Urteil des VG Mainz vom 13.09.2010

VG Mainz: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, straftat, kreis, vollziehung, interessenabwägung, behandlung, verfügung, identifizierung, erfahrung

VG
Mainz
13.09.2010
1 L 774/10.MZ
Polizeirecht
Verwaltungsgericht
Mainz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Antragsteller -
gegen
- Antragsgegner -
wegen erkennungsdienstlicher Maßnahmen
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der Beratung vom 13. September 2010, an
der teilgenommen haben
Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Eckert
Richterin am Verwaltungsgericht Zehgruber-Merz
Richter am Verwaltungsgericht Ermlich
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
G r ü n d e
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit
polizeilicher Verfügung vom 28. Juni 2010 ergangene und für sofort vollziehbar erklärte Anordnung einer
erkennungsdienstlichen Behandlung nebst Vorladung hierzu wiederherzustellen, ist abzulehnen.
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist in materieller Hinsicht das Interesse des
Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) abzuwägen. Bei dieser Abwägung der widerstreitenden
Interessen kommt es regelmäßig nicht auf die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs an. Die
sofortige Vollziehung kann vielmehr als Ausnahme von der gesetzlichen Folge der aufschiebenden
Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur angeordnet werden, wenn ein besonderes Voll-
zugsinteresse, welches das Individualinteresse des Betroffenen überwiegt, gegeben ist. Die
Erfolgsaussichten im Verfahren zur Hauptsache sind allerdings dann von Bedeutung, wenn sich bereits
aufgrund der summarischen Prüfung im Aussetzungsverfahren erkennen lässt, dass die angegriffene
Verfügung offensichtlich rechtswidrig oder der dagegen eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aus-
sichtslos ist. Kann bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht festgestellt
werden, ob der Rechtsbehelf des Betroffenen sich als offensichtlich erfolgversprechend oder offensichtlich
aussichtslos erweist, bedarf es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen (Finkeln-
burg/Külpmann/Dombert, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 05. Aufl. 2008,
RNr. 958 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03. Mai 1977, AS 14, S. 429, 436). Ergibt die durch das
Gericht eigenständig vorzunehmende Interessenabwägung, dass es im Einzelfall zur Gewährung effekti-
ven Rechtsschutzes oder zur Wahrung sonstiger verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen der
aufschiebenden Wirkung nicht bedarf, so ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, ein vorhandenes
öffentliches Interesse an dem Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum Eintritt seiner Bestandskraft zurück-
treten zu lassen (vgl. Finkelnburg/Külpmann/Dombert, a.a.O., RNr. 970 ff.).
Bei der im Eilverfahren gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage
erweist sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die
Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen gemäß § 81 b 2. Alternative StPO sind erfüllt.
Die Kammer lässt zunächst dahinstehen, ob der Antragsteller überhaupt noch ein Rechtschutzinteresse
für das vorliegende Verfahren hat. Der Antragsteller hat das vorliegende gerichtliche Eilverfahren
zunächst mittels Prozessbevollmächtigter eingeleitet und hat auch fristgemäß Widerspruch eingelegt.
Mittlerweile jedoch haben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers das Mandat niedergelegt. Im
Weiteren hat sodann der Antragsteller weder auf Anfragen des Gerichts, noch auf Aufforderungen des
Antragsgegners, reagiert. So hat der Antragsgegner dem Antragsteller im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens eine Frist zur Begründung des Widerspruchs eingeräumt und ihn nach
Fristablauf an die Vorlage einer Begründung erinnert. Der Antragsteller hat in der Folgezeit jedoch auf
keinerlei Anschreiben mehr reagiert.
Die Zweifel am Vorliegen eines Rechtschutzbedürfnisses können jedoch dahinstehen, da der Bescheid in
der Sache selbst jedenfalls offensichtlich rechtmäßig ist.
Er leidet insbesondere nicht an einem formellen Fehler. Zwar hat der Antragsgegner die nach
§ 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG erforderliche Anhörung vor Erlass des Bescheides unterlassen.
Dieser Verfahrensmangel ist jedoch durch das Widerspruchsverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Ziffer 3 VwVfG
geheilt worden, in dem der Antragsteller ausreichend Zeit hatte, seinen Widerspruch zu begründen. Dass
der Antragsteller hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, ist dabei unerheblich.
Der Antragsteller ist auch Beschuldiger eines eingeleiteten Strafverfahrens wegen Raubes. Es handelt
sich um eine gemeinschaftliche Begehung mit drei anderen Jugendlichen.
Die angeordneten Maßnahmen sind auch notwendig im Sinne des § 81 b 2. Alternative StPO.
Maßgebend für die Beurteilung der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung für Zwecke
des Erkennungsdienstes ist, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Verfahrens
festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles
– insbesondere nach Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Taten,
seiner Persönlichkeit sowie des Zeitraumes, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung
getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene gegenwärtig oder künftig mit
guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden
strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und die gespeicherten Daten die dann zu führenden
Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten (vgl.
rechtsgrundsätzlich BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 114.79 –, BVerwGE 66, 202, NJW 1983,
Seite 1338). Hierbei braucht es sich bei der Anlasstat nicht um die gleiche Straftat im Rechtsinne zu
handeln. Entscheidend ist vielmehr, dass die durch die Tatbegehung erkennbar gewordene und auch
schon im Übrigen zu Tage getretene Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen die Gefahr einer neuen
Straftat begründet. Entscheidend ist mithin allein, ob bei Würdigung der Gesamtumstände die Prognose
angezeigt ist, der Kläger könne wieder strafrechtlich in Erscheinung treten (vgl. BVerwG a.a.O., Seite 204
ff.) und dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen für die dann zu
führenden Ermittlungen förderlich sein können.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Art und Ausführung der Tat lassen auf eine
Wiederholungsgefahr schließen. Die von dem Antragsgegner insoweit vorgenommene Kriminalprognose
erweist sich als zutreffend. Dies wurde nochmals verdeutlichend und überzeugend in dem
Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 08. September 2010 dargelegt, deren Ausführungen die
Kammer sich anschließt und auf den zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend
§ 117 Abs. 5 VwGO verwiesen wird. Es handelt sich um eine typische Straftat aus dem Bereich der
Jungend-/Heranwachsenenkriminalität. Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, dass bei dem Antragsteller
eine nur sehr geringe Hemmschwelle vorzuliegen scheint, sich von anderen zu solchen Straftaten
verleiten zu lassen. Ebenso zutreffend ist die Straftat selbst seitens des Antragsgegners in dem
Widerspruchsbescheid gewichtet worden, die sich gegen eine aufgrund übermäßigen Alkohols
weitgehend wehrunfähige Person gerichtet hat. Zudem wurde diese hilflose Person in einer für ihn
äußerst bedrohlichen Situation für Leib und Leben mitten auf einer Straße zurückgelassen. Dies wurde
ebenfalls in dem Widerspruchsbescheid im Einzelnen dargelegt.
Es ist des Weiteren auch davon auszugehen, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen für mögliche
zukünftige polizeiliche Ermittlungen bei der Aufklärung von Straftaten förderlich sind. Mit Hilfe von
Fingerabdrücken, Fotos etc. ist die Identität eines Verdächtigen bei neuerlichen Straftaten schneller
festzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn versucht wird, die Identifizierung durch entsprechende
Kleidung o.ä. bei Tatbegehung zu verhindern. Die Identifizierung wird jedoch gerade in diesen Fällen
durch das Vorhandensein erkennungsdienstlicher Unterlagen, insbesondere etwa durch Fingerabdrücke
oder DNA und unter Umständen durch Lichtbilder ermöglicht. Durch die erkennungsdienstlichen
Unterlagen kann der Antragsteller bei Straftaten durch die Polizei künftig schneller als Täter überführt oder
schneller aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen werden.
Schließlich ist die Anordnung der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch unter dem
Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (§ 2 POG) nicht zu beanstanden. Zum einen kommt den infrage
stehenden strafrechtlich relevanten Handlungen keineswegs nur Bagatellcharakter zu. Zum anderen ist
die Art der Maßnahmen auch nicht mit gravierenden Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter
Belange des Antragstellers verbunden. Im Rahmen der insoweit gebotenen Interessenabwägung
überwiegt das öffentliche Interesse an einer wirksamen Bekämpfung von Straftaten.
Daher kann der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtschutz keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.