Urteil des VG Mainz vom 29.11.2010

VG Mainz: aufschiebende wirkung, überwiegendes interesse, vorläufiger rechtsschutz, fahrzeughalter, auflage, zeugnisverweigerungsrecht, fahrzeugführer, behörde, höchstgeschwindigkeit, stadt

VG
Mainz
29.11.2010
3 L 1381/10.MZ
Fahrerlaubnisrecht
<<
Mainz>
<<>
<- ->
<
>>
<<>
<- ->
>
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO>
der teilgenommen haben
<
>
beschlossen:>>
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 1.600,00 € festgesetzt.
G r ü n d e
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres am 20. Oktober 2010 erhobenen
Widerspruchs gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2010 für sofort vollziehbar
erklärte Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch ansonsten zulässig. Er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Insoweit ergibt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung der Sach-
und Rechtslage, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. September 2010 offensichtlich
rechtmäßig ist. Unter diesen Umständen gebührt dem Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen
Vollziehung ihres Bescheides Vorrang vor dem Interesse der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung
ihres gegen den Bescheid eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 25. März 1986 – 1 B 14/86 -, NVwZ 1987, 240).
Zunächst ist die Anordnung des Sofortvollzugs in Bezug auf die in dem Bescheid vom 21. September
2010 enthaltene Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Insbesondere genügt sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sinn der Begründungspflicht
ist es, dass sich die Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führt und
veranlasst wird, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Interesse die Anordnung des
Sofortvollzugs erfordert (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Juni 2002 – 10 S 985/02 –,
NZV 2002, 580; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Januar 2001 – 19 B 1757/00 –, NZV 2001,
396; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage
2008, Rdnr. 741 m.w.N.). Dieser „Selbstkontrolle“ wird die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs
in der hier angefochtenen Verfügung gerecht; sie zeigt, dass sich die Antragsgegnerin des
Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst ist und enthält die Erwägungen, die für die
Anordnung des Sofortvollzugs maßgeblich waren. Ob die Begründung der Anordnung der sofortigen
Vollziehung hingegen in inhaltlicher Hinsicht überzeugt oder nicht, ist keine Frage des § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO, sondern des ebenfalls erforderlichen besonderen Vollzugsinteresses.
Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrtensbuches ist § 31 a Abs. 1 der Straßenverkehrs-
Zulassungs-Ordnung – StVZO –. Dananch kann einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs
aufgegeben werden, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen
Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Mit dem auf die Antragstellerin zugelassenen Pkw Toyota mit dem amtlichen Kennzeichen XX-YY XXX
wurde am 25. Mai 2010 auf der A 7 ein nicht unerheblicher Verkehrsverstoß – eine Überschreitung der
zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h – begangen, der den Tatbestand einer
Verkehrsordnungswidrigkeit erfüllt, die neben einem Bußgeld i.H. von 70,00 € (Ziffer 11.3.4 des
Bußgeldkataloges) zum Eintrag von einem Punkt im Verkehrszentralregister führt (Ziffer 7 der Anlage 13
zur Fahrerlaubnisverordnung). Bereits ein erstmaliger unaufgeklärter, mit einem Punkt bewerteter
Verkehrsverstoß reicht regelmäßigfür die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage aus, ohne dass es auf die
Feststellung der näheren Umstände der Verkehrsordnungswidrigkeit ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 9. September 1999 – 3 B 94.99 –, NZV 2000, 386 = juris [Rdnr. 2]; VG Neustadt/Wstr., Beschluss vom
18. Januar 2005 – 4 L 22/05.NW –, ESRIA). Hinzukommt, dass auch die hier in Rede stehende
Geschwindigkeitsübertretung von mehr als 20 km/h bereits eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen würde
(vgl. Urteil der Kammer vom 21. Februar 2006 – 3 K 545/05.MZ, ESRIA [m.w.N.]).
Die Ermittlung des Fahrzeugführers bei Begehung der Ordnungswidrigkeit war auch i.S. von § 31 a Abs. 1
Satz 1 StVZO nicht möglich. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn die Behörde nach den Umständen des
Einzelfalles nicht in der Lage ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen Maßnahmen
ergriffen hat. Dies ist vorliegend der Fall. Das für die Verfolgung der Verkehrsordnungswidrigkeit
zuständige Regierungspräsidium Kassel hat zunächst einen Zeugenfragebogen an die Antragstellerin
gesandt. Nachdem dieser unbeantwortet blieb, wandte sich es an die Polizeidirektion A-Stadt mit der Bitte
um Ermittlung des Fahrers. Daraufhin wurde die Antragstellerin mehrfach von Polizeivollzugsbeamten
aufgesucht und – nachdem sie nicht angetroffen wurde – zur Polizeiinspektion A-Stadt 2 vorgeladen. Den
Termin zur Vorladung nahm die Antragstellerin nicht wahr. Insoweit hat die Behörde unter
Berücksichtigung des Grundsatzes des rationellen Einsatzes der ihr zur Verfügung stehenden Mittel und
der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes die ihr zumutbaren Mittel ergriffen, um den Fahrer
zu ermitteln.
Die Antragsgegnerin hat bei der getroffenen Fahrtenbuchauflage auch das ihr zustehende Ermessen
ordnungsgemäß ausgeübt. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass sie sich in Anbetracht des
konkreten, mit einem Punkt im Verkehrszentralregister zu bewertenden Verkehrsverstoßes für die Auflage
eines Fahrtenbuches entschieden hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 – 11 C 12.94 –,
BVerwGE 98, 227, 229). Dem stehen auch nicht die Einwendungen der Antragstellerin entgegen.
Soweit die Antragstellerin gegen die Anordnung der Fahrtenbuchauflage eingewendet hat, diese würde
ihr Zeugnisverweigerungsrecht aushöhlen, übersieht sie, dass ihr in Bezug auf ihren Lebensgefährten
bereits kein Zeugnisverweigerungsrecht i.S. von § 52 StPO zusteht (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Urteil
vom 6. Februar 2006 – 2 Ss 173/05 –, juris [Rdnr. 4 m.w.N.]). Darüber hinaus stünde ein bestehendes
Zeugnisverweigerungsrecht einer Fahrtenbuchauflage auch nicht entgegen. Der Halter eines
Kraftfahrzeuges, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde, ist rechtlich nicht gehindert, von einem
etwaigen Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren
Gebrauch zu machen. Er muss dann aber gemäß § 31 a StVZO die Auflage in Kauf nehmen, ein
Fahrtenbuch zu führen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch
zu führen, setzt als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr nicht die Besorgnis voraus, dass
künftig gerade der Fahrzeughalter als Fahrer seines Kraftfahrzeuges Verkehrszuwiderhandlungen
begehen könnte. Sie soll vielmehr auf die dem Fahrzeughalter mögliche und zumutbare Mitwirkung bei
der Feststellung des Führers des Kraftfahrzeuges hinwirken, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen
wurde, und den Fahrzeughalter zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten anhalten, wenn er geltend macht,
den Fahrzeugführer nicht zu kennen. Ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im
Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei
der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben besteht
nicht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31 a StVZO, nämlich der Sicherheit und
Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981 – 2 BvR
1172/81 –, NJW 1982, 568; BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1995 – 11 B 7.96 –, DAR 1995, 459
[jeweils m.w.N.]).
Auch die Einlassung der Antragstellerin im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigen Auferlegung eines
Fahrtenbuches, ihr Lebensgefährte habe das Fahrzeug am Tattag geführt, führt nicht zur Fehlerhaftigkeit
der Fahrtenbuchauflage. § 31 a StVZO soll nach seinem Sinn und Zweck helfen zu gewährleisten, dass in
Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit im Hinblick auf die kurze Verjährung rechtzeitig
ermittelt werden kann (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage 2003, § 31 a StVZO Rdnr. 2 m.w.N.).
Der Fahrzeugführer ist daher nicht gehindert, nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens –
diese hat gemäß § 62 Abs.1 Satz 2 OWiG keine selbstständige Bedeutung – bis zum Ablauf der
Verjährungsfrist sachdienliche Angaben zu machen und damit zur Aufklärung des Sachverhalts
beizutragen. Ist die Ordnungswidrigkeit allerdings – wie hier – im Zeitpunkt der Benennung des
Fahrzeugführers verjährt, so steht im Sinne von § 31 a Abs.1 Satz 1 StVZO endgültig fest, dass der
Fahrzeugführer nicht ermittelt werden konnte. Zeitlich nach diesem Zeitpunkt liegende Angaben des
Fahrzeughalters sind folglich unbeachtlich. Dies folgt auch aus dem Wortlaut des § 31 a Abs.1 Satz 1
StVZO, der bestimmt, dass die Auferlegung eines Fahrtenbuchs möglich ist, wenn die Feststellung eines
Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Ansonsten
hätte es ein Fahrzeughalter in der Hand, bis zum Eintritt der Verjährung des eingeleiteten
Ordnungswidrigkeitenverfahrens die Aussage zu verweigern und mit der anschließenden
Namensnennung des Fahrers im Verwaltungsverfahren die nachträgliche Rechtswidrigkeit einer zunächst
rechtmäßig angeordneten Fahrtenbuchauflage herbeizuführen. Damit würde der oben genannte Zweck
der Fahrtenbuchauflage, den Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Zukunft wegen der kurzen
Verjährung rechtzeitig ermitteln zu können, vollständig leer laufen.
Ferner vermag der Einwand der Antragstellerin, sie habe durch im Einzelnen bezeichnete Maßnahmen
sichergestellt, dass ihr Lebensgefährte Ihr Fahrzeug nicht mehr benutze, keinen Ermessensfehler
begründen. Selbst wenn man die in der am 15. November 2010 vorgelegten, undatierten eidesstattlichen
Versicherung gemachten Angaben als zutreffend unterstellt, wird die Antragstellerin hierdurch von Rechts
wegen nicht gehindert, das Tatfahrzeug oder einen an dessen Stelle tretenden Wagen künftig einer
anderen Person zu überlassen. Vor allem aber würde eine Fahrtenbuchauflage auch dann nicht
entbehrlich, wenn das fragliche Fahrzeug letztlich nur von ihm gesteuert werden sollte, und zwar auch
dann, wenn der Fahrzeughalter bislang selbst nicht mit Verkehrsverstößen in Erscheinung getreten ist.
Auch in diesem Fall kann es nämlich vorkommen, dass – z.B. bei Verkehrsverstößen, die weder durch
Zeugenaussagen noch durch Lichtbilder (oder nur durch undeutliche Fotografien) dokumentiert sind – die
Person des Fahrers nicht feststellbar ist, falls der Antragsteller leugnet, das Fahrzeug selbst gelenkt zu
haben. Wollte man dem Einwand, der Halter werde sein Fahrzeug künftig keinem Dritten überlassen,
Beachtlichkeit zuerkennen, wäre dem Anliegen, dessen Durchsetzung § 31 a StVZO dient (nämlich in
einer möglichst großen Zahl von Fällen die Person, die eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften
begangen hat, feststellen zu können), weithin nicht mehr Rechnung getragen (vgl. BayVGH, Beschluss
vom 17. Februar 2010 – 11 CS 09.2977, juris [Rdnr. 16, 17]).
Schließlich kann die Antragstellerin gegen die streitgegenständliche Fahrtenbuchauflage auch nicht mit
Erfolg einwenden, es fehle bereits an einem zutreffend ermittelten Verstoß gegen die
Geschwindigkeitsbegrenzung. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine völlig unsubstantiierte, ins
„Blaue“ hinein erhobene Behauptung handelt, hat das Regierungspräsidium Kassel das Messprotokoll
sowie den Eichschein des verwendeten Geschwindigkeitsmessgerätes „Poli Scan Speed“ mit der
Gerätenummer 635799 vorgelegt, die als Nachweis für die ordnungsgemäße Durchführung der am 25.
Mai 2010 auf der A 7 Geschwindigkeitsmessung geeignet sind und an deren Richtigkeit keine Zweifel
bestehen. In Anbetracht dieser Umstände bestand für die Kammer keine Veranlassung, der Frage des
Vorliegens eines ordnungsgemäß ermittelten Verkehrsverstoßes ohne ein substantiiertes Bestreiten des
Antragstellers weiter nachzugehen.
Die Fahrtenbuchauflage erweist sich auch im Hinblick auf ihre Dauer als rechtmäßig.Um die
Fahrzeugbenutzung wirksam überwachen und den Fahrzeughalter künftig im Falle eines
Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, ist eine
gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Bei der Bemessung der Frist sind
das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes und das Verhalten des Fahrzeughalters im
Zusammenhang mit den Bemühungen der Bußgeldstelle zur Tataufklärung zu berücksichtigen. In
Anbetracht des Umstandes, dass bereits die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um
mehr als 20 km/h eine Fahrtenbuchauflage von einem Jahr begründen kann (vgl. BayVGH, Beschluss
vom 17. Februar 2010, a.a.O. [Rdnr. 18, m.w.N.]), begegnet die Dauer der Anordnung über einen Zeitraum
von 8 Monaten unter Berücksichtigung des Einzelfalles keinen rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.
mit Ziffern 1.5 und 46.13 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff.).
>>