschaftliche Nutzfläche
wird zum Ausdruck gebracht, dass landwirtschaftliche Nutzung weiter möglich sein soll,
eine weiter gehende bauliche Nutzung der Vorrangflächen aber städtebaulich
unerwünscht ist. Das Vorhaben steht mithin selbst dann im Widerspruch zu den
Darstellungen des Flächennutzungsplans, wenn auf dem Grundstück - wie der Kläger
vorträgt - landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr möglich sein sollte.
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Errichtung und Betrieb der geplanten PVA auf dem dafür vorgesehenen Grundstück
beeinträchtigen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, § 35 Abs. 3
Satz 1 Ziffer 5 BauGB.
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Das klägerische Grundstück liegt in einem durch Verordnung des
Regierungspräsidenten Detmold vom 27.11.1972 (abgedr. im Amtsblatt für den
Regierungsbezirk Detmold 1972, S. 425 ff.) festgesetzten Landschaftsschutzgebiet.
Nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 dieser Verordnung, welche gemäß § 73 Abs. 1 LG NRW fortgilt,
ist das Errichten baulicher Anlagen im Landschaftsschutzgebiet unzulässig.
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Ein Anspruch auf die Erteilung einer Befreiung von diesem Verbot steht dem Kläger
nicht zu. Die Durchführung der Verbotsvorschrift führt im Falle des Klägers nicht zu einer
nicht beabsichtigten Härte im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 1 lit a) aa) LG NRW. Denn ein
damit voraus gesetzter atypischer Sachverhalt liegt nicht vor. Das Verbot, in einem
festgesetzten Landschaftsschutzgebiet bauliche Anlagen im Sinne der BauO NRW zu
errichten, bedeutet für den Bauwilligen in aller Regel keine nicht beabsichtigte Härte,
weil das Ergebnis seiner Durchführung vom Normgeber beabsichtigt ist, um Natur und
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Landschaft in ihrer spezifischen Ausbildung zu erhalten und weiter zu entwickeln.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.01.2001 - 8 A 2049/99 -, NVwZ 2001, 1179 = BauR 2001,
1714 m.w.N.
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Das Befreiungskriterium der nicht beabsichtigten Härte fungiert lediglich als Korrektiv für
grundstücksbezogene Besonderheiten. Derartige atypische Umstände sind für das in
Rede stehende Grundstück nicht ersichtlich. Insbesondere reicht dafür das Fehlen einer
besonderen ökologischen Wertigkeit des Grundstücks nicht aus.
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Für den Kläger streiten auch keine überwiegenden Gründe des Wohls der
Allgemeinheit, die eine Befreiung erfordern (§ 69 Abs. 1 Satz 1 lit.b) LG NRW). Selbst
wenn man in der Förderung der Solarenergie als regenerativer Energieform einen
solchen Grund des Allgemeinwohls sieht, überwiegt dieser Grund die mit dem
Bauverbot verfolgten Ziele des Landschaftsschutzes, welchen der Normgeber im
festgesetzten Schutzgebiet eine erhebliches Gewicht zugewiesen hat, schon deshalb
nicht, weil die Förderung der Solarenergie keinesfalls auf die Inanspruchnahme der
geschützten Flächen angewiesen ist.
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Ob die Errichtung der geplanten PVA öffentliche Belange auch dadurch beeinträchtigt,
dass sie das Landschaftsbild verunstaltet, kann dahin stehen.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht nicht der
Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2.
aufzuerlegen, weil diese sich nicht durch Stellung von Klageabweisungsanträgen am
Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt haben, §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.
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