Urteil des VG Mainz vom 07.06.2010

VG Mainz: aufschiebende wirkung, cannabis, öffentliches interesse, konsum, vollziehung, entziehung, fahren, konzentration, entziehen, fahreignung

VG
Mainz
07.06.2010
3 L 655/10.MZ
Fahrerlaubnisrecht
Verwaltungsgericht
Mainz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigter:
gegen
- Antragsgegnerin -
wegen Entziehung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der Beratung vom 7. Juni 2010, an der
teilgenommen haben
Richterin am Oberverwaltungsgericht Lang
Richter am Verwaltungsgericht Ermlich
Richter am Verwaltungsgericht Hildner
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung der
Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. April 2010
wiederherzustellen, bleibt ohne Erfolg.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO,
wonach in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen
Vollziehung schriftlich zu begründen ist. Die Behörde ist verpflichtet, mit einer auf den konkreten Fall
abgestellten und nicht nur formelhaften Begründung darzulegen, warum ein besonderes Interesse an der
sofortigen Vollziehung besteht. Im Fahrerlaubnisrecht decken sich indessen häufig ‑ und das gilt auch
hier ‑ die Gründe für den Erlass der vom Gesetzgeber zwingend geforderten Entziehung der
Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung weitestgehend mit den Gründen für deren sofortige
Durchsetzung. Das gilt namentlich in den Fällen, in denen sich die Ungeeignetheit zur Teilnahme am
Straßenverkehr aus dem Konsum von Betäubungsmitteln herleitet, da es dann regelmäßig darum geht,
den von einem solchen zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber
ausgehenden ständigen erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer möglichst umgehend und
nicht erst nach dem Abschluss eines gegebenenfalls mehrere Jahre dauernden gerichtlichen Verfahrens
zu begegnen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 10 B 10508/09.OVG -, ESOVGRP). Nach
Maßgabe dieser Grundsätze ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu beanstanden. Die
Antragsgegnerin hat bei der Interessenabwägung in ihrer Verfügung vom 19. April 2010 auf den
Rauschmittelkonsum des Antragstellers abgestellt.
Der Bescheid vom 19. April 2010 erweist sich in der Sache als offensichtlich rechtmäßig, so dass die im
Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung keinen Anlass gibt, die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.
Die Entziehungsverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-
Verordnung ‑ FeV ‑. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer
Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der
Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Ungeeignet sind nach der
Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV in Verbindung mit Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV diejenigen
Fahrerlaubnisinhaber, die gelegentlich Cannabis einnehmen und nicht zwischen der Einnahme und dem
Fahren trennen können. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Antragstellers gegeben. Es ist nämlich
davon auszugehen, dass er gelegentlich Cannabis konsumiert und - wie sich aus der Fahrt unter
relevantem Drogeneinfluss vom 27. November 2009 ergibt - nicht zwischen dem Konsum von Cannabis
und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann.
Der Antragsteller konsumiert zumindest gelegentlich Cannabis. Gelegentlicher Konsum liegt vor, wenn er
über den lediglich einmaligen, experimentellen Gebrauch hinaus geht und noch nicht das Stadium des
regelmäßigen Konsums erreicht hat (OVG RP, Beschluss vom 9. März 2006 ‑ 10 E 10099/06.OVG ‑). Bei
dem Antragsteller wurde in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Fahrt am 27. November 2009
ausweislich des toxikologischen Befunds des Instituts für Rechtsmedizin der Johannes Gutenberg-
Universität Mainz vom 5. Januar 2010 ein THC-Carbonsäure-Wert von 56 ng/ml festgestellt. Der THC-
Carbonsäure-Wert stellt einen Indikator für die Häufigkeit der Cannabiseinnahme dar. Im Falle einer - wie
hier - spontanen Blutentnahme ist bereits ab einem THC-Carbonsäure-Wert von etwa 10ng/ml von einem
gelegentlichen Cannabiskonsum auszugehen (OVG RP, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 10 B
11226/09.OVG -, juris Rn. 13, m.w.N.). Dieser Richtwert wurde im Fall des Antragstellers mit einem THC-
Carbonsäure-Wert von 56 ng/ml deutlich überschritten. Danach hat sich der Antragsteller hinreichend
sicher als gelegentlicher Cannabiskonsument erwiesen. Dies bestätigt auch seine Einlassung anlässlich
der verkehrsmedizinischen Begutachtung am 17. Februar 2010 durch Herrn Dr. med. A., wonach er
hauptsächlich an den Wochenenden Cannabis konsumiere. Auch der von dem Labor Bioscientia Institut
für medizinische Diagnostik GmbH ermittelte THC-Carbonsäure-Wert von 69 ng/ml, zurückgehend auf
eine Urinprobe vom 17. Februar 2010, belegt die Annahme, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis
einnimmt. Die vom Antragsteller der Antragsgegnerin überlassenen Begutachtungsergebnisse dürfen -
ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung (vgl. BVerwG, NZV 1996, 332) - verwertet
werden. Dass sich der Konsum nicht auf ganz vereinzelte Wochenenden beschränkt, zeigt sich daran,
dass der 27. November 2009 ein Freitag und der 17. Februar 2010 ein Mittwoch war.
Der Antragsteller kann nicht zwischen dem Cannabiskonsum und dem Fahren trennen. An dem - für eine
fortbestehende Fahrerlaubniseignung erforderlichen -Trennungsvermögen fehlt es, wenn der Betroffene
unter verkehrsrechtlich relevantem Drogeneinfluss ein Fahrzeug führt, das heißt, wenn sein Blut entweder
eine THC-Konzentration von über 2,0 ng/ml aufweist, die bei der Hälfte der Konsumenten zu
Beeinträchtigungen der Verkehrstüchtigkeit in der Form von Antriebssteigerungen, erhöhter
Risikobereitschaft sowie Herabsetzung der Sehschärfe mit verzögerten Reaktionen führt, oder wenn sein
Blut über eine solche Konzentration zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml verfügt, sofern der Fahrer zusätzliche
Auffälligkeiten zeigt, die im Allgemeinen Auswirkungen auf die Sicherheit des Straßenverkehrs haben
können (OVG RP, Beschluss vom 7. Dezember 2007 ‑ 10 B 11164/07.OVG ‑ sowie Urteil vom 13. Januar
2004, DAR 2004, 413). Vorliegend ergab die zeitnah zur Verkehrsteilnahme entnommene Blutprobe nach
dem Befund vom 5. Januar 2010 eine THC-Konzentration von 1,3 ng/ml. Zudem ist von einer durch
Cannabis bedingten Beeinträchtigung des Antragstellers auszugehen. Nach den polizeilichen
Feststellungen zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit vom 27. November 2009 waren die Bindehäute
des Antragstellers gerötet, seine Augen wässrig/glänzend und unruhig. Das Oberlid flatterte leicht, und die
Fixierung des vorgehaltenen Fingers war dem Antragsteller nur schwer möglich. Maßgeblich tritt der
sogenannte Rebound-Effekt bei den Pupillen hinzu, das heißt das pathologische Erweitern der Pupillen
trotz fortbestehenden Lichteinfalls. Geweitete Pupillen sind besonders lichtempfindlich, so dass die
verstärkte Blendeinwirkung entgegenkommender Fahrzeuge zu einer Erhöhung der Unfallgefahr führt.
Unerheblich ist es demgegenüber, dass nach den polizeilichen Feststellungen die Lichtreaktion der
Pupillen zunächst prompt erfolgte. Bei dem Rebound-Effekt handelt es sich um eine typische Folge des
Drogenkonsums. Soweit der Antragsteller anderweitige Ursachen in den Raum stellt, bleibt sein Vortrag
unsubstantiiert und spekulativ.
Danach liegen beim Antragsteller die Voraussetzungen der Anlage 4 zur FeV vor. Denn neben dem
bewiesenen gelegentlichen Cannabiskonsum erfüllt er das Merkmal, zwischen dem Konsum und dem
Fahren nicht trennen zu können. Damit liegen die Voraussetzungen dafür vor, im Regelfall ohne weitere
Sachaufklärung die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Bei einem solchen Regelfall hätte es demnach für die Entziehung der Fahrerlaubnis keiner Anordnung
eines ärztlichen Gutachtens bedurft. Vielmehr hätte die Antragsgegnerin von der Nichteignung des
Antragstellers ausgehen können. Für die hier angeordnete - mildere Maßnahme - der Eignungs-
begutachtung wäre demnach von vornherein kein Raum gewesen (vgl. § 11 Abs. 7 FeV). Wenn die
Antragsgegnerin gleichwohl die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens verlangte, hat sie dem
Antragsteller zu seinen Gunsten die Möglichkeit eröffnet, seine Fahreignung zu beweisen. Ein solcher
Beweis ist allerdings durch das Gutachten von Herrn Dr. med. A. nicht erbracht. Denn darin kommt dieser
zum Ergebnis, dass dem Antragsteller die Fahrgeeignetheit fehlt.
Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, ihm hätte entsprechend dem Gutachten von
Herrn Dr. med. A. zunächst die Vorlage einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufgegeben
werden müssen. Eine solche Vorgehensweise kann dem Gutachten bereits nicht entnommen werden. Die
medizinisch-psychologische Untersuchung soll zufolge der Auffassung des Gutachters „nach einjährigem
Abstinenznachweis mit 4 unangemeldeten Drogenscreenings“ durchgeführt werden und damit nicht der
Klärung dienen, ob der Antragsteller gegenwärtig die Fahreignung besitzt.
Bei einer sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung besteht auch ein besonderes öffentliches
Interesse. Ergibt sich die Ungeeignetheit zur Teilnahme am Straßenverkehr aus der gelegentlichen
Einnahme von Cannabis und dem fehlenden Vermögen zwischen Konsum und Fahren zu trennen, ist den
von einem zum Führen von Kraftfahrzeugen geeigneten Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden ständigen
erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer möglichst umgehend zu begegnen. Eine günstigere
Sicht der Dinge ergibt sich für den Antragsteller nicht deshalb, weil er seine Fahrerlaubnis aus beruflichen
Gründen benötigt. Er zeigt zum einen nicht ansatzweise auf, wieso der Verlust der Fahrerlaubnis gerade
für ihn eine unzumutbare Härte bedeutet. Zum anderen hat er sich die für ihn mit der sofortigen
Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehung verbundenen Nachteile letztlich selbst zuzuschreiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 und 46.3 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).