Urteil des VG Minden vom 04.01.2006

VG Minden: wiedereinsetzung in den vorigen stand, beihilfe, bvo, widerspruchsverfahren, ermessen, erlass, meinung, behandlung, vollstreckung, betriebskosten

Verwaltungsgericht Minden, 4 K 3739/03
Datum:
04.01.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 3739/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn
nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die am ......1970 geborene Klägerin steht als Beamtin im Dienst der Beklagten.
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Auf eine Anfrage der Klägerin teilte die Beklagte ihr unter dem 13.06.2002 mit, dass bei
einem ärztlich bescheinigten akuten Tinnitusleiden 10 ärztlich verordnete, im Einzelfall
auch bis zu 5 weitere Tauchgänge beihilfefähig seien. Nachdem das
Druckkammerzentrum C1. unter dem 04.07.2002 für die Klägerin unter Hinweis auf eine
leichte Besserung ihrer Beschwerden die Kostenübernahme von weiteren
Therapiefahrten beantragt hatte, erkannte die Beihilfestelle mit Schreiben vom
09.07.2002 5 weitere Tauchfahrten - somit insgesamt 15 Tauchfahrten - als beihilfefähig
an; für darüber hinausgehende Tauchfahrten werde keine Beihilfe gewährt. Den Antrag
des Druckkammerzentrums C1. auf Kostenübernahme für weitere 10 Therapiefahrten
vom 12.07.2002 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.07.2002 ab.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 04.08.2002 Widerspruch.
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Auf den Beihilfeantrag vom 18.09.2002 erkannte die Beihilfestelle mit Bescheid vom
25.09.2002 von dem in der Rechnung des Druckkammerzentrums C1. vom 29.07.2002
ausgewiesenen Gesamtbetrag von 7.099,77 EUR Aufwendungen in Höhe von 3.155,75
EUR als beihilfefähig an und gewährte der Klägerin eine Beihilfe in Höhe von 1.577,88
EUR.
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Auf Veranlassung der Beihilfestelle im Rahmen des Vorverfahrens führte der Stadtarzt
Dr. T. unter dem 19.09.2002 aus, dass eine Kostenübernahme von mehr als 15
Sitzungen amtsärztlicherseits nicht befürwortet werden könne, da es sich bei der
hyperbaren Sauerstofftherapie bzw. bei Sitzungen, die über 15 hinausgingen, um keine
unbedingt erforderliche Therapiemaßnahme handele. Daraufhin wurde der Widerspruch
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der Klägerin vom 04.08.2002 mit Bescheid vom 03.03.2003, der am 08.03.2003
zugestellt wurde, zurückgewiesen.
Am 08.04.2003 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Sie wendet sich gegen
die von der Beihilfestelle vorgenommenen Kürzungen der Sach- und Betriebskosten
und erhebt insoweit Widerspruch. Außerdem rügt sie die Nichtberücksichtigung anderer
Rechnungspositionen. Ihr sei auch nur zu 14 von den 15 genehmigten Behandlungen
Beihilfe gewährt worden. Die ärztlicherseits empfohlene Fortsetzung der
Sauerstoffüberdrucktherapie mit insgesamt 24 Sitzungen habe bei ihr dazu geführt, fast
beschwerdefrei zu sein. Bei einem Abbruch der Therapie nach der 15. Tauchfahrt wäre
es wahrscheinlich zu einem Rückfall gekommen.
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Die Klägerin stellt keinen Antrag.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Ausweislich des Bescheides vom 25.09.2002 seien 15 Druckkammerbehandlungen
abgerechnet worden. Die Kürzungen könne die Klägerin nicht mehr geltend machen, da
der Bescheid vom 25.09.2002 bestandskräftig geworden sei; der der Klägerin
zugegangene Bescheid sei auf der Rückseite mit einer ordnungsgemäßen
Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist bereits unzulässig, soweit die Klägerin
rügt, die Beihilfestelle habe zu Unrecht die vom Druckkammerzentrum C1. unter dem
29.07.2002 in Rechnung gestellten Sach- und Betriebskosten auf jeweils 104 EUR
gekürzt wie auch die Nrn. 30, 15, 605a, 657, 614, 653, 70, 617 und 1 der
Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zum Teil mehrfach nicht anerkannt und außerdem
nur zu 14 statt der ursprünglich dem Grunde nach als beihilfefähig anerkannten 15
Tauchfahrten Beihilfe gewährt. Denn die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage setzt
unter anderem voraus, dass ein Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt worden
ist. Nach überwiegender Meinung ist es erforderlich, dass das Widerspruchsverfahren
ordnungsgemäß, d.h. unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen
Widerspruchsform und -frist i.S.d. § 70 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), erfolgt ist.
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Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Auflage 2005, Vorb § 68 Rdnr. 6 f. mit
weiteren Nachweisen, § 70 Rdnrn. 1 und 6.
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Daran fehlt es hier. Hinsichtlich des insoweit maßgeblichen Beihilfebescheides der
Beklagten vom 25.09.2002 ist kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt
worden. Dieser Bescheid ist nach der unwidersprochenen Darstellung der Beklagten mit
einer i.S.d. § 58 Abs. 1 VwGO ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen
worden, sodass die Klägerin gemäß § 70 Abs. 1 VwGO innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe des Bescheides bei der Beklagten als Ausgangs- und
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Widerspruchsbehörde hätte Widerspruch erheben müssen. Die Klägerin hat jedoch erst
während des Klageverfahrens mit Schriftsatz vom 06.05.2003 (Eingang am 12.05.2003)
Widerspruch gegen den Leistungsbescheid vom 25.09.2002 erhoben. Abgesehen
davon, dass der Rechtsbehelf beim Gericht und damit bei einer i.S.d. § 70 Abs. 1 VwGO
unzuständigen Stelle eingelegt worden ist, wahrt dieser auch eindeutig die gesetzliche
Monatsfrist nicht, sodass der Bescheid vom 25.09.2002 bestandskräftig geworden ist.
Dass im Falle der Klägerin gemäß §§ 70 Abs. 2, 60 VwGO eine Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand in Betracht kommt, ist weder geltend gemacht worden noch
anderweitig ersichtlich.
Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin, die 24
Tauchfahrten im Rahmen der hyperbaren Sauerstofftherapie in Anspruch genommen
hat und der seitens der Beklagten zu lediglich 15 Druckkammerfahrten eine
Beihilfegewährung zugesagt worden ist, kann von der Beklagten nicht die Gewährung
einer weiteren Beihilfe zu den 9 bislang nicht anerkannten Behandlungseinheiten
verlangen.
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Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-,
Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO -) erhalten Beamte in
Krankheitsfällen Beihilfen. Beihilfefähig sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO die
notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang u.a. zur Wiedererlangung der
Gesundheit und zur Besserung oder Linderung von Leiden.
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Bei dem Kriterium der Notwendigkeit handelt es sich um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, der in jedem einzelnen Beihilfefall einer Konkretisierung bedarf. Hierbei
ist der Festsetzungsstelle weder ein Ermessen noch ein der gerichtlichen Kontrolle
teilweise entzogener Beurteilungsspielraum eröffnet. Wenn es in § 3 Abs. 2 Satz 2 BVO
heißt, dass die Festsetzungsstelle über die Notwendigkeit von Aufwendungen
"entscheidet", so bedeutet dies nicht, dass ihr insoweit ein gerichtlich nur eingeschränkt
überprüfbarer Entscheidungsfreiraum zusteht. Vielmehr richtet sich die Frage, ob
bestimmte Aufwendungen im Einzelfall notwendig gewesen sind, im Wesentlichen nach
objektiven Maßstäben, die vom Verwaltungsgericht gleichermaßen angewendet werden
können wie von der Festsetzungsstelle. Daher ist der Rechtsbegriff der Notwendigkeit
im Beihilferecht gerichtlich voll überprüfbar.
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Vgl. OVG NW, Urteil vom 10.02.1989 - 6 A 128/86 -, n.v.
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Die Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 16.07.2002 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.03.2003, mehr als 15 Tauchfahrten beihilferechtlich
nicht anzuerkennen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei folgt die Kammer dem
Gutachten des Amtsarztes Dr. T. der Stadt C1. vom 19.09.2002. In dieser
Stellungnahme ist Dr. T. nach einer Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis
gekommen, dass eine Kostenübernahme der Sauerstoffüberdrucktherapie bzw. von
mehr als 15 Sitzungen amtsärztlicherseits nicht befürwortet werden könne, da es sich
um keine unbedingt erforderliche Therapiemaßnahme handele. Denn die
Sauerstoffüberdrucktherapie sei keine wissenschaftlich anerkannte Methode zur
Behandlung von Tinnitusbeschwerden. Die Kammer folgt diesen überzeugenden
Ausführungen des Dr. T. , zumal diese Einschätzung auch der seinerzeit gültigen und
auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Erlasslage entsprach.
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Vgl. Erlass des Bundesinnenministers vom 02.07.1976, abgedruckt in Mohr/Sabolewski,
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Beihilfenrecht NW, Loseblattsammlung, B I § 4 Anm. 9 (Stand Mai 2001), wonach die
hyperbare Sauerstofftherapie bei Tinnitusleiden in Akutfällen auf höchstens 10
Tauchgänge beschränkt werden sollte und bei sich abzeichnendem Therapieerfolg im
Einzelfall bis zu 5 weitere Tauchgänge notwendig sein könnten; vgl. zur
Unbedenklichkeit dieser Obergrenze und generell zur zulässigen Begrenzung von
Aufwendungen in Bereichen nicht wissenschaftlich anerkannter Heilmethoden auch
Urteil des VG Gelsenkirchen vom 28.11.2003 - 3 K 5102/01 -.
Hinzu kommt, dass es mittlerweile nach neueren Erkenntnissen des
Arbeitsausschusses "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen im Rahmen der ambulanten hyperbaren Sauerstofftherapie keine
Indikation gibt, für die der Erfolg dieser Behandlungsmethode hinreichend
wissenschaftlich belegt ist.
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Vgl. Mohr/Sabolewski, a.a.O., B I § 4 Anm. 9 (Stand Dezember 2004).
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Auf diese fachkundig gewonnenen Erkenntnisse hat der Finanzminister des Landes
Nordrhein- Westfalen reagiert und mit Erlass vom 23.01.2004 klargestellt, dass
entsprechende Aufwendungen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO von der
Beihilfefähigkeit ausgeschlossen seien.
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Zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis führt auch das von ihr zitierte Urteil des
Landgerichts Osnabrück vom 08.09.2004 - 2 S 540/03 -, denn in dem zivilgerichtlichen
Verfahren war nicht die Anzahl der durchgeführten Druckkammerfahrten, sondern
lediglich die Abrechenbarkeit einzelner Gebührenpositionen nach der GOÄ im Streit.
Gleiches gilt für das vom VG Gelsenkirchen eingeholte Gutachten des Prof. Dr. F1. vom
27.05.2004, auf das die Klägerin verweist. Denn abgesehen davon, dass der Gutachter
ohne substanziierte Begründung von der schon seinerzeit anderslautenden
herrschenden wissenschaftlichen Meinung zum Nutzen der ambulanten
Sauerstoffüberdrucktherapie abgewichen ist, hat er die Entscheidung, im Einzelfall mehr
als 15 Tauchfahrten durchzuführen, in das jeweilige ärztliche Ermessen gestellt. Nach
den nachvollziehbaren Feststellungen des Amtsarztes Dr. T. hat jedoch im Falle der von
ihm untersuchten Klägerin, die nach dem Behandlungsprotokoll in 15 Sitzungen mit
gutem Erfolg therapiert worden sei, für weitere Druckkammerfahrten keine
Notwendigkeit bestanden.
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Nach alledem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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