Urteil des VG Mainz vom 13.10.2010

VG Mainz: mündliche prüfung, prüfer, prüfungskommission, staatsprüfung, strafrecht, zivilrecht, neubewertung, flucht, säumnis, klausur

VG
Mainz
13.10.2010
3 K 64/10.MZ
Justizausbildungsrecht
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Mainz>
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13. Oktober 2010, an der teilgenommen haben
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für Recht erkannt:>>
Der Beklagte wird unter Abänderung des Zeugnisses vom 26. März 2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2009 verpflichtet, über die Vergabe eines Zusatzpunktes
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben der Beklagte zu einem Drittel und der Kläger zu zwei Dritteln zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der
Kostenfestsetzung entsprechenden Höhe abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird hinsichtlich der Frage der Vergabe eines Zusatzpunktes zugelassen.
T a t b e s t a n d
Der Kläger begehrt die Neubewertung der im Termin II H 07 angefertigten Aufsichtsarbeit Nr. 06 (Zivilrecht
ZR 2) durch den Zweitprüfer, eine Neuentscheidung über die Teilprüfung „Strafrecht“ der mündlichen
Prüfung vom 26. März 2008 sowie eine Neuentscheidung über eine Abweichung vom rechnerisch
festgestellten Gesamtergebnis der Zweiten juristischen Staatsprüfung.
Der Kläger unterzog sich der Zweiten juristischen Staatsprüfung im Jahr 2006 zum ersten Mal (II F 06) und
bestand sie mit der Gesamtnote „ausreichend“ (6,02 Punkte).
Ab dem Herbst 2007 nahm der Kläger zur Notenverbesserung an der Zweiten juristischen Staatsprüfung II
H 07 teil. In der Zeit vom 1. bis 12. Oktober 2007 fertigte er insgesamt 8 Aufsichtsarbeiten an, in denen er
folgende Ergebnisse erzielte:
Aufsichtsarbeit 01 Strafrecht SR 1 7,00 Punkte
Aufsichtsarbeit 02 Strafrecht SR 2 3,50 Punkte
Aufsichtsarbeit 03 Öffentliches Recht ÖR 1 5,00 Punkte
Aufsichtsarbeit 04 Öffentliches Recht ÖR 2 5,50 Punkte
Aufsichtsarbeit 05 Zivilrecht ZR 1 6,00 Punkte
Aufsichtsarbeit 06 Zivilrecht ZR 2 6,00 Punkte
Aufsichtsarbeit 07 Zivilrecht ZR 3 4,50 Punkte
Aufsichtsarbeit 08 Zivilrecht ZR 4 7,00 Punkte
Summe: 44,50 Punkte
Note der schriftlichen Prüfung 5,56 Punkte
Am 26. März 2008 unterzog sich der Kläger der mündlichen Prüfung. Hierbei erzielte er folgende
Ergebnisse:
Aktenvortrag 5,00 Punkte
Bürgerliches Recht 9,00 Punkte
Öffentliches Recht
Strafrecht 5,00 Punkte
Wahlfach 8,00 Punkte
Summe der Einzelnoten mündliche Prüfung 35,00 Punkte
Von der Vergabe eines Zusatzpunktes sah die Prüfungskommission ab.
Aus den Leistungen des schriftlichen und des mündlichen Teils der Staatsprüfung ermittelte der Beklagte
die Gesamtnote „ausreichend“ (5,99 Punkte). Da das Ergebnis des Termins zur Notenverbesserung
schlechter war als das Ergebnis des Prüfungstermins II F 06, teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben
vom 28. März 2008 mit, dass es bei dem im Termin II F 06 erzielten Ergebnis verbleibe.
Am 29. April 2008 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Bewertung seiner im Rahmen der Prüfung II H
07 erbrachten Leistungen und tätigte u.a. Einwendungen gegen die Bewertung der Aufsichtsarbeit 06
durch den Zweitprüfer und gegen die Bewertung der Teilprüfung „Strafrecht“ in der mündlichen Prüfung.
Auf die Einwendungen des Klägers hin hob der Zweitprüfer der Aufsichtsarbeit 06 seine Bewertung von
5,00 auf 6,00 Punkte an mit der Folge, dass sich das Ergebnis des schriftlichen Teils der Staatsprüfung auf
45,00 Punkte und das Gesamtergebnis der Staatsprüfung auf 6,03 Punkte erhöhte. Im Hinblick auf die
Anhebung der Zweitbewertung der Aufsichtsarbeit 06 befasste sich die Prüfungskommission erneut mit
der Vergabe eines Zusatzpunktes und sah von einer Anhebung des Gesamtergebnisses der Prüfung ab.
Dem Kläger wurde mit dem Datum 26. März 2008 ein Zeugnis über die bestandene Zweite juristische
Staatsprüfung ausgestellt.
Nachdem der Kläger trotz der Anhebung der Bewertung des Zweitprüfers der Aufsichtsarbeit 06 seinen
Widerspruch aufrecht erhielt und nunmehr auch die Nichtvergabe eines Zusatzpunktes beanstandete,
wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2009 zurück. Der
Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 4. Januar 2010 zugestellt.
Am 4. Februar 2010 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens vor: Die Bewertung der Aufsichtsarbeit 06 durch
den Zweitprüfer beruhe ungeachtet dessen Anhebung der Bewertung auf fehlerhaften Erwägungen. So
sei er entgegen der Feststellungen des Zweitprüfers in seiner Arbeit sehr wohl auf die Problematik des
„non liquet“ eingegangen und habe auf S. 14 bis 16 ausführlich zu diesem Problem Stellung bezogen.
Ferner übersehe der Zweitprüfer, dass er sich auf S. 22 seiner Arbeit zu der Problematik von Widerklage
und fehlender örtlicher Zuständigkeit geäußert und die Erhebung einer Widerklage mangels örtlicher
Zuständigkeit verneint habe. Auch die mündliche Prüfung im Fach Strafrecht leide an Bewertungsfehlern.
So sei sein zu dem Fragekomplex „Schädigungsvorsatz/Überschießende Innentendenz“ bei § 315 b StGB
und Vereinbarkeit mit dem Grundsatz „nulla poene sine lege“ gegebener Hinweis auf das Analogieverbot
nicht falsch, sondern entspreche Rechtsprechung und Lehre. Auch sei seine Prüfung einer versuchten
gefährlichen Körperverletzung neben § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB richtig gewesen; soweit demgegenüber
der Prüfer ausgeführt habe, dass die versuchte gefährliche Körperverletzung hinter § 315 b StGB
zurücktrete, sei dies mit der herrschenden Ansicht nicht vertretbar. Soweit er bei der Prüfung einer
räuberischen Erpressung diese unter Hinweis auf eine fehlende, in der Literatur geforderte
Vermögensverfügung abgelehnt habe, sei seine Antwort vertretbar. Schließlich sei die Prüfung der
Vergabe eines Zusatzpunktes durch die Prüfungskommission ermessensfehlerhaft erfolgt, denn diese
habe lediglich die Leistungen des Klägers in dem schriftlichen Teil der Staatsprüfung in den Blick
genommen und insoweit verkannt, dass die Leistungen des Kandidaten im gesamten Vorbereitungsdienst
angemessen bei der Entscheidung zu berücksichtigen seien. Im Vergleich zu seinen Leistungen im
Examen seien seine Leistungen im Vorbereitungsdienst im Schnitt mit 9,4 Punkten und damit um 3,3,
Punkte besser bewertet worden. Daraus werde deutlich, dass seine Leistungen im Examen nicht seinem
tatsächlichen Leistungsstand entsprächen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Zeugnisses vom 26. März 2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2009 zu verpflichten, über die Bewertung der Aufsichtsarbeit
06 durch den Zweitprüfer, die mündliche Prüfung im Fach „Strafrecht“ sowie die Vergabe eines
Zusatzpunktes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt der Klage im Einzelnen entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in
den Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten liegen
einschließlich des Klausurenheftes des Klägers der Kammer vor und waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger hat lediglich einen
Anspruch auf Neuentscheidung über die Vergabe eines Zusatzpunktes unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts, da die Entscheidung der Prüfungskommission hierüber an einem
Bewertungsfehler leidet (3). Hingegen kann er weder eine Neubewertung der Aufsichtsarbeit 06 (Zivilrecht
ZR 2) durch den Zweitprüfer (1) noch eine Neuentscheidung über die Teilprüfung „Strafrecht“ der
mündlichen Prüfung vom 26. März 2008 (1) verlangen.
(1) Soweit der Kläger eine Neubewertung der Aufsichtsarbeit 06 (Zivilrecht ZR 2) durch den Zweitprüfer
begehrt, steht ihm ein solcher Anspruch nicht zu, denn es ist nicht erkennbar, dass die angegriffene
Bewertung auf Bewertungsfehlern beruht.
Hinsichtlich der Bewertung von Prüfungsleistungen ist von der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13. Mai 1965 – 2 C 146.62 –, BVerwGE 21, 127, 130
m.w.N.) in der Weiterführung, die sie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl.
Beschluss vom 17. April 1991 – 1 BvR 413/81, 213/83 –, BVerfGE 84, 34 ff. = NJW 1991, 2005 ff. = DÖV
1991, 794 ff.) erfahren hat, auszugehen. Danach unterliegt die Bewertung von Prüfungsleistungen nur
einer eingeschränkten Kontrolle. Dies ergibt sich daraus, dass es eine absolute Objektivität einer
Leistungsbeurteilung im pädagogischen Bereich nicht gibt, weil die Bewertung einer Prüfungsleistung
durch den Prüfer in aller Regel mit einem erheblichen Einschlag wertender Elemente getroffen wird.
Deshalb handeln die betroffenen Prüfer bei der Bewertung von Prüfungsleistungen in Wahrnehmung
einer ihnen grundsätzlich zustehenden Beurteilungsermächtigung. Für die Beurteilung einer
Prüfungsarbeit nach fachlich-pädagogischen Kriterien steht dem Prüfer (und nicht den
Verwaltungsgerichten) die Befugnis zur (letzt-) verbindlichen Einstufung der Prüfungsleistung zu. Dies
bedeutet, dass die gerichtliche Überprüfung von prüfungsspezifischen Wertungen dort ihre Grenze findet,
wo der Beurteilungsspielraum des Prüfers beginnt. Die gerichtliche Überprüfung hat sich demnach darauf
zu beschränken, ob der Prüfer anzuwendendes Recht verkannt hat, ob er von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, ob er sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder sonst
willkürlich gehandelt hat oder ob er allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet hat.
Demgegenüber sind fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling der gerichtlichen
Kontrolle nicht generell entzogen. Die Prüfungsentscheidung ist aufzuheben, wenn in Fachfragen eine
vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung als falsch bewertet worden
ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991, a.a.O. S. 804; BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 1992 –
6 C 3.92 –, BVerwGE 91, 262, 266). Der so umrissene, gegen den Bewertungsspielraum des Prüfers
abzugrenzende sog. „Antwortspielraum“ des Prüflings darf indessen nicht überdehnt werden. So gehören
die Einschätzungen des Schwierigkeitsgrades der Prüfungsaufgabe, die Beurteilung, ob und in welchem
Maße der Prüfling seine Antworten und Begründungen sorgfältig aufbereitet und überzeugend dargelegt
hat, die Bewertung der Art der Darstellung, die Bildung des Vergleichsrahmens, die Wertung, welche
Leistung noch als „durchschnittlich“ zu betrachten ist und darüber hinaus überhaupt Benotungsfragen zu
den prüfungsspezifischen Wertungen, die grundsätzlich allein dem jeweiligen Prüfer zustehen (vgl. VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. August 1992 – 4 S 11065/92 –, VBlBW 1993, 143, 144).
Soweit ein Prüfling versucht, einzelnen Prüfern ihrerseits gedankliche Fehler oder Widersprüche zwischen
deren ursprünglichen Voten und etwaigen ergänzenden Stellungnahmen nachzuweisen, verkennt er
zudem den Prüfungsgegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Das Gericht hat nicht etwa zu
prüfen, ob die Würdigung des Prüfers vertretbar und deshalb nicht zu beanstanden ist, sondern ob die
vom Prüfling jeweils vertretene Auffassung zutreffend oder jedenfalls fachlich vertretbar war und deshalb
nicht als falsch hätte bewertet werden dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1993 – 6 C 12.92 –,
Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich eine fehlerhafte Bewertung der Aufsichtsarbeit 06 (ZR 2)
durch den Zweitprüfer nicht feststellen. Dies ergibt sich aus folgendem:
Soweit der Kläger zur Begründung seiner Bewertungsrüge zunächst geltend macht, er sei entgegen der
Feststellungen des Zweitprüfers sehr wohl auf die Problematik des „non liquet“ eingegangen und habe
hierzu auf S. 14 bis 16 der Klausur zu diesem Problem Stellung bezogen, vermag dies einen
Bewertungsfehler nicht zu begründen. Wie sich bereits in zweifelsfreier Weise aus dem Votum des
Zweitprüfers ergibt (vgl. Korrekturanmerkung A. III. 2. c): „Prozessrisiko: 2 Zeugen, ggf. non liquet – nicht
weiter ausgeführt“), hat der Prüfer die unter dem Stichwort „Beweislastentscheidung“ getätigten
Ausführungen des Klägers auf S. 14 der Klausur zur Kenntnis genommen, aber die Begründungstiefe
bemängelt. Insoweit ist die Kritik des Zweitprüfers von dessen Bewertungsspielraum gedeckt. Etwas
anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger seine „umfängliche Begründung“ des Problems
„non liquet“ aus seinen Erwägungen zur „Flucht in die Säumnis“ herleitet. Insoweit ist es nicht zu
beanstanden, dass der Zweitprüfer – der diese Ausführungen sehr wohl zur Kenntnis genommen hat (vgl.
Korrekturanmerkung A III. 2. d) Spiegelstrich 3 des Votums) – den Aspekt „Flucht in die Säumnis“ nicht in
die Bewertung zum Problem „non liquet“ hat einfließen lassen. Denn insoweit übersieht der Kläger, dass
die von ihm empfohlene „Flucht in die Säumnis“ unmittelbar nichts mit der Frage der Beweislast und eines
etwaigen „non liquet“ zu tun hat. Vielmehr stellt sich die Frage nach einer „Flucht in die Säumnis“ als
prozesstaktisches Vorgehen erst dann, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass der Beklagte wegen
fehlender Beweisführungsmöglichkeit bei bestehender Beweislast den Prozess verlieren würde.
Demzufolge ist es nicht zu beanstanden, dass der Zweitprüfer die Problemekreise „Beweislast/non liquet“
und „Flucht in die Säumnis“ in seinem Votum jeweils eigenständig aufgeführt hat.
Soweit der Kläger des Weiteren einwendet, der Zweitprüfer habe in seinem Votum übersehen, dass er –
der Kläger – mittig auf S. 22 seiner Klausur inhaltlich richtige Ausführungen dazu gemacht habe, dass
eine Widerklage mangels örtlicher Zuständigkeit (§ 29 a ZPO) nicht möglich sei, begründet dies ebenfalls
keinen Bewertungsfehler. Zwar hat der Zweitprüfer in der Tat die Ausführungen des Klägers zur
Widerklage und deren Ausschluss mangels örtlicher Zuständigkeit in seinem Votum nicht zur Kenntnis
genommen, wie sich aus der Korrekturanmerkung zu „B. II. 2.“ ergibt. Der Zweitprüfer hat jedoch in seinen
ergänzenden Stellungnahmen vom 17. Februar 2009 und 2. April 2009 – die mit dem ursprünglichen
Votum eine Einheit bilden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 10 A
11162/09.OVG –) – nachvollziehbar ausgeführt, dass er die entsprechenden Ausführungen des Klägers
bei seiner Bewertung sehr wohl zur Kenntnis genommen hat, dies aber infolge eines Schreibversehens
(Übertragungsfehler von einem handschriftlichen Korrekturzettel in das Votum) im Votum nicht zum
Ausdruck gekommen ist. Hierbei handelt es sich entgegen der Mutmaßungen des Klägers auch nicht um
eine vorgeschobene Behauptung des Zweitprüfers. Wie nämlich dem in der mündlichen Verhandlung
vorgelegten handschriftlichen Korrekturblatt des Zweitprüfers zu entnehmen ist, hat dieser dem
Korrekturpunkt „B. II. 2.“ das Wort „gesehen“ durch einen Pfeil zugeordnet. Dass dieser Punkt auch in die
Bewertung der Klausur mit eingeflossen ist, ergibt sich ferner daraus, dass der Zweitprüfer in seinem
handschriftlichen Korrekturzettel als Gesamtbewertung 5 Punkte und damit dieselbe Punktzahl festgesetzt
hat, die sich auch in dem der Klausur beigefügten Votum als Gesamtnote findet.
Nach alldem erweist sich die Bewertung der Aufsichtsarbeit 06 (Zivilrecht ZR 2) durch den Zweitprüfer als
beurteilungsfehlerfrei.
(2) Der Kläger kann auch keine Neubewertung des Prüfungsteils „Strafrecht“ der mündlichen Prüfung
beanspruchen. Der auf eine Neubewertung der Prüfungsleistung gerichtete Antrag muss bereits deshalb
erfolglos bleiben, weil infolge der seit dem Prüfungstermin am 26. März 2008 bis zur mündlichen
Verhandlung verstrichenen Zeit von etwa 2 ½ Jahren keine verlässliche Grundlage für eine erneute
Bewertung der mündlichen Leistungen des Klägers mehr vorhanden ist.
Die Neubewertung einer mündlichen Prüfung kommt nur in Betracht, wenn sie in einem engen zeitlichen
Zusammenhang mit der fehlerhaft durchgeführten oder fehlerhaft bewerteten Prüfung erfolgt (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 11. April 1996 – 6 B 13.96 –, juris [Rdnr. 10]). Dies folgt daraus, dass die
Bewertung der mündlichen Prüfung dadurch gekennzeichnet ist, dass in sie der unmittelbare Eindruck der
Prüfer vom Prüfungsgeschehen Einfluss nimmt. Dieser Eindruck schwindet jedoch immer mehr mit dem in
Folge des Zeitablaufs nachlassenden Erinnerungsvermögen der Prüfer. Davon ist auch hier angesichts
der verstrichenen Zeit auszugehen. Insoweit hat auch der Prüfer Ltd. KreisVerwDir H. in einer an den
Vorsitzenden der Prüfungskommission gerichteten E-Mail vom 7. November 2008 (vgl. Bl. 39 der
Widerspruchsakten) darauf hingewiesen, dass im Interesse des Erinnerungsvermögens der Prüfer das
Landesprüfungsamt für Juristen auf eine zügige Begründung des Widerspruchs (gegen die Bewertung der
mündlichen Prüfung) dringen und ansonsten über den eingelegten Rechtsbehelf ohne Begründung
entscheiden solle.
Soweit der Kläger ein Gedächtnisprotokoll über die mündliche Prüfung im Fach Strafrecht vorgelegt hat
und zur Begründung der von ihm gerügten Bewertungsfehler hierauf Bezug nimmt, scheidet dieses als
taugliches Hilfsmittel für eine Neubewertung aus. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass es dem
Beklagten erst am 30. September 2008 und damit ein halbes Jahr nach der in Rede stehenden
mündlichen Prüfung vorgelegt wurde, so dass aufgrund dieser Zeitspanne schon erhebliche Zweifel daran
bestehen, ob es den Ablauf der Prüfung vollständig und richtig wiedergeben kann. Ein
Gedächtnisprotokoll wie das vom Kläger vorgelegte bietet aber auch deshalb keine verlässliche
Beurteilungsgrundlage, da es aus seiner subjektiven Sichtweise heraus erstellt wurde und selbst bei
inhaltlicher Richtigkeit keinen Bezug zu den mit ihm geprüften Kandidaten ermöglicht (vgl. VG Mainz,
Urteil vom 18. Dezember 2002 – 7 K 180/01.MZ –). Eine hiervon abweichende Bewertung ist auch nicht in
Anbetracht der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme eines Mitprüflings angezeigt. Zum einen ist auch
diese erst ein halbes Jahr nach der mündlichen Prüfung vorgelegt worden. Zum anderen bestehen
erhebliche Zweifel an deren Verwertbarkeit auch deshalb, weil sie – inklusive der Rechtschreibfehler – mit
dem Gedächtnisprotokoll des Klägers identisch ist, so dass sich der Eindruck aufdrängt, der Mitprüfling
habe sich lediglich den subjektiven Eindruck des Klägers von der mündlichen Prüfung im Fach Strafrecht
zu Eigen gemacht. Da der das Prüfungsrecht beherrschende und verfassungsrechtlich in Art. 3 Abs. 1 und
gegebenenfalls Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Chancengleichheit es nicht gestattet, im Wege
der Neubewertung über eine Prüfungsleistung zu entscheiden, wenn eine verlässliche
Entscheidungsgrundlage hierfür nicht oder nicht mehr vorhanden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.
April 1996, a.a.O. Rdnr. 10), muss insoweit dem Begehren des Klägers der Erfolg versagt bleiben.
(3) Soweit der Kläger hingegen eine Neuentscheidung der Prüfungskommission über die Anhebung des
Gesamtergebnisses der Staatsprüfung um bis zu einem Punkt begehrt, hat seine Klage Erfolg. Denn die
Entscheidung der Prüfungskommission, das Gesamtergebnis der Prüfung nach der Anhebung der
Bewertung der Aufsichtsarbeit 06 durch den Zweitprüfer ohne weitere Punkterhöhung stehen zu lassen,
leidet an einem Bewertungsfehler.
Nach § 9 Abs. 5 Satz 3 der Juristischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung – JAPO – vom 1. Juli
2003 (GVBl S. 131) kann der Prüfungsausschuss das Gesamtergebnis der staatlichen (Pflichtfach-
)Prüfung um bis zu einem Punkt erhöhen, wenn das rechnerische Ergebnis auf mindestens 4,00 Punkte
lautet und durch die Erhöhung der Gesamtleistungsstand der Bewerberin oder des Bewerbers
zutreffender gekennzeichnet wird. Diese Vorschrift wird für die Zweite juristische Staatsprüfung durch § 40
Abs. 6 Satz 2 JAPO dahingehend ergänzt, dass bei der Entscheidung über die Erhöhung des errechneten
Gesamtergebnisses (§ 9 Abs. 5 Satz 3) die Leistungen der Rechtsreferendarin oder des
Rechtsreferendars im juristischen Vorbereitungsdienst angemessen zu berücksichtigen sind.
Die nach den vorgenannten Vorschriften zu treffende Entscheidung unterliegt – wie andere
Prüfungsentscheidungen – dem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Bewertungsspielraum der
Prüfer. Diese Regelungen – wie auch die zugrundeliegende Vorschrift des § 5 d Abs. 4 Satz 1 DRiG –
davon aus, dass die aus allen Einzelnoten entsprechend ihrer Gewichtung durch die Prüfungsordnung
ermittelte Gesamtnote in aller Regel den Leistungsstand eines Prüflings zutreffend kennzeichnet, der
Chancengleichheit durch die Gewichtung der verschiedenartigen Prüfungsleistungen weitestgehend
Rechnung trägt und dass deshalb eine Abweichung davon nur ausnahmsweise aus gewichtigen Gründen
zulässig ist, die eine Korrektur der errechneten Gesamtnote erfordern (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli
1995 – 6 C 12.93 –, BVerwGE 99, 74, 78). Der Beurteilungsspielraum der Prüfer bezieht sich auch darauf,
welches Gewicht den „auch“ zu berücksichtigenden Leistungen der Kandidaten im Vorbereitungsdienst
zukommt (vgl. Hess.VGH, Beschluss vom 10. September 2008 – 8 ZU 1815/07 –, juris [Rdnr. 40, m.w.N.]).
Weil die von der Prüfungskommission zu treffende Einschätzung, ob und in welchem Umfang eine
Abweichung von der rechnerischen Gesamtnote den Leistungsstand des Kandidaten besser
kennzeichnet, das Ergebnis prüfungsspezifischer Wertungen ist und daher nur einer eingeschränkten
Kontrolle unterliegt, muss diese Einschätzung gerade auch vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich
geschützten Grundsatzes der Chancengleichheit auf einer breiten Erkenntnisgrundlage beruhen, die der
Prüfungskommission ein Gesamtbild vom Prüfling vermitteln kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 30. November 2009 – OVG 10 N 50.08 –, juris [Rdnr. 10]). Zu berücksichtigen sind alle
hierfür erheblichen Umstände (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 1997 – 6 B 44.97 –, juris [Rdnr.
9]). Dies setzt voraus, dass sich die Prüfungskommission ihr Gesamtbild von dem Kandidaten anhand
sämtlicher ihr zur Verfügung stehender Erkenntnisse macht, wozu grundsätzlich auch die im
Vorbereitungsdienst gewonnenen Erkenntnisse gehören (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Januar 2008 – 14 A 3658/06 –, NVwZ 2008, 1037, 1038). Dem
entspricht auch die vom rheinland-pfälzischen Verordnungsgeber in § 40 Abs. 6 Satz 2 JAPO getroffene
Regelung.
Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 18. Juni 2004
– 2 K 188/04.MZ – die Aufassung vertritt, aus dem Wortlaut der §§ 9 Abs. 5 Satz 3, 40 Abs. 6 Satz 2 JAPO
ergebe sich, dass die Leistungen der Referendarin oder des Referendars im Vorbereitungsdienst nicht
schon bei der Frage, ob eine Abweichung vom rechnerisch ermittelten Gesamtergebnis der Prüfung in
Betracht komme, sondern erst bei der hieran anknüpfenden Prüfung, in welchem Umfang das
Gesamtergebnis erhöht werden soll, heranzuziehen seien, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn
abgesehen davon, dass eine solche eingeengte Auslegung bei der Anwendung der vorgenannten
Vorschriften im Hinblick auf § 5 d Abs. 4 Satz 1 DRiG Zweifeln begegnet (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss
vom 4. August 1997, a.a.O. Rdnr. 11), gibt gerade der Wortlaut des § 40 Abs. 6 Satz 2 JAPO für eine
solche Einschränkung nichts her. Wenn dort davon die Rede ist, bei der Entscheidung nach § 9 Abs. 5
Satz 3 JAPO über eine Erhöhung des rechnerischen Gesamtergebnisses der Prüfung seien die
Leistungen der Referndarin oder des Referendars im Vorbereitungsdienst angemessen zu
berücksichtigen, liegt der Schluss nahe, dass schon die Frage, ob eine Abweichung von der
rechnerischen Gesamtnote den Leistungsstand des Kandidaten besser kennzeichnet, nur unter
Einbeziehung der Leistungen im Vorbereitungsdienst zu beurteilen ist. Die Prüfungsleistungen allein
ermöglichen eine nur sehr eingeschränkte Beurteilung der Frage, ob diese den Leistungsstand des
Kandidaten „zutreffend“ kennzeichnen. Es wird jedoch regelmäßig ausreichen, die Gesamtnoten der
Stationen und Arbeitsgemeinschaften in den Blick zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund ist der Prüfungskommission bei ihrer abschließenden Entscheidung über eine
Anhebung des rechnerischen Gesamtergebnisses der Prüfung des Klägers, niedergelegt im Schreiben
des Prüfungskommissionsvorsitzenden vom 26. Mai 2009 an den Beklagten, insoweit ein
Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie die ihrer Einschätzung zugrundeliegende Erkenntnisgrundlage
unzulässig eingeschränkt hat. Sie hat offenkundig nur das Ergebnis des schriftlichen Teils der
Staatsprüfung des Klägers in den Blick genommen und alle weiteren in Betracht kommenden
Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung über eine Anhebung des rechnerisch ermittelten
Gesamtergebnisses der Prüfung des Klägers ausgeblendet. Der Kommissionsvorsitzende führte aus: „Die
Prüfungskommission ist … einhellig der Meinung, dass ein Sozialpunkt nach wie vor nicht in Frage kommt.
Die Gesamtleistung der schriftlichen Prüfung liegt weiterhin nur im ausreichenden Bereich. Dass sich der
Durchschnitt von 5,56 Punkten auf 5,62 Punkte verbessert hat, ändert daran nichts. Nach wie vor ist der
Durchschnitt auch nicht durch „Ausreißer“ nach unten bei ansonsten deutlich besseren Leistungen
beeinflusst. Zwischen der schlechtesten und der besten Klausurleistung liegt lediglich eine Spanne von
3,5 Punkten“. Die Beschränkung der einer Entscheidung nach §§ 9 Abs. 5 Satz 3, 40 Abs. 6 Satz 2 JAPO
zugrunde zu legenden Erkenntnisgrundlagen allein auf das Ergebnis des schriftlichen Teils der Prüfung
genügt nicht den Anforderungen, welche an die Prüfungskommission im Hinblick auf eine
beurteilungsfehlerfreie Einschätzung des Gesamtbildes des Kandidaten zu stellen sind. Dies hat zur
Folge, dass sich die Prüfungskommission erneut – und unter Einbeziehung aller für die Beurteilung des
Gesamtbildes erheblichen Umstände – erneut mit der Frage befassen muss, ob eine Anhebung des
rechnerisch ermittelten Gesamtergebnisses der Zweiten juristischen Staatsprüfung zu erfolgen hat, weil
dadurch der Gesamtleistungsstand des Klägers zutreffender gekennzeichnet wird.
dadurch der Gesamtleistungsstand des Klägers zutreffender gekennzeichnet wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung war im Hinblick auf die Frage der Anhebung des rechnerisch ermittelten Gesamtergebnisses
die Prüfung zuzulassen, weil die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO).
B e s c h l u s s
der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz
vom 13. Oktober 2010
Der Streitwert wird auf
7.500,00