Urteil des VG Mainz vom 06.12.2010

VG Mainz: aufschiebende wirkung, gemeinde, stadtrat, aufwertung, planungsziel, realisierung, option, bebauungsplan, grundstück, gerichtsbarkeit

VG
Mainz
06.12.2010
3 L 1017/10.MZ
Baurecht
Verwaltungsgericht
Mainz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Antragsgegnerin -
wegen Baurechts
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der Beratung vom 6. Dezember 2010, an der
teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Lang
Richter am Verwaltungsgericht Ermlich
Richter am Verwaltungsgericht Hildner
beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Zurückstellungsbescheid
der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2010 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu zahlen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 90.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2010 wiederherzustellen, ist
zulässig und begründet.
Es besteht kein öffentliches Interesses an der sofortigen Vollziehung des Bescheids, mit dem die
Antragsgegnerin die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens der Antragstellerin, ein
Lagergebäude künftig als Lebensmittelverkaufsstelle mit Bäckerei zu nutzen und hierzu Um- und
Anbauten durchzuführen, gemäß § 15 Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB) für die Dauer von zwölf
Monaten ab Zustellung zurückgestellt hat. Dieser Bescheid ist nämlich bei der gebotenen und allein
möglichen summarischen Prüfung rechtswidrig.
Wird eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen
gegeben sind, hat die Baugenehmigungsbehörde nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf Antrag der
Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens im Einzelfall für einen Zeitraum von
bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das
Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Vorliegend fehlt das Bedürfnis
für die Sicherung der Bebauungsplanung im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 14 Abs. 1 BauGB,
welche eine Veränderungssperre voraussetzen würde.
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann die Gemeinde nach Fassung eines Planaufstellungsbeschlusses (§ 2
Abs. 1 Satz 2 BauGB) zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre
des Inhalts beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche
Anlagen nicht beseitigt werden dürfen. Hieraus ergibt sich, dass der Erlass einer Veränderungssperre der
Sicherung einer (konkreten) Planung und nicht der Planungshoheit der Gemeinde dient (vgl. BVerwG,
BRS 67 Nr. 119). Die bloße Absicht zu planen reicht nicht. Denn die Sperrwirkung der
Veränderungssperre lässt sich im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nur
rechtfertigen, wenn der künftige Planinhalt im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zurückstellung (vgl.
Grauvogel, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand: April 2009, § 15 Rn. 9) bereits in einem Mindestmaß
bestimmt und absehbar ist (vgl. BVerwG, NVwZ 2004, 858 [860]; BVerwGE 51, 121 [128]). Wesentlich ist,
dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat;
eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht demnach nicht
aus (vgl. BVerwG, NVwZ 2004, 858 [860]).
Die Konkretisierung des künftigen Planinhalts muss zwar nicht offen gelegt sein, etwa als Begründung des
Planaufstellungsbeschlusses; sie muss jedoch so verlässlich festgelegt sein, dass die Gemeinde
gegebenenfalls einen entsprechenden Nachweis führen kann (vgl. BVerwG, NVwZ 2010, 42 [43] Rn. 9;
OVG RP, NVwZ-RR 2010, 468 [469]).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der Zurückstellungsentscheidung
an dem erforderlichen Mindestmaß an Konkretisierung der Planungsabsichten des hierfür zuständigen
Stadtrats der Antragsgegnerin.
Die Vorlage vom 10. Juni 2010 zum Planaufstellungsbeschluss "Postareal westlich Hauptbahnhof (H93)"
ist in erster Linie mit der "Gefahr" begründet, dass durch das streitgegenständliche und ein weiteres
Vorhaben der "städtebaulich sensible Übergangsbereich zwischen dem Stadtteil H./M. und dem M.
Hauptbahnhof bzw. der M. Neustadt langfristig nicht mehr einer städtebaulichen Aufwertung" zur
Verfügung stehe und "Planungsaktivitäten zur besseren städtebaulichen Anbindung der genannten
Stadtteile sowie zur weiteren Aufwertung der Stadteingangs- und Bahnhofzugangssituation" dann nicht
mehr möglich seien. Zur Lösung wird ausgeführt, durch die Bebauungsplanaufstellung könne die
städtebaulich bedeutsame Schnittstelle gesichert und die Option einer sinnvollen Verknüpfung zwischen
den Stadtteilen langfristig gewährleistet werden. Damit ist ein hinreichend konkretes städtebauliches Ziel
nicht dargetan. Es bleibt vielmehr völlig offen, welche Maßnahmen zur Aufwertung und zur Verbesserung
der Anbindung der Stadtteile angestrebt werden. Anderes lässt sich weder den von der Antragsgegnerin
vorgelegten Verwaltungsvorgängen noch ihren Schriftsätzen entnehmen.
Als weiteren Anlass führt die Beschlussvorlage vom 10. Juni 2010 an, dass die Realisierung des
Lebensmittelmarktes die bestehenden Versorgungsbereiche im Stadtteil H./M. und der M. Neustadt
beeinträchtigen "könnte". Auch damit ist den Anforderungen an die Planungskonkretisierung nicht Genüge
getan. Im vom Planaufstellungsbeschluss umfassten Gebiet, dem sog. Postgrundstück, gilt gegenwärtig
der Bebauungsplan "M.-str. H 31", der ein Gewerbegebiet festsetzt. Der Stadtrat der Antragsgegnerin
beschloss am 22. März 2000 die Aufstellung des Bebauungsplans "H 81", der das Gebiet des Plans "H 31"
einschloss und als Planungsziel für das Postgrundstück eine Verkaufsfläche von 2.500 m² für
innenstadtrelevante Sortimente vorsah. An dieser Planung einer Verkaufsflächenkonzentration auf dem
Postgrundstück hielt der Stadtrat noch in seinem "Zentrenkonzept Einzelhandel für die Stadt M." im Jahr
2005 ausdrücklich fest (a. a. O. S. 38), lediglich die zentrenrelevante Verkaufsfläche wurde mit 2.400 m²
etwas geringer angesetzt. Mit Beschluss vom 12. November 2009 stellte der Stadtrat das Verfahren zum
Entwurf "H 81" mangels "akuten Planerfordernisses" ein. Vor diesem Hintergrund kann den von der
Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen nicht entnommen werden, dass konkretes Ziel des Entwurfs
"H 93" – unter Abkehr der bisherigen Planungsziele – ein Ausschluss von Lebensmittelmärkten auf dem
Postgrundstück ist. Die diesbezüglichen Überlegungen der Verwaltung der Antragsgegnerin waren
ersichtlich nicht Gegenstand der Überlegungen des Stadtrats, sondern sind erst im gegenständlichen
Verfahren ausgeführt worden und konnten somit nicht leitend für die Zurückstellungsentscheidung sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i. V. mit Nrn. 1.5 und
9.1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) unter Zugrundlegung
einer Verkaufsfläche von 1.200 m².