Urteil des VG Mainz vom 16.02.2009

VG Mainz: anerkennung, handwerk, ausnahmebewilligung, gewerbliche niederlassung, europäische kommission, berufliche tätigkeit, europäisches recht, eugh, ewr, rechtsverordnung

Handwerksrecht
Sonstiges
VG
Mainz
16.02.2009
6 K 678/08.MZ
Weder § 9 Abs. 1 HandwO i.V.m. der EU/EWR-Handwerks-Verordnung noch § 50 a HandwO begründen
derzeit einen Anspruch auf Anerkennung eines polnischen Meisterbriefs.
Zu den Voraussetzungen der richtlinienkonformen Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift.
Der Einzelne kann einen Anspruch auf Anerkennung eines in einem Mitgliedsstaat der Europäischen
Union erworbenen Meisterbriefs bei Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen unmittelbar auf Art. 52
Abs. 1 der Richterlinie 2005/36/EG stützen, da die Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie innerhalb
dere Umsetzungsfrist nicht umgesetzt hat und die Regelung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau
gefasst ist.
Verwaltungsgericht Mainz
6 K 678/08.MZ
Urteil
wegen Anerkennung eines polnischen Meisterbriefs
hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der Beratung vom 16. Februar 2009, an der
teilgenommen haben Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Wanwitz
Richter am Verwaltungsgericht Ermlich
Richter Niesler
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Klingenberg
ehrenamtlicher Richter Maschinenbautechniker Müller für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist hinsichtlich
der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der am 18. April 1963 in T./Polen geborene Kläger begehrt die Anerkennung eines polnischen
Meisterbriefs.
Der Kläger, der in Polen zunächst eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und Karosseriespengler
absolvierte, legte am 22. Oktober 1987 in T./Polen seine Meisterprüfung als Fahrzeugklempner ab. Er
reiste im Jahr 2003 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit war er von April 2003 bis Juni
2006 als Karrosseriespengler bei einem Autohandel angestellt; seit dem 17. Juni 2004 befand er sich in
Erziehungsurlaub. Seit 2006 ist er als Kfz-Mechaniker/Karosseriespengler bei einem Autohaus in E.
beschäftigt.
Unter dem 08. März 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung seines polnischen
Meisterbriefs. Er trug vor, dass Rechtsgrundlage seines Antrags die Richtlinie 1999/42/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 07. Juni 1999 sei, welche alternativ zur Berufserfahrung die
Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Befähigungsnachweises vorsehe.
Die in Polen abgelegte Meisterprüfung sei funktional und materiell als gleichwertig anzusehen.
Unter dem 27. März 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es derzeit national noch keine
Möglichkeit der Anerkennung eines polnischen Meisterbriefs gebe. Es werde die Antragstellung nach § 8
HandwO empfohlen.
Nachdem sich die Beteiligten in der Folgezeit über die Möglichkeit einer Anerkennung unmittelbar
aufgrund der Richtlinie uneinig waren, erteilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Februar
2008 eine Ausnahmebewilligung für das Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk nach § 9 HandwO i.V.
mit der EU/EWR-Handwerk-Verordnung. Hiergegen erhob der Kläger unter dem 13. März 2008 mit der
Begründung Widerspruch, er habe keine Ausnahmebewilligung, sondern die Anerkennung seines
polnischen Meisterbriefs beantragt. Auf diesen Widerspruch hin hob die Beklagte mit Abhilfebescheid vom
13. Juni 2008 den Bewilligungsbescheid vom 13. Februar 2008 auf.
Mit weiterem Bescheid vom 13. Juni 2008 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung
seines polnischen Meisterbriefs ab. Zur Begründung führte sie aus, für das Begehren des Klägers gebe es
weder auf nationaler noch auf EU-Ebene eine Rechtsgrundlage.
Mit seinem am 03. Juli 2008 erhobenen Widerspruch trug der Kläger vor, ein Anerkennungsanspruch
ergebe sich nicht nur aus der Richtlinie 1999/42/EG, sondern auch aus der Richtlinie 2005/36/EG
(Berufsanerkennungsrichtlinie).
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 zurück.
Zur Begründung führte sie aus, die Berufsanerkennungsrichtlinien auf EU-Ebene seien durch die
EU/EWR-Handwerk-Verordnung in nationales Recht umgesetzt worden. Diese Verordnung sehe für die
Selbständigmachung oder die Aufnahme einer Betriebsleiterfunktion die Erteilung einer
Ausnahmebewilligung vor. Grundlage hierfür seien alternativ die nachgewiesene Berufserfahrung oder
die Anerkennung von Ausbildungs- und Befähigungsnachweisen. Eine Titelführungsberechtigung – wie
sie der Kläger anstrebe – könne über die EU/EWR-Handwerk-Verordnung nicht erreicht werden. Eine
Gleichstellung von deutschen Meisterprüfungen mit im Ausland erworbenen Meisterprüfungen und
einhergehend die Titelführungsberechtigung könnten nur erfolgen, wenn der Verordnungsgeber im
Rahmen des § 50 a HandwO tätig werde. Dies sei in Bezug auf Polen nicht der Fall.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 17. Juli 2008 hat der Kläger am 14. August 2008 Klage
erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt und unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens
ergänzend vorträgt: Aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG ergebe sich, dass die Richtlinie auch auf
abhängig Beschäftigte Anwendung finde. Durch den Erlass der Ausnahmebewilligung habe die Beklagte
zu erkennen gegeben, dass ihn seine erworbenen Kenntnisse dazu berechtigten, sich in dem
zulassungspflichtigen Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk selbständig zu machen oder aber als
Betriebsleiter zu arbeiten. Da er jedoch abhängig beschäftigt sei, genüge eine solche
Ausnahmebewilligung seinem Begehren nicht, welches darauf gerichtet sei, seine Berufschancen durch
die Anerkennung der Gleichwertigkeit bzw. die Titelführungsbefugnis zu verbessern. Aufgrund der
Ausgestaltung der Richtlinie 2005/36/EG und § 3 der EU/EWR-Handwerk-Verordnung müsse man für den
vorliegenden Ausnahmefall zu dem Ergebnis kommen, dass er auch als abhängig Beschäftigter die
Möglichkeit erhalten müsse, seinen von ihm erworbenen polnischen Meisterbrief in irgendeiner Form
einem potentiellen Arbeitgeber als gleichwertig mit dem deutschen Handwerksrecht bescheinigt zu
bekommen. Wenn man ihm schon eine Ausnahmebewilligung nach § 9 HandwO erteilen könne, so sei
darin als „Minus“ die Bescheinigung der Gleichwertigkeit seines polnischen Meisterbriefs mit dem
entsprechenden deutschen Handwerk enthalten. Er dürfe gegenüber jemandem, der sich selbständig
machen wolle, nicht schlechter gestellt werden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 13. Juni 2008 sowie des hierzu
ergangenen Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2008 zu verpflichten, seinen polnischen Meisterbrief im
Handwerk „Autoklempner/Karosse-riespengler“ als gleichwertig mit dem deutschen Meisterbrief
anzuerkennen,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 13. Juni 2008 sowie des hierzu
ergangenen Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2008 zu verpflichten, über seinen Antrag vom 08. März
2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in
den Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten einschließlich der Dokumentation
Nr. 569 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie liegen der Kammer vor und waren
Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die die Kammer gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung
entscheiden kann, hat weder mit dem Hauptantrag (1) noch mit dem Hilfsantrag (2) Erfolg.
(1) Die Klage war zunächst hinsichtlich des Hauptantrags abzuweisen, weil dem Kläger weder aus
nationalem Recht (a) noch unmittelbar aus EU-Recht (b) ein Anspruch auf Anerkennung seines
polnischen Meisterbriefs zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO)
(a) Soweit der Kläger die Anerkennung seines polnischen Meisterbriefs durch die Beklagte als
gleichwertig mit dem deutschen Meisterbrief begehrt, findet sich im nationalen Recht für dieses Begehren
keine Stütze.
Zunächst kann der Kläger sein Begehren nicht auf § 9 Abs. 1 HandwO i.V. mit der EU/EWR-Handwerks-
Verordnung i.d. Fassung vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3075) stützen. Denn nach diesen
Vorschriften wird einem Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, der in der
Bundesrepublik Deutschland zur Ausübung eines Handwerks der Anlage A der Handwerksordnung – und
hierzu gehört nach Nr. 15 der Anlage A das Handwerk des Karosserie- und Fahrzeugbauers, dem der in
Polen erworbene Meistertitel eines Fahrzeugklempners zuzuordnen ist – eine gewerbliche Niederlassung
unterhalten oder als Betriebsleiterin oder Betriebsleiter tätig sein will, auf Antrag eine
Ausnahmebewilligung zur Eintragung in der Handwerksrolle für ein Handwerk der Anlage A zur
Handwerksordnung erteilt, wenn er bestimmte Qualifikationsvoraussetzungen erfüllt. Diese
Ausnahmebewilligung hat jedoch lediglich zur Folge, dass ein Handwerk der Anlage A selbständig oder
als Betriebsleiter betrieben werden darf, ohne dass die betreffende Person den Meistertitel besitzt. Sie
berechtigt hingegen nicht, aufgrund einer in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union erworbenen
Qualifikation in der Bundesrepublik Deutschland den Meistertitel führen zu dürfen. Da insoweit der
Regelungsgehalt einer Ausnahmebewilligung ein gänzlich anderer ist als die vom Kläger begehrte
Titelführungsbefugnis, kann diese entgegen der Auffassung des Klägers (vgl. insoweit S. 4 der
Klagebegründung vom 06. Oktober 2008, Bl. 41 der Gerichtsakten) nicht als in der Ausnahmebewilligung
enthaltenes „Minus“ angesehen werden.
Auch aus § 50 a HandwO kann der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung seines polnischen
Meisterbriefs herleiten. Nach dieser Vorschrift kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundesrates im Ausland erworbene Prüfungszeugnisse den entsprechenden
Zeugnissen über das Bestehen einer deutschen Meisterprüfung in zulassungspflichtigen Handwerken
gleichstellen, wenn an den Bildungsgang und in den Prüfungen gleichwertige Anforderungen gestellt
werden (§ 50 a Satz 1 HandwO). Dies bedeutet, dass eine Titelführungsbefugnis in Bezug auf einen im
Ausland erworbenen „Meisterbrief“ nur insoweit besteht, als dies durch Rechtsverordnung zugelassen ist.
Hieran fehlt es vorliegend hinsichtlich Meisterbriefen aus Polen, denn Rechtsverordnungen nach § 50 a
HandwO bestehen derzeit lediglich bezüglich Frankreich (Verordnung zur Gleichstellung französischer
Meisterprüfungszeugnisse mit Meisterprüfungszeugnissen im Handwerk vom 22. Dezember 1997 [BGBl I.
S. 3324]) und bezüglich Österreich (Verordnung zur Gleichstellung österreichischer Prüfungszeugnisse
mit Zeugnissen über das Bestehen der Abschlussprüfung oder Gesellenprüfung in anerkannten
Ausbildungsberufen vom 12. April 1990 [BGBl. I S. 3188]).
Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Anerkennung seines polnischen Meisterbriefs aus
einer europarechtskonformen Auslegung von § 50 a HandwO i.S. von Art. 52 der Richtlinie 2005/36/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07. September 2005 über die Anerkennung von
Berufsqualifikationen (Abl.EG L 255 vom 30.September 2005).
Die richtlinienkonforme Auslegung nationaler Rechtsvorschriften, die ihre Grundlage in Art. 249 Abs. 3 i.V.
mit Art. 10 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EGV – vom 27. März 1957 (BGBl.
II S. 766) hat, stellt eine spezifisch gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedsstaaten dar. Sie ist
eine verbindliche Anleitung zur Erreichung des durch die Richtlinie vorgegebenen Ziels. Ein
mitgliedsstaatliches Gericht hat „das nationale Recht im Licht des Wortlautes und des Zwecks der
Richtlinie auszulegen“, wobei das Gericht diese Auslegung „unter voller Ausschöpfung des
Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den
Anforderungen des Gemeinschaftsrechts“ vornehmen muss (vgl. EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – C-
14/83 – (von Colson und Kamann), juris [Nr. 28]). Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung gilt
umfassend; es findet auch auf solche Rechtsnormen des nationalen Rechts Anwendung, die – wie § 50 a
HandwO – bereits vor der betreffenden Richtlinie erlassen wurden (vgl. EuGH, Urteile vom 13. November
1990 – C-106/89 – (Marleasing), juris [Nr. 8], und vom 14. Juli 1994 – C-91/92 – (Paola Faccini Dori), NJW
1994, 2473, 2474 [Nr. 26]; Callies/Ruffert, EUV/EGV, 3. Auflage 2007, EGV Art. 249 Rdnr. 115). Eine
Grenze findet die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts jedoch am (eindeutigen) Wortlaut
der auszulegenden nationalen Vorschrift (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994, a.a.O S. 2474 [Nr. 37];
Streinz, EUV/EGV, 2003, EGV Art. 249 Rdnr. 126), ferner in den Grundsätzen der Rechtssicherheit und
des Rückwirkungsverbotes (vgl. EuGH, Urteil vom 08. Oktober 1987 – C-80/86 – (Kolpinghuis Nijmegen
BV), juris [Nr. 13]; Callies/Ruffert, a.a.O.).
Vorliegend lässt der Wortlaut des § 50 a HandwO eine richtlinienkonforme Auslegung i.S. von Art. 52 der
Richtlinie 2005/36/EG nicht zu. Dies ergibt sich daraus, dass § 50 a HandwO lediglich eine
Verordnungsermächtigung enthält, die zudem den Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung von
der Mitwirkung zweier Bundesministerien sowie der Zustimmung des Bundesrates abhängig macht. Eine
richtlinienkonforme Auslegung von § 50 a HandwO müsste demnach darauf gerichtet sein, eine die
Anerkennung von in Polen erworbenen Prüfungszeugnissen regelnde Rechtsverordnung zu fingieren;
dies geht eindeutig über den Wortlaut der Regelung hinaus.
(b) Der Kläger kann sein Begehren aber auch nicht unmittelbar auf europäisches Recht stützen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Richtlinie 1999/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 07. Juni 1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter
Liberalisierung- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen
Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise (Abl.EG L 0042 S. 1) schon deshalb nicht als
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers herangezogen werden, weil diese mit Wirkung vom
20. Oktober 2007 aufgehoben worden ist (Art. 62 der Richtlinie 2005/36/EG).
Der Kläger kann eine Anerkennung seines polnischen Meisterbriefs auch nicht unmittelbar aus Art. 52
Abs. 1 der Richtlinie 2005/36 verlangen.
Insoweit gilt es zunächst darauf hinzuweisen, dass Richtlinienrecht der Europäischen Union grundsätzlich
keine Anspruchsgrundlage für den Einzelnen begründet. Denn im Gegensatz zu Rechtsverordnungen der
Gemeinschaftsorgane, die nach Art. 249 Abs. 2 EGV unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gelten und bei
hinreichender Bestimmtheit mit ihrem Inkrafttreten dem einzelnen Unionsbürger Rechte verleihen und
Pflichten auferlegen können (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1971 – C-43/71 – (Politi), juris [Nr. 9]),
stellt die Richtlinie gemäß § 249 Abs. 3 EGV ein Instrument indirekter Rechtssetzung dar, die hinsichtlich
ihres Ziels bzw. Ergebnisses für den Mitgliedsstaat, an den sie sich richtet, normativ verbindlich ist. Sie
enthält finale Vorgaben für die Mitgliedsstaaten, die diese durch Akte der Umsetzung (in das jeweilige
nationale Recht) umzusetzen haben (vgl. Callies/Ruffert, a.a.O. Rdnr. 45 m.w.N.). Daraus folgt, dass sich
der Einzelne grundsätzlich erst dann auf Richtlinienrecht berufen kann, wenn dieses auf nationaler Ebene
durch den Mitgliedsstaat umgesetzt worden ist.
Von diesem Grundsatz hat der Europäische Gerichtshof jedoch Ausnahmen zugelassen. Er erkennt auch
Richtlinienvorschriften unmittelbare Wirkung zu, und zwar dann, wenn die in der Richtlinie festgelegte
Umsetzungsfrist abgelaufen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Januar 2008 – C-246/06 – (Josefa Velasco
Navarro), juris [Nr. 25]), der Mitgliedsstaat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzureichend in
nationales Recht umsetzt, und wenn die entsprechende Richtlinienbestimmung inhaltlich unbedingt und
hinreichend genau ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986 – C-152/84 – (M. H. Marshall), juris [Nr.
46]). Zu beachten ist jedoch, dass nicht Richtlinien schlechthin, sondern nur einzelne Vorschriften, die die
oben genannten Voraussetzungen erfüllen, unmittelbare Wirkung entfalten können (vgl. EuGH, Urteil vom
19. Januar 1982 – C-8/81 – (Becker), juris [Nr. 29]).
Diese Voraussetzungen dürften in Bezug auf Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG vorliegen. Zunächst
ist die Umsetzungsfrist der Richtlinie 2005/36/EG (20. Oktober 2007, vgl. Art. 63 Abs. 1 RL) im hier
maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung abgelaufen. Die Bundesrepublik Deutschland hat ferner die
Richtlinie 2005/36/EG – insbesondere Art. 52 Abs. 1 – innerhalb der Umsetzungsfrist nicht
(ordnungsgemäß) umgesetzt, denn wie oben dargelegt enthält die Handwerksordnung keine
Rechtsgrundlage für die Anerkennung von Prüfungszeugnissen aus Polen. Im Übrigen hat die
Europäische Kommission beschlossen, u.a. die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen
Gerichtshof zu verklagen, weil sie keine Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG zur
Anerkennung von Berufsqualifikationen mitgeteilt hat (vgl. Pressemitteilung der Europäischen
Kommission vom 16. Oktober 2008 – IP/08/1520 –,
http://ec.europa.eu/internal_
market/qualifications/news_de.htm
). Schließlich ist Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie auch inhaltlich unbedingt
und hinreichend genau gefasst. Die Vorschrift regelt klar und deutlich, unter welchen Voraussetzungen
ein Angehöriger eines Mitgliedsstaates eine Berufsbezeichnung im Zusammenhang mit einer
reglementierten beruflichen Tätigkeit führen darf.
Gleichwohl kann der Kläger auch aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie
2005/36/EG keinen Anspruch auf Anerkennung seines polnischen Meisterbriefs herleiten. Nach dieser
Regelung führen, wenn in einem Aufnahmemitgliedsstaat das Führen der Berufsbezeichnung im
Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeiten reglementiert ist, die Angehörigen der übrigen
Mitgliedsstaaten, die nach Titel III einen reglementierten Beruf ausüben dürfen, die entsprechende
Berufsbezeichnung des Aufnahmemitgliedsstaates und verwenden deren etwaige Abkürzung. Zunächst
handelt es sich bei dem Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk um einen reglementierten Beruf i.S. der
Richtlinie, denn insoweit definiert Art 3. Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie einen „reglementierten Beruf“ als
eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe von Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder
eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an den
Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist. Dies ist bei dem Karosserie- und
Fahrzeugbauerhandwerk als zulassungspflichtiges Handwerk der Fall.
Darüber hinaus ist nach Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie Voraussetzung für die Titelführungsbefugnis, dass der
Kläger die Kriterien des Titels III der Richtlinie erfüllt. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Titel III der Richtlinie 2005/36/EG, der mit „Niederlassungsfreiheit“ überschrieben ist, enthält zunächst in
Kapitel I allgemeine Regelungen für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen. Wie sich jedoch aus
Art. 10 der Richtlinie ergibt, findet Kapitel I nur auf diejenigen Berufe Anwendung, die – abgesehen von
den in Buchst. a) bis g) aufgeführten Berufsgruppen – nicht unter Kapitel II und III dieses Titels fallen.
Hiernach findet Kapitel I in Bezug auf den Kläger keine Anwendung, denn das Handwerk des
Fahrzeugklempners richtet sich nach Kapitel II des Titels III der Richtlinie, da es in Anhang IV der Richtlinie
aufgeführt ist (vgl. Art. 16 der Richtlinie). Es unterfällt nämlich der in Anhang IV Verzeichnis I aufgelisteten
Hauptgruppe 38 „Fahrzeugbau“. Hieran ändert nichts der Umstand, dass das Handwerk des
„Fahrzeugklempners“ bzw. „Karosserie- und Fahrzeugbauers“ in Hauptgruppe 38 nicht ausdrücklich
aufgeführt ist. Denn insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass die in Verzeichnis I aufgeführten
Hauptgruppen von Tätigkeiten europarechtliche Begrifflichkeiten darstellen, unter die die jeweiligen
nationalen Berufsbezeichnungen zu subsumieren sind. Hierbei ist zu sehen, dass die in Hauptgruppe 38
des Verzeichnisses I aufgeführten Tätigkeiten – insbesondere die in Untergruppe 384 (Kraftfahrzeug- und
Fahrradreparaturwerkstätten) – solche Tätigkeiten umfassen, an die aus Gründen der Sicherheit
besondere Anforderungen gestellt werden, wie sie insbesondere im Karosseriebau schon deshalb
erforderlich sind, um Fehler bei der Herstellung bzw. Reparatur und damit eine Gefährdung für den
Kraftfahrtzeugnutzer auf ein Minimum zu reduzieren. Da das Berufsbild des Fahrzeugklempners im
Wesentlichen mit der Reparatur von Blechschäden an Fahrzeugen zu tun hat (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/ Klempner
[Karosserieklempner]), lässt es sich mithin unter die Hauptgruppe 38
des Verzeichnisses I fassen.
Für die in Anhang IV Verzeichnis I aufgeführten Tätigkeiten bestimmt Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie
2005/36/EG, unter welchen Mindestvoraussetzungen in einem anderen Mitgliedsstaat erworbene
Kenntnisse und Fertigkeiten für die Aufnahme einer der dort aufgeführten Tätigkeiten ausreichen. Diese in
Art. 17 Abs. 1 Buchst. a) bis e) der Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllt der Kläger jedoch nicht.
Denn die in Buchst a) bis d) genannten Varianten erfordern eine mindestens ununterbrochene dreijährige
Tätigkeit als Selbständiger oder Betriebsleiter, die der Kläger ausweislich der von ihm vorgelegten
Unterlagen (Zeugnisse, Bescheinigungen, Lebenslauf) nicht nachgewiesen und im Übrigen auch nicht
behauptet hat. Er kann sich aber auch nicht auf Art 17 Abs. 1 Buchst. e) der Richtlinie berufen, denn
insoweit fehlt es an dem Nachweis einer ununterbrochenen fünfjährigen Tätigkeit in leitender Stellung,
darunter eine mindestens dreijährige Tätigkeit mit technischen Aufgaben und mit der Verantwortung für
mindestens eine Abteilung des Unternehmens.
Erfüllt der Kläger mithin nicht die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG, darf er
nicht nach Titel III der Richtlinie einen reglementierten Beruf ausüben und dementsprechend auch nicht
nach Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie dessen Berufsbezeichnung in der Form des Aufnahmemitgliedsstaates
führen.
Da dem Kläger nach alledem weder aus nationalem noch aus europäischem Recht ein Anspruch auf
Anerkennung seines polnischen Meisterbriefs zusteht, war die Klage insoweit abzuweisen.
(2) Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Neubescheidung hat keinen Erfolg. Dies ergibt sich bereits
daraus, dass die Anerkennung des polnischen Meisterbriefs des Klägers nicht im Ermessen der Beklagten
steht, sondern mangels Anspruchsgrundlage abzulehnen war. Hinzu kommt, dass selbst eine die
Regelung in Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2005/23/EG umsetzende Vorschrift kein Ermessen begründen,
sondern in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts von Art. 51 Abs. 1 zu einer gebundenen Entscheidung
führen würde.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 16. Februar 2009
Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).